Protocol of the Session on March 29, 2012

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Schon in der letzten Wahlperiode hatten wir in der Bürgerschaft mehrmals diese Forderung erhoben. Damals wurden unsere diesbezüglichen Anträge von allen Parteien abgelehnt, die FDP ausgenommen, weil sie auch nicht in der Bürgerschaft vertreten war. Gemeinsam mit dem Landeselternausschuss LEA, den Gewerkschaften ver.di und GEW und den Verbänden SOAL und DPWV hatten wir daraufhin eine Volksinitiative gestartet und unter anderem einen sechsstündigen Rechtsanspruch für alle Kinder gefordert.

Wir halten die Schaffung eines fünfstündigen Rechtsanspruchs für Kindertagesbetreuung einschließlich Mittagessen für alle Kinder ab dem zweiten Lebensjahr für einen Schritt in die richtige Richtung. Deswegen unterstützen wir auch Ihren Antrag. Dennoch möchte ich festhalten, dass die in der Volksinitiative geforderten sechs Stunden für die Kinder eine besondere Grundlage wären, weil die Teilhabe der Kinder an dem Mittagsprogramm das soziale Lernen und den Spracherwerb fördert. Unsere langfristige Forderung lautet nach wie vor: Ganztagsplätze für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr, unabhängig vom Erwerb der Eltern steuerfinanziert.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Leonhard, an dieser Stelle möchte ich auch daran erinnern, dass in die Vereinbarung zwischen LEA und der SPD zu dem Punkt "Frühe Förderung und Sprachentwicklung" Folgendes aufgenommen wurde – ich möchte zitieren –:

"Sprachförderbedarf muss künftig ein festes Kriterium sein, das zu einem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz führt. Die vorschulische Sprachstandserhebung muss so gestaltet werden, dass alle Kinder rechtzeitig erreicht werden."

Zitatende.

DIE LINKE findet das richtig; Sprachförderung muss ein Kriterium für den dringlichen sozial bedingten oder pädagogischen Bedarf werden. Viele Kinder, bei denen der Spracherwerb in der Familie nur ungenügend oder gar nicht erfolgt, könnten so früher einen Rechtsanspruch erhalten oder höherwertige Gutscheine bekommen. Nach meinem Informationsstand ist dieses Thema bis jetzt leider nicht in der Vertragskommission erörtert worden. Ich kann nicht verstehen, dass hier so zögerlich vorgegangen wird. Sprachförderung als ein Kriterium für den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz hat auch eine nachhaltige positive Wirkung auf den Haushalt, weil dadurch hohe Folgekosten vermieden werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte auch diesen Punkt mit einem Beispiel zu Ende bringen. Ich habe letzte Woche in der Sprechstunde einen Mitbürger gehabt, dessen Sohn mit meinem Sohn in die Kita geht. Das Kind hat Sprachprobleme, und die Kita hat eine Bescheinigung für das Jugendamt geschrieben, aber der zuständige Beamte sagt, wenn keine Kindesvernachlässigung stattgefunden habe, könne er das nicht bewilligen. Sie müssen zum Arzt und wenn der Arzt das bescheinigt, überlegen wir es uns. Daher finden wir es richtig, dass das Thema weiterhin aktuell bleibt und auch von der Verhandlungskommission aufgenommen wird. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke. – Frau Senatorin Prüfer-Storcks hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich spreche nicht als Gesundheitssenatorin zu dem Thema, sondern in Vertretung von Herrn Senator Scheele.

(Birgit Stöver CDU: Wo ist er denn?)

Ich könnte allerdings auch als Gesundheitssenatorin sprechen, weil eine Verbesserung der frühkindlichen Bildung und Betreuung ganz viel mit den Chancen für ein gesundes Aufwachsen zu tun hat.

(Beifall bei der SPD)

Der Senat verfolgt mit seinem Arbeitsprogramm das Ziel, die Infrastruktur für Hamburger Familien und damit die Zukunftschancen für Kinder durch Angebote frühkindlicher Bildung zu verbessern. Das hat vor allen Dingen zum Ziel, Chancengerechtigkeit herzustellen für alle Hamburger, unabhängig vom sozialen Hintergrund ihres Elternhauses. Chancen- und Teilhabegerechtigkeit, das ist der rote Faden der Kinder- und Familienpolitik des Senats.

(Beifall bei der SPD)

Insofern wollen wir Kinder nicht fit für die Schule, sondern fit für ihr Leben machen, und wir wollen in diesem Zusammenhang eben gerade nicht den Ausbau der Kinderbetreuung gegen die Familienpolitik ausspielen. Wir wollen Kinder überall da fördern, wo sie sind, und sie sind in den Kindertageseinrichtungen und da können sie sehr gut gefördert werden.

(Beifall bei der SPD)

Um Barrieren, die vielleicht vor einer Inanspruchnahme solcher Einrichtungen stehen, nicht auf-, sondern abzubauen, wurde das Kita-Sofortprogramm gestartet mit der Rücknahme der Kita-Beitragserhöhung, der Beitragsfreistellung der Mittagsverpflegung und der Wiedereinführung des Rechtsanspruchs auf Hortbetreuung bis zum

(Mehmet Yildiz)

14. Lebensjahr. Alles das sollte die Inanspruchnahme steigern und Barrieren abbauen.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Antrag der SPD-Fraktion wird ein weiteres wichtiges Vorhaben aus dem Arbeitsprogramm des Senats umgesetzt: die Einführung eines landesgesetzlichen Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab dem zweiten Lebensjahr schon ab 1. August 2012. Das ist ein familienpolitischer Meilenstein und auch bundesweit ein starkes Signal.

Meine Damen und Herren! Der Grundstein für eine erfolgreiche Bildungsbiografie wird in den ersten Lebensjahren gelegt. Kindertageseinrichtungen als Bildungsorte spielen gerade bei der Förderung sozial benachteiligter Kinder eine große Rolle. Sie leisten einen wichtigen Beitrag dafür, dass die Chancen dieser Kinder auf Bildung und auch auf ein gesundes Aufwachsen steigen. Sie ermöglichen ihnen gesellschaftliche Teilhabe völlig diskriminierungsfrei in den Einrichtungen, wo alle Kinder sind. Das Vorziehen des Rechtsanspruchs unterstreicht die hohe Priorität, die der Senat der frühkindlichen Bildung in Hamburg gibt, denn das ist auch mit Geld, und zwar mit viel Geld hinterlegt.

Hamburg geht über die bundesgesetzlichen Rechtsansprüche deutlich hinaus, und der Schlüssel zur nachhaltigen Überwindung von Benachteiligung liegt im Aufbau einer Infrastruktur, die Kindern hilft, unabhängig von ihrer Herkunft die Chancen dieser Stadt wahrzunehmen. Das ist ein wesentlicher Schwerpunkt der aktuellen Senatspolitik. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung und der Erleichterung des Zugangs zu Kinderbetreuung wollen wir allen Hamburger Kindern einen guten Start ins Leben geben. Langfristig soll damit das Auseinanderdriften unserer Gesellschaft verhindert werden.

(Beifall bei der SPD)

Ein finanzieller Anreiz, solche Angebote nicht wahrzunehmen, wie ihn das Betreuungsgeld darstellt, ist absolut kontraproduktiv für diesen Hamburger Weg.

(Beifall bei der SPD)

Von dem Vorziehen dieses Rechtsanspruchs auf den August dieses Jahres, der auch bei einer Tagesmutter oder einem Tagesvater eingelöst werden kann, wird auch eine positive Wirkung auf die Kindertagespflege in Hamburg ausgehen. Ab dem 1. Januar 2013 soll dieser Anspruch auf die einjährigen Kinder ausgeweitet werden, da dann zugleich der bundesweite Rechtsanspruch greift. Damit wird allen Kindern ab dem vollendeten ersten Lebensjahr der Zugang zu frühkindlichen Bildungsangeboten ermöglicht. Und nebenbei bemerkt: Wir leisten damit auch einen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir leisten auch einen Beitrag dazu, dass Frauen eine möglichst kontinuierli

che Erwerbsbiografie haben und gerade nicht langjährig aus dem Beruf ausscheiden müssen. Und damit leisten wir auch einen Beitrag zur Bewältigung der demografischen Entwicklung in Deutschland und zur gerechten Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben.

(Beifall bei der SPD)

Das wird nicht die letzte Verbesserung der Kindertagesbetreuung und der Infrastruktur für Familien in Hamburg bleiben. Wir werden ganz konkret die Verbesserung der Erzieher-Kind-Relation in ausgewählten Gebieten ab 2013 auf den Weg bringen, wir werden die Beitragsfreistellung der fünfstündigen Betreuung von Kindern in Krippen, Kitas und Tagespflege für alle Kinder von der Geburt bis zur Einschulung auf den Weg bringen, und wir lassen uns diese Schritte einiges kosten. Ich bin sicher, dass es die Kosten wert ist, denn es geht nicht um die Frage, wer um wie viel entlastet wird und ob im Einzelfall auch Familien davon profitieren, die sich vielleicht die Gebühren leisten könnten. Es geht um Grundsatzfragen. Wenn es richtig ist, dass frühe Förderung im Kindesalter am sinnvollsten und nachhaltigsten ist, wenn es stimmt, dass Sprachförderung schon weit vor der Einschulung einsetzen muss, wenn sie erfolgreich sein soll, und wenn wir das Signal an alle Familien in unserer Gesellschaft aussenden wollen, dass unsere Gesellschaft Kinder braucht und sie mit offenen Armen aufnimmt, dann muss der allererste Bildungsweg in Deutschland kostenfrei sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Blömeke hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Senatorin, in den Ausführungen, die Sie wahrscheinlich im Auftrag von Senator Scheele verlesen haben, haben Sie gesagt, dass Sie die Kinder da fördern wollen, wo sie sind. Dann frage ich Sie: Sind die Kinder nicht auch in den Jugendtreffs,

(Jan Quast SPD: Ihr Geschwätz kann keiner mehr hören!)

sind sie nicht auch im Haus der Jugend oder auf dem Bauspielplatz? Warum konzentrieren Sie die Förderung auf Kita und Schule? Wenn Ihnen das so wichtig ist, dass Sie die Kinder dort fördern, wo sie sind, warum sorgen Sie dann mit Ihrer Kürzung von 10 Prozent in den Bezirken dafür, dass Einrichtungen in den Bezirken geschlossen werden müssen und die Kinder eben nicht mehr da gefördert werden, wo sie sich aufhalten? Das Leben der Kinder und Jugendlichen spielt sich nicht nur in der Schule ab oder, wenn sie jünger sind, in der Kita, sondern eben auch in der Familie und auch in die

(Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks)

sen Einrichtungen. Ich finde das durchaus widersprüchlich in Ihren Darstellungen.

(Beifall bei der GAL und bei Robert Heine- mann CDU)

Frau Dr. Leonhard.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe GALFraktion, wir sind heute hier anlässlich dieses Antrags und haben eigentlich große Einigkeit über eines der Zukunftsthemen unserer Stadt erreicht. Die Senatorin Prüfer-Storcks hat es gerade richtig gesagt: Wenn es richtig ist, dass die Inanspruchnahme früher Bildung Auswirkungen auf die gesamte Biografie hat, und zwar positive, dann muss man diese auch kostenfrei gestalten. Das ist ein ganz wichtiges Thema.

(Beifall bei der SPD und bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

In diesem Zusammenhang ist die Frage von Bedeutung, welche Schwerpunkte wir da setzen. Dazu ist vieles gesagt worden, auch von meinen Vorrednern und insbesondere von der Senatorin. In diesem Zusammenhang muss es doch unabhängig davon, wie wir die Familienhilfen weiterentwickeln wollen, wie wir die Zukunftsfähigkeit der offenen Kinder- und Jugendarbeit sicherstellen wollen und wie sie inhaltlich ausgestaltet werden soll im Zeichen einer flächendeckenden ganztägigen Bildung und Betreuung auch an Schulen, allererste Pflicht von Politik sein, Familien in die Lage zu versetzen, solche Erziehungshilfen gar nicht erst in Anspruch nehmen zu müssen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Richtig! Genau!)

Und dabei leistet die Ausweitung von Rechtsansprüchen hamburgweit einen wichtigen Beitrag.

(Beifall bei der SPD)

Zwei wichtige Dinge möchte ich zu den Ausführungen der FDP noch einmal abschließend anmerken und zu einem Thema, das die CDU hier angesprochen hat. Sie haben vonseiten der CDU sehr schön geschildert, welche Schritte wir in Hamburg gegangen sind – immer federführend bundesweit, das kann man gar nicht oft genug betonen –, um die Betreuungsinfrastruktur so zu gestalten, wie wir sie heute vorfinden. Was den Ausbau der Infrastruktur in Wahrheit vorangebracht hat, sind die Rechtsansprüche der Eltern, und zwar die allgemeinen Rechtsansprüche, unabhängig von der Notwendigkeit, das wegen beruflicher Verpflichtungen in Anspruch zu nehmen. Das hat in Wahrheit nachfrageorientiert zum Ausbau des Systems in Hamburg beigetragen, und das kann man gar nicht oft genug sagen. Das ist den Regierenden jeweils

aufgezwungen worden von einer starken Opposition und vom Elternwillen dieser Stadt.