Protocol of the Session on February 29, 2012

Was spricht denn eigentlich dagegen, Stadtteilen und Bezirken die Möglichkeit zu geben, die Attraktivität von Stadtteilfesten, von Jubiläen von Stadtteilen oder ähnlichen Aktivitäten weiter dadurch zu erhöhen, indem wir den Einzelhändlern die Chance

geben, ihre Geschäfte aus diesen Anlässen offenzuhalten? Gar nichts.

(Wolfgang Rose SPD: Abwarten!)

Denn das gibt dem Einzelhandel, gerade auch in den Unter- und Nebenzentren, die Möglichkeit, sich zu präsentieren, das stärkt die Stadtteile und wird von den Verbrauchern auch positiv aufgenommen. Die Altonale ist hierfür ein gutes Beispiel. Wir bitten daher um Zustimmung für unseren Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort erhält der Abgeordnete Rose.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hatte schon einmal bessere Tage.

(Finn-Ole Ritter FDP: Die Gewerkschaften auch!)

Das stimmt.

(Beifall bei der FDP)

Aber die sind hier nicht Antragsteller.

Wenn man den Demoskopen schon für eine drei vor dem Komma dankbar sein muss, dann sucht man nach Ideen, mit denen man punkten kann. Dass Sie dann aber ausgerechnet diese uralte Kamelle noch einmal aus dem neoliberalen Naschkasten hervorholen würden, damit war, ehrlich gesagt, weniger zu rechnen.

(Zurufe von der FDP: Das können Sie doch besser, Herr Rose!)

Damit zeigen Sie nur, warum bei Ihnen kaum jemand das Kreuz machen will. Die Bürgerinnen und Bürger haben nämlich ganz andere Sorgen, als fehlende Einkaufsmöglichkeiten am siebten Tag der Woche. Ihnen fehlt zum Beispiel Einkommen, weil Dumpinglöhne und Leiharbeit durch die Politik Ihrer Bundesregierung gefördert werden. Sonntagsöffnung, Steuersenkungen für Hoteliers, Auflösung von sicheren Arbeitsbedingungen – schade, dass vom einst so stolzen Liberalismus nicht mehr übriggeblieben ist als eine knarzende Spieluhr mit immer der gleichen marktradikalen Leier.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Aber das Thema ist zu wichtig, um es mit einem mitleidigen Lächeln abzutun, denn es geht letztlich um die Lebensqualität von uns allen, vor allen Dingen um die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, darum sollten wir ruhig auf beide Seiten der Ladentheke schauen. Die Beschäftigten des Einzelhandels sind diejenigen, die direkt und unmittelbar die Leidtragenden Ihrer Idee vom totalen Shopping wären, aber mittelbar würden wir alle darunter leiden.

(Katja Suding FDP: Herr Rose, Sie dürfen auch zu Hause beleiben!)

Nichts gegen Konsum, wohlgemerkt. Zum Konsumieren braucht man Kaufkraft, und dafür kämpfen Gewerkschaften schon immer.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich selbst shoppe auch gern einmal, aber es gibt die alte Weisheit, alles hat seine Zeit, darauf ist sogar ein abtretender Bürgermeister schon gekommen. Das Arbeiten hat seine Zeit und das Konsumieren auch. Viele andere Dinge brauchen ihren Platz im Leben, dazu gehört auch die Zeit, die Menschen gemeinsam miteinander verbringen können und nicht nur jeder für sich allein. Lebensqualität ist eben weit mehr als unbegrenzter Konsum.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Natürlich nutzen viele Menschen die besondere Möglichkeit, an vier Sonntagen im Jahr abseits der alltäglichen Hetze shoppen zu gehen, doch würde man sie fragen, ob aus dem besonderen Ereignis ein alltägliches Ereignis werden soll, so wäre die große Mehrheit mit Sicherheit dagegen. Die Menschen wollen nicht, dass aus dem Sonntag ein Alltag wird, sie haben ein Gespür dafür, dass der Sonntag etwas Besonderes ist, sie wollen nicht, dass die Ruhelosigkeit auch noch von diesem Tag Besitz ergreift.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Mit der Argu- mentation müssen Sie das Ladenöffnungs- gesetz wieder abschaffen!)

Nun werden Sie sagen, Sie wollen doch nur – das haben Sie gerade vorgetragen – an zwei zusätzlichen Sonntagen im Jahr die Läden öffnen, das wäre doch gar nicht der Rede wert. Aber da gehen wir Ihnen nicht auf den Leim. Erst sind es vier Sonntage, dann sind es sechs, dann zehn und einer pro Monat und so weiter. Wir haben jedes Jahr die gleiche Situation, dass der Einzelhandelsverband den Versuch macht, diese Regelung des Sonntagsfriedens aufzulösen und immer wieder einzelne Sonntage dazuzupacken.

Auch Ihre vermeintlich basisnahe Regelung, dass die Bezirke verkaufsoffene Sonntage jeweils in Eigenregie festlegen sollen, ist ein vergiftetes Geschenk, denn so würden es insgesamt 14 Sonntage sein, an denen irgendwo geshoppt werden könnte, und die Werbekampagnen dafür in ganz Hamburg kann ich mir schon jetzt sehr gut ausmalen. Gerade diese Uneinheitlichkeit würde zu zusätzlicher Konkurrenz führen, zu einem Druck auf mehr und immer mehr Ausnahmen und Sonderregelungen, bis die Ausnahme langsam aber sicher zur Regel geworden ist. Ich denke, das ist Ihr eigentliches Ziel. Deswegen haben wir im sogenannten Hamburger Sonntagsfrieden, also im Kompro

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

miss über die vier derzeitigen verkaufsoffenen Sonntage, ausdrücklich vereinbart, dass diese zeitgleich in allen Bezirken stattzufinden haben, und dabei bleibt es.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus und Mehmet Yildiz, beide DIE LINKE)

Warum ist der Sonntag als besonderer Tag so wichtig? Für die Christen unter uns ist das unmittelbar einsichtig, und da geht es nicht nur um die Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Partei, sondern um eine tatsächliche Werteorientierung, wie sie auch für mich von Bedeutung ist. Der Sonntag ist der Tag zum Feiern des Besonderen, des NichtProfanen, zum Sich-Besinnen auf das Wesentliche. Vielleicht erinnert sich jemand aus der FDPFraktion noch an die Koalition mit der Schill-Partei und der CDU. Im Jahr 2002 gab es zu Ihren damaligen Plänen eine sehr erfolgreiche Kampagne der Kirchen und der Gewerkschaften. Das Motto lautete: Sonntag ist nicht alle Tage. Beide christlichen Kirchen in Hamburg haben mir auch jetzt ausdrücklich versichert, dass ich in ihrem Namen sprechen darf, wenn ich auch heute sage: Hände weg vom Sonntag.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und bei Phyliss Demirel GAL)

Aber auch ohne religiösen Hintergrund ist der Sonntag ein besonderer, grundsätzlich freier Tag und so wichtig. Wir Menschen sind keine Maschinen, auch wenn Marktliberale uns gern auf ökonomische Grundfunktionen reduzieren möchten als Produktionsfaktor, als Kostenfaktor oder eben als Konsument. Wir Menschen brauchen Auszeiten – übrigens auch Sie gelegentlich – vom Arbeiten und vom Konsumieren.

(Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Die Men- schen wollen das, die Verbraucher wollen das! Nehmen Sie die Realität zur Kenntnis!)

Gerade in einer Zeit wie der heutigen, in der immer mehr Menschen mit immer flexibleren und unsicheren Arbeitsverhältnissen zurechtkommen müssen, in denen es für Paare, Familien und Freundschaften ohnehin schon schwierig genug ist, muss es einen Tag in der Woche als Fixpunkt geben, an dem nicht Arbeit oder Konsum im Mittelpunkt stehen. Das gilt für die Menschen, das gilt aber auch für die Lebenskultur in unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Sonntage in Hamburg, das sind Ströme von Spaziergängern statt Autos im Feierabendstau, das sind Menschen mit Kinderwagen oder Hunden statt mit Einkaufstüten oder Aktenkoffern.

(Finn-Ole Ritter FDP: Das geht beides zu- sammen, Herr Rose!)

Am Sonntag hat die ganze Stadt einen anderen, einen angenehmen Charakter. Sehr seltene Shop

ping-Sonntage mögen gern die besondere Ergänzung, aber dann eben auch die Ausnahme sein.

(Katja Suding FDP: Sie dürfen auch zu Hause bleiben, Herr Rose!)

Aber der Sonntag als gewöhnlicher Einkaufstag würde seinen besonderen Charakter verlieren, für den Einzelnen, für die Kinder und Familien, für die Freundschaften und für die ganze Stadt. Er würde der Großstadtkultur das Gesicht eines Geldscheins geben.

Natürlich ist es auch uns bewusst, dass es schon jetzt viele Menschen gibt, die regelmäßig am Sonntag arbeiten: die Hafenarbeiter, die Krankenpflegerinnen, die Busfahrer, die Angestellten auf Bahnhöfen und Flughäfen und einige andere mehr. Manches davon ist unbestreitbar notwendig, über anderes kann man streiten, aber in jedem Falle gilt, es ist keine Selbstverständlichkeit und es soll auch keine sein, sondern es ist ein besonderes Opfer der Beschäftigten für das Gemeinwohl. Eine solche Leistung verdient eine besondere Würdigung und übrigens auch eine besondere Entlohnung.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus und Mehmet Yildiz, beide DIE LINKE)

Bei der Frage nach dem freien Sonntag geht es aber um mehr als ein paar Stunden Ladenöffnung. Es geht um unser Selbstverständnis als Gesellschaft und als menschliche Gemeinschaft. Ein einseitiges ökonomisches Primat in unserer Gesellschaft würde man nicht hinnehmen – das hat einmal ein früherer Bundeskanzler auf einer Tagung der EKD-Synode gesagt – ich zitiere –:

"Eine soziale Marktwirtschaft, so wie ich sie verstehe, hat eben nicht die Konsequenz, reine Marktgesellschaft zu werden. Der Sonntag, der für die meisten Menschen der einzige Tag in der Woche ist, an dem sie gemeinsam ihre sozialen und kulturellen Kontakte pflegen können, sollte, so weit es geht, auch als gemeinsam erlebbarer Freiraum erhalten bleiben. Dieser Sonntag darf nicht der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche zum Opfer fallen."

Das hat kein notorischer Kapitalismuskritiker gesagt, sondern einer, der als ausgesprochen wirtschaftsnah galt, Gerhard Schröder, und er hat recht, denn genau darum geht es. Wir brauchen mindestens einen Tag in der Woche, an dem nicht der Primat der Ökonomie gilt, sondern an dem der Mensch im Mittelpunkt steht, der ganze Mensch und nicht nur der Konsument.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Und zum Schluss: Nicht umsonst ist der Schutz des Sonntags sogar im Grundgesetz verankert. Das Bundesverfassungsgericht hat erst vor drei

Jahren in einem Urteil bekräftigt, dass Ladenöffnungen am Sonntag nur dann zulässig sind, wenn sie einem Sachgrund folgen, der über ein bloßes Umsatz- oder Shopping-Interesse hinausgeht. Ein solcher Sachgrund existiert aber auch jetzt nicht. Daher ist der Vorschlag der FDP nicht nur inhaltlich falsch, sondern er stößt auch an die Grenzen der Verfassung. Deshalb bleibt es dabei, für die Kinder "Am Sonntag gehören Papi und Mami mir" und für die Paare "Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehen" und nicht shoppen. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Wort hat nun Frau Prien.