Man kann jedoch viel tun, um diesen Zielen näherzukommen. In diesem Bereich gibt es nämlich enorm viel Entwicklungspotenzial, denn die Zahl der Menschen, die von der stationären in die ambulante Betreuung wechselt, stagniert. Individuelle und ambulante Hilfe sollte im Sinne der größtmöglichen Selbstbestimmung stets Vorrang haben vor einer stationären Unterbringung, und zwar dort, wo die ambulanten Hilfen geeignet sind.
In den Jahren 2006 und 2007, also in der Zeit, als das Ambulantisierungsprogramm in Hamburg gerade auf den Weg gebracht wurde, sind immerhin insgesamt 328 Personen von einer stationären in eine ambulante Betreuung gewechselt. Dann aber
stagnierte diese Entwicklung. Es wechselten pro Jahr etwa nur 80 Personen. Man kann also feststellen, dass das Ambulantisierungsprogramm aus 2005 keine großartigen Früchte getragen hat.
Ähnlich sieht die Lage beim persönlichen Budget aus. Nur circa 40 Menschen nehmen jährlich diese Möglichkeit in Anspruch. Was mich immer wieder überrascht, ist der Umstand, dass das persönliche Budget kaum bekannt ist. Fragt man Freunde oder Bekannte, stößt man immer wieder auf ein großes Fragezeichen. Kaum jemand weiß, dass das persönliche Budget ein Instrument der größtmöglichen Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung sein kann. Wo sonst kann ein Leistungsempfänger mit seinem Budget nicht nur seine Hilfearten weitgehend selbst bestimmen, sondern auch selbst einkaufen? Allerdings stellt diese Form auch eine sehr hohe Anforderung an den Empfänger dar, für die er oder sie Beratung benötigt.
Der Senat ist jedoch der Meinung – das ging aus der Antwort auf unsere Große Anfrage hervor –, dass das vorhandene Beratungsangebot ausreichend sei und sich bewährt habe. Doch heißt es vonseiten der Betroffenen immer wieder, dass hier Beratung fehle. Hier könnte die Befassung im Sozialausschuss zur Frage, warum nur so wenige Menschen, die einen Anspruch haben, diesen Anspruch auch geltend machen, einiges Licht ins Dunkel bringen.
Meine Damen und Herren! Wir wollen Menschen mit Behinderung nicht vorschreiben, wie sie am besten zu leben haben, denn sie wissen selbst am besten, wie sie leben möchten. Aus liberaler Sicht sind aber Rahmenbedingungen, die eine größtmögliche Selbstständigkeit und Selbstbestimmung ermöglichen, von zentraler Bedeutung.
Weiteren Handlungsbedarf sehen wir insbesondere auch bei der Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Trotz stark sinkender Quote der Arbeitslosen bleibt die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung fast gleichbleibend. Trotz zahlreicher, teilweise neuer Modelle der Elbewerkstätten und anderer Verbände ist das Ziel verfehlt, Menschen mit Behinderung aus den Werkstätten hinaus in den allgemeinen Arbeitsmarkt hineinzubringen.
In den Jahren 2005 bis 2009 schafften gerade einmal durchschnittlich sechs Beschäftigte den Übergang von dem Werkstattplatz in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch hier müssen wir uns fragen, wie wir die Rahmenbedingungen verbessern könnten, damit dieser Übergang mehr Menschen gelingt.
Um diesem Ziel ein Stück näherzukommen, hat die Bundesregierung Mitte letzten Jahres bereits einen Aktionsplan vorgelegt. Der Bereich Arbeit bildet dabei einen Schwerpunkt. Nach dem Motto "Mitten
drin im Arbeitsleben" werden 100 Millionen Euro zur Integration von Menschen mit Behinderung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt, zum Beispiel für betriebliche Ausbildung oder altersgerechte Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen.
Auch Hamburg arbeitet zurzeit an einem eigenen Aktionsplan. Die Eröffnung eines Inklusionsbüros wurde gerade letzte Woche von der Senatskoordinatorin für Gleichstellung behinderter Menschen angekündigt. Behinderte Menschen sollen dort ihre Belange stärker einbringen können. In welcher Form aber dies geschehen soll und mit welcher Wirkung, ist noch nicht bekannt, aber ein Schritt in die richtige Richtung ist es allemal.
Meine Damen und Herren! Den Menschen mit Behinderung nicht nur selbstverständliche Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen, sondern auch in der Stadt zusammen mit ihnen zu leben, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Wir beantragen die Überweisung der Großen Anfrage an den Sozialausschuss, weil wir hier großen Diskussionsbedarf sehen. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Uns liegt die vom Senat beantwortete Große Anfrage zur Situation der Menschen mit Behinderung in Hamburg vor. Im Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration erhielten wir im Januar 2012 den Tätigkeitsbericht der Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen zu diesem Thema. Aus der Beantwortung der Großen Anfrage erfahren wir, was sich in den einzelnen Bereichen entwickelt hat: Datenentwicklung, Barrierefreiheit, ambulante Versorgung, persönliches Budget, Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt, ältere Menschen mit Behinderung, Hamburgisches Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz und der Sport. Wie kann der Prozess befördert und politisch bewegt werden?
Am 26. März 2009 trat die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland in Kraft. Es handelt sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, an den sich 85 Staaten binden. Dieser Vertrag soll bereits bestehende Menschenrechte gleichberechtigt für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung konkretisieren.
Sehr geehrte Damen und Herren! Hier erhält Politik ihren formulierten Auftrag. Der Leitgedanke hierbei ist: weg von der Politik der Fürsorge und hin zur
Politik der Rechte von Menschen mit Behinderung. Das Ziel ist die soziale Inklusion. Keiner von uns ist vollkommen, keiner makellos perfekt, ein jeder von uns ist in irgendeiner Weise eingeschränkter als viele andere. Menschen mit Behinderung bereichern die Gesellschaft mit ihren individuellen Facetten.
Wenn wir versuchen, unsere Welt mit den Augen der Menschen mit Behinderung wahrzunehmen und zu verbessern, dann kommen wir der sozialen Inklusion näher.
Mit der Ratifizierung hat sich Deutschland gegenüber der nationalen Gemeinschaft verpflichtet, diese Konvention einzuhalten und umzusetzen auf allen staatlichen Ebenen. Und genau vor diesem Hintergrund wird die SPD-Fraktion in Hamburg politisch die Aufgaben wahrnehmen.
Wichtige Weichenstellungen wurden bereits vorgenommen, beispielsweise im Schulbereich, mit der Besetzung des Amts der Senatskoordinatorin mit Frau Körner, die eine breite Zustimmung in Hamburg findet, mit dem neu eingerichteten Inklusionsbüro für mehr Miteinander in unserer Gesellschaft, mit dem Hamburger Budget für Arbeit und mit dem Hamburger Aktionsplan. Der Hamburger Aktionsplan wird zurzeit vom Senat mit der Senatskoordinatorin und dem Landesbeirat erarbeitet.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir befinden uns am Anfang eines langen Weges. Unser Ziel ist die soziale Inklusion von Menschen mit Behinderung in allen Bereichen.
Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir Umsicht, Geduld und Ausdauer. Der Überweisung der Großen Anfrage stimmen wir zu. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch ich freue mich sehr über die Große Anfrage der FDP – vielen Dank, Frau Kaesbach – zu den Perspektiven für Menschen mit Behinde
rung in Hamburg und über die Möglichkeit, darüber zu sprechen. Tatsächlich bekommen viele Menschen in unserer Stadt gar nicht mit, welche vielfältigen, alltäglichen Probleme es für Menschen mit Behinderung gibt.
Die Große Anfrage ist recht umfangreich und die Antworten des Senats bieten einen guten ersten Einblick in seine Aktivitäten. Ein prominenter Punkt, zu dem ich noch einige Fragen hätte, fehlt in der Großen Anfrage aber komplett, und zwar die Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr. Ich habe schon gehört, dass es dazu vielleicht aus den Reihen der FDP noch eine Schriftliche Kleine Anfrage als Nachreichung gibt, aber dieser Punkt sollte heute nicht unerwähnt bleiben. Insbesondere fehlen mir hier Aussagen zum aktuellen Stand der Umsetzung. Der Senat hat sich in seinem Arbeitsprogramm, was wir sehr begrüßen, konkret festgelegt – ich zitiere –:
"Im U-Bahnnetz sind noch rund 50 Stationen auf Hamburger Stadtgebiet barrierefrei auszubauen. Um das Ziel 'Barrierefreiheit 2020' zu erreichen, müssten durchschnittlich fünf Stationen pro Jahr umgerüstet werden."
Das sind ehrgeizige und absolut richtige Ziele und wir werden Sie gerne dabei unterstützen, Sie aber auch an dieser Aussage messen.
(Beifall bei der CDU, der FDP und bei Matt- hias Albrecht SPD – Dirk Kienscherf SPD: Sie haben es jahrelang schleifen lassen!)
Herr Kienscherf, ich weiß gar nicht, was wir noch machen sollen; vielleicht sollten wir Ihr Umfeld bitten, sich Ihnen aufmerksamer zu widmen,
Gerade für mich als Wahlkreisabgeordnete in Rotherbaum-Harvestehude ist das Thema Barrierefreiheit von U-Bahnstationen besonders wichtig, weil weder die U-Bahnstation Hallerstraße noch die Stationen Hoheluftbrücke und Eppendorfer Baum barrierefrei sind. Dadurch müssen viele Menschen mit Behinderung, gerade mit dem Rollstuhl, große Umwege in Kauf nehmen, um von A nach B zu kommen.
Es ist besonders schade, dass diese großen Probleme vor allen Dingen das schnellste Verkehrsmittel, die U-Bahn, betreffen. Und da hilft dann leider auch kein Budget, Frau Kaesbach. Solche Missstände sollte es in einer modernen Großstadt wie Hamburg nicht geben. Ich hoffe für die Betroffenen, dass sich an dieser Situation bald etwas ändert, wie vom Senat angekündigt.
dort insbesondere die Beschleunigung der Bearbeitung von Anträgen. Zu diesem Thema hatte ich schon im Oktober letzten Jahres eine Schriftliche Kleine Anfrage an den Senat gerichtet. Dabei ging es auch um Beschwerden über die lange Dauer der Antragsbearbeitung für Eingliederungshilfen im federführenden Bezirksamt Wandsbek. In seiner Antwort hat der Senat die Absicht geäußert, dem im Bezirksamt Wandsbek eingerichteten Fachamt Eingliederungshilfe kurzfristig zusätzliches Personal zuzuweisen, um die steigenden Antragszahlen bearbeiten zu können. Ich habe herausfinden können, dass tatsächlich mehr Personal zur Verfügung gestellt wurde, was wir sehr begrüßen und wofür ich mich bedanken möchte. Aber ich konnte keine Informationen darüber bekommen, in welchem Umfang und für welchen Zeitraum das zusätzliche Personal gestellt werden soll. Vielleicht kann Herr Senator Scheele in seinem Statement gleich darauf noch eine Antwort geben. Ich würde mir in jedem Fall wünschen, dass den körperlich und geistig benachteiligten Menschen in unserer Stadt dauerhaft keine zusätzlichen Barrieren durch lange Wartezeiten auferlegt werden.
Zusammenfassend kann man sagen: Man merkt an den Antworten auf die Große Anfrage, dass der Senat viele gute Ziele angepeilt hat, und es wäre eine große Bereicherung für die Betroffenen, wenn diese in ihrem Sinne nun auch zeitnah umgesetzt würden. Wir sehen aber auf der anderen Seite – zu den zwei Punkten habe ich jetzt Einiges gesagt – auch noch ein bisschen Diskussionsbedarf. Von daher finden wir den Vorschlag, das Thema an den Sozialausschuss zu überweisen, gut und stimmen diesem Überweisungsbegehren gerne zu. – Vielen Dank.