Protocol of the Session on January 25, 2012

(Beifall bei der GAL und bei Ole Thorben Buschhüter, Lars Pochnicht, beide SPD und Finn-Ole Ritter FDP)

Wir würden dieses Kind schlechter stellen, als es jetzt stünde, und das auch in Situationen, in denen nicht gesagt ist, dass der Helm wirklich Schutz gewährt hätte. Das kann auf keinen Fall das Ergebnis einer solchen gesetzlichen Regelung sein. Wir wissen gerade durch jüngere Entwicklungen, dass wir eine Steigerung des Modal Split dann hinkriegen, wenn wir nicht nur die von Herrn Hesse genannten Berufsradfahrer als Radfahrer begreifen, sondern erkennen, dass jeder und jede ein potenzieller Radfahrer oder eine potenzielle Radfahrerin ist und dass das Angebot von spontanen Fahrradnutzungen geeignet ist, den Modal Split zu steigern. Wir haben das beim Thema StadtRAD erlebt. Das ist bei der Frage der Helmpflicht nicht zu Ende gedacht.

Guttenberg wurde heute schon genannt, Google is your friend. Im CDU-Antrag heißt es wörtlich:

"Die Datenbank der Unfallforschung der Versicherer […] zeigt, dass in den vergangenen Jahren 73 Prozent der Helmträger bei einem Zusammenprall mit einem Auto am Kopf unverletzt blieben, hingegen wurden 46 Prozent der Unbehelmten besonders schwer verletzt."

Das ist ein wörtliches Zitat aus der "Welt am Sonntag" vom 13. November, die allerdings falsch zitiert hat. Die Originalstudie, auf die sich die "Welt am Sonntag" bezieht, stellt fest:

"Die Datenbank der Unfallforscher der Versicherer zeigt, dass 73 % der Helmträger, die mit einem Kfz zusammenprallten, am Kopf unverletzt geblieben sind […] – gegenüber nur 46 % bei den Nichthelmträgern."

Also wurden 46 Prozent der Nicht-Helmträger nicht verletzt und nicht "besonders schwer verletzt", wie das die CDU behauptet. Das heißt, mit den vorliegenden Studien wurde nicht richtig gearbeitet, und es wurde eine Erkenntnis wesentlich gravierender

dargestellt, als sie sich aus dieser Studie ergibt. Das ist ein weiterer Hinweis, dass diese Initiative nicht zu Ende gedacht ist. Insoweit unterstützen wir die Überweisung an den Ausschuss, aber überzeugende Argumente für eine gesetzliche Helmpflicht liegen aus unserer Sicht nicht vor.

(Beifall bei der GAL)

Herr Dr. Schinnenburg, Sie haben das Wort.

(Anja Hajduk GAL: Es ist alles gesagt!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Manchmal bergen Debatten der Bürgerschaft Überraschungen. Ich habe seit Langem zum ersten Mal von der GAL gehört, dass sie Überzeugungsarbeit statt Vorschriften will. Normalerweise ist es bei der GAL doch ganz anders. Sie wollen eine Parkraumbewirtschaftung mit viel Geld,

(Beifall bei Hansjörg Schmidt SPD)

Sie wollen einen Rückbau von Straßen, damit die bösen und dummen Bürger endlich das tun, was Sie wollen, nämlich mehr Fahrrad fahren. Aber es ist schön, wenn die GAL vielleicht ein bisschen nachdenkt.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Der Antrag der Hamburger CDU ist ein deutliches Beispiel dafür, dass die Hamburger CDU die beste GAL ist, die es je gab.

(Beifall bei der FDP)

Netterweise trägt Herr Hesse extra eine grüne Krawatte, das verstehen wir als Liberale unter Transparenz, und insofern begrüßen wir Ihren Auftritt, Herr Hesse.

(Beifall bei der FDP)

Wir erleben seit einiger Zeit einen Wettbewerb zwischen CDU und GAL, wer die Gefahr der Woche findet und daraus das Verbot der Woche ableitet. Das ist ein Wettbewerb ohne Rücksicht auf Verhältnismäßigkeit und darauf, ob man das auch durchsetzen kann. Die FDP beteiligt sich an solch einem Wettbewerb nicht.

(Beifall bei der FDP – Jens Kerstan GAL: Das stimmt doch alles gar nicht! Was reden Sie denn da?)

Wir als FDP halten es in jedem einzelnen Fall einer angeblichen oder auch tatsächlichen Gefahr für erforderlich, eine Prüfung vorzunehmen, ob die Bürger das nicht selber regeln können. Im Zweifelsfall vertraut die FDP den Bürgern mehr als der Bürokratie. Das ist die liberale Haltung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir uns den konkreten Fall anschauen, gibt es eine ganze Reihe von Gründen für eine Helmpflicht. Erstens gibt es eine erhebliche Gefahr durch Kopfverletzungen, das wurde bereits ausgeführt. Es ist ein vergleichsweise geringer Eingriff in die persönliche Freiheit, und Minderjährige können anders als Erwachsene nicht beliebig über eine eigene Selbstgefährdung entscheiden. Sie erinnern sich an die Debatte über das Rauchen im Restaurant. Wir haben immer gesagt, dass das nicht verboten werden soll, aber Jugendliche unter 18 sollen in solche Raucherrestaurants nicht hineinkommen. Das zu übertragen bedeutet, dass der Eingriff vergleichsweise gering ist.

Das sind Argumente für eine Helmpflicht, es gibt auch eine ganze Reihe von Argumenten gegen eine Helmpflicht, eines der wichtigsten ist das Vollzugsdefizit. Wenn es überhaupt genügend Beamte gibt, die das überwachen, können Sie oft gar nicht erkennen, wie alt der jeweilige ist, genauso wenig, wie man im Geschäft erkennen kann, ob jemand schon 18 ist und Alkohol kaufen darf. Soll die Polizei oder der entsprechende Ordnungsdienst jeden Radfahrer, der äußerlich so knapp unter 18 aussieht, anhalten und nach dem Ausweis fragen? Das glauben Sie doch nicht im Ernst.

Zweitens könnte es sein, dass diese Altersgrenze falsch ist. Man könnte darüber nachdenken, sie statt bei 18 bereits bei 14 zu setzen.

Und drittens scheint mir noch überhaupt nicht sicher zu sein, dass die ganze Aktion am Ende Erfolg hat.

Deshalb ist die FDP, Herr Hesse, für eine Überweisung an den Verkehrsausschuss und eventuell auch für eine Anhörung dort. Die FDP wird die Gelegenheit nutzen, in diesem Zusammenhang die Rolle der Rambo-Radler zu prüfen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Ole Thorben Buschhüter SPD)

Frau Sudmann, Sie haben das Wort.

Die CDU hat eine sehr drastische Formulierung gewählt: Gegen Unfalltod und Pflegebedürftigkeit. Ich möchte es mit einer Formulierung, die wir wahrscheinlich alle unterstützen können, sagen: Jeder Verkehrstote, jede Verkehrstote, jede schwerverletzte Person ist eine zuviel. Das kann man sagen, ohne in den Verdacht des Populismus zu geraten.

(Beifall bei der LINKEN und bei Ole Thorben Buschhüter SPD)

Sie können auch lauter klatschen, Herr Buschhüter, ich habe es gesehen, danke.

(Dr. Till Steffen)

Die Sorge um die schwächsten Verkehrsteilnehmer treibt viele um, vor allem die Sorge um die Kinder. Bei uns in der Linksfraktion gibt es noch keine einhellige Meinung dazu, denn auch wir reden darüber, was passieren kann und muss. Es sind schon etliche Zahlen genannt worden, und ich will noch einmal einige Zahlen nennen, wohl wissend, dass wir für jede Argumentation für und gegen die Helmpflicht Zahlen finden. Ich gehe von den tödlich verunglückten Kindern aus. Mehr als 50 Prozent der Kinder, die im letzten Jahr tödlich verunglückt sind, waren Beifahrer in Pkws. 24 Prozent der tödlich verunglückten Kinder waren zu Fuß unterwegs, 19 Prozent mit dem Rad. Bei den Radunfällen sind generell in 75 Prozent der Fälle Autofahrer die Verursacher und Verursacherinnen. Die häufigste Ursache ist, das werden Sie schon fast erraten, zu schnelles Fahren. Wenn Sie sich diese Zahlen anschauen, müssten Sie andere Konsequenzen ziehen. Eine Konsequenz heißt, wenn ich mir das zu schnelle Fahren anschaue, dass eine Geschwindigkeit, die bei maximal 50 km/ h auf den Hauptverkehrsstraßen und bei 30 km/h in den Wohngebieten liegt, eingehalten werden muss. Sie wissen alle, dass in Hamburg wesentlich schneller gefahren wird. Das wäre der erste Schritt – und das werden Sie in massenhaften Untersuchungen finden –, um für Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, besonders aber auch für die Kinder zu sorgen.

Ein nächster Schritt wäre, wenn es Ihnen wirklich um die kleinen und großen Menschen auf dem Fahrrad geht, dafür zu sorgen, dass es mehr Radfahrstreifen und Radwege gibt. Herr Hesse, Sie haben gewusst, dass dieser Punkt kommt, deswegen haben Sie schon gesagt, das stehe in der Radverkehrsstrategie. Aber das stärkt Ihre Position nicht.

Wer einen Helm tragen will, soll ihn tragen. Ich trage neuerdings auch einen, ich habe ihn heute Morgen vergessen und dachte auch, das ist ein bisschen komisch, aber ich bin nicht zurückgefahren. Aber was passiert, wenn ich ihn vergesse, zahle ich dann Bußgeld? Pech gehabt, können Sie sagen. Aber was passiert mit dem von Ihnen allen so hochgelobten StadtRAD? Wollen Sie jetzt an jedem StadtRAD einen Helm festmachen? Sie wollen auf Bundesratsebene prüfen lassen, eine allgemeine Helmpflicht einzuführen. Dann ist das Modell StadtRAD hinfällig, weil wir glücklicherweise nicht nur alle unterschiedliche Gehirnmassen im Kopf, sondern auch unterschiedliche Kopfformen haben. Es gibt keinen Helm, der für alle passt. Also können Sie das StadtRAD sofort einstampfen, und das wollen Sie bestimmt nicht.

Eine weitere Untersuchung besagt, dass es sich bei den tödlich verunglückten Radfahrern überwiegend um ältere Menschen handelt, und dann noch einmal überwiegend um über 65-jährige. Also müssten Sie zuerst für diejenigen eine Helmpflicht fordern.

Einen weiteren Punkt haben Sie noch gar nicht angesprochen. Was ist mit den Menschen, die sich keinen Helm leisten können? Werden Sie dafür sorgen, dass es für Hartz-IV-Empfängerinnen Geld für einen Helm gibt? Das können Sie schon ohne Helmpflicht ab heute machen. Als besondere einmalige Leistung könnten alle, die es wollen, einen Helm für ihre Kinder bekommen. Das haben Sie überhaupt noch nicht bedacht, das fehlt auch.

(Beifall bei der LINKEN)

Den Punkt Haftung hat glücklicherweise schon mein Vorredner von der GAL, Herr Steffen, angesprochen. Das ist eigentlich das Schlimmste, wenn es eine Helmpflicht geben würde, dass ab sofort jeder Mensch, der ohne Helm auf dem Kopf, aber mit einem Fahrrad unter dem Hintern verunglückt, eine Teilschuld bekommt. Das geht überhaupt nicht, wenn Sie das Radfahren fördern wollen.

Frau Martin fragte danach, es gibt Untersuchungen aus Australien

(Dorothee Martin SPD: Von Anfang der Neunzigerjahre!)

von Anfang der Neunzigerjahre, und ich glaube nicht, dass die Helme heute wesentlich bequemer sind.

(Dorothee Martin SPD: Doch, doch!)

Die Untersuchungen sagen, dass nach Einführung der Helmpflicht die Zahl der Rad fahrenden Kinder um 50 Prozent gesunken sei. Frau Martin, auch wenn die Untersuchung schon fast 20 Jahre alt ist, ist es auch heute nicht so, dass Helme superbequem sind, das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung bestätigen. Sie sind unhandlich, wenn ich meine Tasche dabeihabe und auch meinen Helm mitnehmen muss, denn ich schließe diesen nicht an. Es gibt tausend Sachen, die das Radfahren nicht attraktiver machen. Deswegen lassen Sie uns zuerst versuchen, den Verkehr in Hamburg wesentlich sicherer für alle machen. Dieser Verkehr muss verlangsamt werden, dann wären wir einen großen Schritt weiter.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir nun zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/2826 an den Verkehrsausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das einstimmig so beschlossen.

Aufruf des Punktes 76, Drucksache 20/2731, Antrag der GAL-Fraktion: Ausbau der ganztägigen Bildung und Betreuung an Schulen.

(Heike Sudmann)