Protocol of the Session on November 22, 2011

Darauf komme ich gleich. Ich ziehe eine andere Schlussfolgerung.

Was sagt nun der Senat zu dieser Konstellation? Seine These ist – ich will es Ihnen vorlesen:

"Eine Notwendigkeit zur Änderung der Haushaltsansätze für die Steuereinnahmen der Jahre 2011 und 2012 ergibt sich […] nicht."

Wir haben in der Tat rund 10 Prozent höhere Einnahmen. Hier wird uns schriftlich mitgeteilt, dass sich eine Notwendigkeit der Veränderung nicht ergäbe. Weiter wird argumentiert, dass für die Ausgabenplanungen des Senats die kurzfristigen

Schwankungen von Steuereinnahmen und Steuerprognosen nicht maßgeblich seien.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Richtig!)

Wir orientieren uns an dem Zieldatum 2020. Herr Dressel, was uns daran irritiert, sind die 10 Prozent Abweichung. Sie sind nicht einfach eine kurzfristige Schwankung.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Kann aber wie- der schlechter werden!)

Dahinter lauert also ein Problem, gerade dann, wenn in der Drucksache steht, dass man 2016 mit über 10 Milliarden Euro Steuereinnahmen rechne.

Was ist also der Hintergrund für unser Unbehagen an diesem Punkt? Das Unbehagen besteht darin, dass Sie eigentlich sehen müssten, dass wir jetzt erst das Niveau von vor der Krise erreicht haben.

(Dietrich Wersich CDU: Und dann werden keine neuen Schulden gemacht!)

Sie müssten dann diesen Aufholungsprozess aus der großen Krise heraus ausweisen – dies ist auch sehr positiv – und sagen, worin nun der Konjunktureffekt liegt. Es ist wirklich ärgerlich, denn die neue Schuldenregelung sieht dies ausdrücklich vor. Bund und Länder sollen nicht zu einem volkswirtschaftlich schädlichen, prozyklischen Ausgabenverhalten gezwungen werden. Das kann man nur, indem man für die weitere Entwicklung wirtschaftliche Schwäche und Krisenzeiten einkalkuliert und insofern dieser Konjunkturentwicklung auch Rechnung trägt.

Ich wäre daran interessiert, dass Sie mir anhand dieses Haushalts und der dazugehörigen Rahmendrucksachen einmal erklären, wie Ihre Konjunkturkomponente aussieht, die Sie beispielsweise in der Finanzplanung Schleswig-Holsteins überall finden – Herr Wersich hat auch noch andere Länder angesprochen. Hamburg leistet es sich in dieser Situation, einfach zu konstatieren, dies werde so weitergehen und man orientiere sich in der Ausgabenplanung nicht an dieser Entwicklung der Einnahmen. Für das Parlament ist das recht bitter. Das ist ein ziemlich schlechtes Verhalten, denn als Parlament müssen wir sowohl die Einnahmenseite als auch die Ausgabenseite vernünftig diskutieren und in der Planung beurteilen.

Nun sagen Herr Wersich und auch die FDP-Fraktion – ich glaube, selbst die GAL sieht das jetzt so –, diese strukturelle Entwicklung interessiere weiter nicht. Im Grunde könne man sofort im nächsten oder übernächsten Jahr zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen.

(Jens Kerstan GAL: Nee, nee, nee! Das ha- ben wir nicht gesagt! – Dietrich Wersich CDU: Das sagen nicht mal wir!)

Herr Heintze hat übrigens noch eine schöne Anfrage auf den Weg gebracht. Wenn man sich die Ab

rechnungen anschaut, sind dort schon die Ablösungen des Wohnungsbaukreditdarlehens gegenüber dem Bund enthalten, und wenn ich das umrechne, dann wäre der Betriebshaushalt bis zum September 2011 ausgeglichen, wenn man das nicht gemacht hätte.

(Dietrich Wersich CDU: Und der Investitions- haushalt!)

Ich spreche jetzt über den Betriebshaushalt.

Man kann dann natürlich die Frage aufwerfen, ob es nicht nur einer ernsthaften Anstrengung bedarf – ich glaube, Frau Suding hat das gesagt –, um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen, und danach tritt man dann in die Tilgungsphase ein. So wird es eben nicht gehen. Da haben Sie, Herr Wersich und auch Ihre Fraktion, keinen Funken von Selbstkritik erkennen lassen. Wir müssen wirklich einmal klären, warum wir bei einem Schuldenberg von knapp 30 Milliarden Euro beziehungsweise darüber sind. Sie haben nur auf die Lasten der deutschen Einheit hingewiesen, was wir gar nicht bestreiten. Aber dazu gehört auch, dass alle Bundesländer und auch der Bund in den letzten Jahren erhebliche Schwierigkeiten mit der antizyklischen Wirtschaftspolitik hatten. Wir haben in den Krisen- und Schwächephasen immer versucht gegenzusteuern. Und das Gegenmoment, dass man in besseren Zeiten versuchen muss, einen Ausgleich zu erreichen, ist nicht gelungen. Das war ein sehr wichtiger Faktor. Deswegen muss man sich das aber anschauen, denn wir brauchen es für die nächste Zeit.

Ein zweiter Punkt sind die Steuersenkungen, davon war eben schon die Rede. Herr Dressel, Sie nicken, aber Ihre Partei hat 1998 auch diese Steuersenkungen mit auf den Weg gebracht. Wenn wir uns die Steuersenkungen von 1998 bis heute ansehen, dann würden wir heute, im Jahr 2011, 51 Milliarden Euro – Bund, Länder und Gemeinden – höhere Steuereinnahmen haben. Und Steuersenkungspolitik hat nicht das gebracht, als was sie verkauft wurde, nämlich eine Beschleunigung des Wachstums. Die letzte große Steuersenkungsoperation war das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das auch Hamburg betroffen hat. Steuersenkungen können auf gar keinen Fall eine Perspektive sein, wenn man von dem Schuldenberg herunter will.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Andreas Dressel und Thomas Völsch, beide SPD)

Ein dritter Punkt. Was wurde denn in den letzten Jahren gemacht? Wir haben die Banken gefüttert. Es ist zwar nicht im Haushalt enthalten, aber auch Hamburg hat über 5 Milliarden Euro Garantieverpflichtungen für die Rettung der HSH Nordbank übernommen. Sie haben es wirklich genial geschafft, uns zu provozieren, und zwar mit Ihrem Antrag 20/2347: "Ausgleich des Defizits im Son

dervermögen Stadt und Hafen". Da werden mal eben 250 Millionen Euro transferiert. Man nimmt es weg aus dem Kapitalisierungsansatz des Hamburger Versorgungsfonds, der dank dieser Vermögenspolitik kaputtgegangen ist. Aber Sie führen dort auch keine Diskussion, sondern wollen – was an sich positiv ist – den Schattenhaushalt HafenCity auflösen, machen das aber nicht mit einer breiter angelegten Diskussion, sei es im Parlament oder in der Stadt. Es steckt auch noch mehr dahinter, es sind 300 oder 400 Millionen Euro. In derselben Situation, wo Sie davon sprechen, man müsse das retten, machen Sie einen Überbrückungsfonds für die Stadtteile, bei dem Sie flächendeckend einiges kaputt machen. Und da müssen Sie sich mit der Kritik auseinandersetzen, wie sie heute vor der HSH Nordbank oder an anderer Stelle stattfindet und wo Sie sagen, "Occupy Wall Street" sei gut. Aber wenn Sie diese Diskrepanz zwischen der Bankenrettung, dem Bankenfüttern auf der einen Seite und der sozialen Armut und Vernachlässigung in den benachteiligten Stadtteilen auf der anderen Seite angehen sollen, dann arbeiten Sie mit Größe 100 000. Deswegen sagen die Leute Ihnen auch, dass es so künftig nicht weitergehen könne. Sie müssen die Prioritäten ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie denn schon meinen, das müsse so sein, dann hätte dazu gehört, dass Sie dies umfassend diskutieren, dass Sie es wirklich ans Licht holen und hinterfragen, was bei der HafenCity falsch gelaufen ist, wenn man jetzt für so einen Schuldenberg geradestehen muss. Das machen Sie im Grunde genommen klammheimlich, und Sie betreiben auch keine Vorsorge für die nächste Entwicklung mit einer antizyklischen Wirtschaftspolitik.

Wie kommen Sie denn jetzt mit Ihren Schulden exakt bis 2020 hin? Im Unterschied zu Frau Suding bin ich der Meinung, dass Sie die Investitionen so heruntergefahren haben, dass einem schlecht werden kann. Außerdem haben Sie natürlich die erklärte Absicht und machen es faktisch auch, beim Personal zu sparen. Sie machen das, was in ganz Europa die Krisenstaaten tun, wenn ihnen nichts mehr einfällt, wie sie aus der Situation herauskommen können, nämlich den öffentlichen Dienst als Sparopfer zu nutzen sowohl bei den Investitionen als auch bei den Stellen und den Einkommen der Beschäftigten. Nun kann man sagen, es seien nur 250 Stellen, aber bislang hat keine Fraktion, die schon in den letzten Jahren kräftig gekürzt hat, einmal eine Aufgabenkritik vorgelegt. Die FDP redet nur davon.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das steht in un- serem Antrag drin!)

Sie sagen, Sie wollen es dann machen, aber vorgelegt haben Sie es noch nicht.

Sie erklären uns, wenn es mit den 250 Stellen nicht reiche, dann würden Sie noch weitergehen bei den Kürzungen. Das ist so wenig klug und sozial gerecht, als die Investitionen herunterzufahren.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern kann man mit dieser Situation, Herr Wersich, auch anders umgehen. Wir würden nicht die Schlussfolgerung ziehen, jetzt noch härter zu konsolidieren, sondern wir haben immer dafür votiert, uns auf eine Mischung zu verständigen, auch unterfinanzierte Bereiche aus ihrer Ecke herauszuholen, damit sie die Wirtschaftskraft und das Potenzial dieser Stadt weiterentwickeln, und dies nicht nur bei der Infrastruktur, sondern auch bei den Arbeitskräften, damit dieser Schuldenausgleichspunkt 2020 vernünftig erreicht werden kann. Diese Konzeption ist jedenfalls aus unserer Sicht nicht erkennbar.

Ich sage noch einmal ganz klar, dass wir für die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen sind, für eine Politik, die auch diesen Korridor benennt. Aber im Grunde sind wir tief davon überzeugt, dass es ohne eine Veränderung der Steuerpolitik nicht geht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Wolfgang Rose SPD)

Ich komme noch einmal auf die Drucksache über die Steuerschätzungen zurück. Es wird auch über die Situation der Steuerentwicklung berichtet. Da tritt bei der veranlagten Einkommensteuer nach der Prognose in den nächsten Jahren ein deutlicher Rückgang ein. Warum? Weil die Einnahmen im Jahr 2010 aufgrund von Selbstanzeigen besonders hoch waren.

(Heiterkeit bei Jens Kerstan GAL und Dora Heyenn DIE LINKE)

Herr Dressel, wenn das in Ihrer Drucksache steht – nicht nur, was die CDs angeht – und wenn Ihnen Ihr Senator bescheinigt, dass die Selbstanzeigen in einem Jahr hoch gewesen wären, dann hätten Sie doch längst dafür eintreten müssen, dass der Steuervollzug in Hamburg besser wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie hätten längst dafür eintreten müssen, dass wir in der Frage einer Vermögensabgabe, wie die Grünen sie fordern, und einer vernünftigen Vermögensbesteuerung und Erbschaftsteuer Schritte vorankommen.

(Jan Quast SPD: Das haben wir alles be- schlossen!)

Das ist Beschlusssache, haben wir bei den Gewerkschaften immer gesagt. Das heißt doch noch nicht, dass es umgesetzt wird.

Sie werden nur mit Steueränderungen aus der beängstigenden Schuldenfalle herauskommen. Bei

allem anderen werden wir bestenfalls kleine Veränderungen erreichen können. Für eine große Lösung, von der einige immer schwärmen und träumen, sind andere Schritte notwendig. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt der Erste Bürgermeister.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Hamburg ist eine weltoffene Stadt. Deshalb bin ich sehr dankbar für die Worte, die die Präsidentin heute im Namen des ganzen Hauses gefunden hat. Ich bin dankbar für die Worte, die die Sprecher der Fraktionen und die Fraktionsvorsitzenden gefunden haben. Ich bin auch sehr froh darüber, dass Abgeordnete dieses Hauses dazugehören, die einen Zuwanderungshintergrund haben und eine stolze Demonstration der Demokratie sind gegen das, was die rechtsradikalen Hasstäter angerichtet haben.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und ver- einzelt bei der CDU und der GAL)

Es hilft den Opfern dieser Taten nicht, dass sie jetzt wissen, wer die Täter gewesen sind. Man kann sich kaum den Schmerz vorstellen, den viele über Jahre mit sich getragen haben, weil sie im Ungewissen waren über die Taten, und andere Vermutungen anstellen mussten, die sie und ihr Leben begleitet haben. Wir sind alle aufgerufen, alles dafür zu tun, dass diese Straftaten endgültig und vollständig aufgeklärt werden, dass wir feststellen, was schiefgelaufen ist, und daraus lernen für die Zukunft. Es muss alles dazu beigetragen werden, dass mit vollständiger Aufklärung dieser Taten die Grundlagen dafür gelegt werden, dass sich so etwas nicht wiederholen kann.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der GAL und der LINKEN)

Ich bin sehr froh darüber, dass ähnlich, wie es heute hier zum Ausdruck gekommen ist, auch im Deutschen Bundestag eine große Einigkeit unter den Fraktionen zustande gekommen ist darüber, diese Taten zu verurteilen und jetzt Konsequenzen anzumahnen. Ich bin auch froh darüber, dass es bisher gelungen ist, bei all der notwendigen Debatte, die den einen oder anderen Unterschied über Handlungsschritte auslösen wird, trotzdem gemeinsam gegen diese Hasstäter vorzugehen und ein politisches Signal dagegen zu setzen.