Protocol of the Session on November 22, 2011

Das NHH hat das Stochern im Nebel nicht allein verursacht. Beim Haushaltsplan-Entwurf der Justizbehörde handelt es sich nämlich ganz massiv um einen Ankündigungshaushalt; das hörten wir eben auch schon von Farid Müller und Frau Spethmann. An dieser Stelle hätte ich unserer Justizsenatorin gerne die Kritik ihrer Fraktion aus den Haushaltberatungen 2009 vorgehalten.

(Präsidentin Carola Veit übernimmt den Vor- sitz.)

Dort hatte sie nämlich selbst von einem Ankündigungshaushalt gesprochen. Leider ist sie wegen eines wichtigen Termins verhindert, was ich sehr bedauere.

Zurück zum Einzelplan 2: Politische Schwerpunkte werden zwar im Vorbericht zum Wirtschaftsplan benannt, aber auf die jeweiligen Konzepte haben die Bürgerschaft beziehungsweise der Justizausschuss bis heute vergeblich gewartet. Nicht eine einzige Drucksache zu den angekündigten Konzepten wurde im Rahmen der Haushaltsberatungen vorgelegt. Was ist das eigentlich für ein Gebaren?

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Der Senat hat etliche Konzepte zum Herbst angekündigt. Ob es nun um das Konzept für die Neustrukturierung des Justizvollzugs geht oder um Jugendgewalt oder Gleichstellung – ich kann noch vieles Weitere auch aus anderen Bereichen aufzählen –, nichts dergleichen liegt vor. Stattdessen terminiert der Senat schön kurzfristig eine Landespressekonferenz nach der anderen und verteilt jeweils wunderbare Hand-outs. Schaut man sich nach ordentlichen Drucksachen um, die dazu dienen, dass der Weg durch das Parlament beschritten wird: Fehlanzeige.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der GAL)

Die SPD braucht nicht einmal ein ganzes Jahr, um ihr Fehlverhalten aus der Zeit vor 2001 wieder an

den Tag zu legen, als sie nach mehr als 40 Jahren Regierung machtblind vorgegangen ist.

(Beifall bei der FDP)

Was bietet uns denn die Justizsenatorin? Nichts weiter als einen schwarz-grünen Etat mit rotem Anstrich. Das lässt sich im Übrigen für fast alle Ressorts sagen. Dabei hatte der Senat genügend Zeit. Acht Monate müssen ausreichen, um einen Haushalt mit eigenem Profil aufzustellen. Wir haben November, damit wurde vom Senat der spätestmögliche Zeitpunkt für die Haushaltsberatungen ausgereizt.

Nun aber zum Einzelplan selbst. Das von der Justizsenatorin Schiedek vorgelegte Grobkonzept zur Neustrukturierung des Justizvollzugs legt zwar die großen Eckpunkte fest, klare Aussagen zu finanziellen Details fehlen aber bis heute. Auch Aussagen zum Bereich der Weiterentwicklung des offenen Vollzugs lassen noch auf sich warten. Grundsätzlich tragen wir die Idee, Haus 1 und Haus 3 in Fuhlsbüttel zu schließen, mit. Schließlich tritt die FDP Hamburg und die FDP Nord und im Übrigen auch die SPD Nord seit geraumer Zeit für eine komplette Schließung der Anstalt ein.

(Beifall bei der FDP)

Wir warten aber noch auf die Drucksache und prüfen dann, ob sich ein schlüssiges Konzept dahinter verbirgt. Wir hoffen, dass der Senat sich an die Umsetzung macht und nicht schon bei den ersten Widerständen klein beigibt und alles so lässt, wie es ist.

Meine Damen und Herren! Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für Sicherungsverwahrung führt zu neuen Unbekannten im Einzelplan 2. Wie in den Haushaltsberatungen deutlich wurde, sind bisher keine Mittel für eine Anpassung des Standards an die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in den Einzelplan eingeflossen. Auf der anderen Seite hat die Anhörung im Justizausschuss am vergangenen Freitag sehr deutlich gemacht, dass sowohl bei der sozialtherapeutischen Betreuung als bei der Entlassungsvorbereitung beziehungsweise weiteren Resozialisierung in den nächsten Jahren umfassende Anpassungen notwendig werden. Diese werden nicht umsonst zu haben sein. Ich setze darauf, dass die Justizbehörde ihrer Ankündigung nachkommen und künftig eine eigene Veranschlagung des Bereichs Sicherungsverwahrung durchführen wird.

(Beifall bei der FDP)

Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, den Bereich der Resozialisierung zu stärken. Hier stimmen wir Liberale mit der SPD-Fraktion überein, Urs Tabbert hat das schon erwähnt. Auch eine bessere Vernetzung des Entlassungsmanagement ist notwendig. Hierbei sollte es unserer Auffassung nach keine Denkverbote geben. Einer Prüfung, ob eine

Rückführung in die Justizbehörde effizientere Strukturen begünstigen würde, darf man sich nicht verschließen.

Nun noch ein paar Worte zur überlangen Verfahrensdauer bei der hamburgischen Justiz, Dauerbrenner insbesondere beim Bereich der Sozialgerichtsbarkeit; hierüber wurden schon einige Worte verloren und es gibt noch einiges zu tun. Wie wir alle wissen, ist eine funktionierende Rechtspflege ein entscheidender Standortvorteil. Zumindest bei der Sozialgerichtsbarkeit sehe ich dringenden Handlungsbedarf. Aus diesem Grund wird die FDP-Fraktion dem SPD-Änderungsantrag zur Aufhebung der kw-Vermerke zustimmen. Weiterhin sollte am bewährten Mittel des Einsatzes von Richtern aus anderen Gerichtszweigen beim stark belasteten Bereich der Sozialgerichtsbarkeit festgehalten werden. Dieses flexible Element der Ressourcensteuerung kann zwar nur flankierend eingesetzt werden, aber doch zu einer zusätzlichen Entlastung insbesondere beim Landessozialgericht führen.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuletzt noch auf den Bereich der Gleichstellung eingehen. Die Abschaffung der Arbeitsstelle Vielfalt begrüßen wir Liberale. Die derzeitige Struktur der Abteilung Gleichstellung, in der die Arbeitsstelle aufgegangen ist, sehen wir jedoch kritisch. Hier bedarf es einer Prüfung, ob der Bereich nicht noch effizienter gestaltet werden kann. Ich betone: Uns geht es hier um einen möglichst effizienten Einsatz. Handlungsbedarf für das Aufzeigen von Missständen und die Schaffung von verbesserten Lebensbedingungen für betroffene Menschen ist ohne Frage da. Deshalb unterstützen wir auch die Vergabe von zusätzlichen Mitteln in Höhe von 65 000 Euro für die gleichgeschlechtliche Jugendarbeit. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort erhält Frau Schneider.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Die Bilanz des Senats im Bereich der Justiz kann sich nach einem Dreivierteljahr nicht blicken lassen. Angesichts drängender und, zugegeben, nicht leicht zu lösender Probleme ist reformerischer Mut gefragt, aber dieser fehlt leider vollständig. Zur Neustrukturierung des Justizvollzugs haben meine Vorrednerinnen aus den anderen Oppositionsparteien schon viel gesagt. Schlimm ist, dass die Pläne bisher zwar grob und allgemein der Presse, aber nicht dem Parlament und auch nicht dem Ausschuss vorgestellt wurden. Während der Haushaltsberatungen im Justizund im Haushaltsauschuss schwieg sich der Senat aus. Gleichwohl sollen mit der Verabschiedung des Haushalts Weichen ge

stellt und Fakten geschaffen werden. Das ist das Gegenteil von ordentlichem Regieren, das ist exekutive Arroganz.

(Beifall bei der LINKEN und bei Martina Kaesbach FDP)

Natürlich muss die Justizsenatorin mit einer großen Last fertigwerden. Es gibt eine gewaltige Überkapazität an Haftplätzen, ein Erbe der schrecklichen Kusch-Ära. Damals hat sich der CDU-Senat mit dem überdimensionierten Neubau der JVA Billwerder ein steinernes Denkmal seiner Strafwut gesetzt. Das ist der Hauptgrund für die teuren Überkapazitäten, die wir uns weder leisten können noch wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Erst in zweiter Linie liegen die Überkapazitäten an dem erfreulichen Rückgang der Gefangenenzahlen.

Der Bau von Billwerder bedeutete damals eine Wende und eine Restauration im Vollzug, weil damit ein einschneidender Rückbau des offenen Vollzugs verbunden war und die Maßgaben des Strafvollzuggesetzes von 1977 – dessen Reformansätze – beerdigt wurden. Damals wurde der offene Vollzug – Hamburg war sehr weit fortgeschritten im Bundesvergleich – weit mehr als halbiert, fast gedrittelt, und Hamburg fiel weit hinter dem Bundesdurchschnitt zurück. Immerhin hatte der CDU/GALSenat den offenen Vollzug wenigstens so weit ausbauen wollen, dass Hamburg wieder Anschluss an den Bundesdurchschnitt findet; aber selbst diesen zaghaften Ansatz verwirft die Justizsenatorin. Sie schreckt mit ihren aktuellen und nur grob bekannten Neustrukturierungsplänen selbst vor einer halbherzigen Korrektur der Kusch-Ära zurück. Von gerade 250 Plätzen im offenen Vollzug ist jetzt die Rede. Diese sollen in Glasmoor sein, ohne ausreichende Anbindung an den Nahverkehr, was die Wiedereingliederung der Gefangenen enorm erschwert. Außerdem muss Glasmoor grundlegend saniert werden. Hier gibt es bis auf wenige Ausnahmen nur Mehrbettzellen. Mit den Summen, die bisher genannt wurden, kann das Nötige nicht geleistet werden.

Das alles ist ein Armutszeugnis, eine Absage an einen aufgeklärten und modernen Strafvollzug. Ihr Maßstab ist allein die kurzfristige Haushaltskonsolidierung. In diesem Politikfeld kommt solch kurzatmiges Konsolidierungsdenken schon mittelfristig teuer, weil Sie nicht die Re-Integration von Straffälligen in den Mittelpunkt stellen, die mittel- und langfristig enorme gesellschaftliche Kosten spart. Dabei sind die Zahlen für die veranschlagten Mittel, die die Justizsenatorin genannt hat, alles andere als realistisch. Die Pläne sind unausgegoren und undurchdacht. Der Senat ist dabei, die Chance zu vertun, die sich durch die sinkenden Gefangenenzahlen aufgetan hat. Man muss dem Senat

(Martina Kaesbach)

wirklich vorwerfen, dass er es bisher offensichtlich nicht für nötig hält, die Bürgerschaft über seine genauen Pläne zu unterrichten und sie der parlamentarischen Diskussion auszusetzen. Bei den Haushaltsdebatten im Fach- und Haushaltsausschuss haben Sie geschwiegen und stattdessen versucht, unter der Hand Fakten zu schaffen. Das ist inakzeptabel. Deshalb werden wir dem Antrag der GAL zustimmen, die Mittel- und Verpflichtungsermächtigungen für investive Maßnahmen 2011 und 2012 im Bereich der Neustrukturierung zu sperren.

(Jan Quast SPD: Die sind ja schon ge- sperrt!)

Auch in Zusammenhang mit den Konsequenzen, die aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung gezogen werden müssen, lässt die Justizbehörde reformerischen Gestaltungswillen völlig vermissen.

Herr Tabbert, ich darf Sie darauf hinweisen, dass der Justizausschuss zur Legislative gehört und dass es, wenn dort eine Expertenanhörung stattfindet, mit Regierungshandeln buchstäblich nicht das Geringste zu tun hat.

(Beifall bei der LINKEN und bei Martina Kaesbach FDP)

Bei Ihnen lautet die Devise abwarten und kein eigenes Konzept vorlegen. Nicht einmal Eckpunkte für den Vollzug, die Sicherungsverwahrung und die notwendige Stärkung der Therapieangebote am Strafvollzug gibt es.

(Dirk Kienscherf SPD: Nun seien Sie mal nicht so kleinlich!)

Zumindest ein anderes Bundesland, nämlich das rot-rot regierte Brandenburg, ist viele Meilen voraus. Abwarten ist zu wenig. Es ist völlig klar – Frau Kaesbach hat bereits darauf hingewiesen –, dass nicht geringe Summen ins System fließen müssen, wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirklich in die Praxis umgesetzt werden soll, und dazu gibt es keine Alternative. Wir haben bei der Verabschiedung des Haushalts für 2012 noch nicht einmal eine Andeutung, welche Mittel wofür aufgewendet werden müssen. Das ist kein gutes Regieren.

(Beifall bei Heike Sudmann DIE LINKE)

Wir werden jedoch, werte SPD, Ihrem Antrag an den Senat zustimmen, bis Frühjahr 2012 auf der Basis des Abschlussberichts der Fachkommission Resozialisierung ein Resozialisierungskonzept vorzulegen. Immerhin ist der Bericht, der eine sehr gute Zusammenstellung aller Problemfelder beinhaltet und viele Empfehlungen macht, wie die Angebote und Hilfestellungen für die aus der Haft Entlassenen besser verzahnt werden können, dann zwei Jahre alt. Es ist allerhöchste Zeit und es sieht nicht nach schnellem und tatkräftigem Handeln aus.

Nicht nur im Bereich des Justizvollzugs fehlt es dem Senat an Mut, notwendige Reformen auf den Weg zu bringen; Herr Müller, es wundert mich, dass Sie nicht darauf eingegangen sind. Wie wir Abgeordneten nämlich der Presse entnehmen konnten, hat sich die Justizsenatorin von dem Projekt der Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz verabschiedet, das der Vorgängersenator ein bisschen halbherzig auf den Weg gebracht hatte. Diese Entscheidung halte ich für fatal; fatal ist auch die Begründung, die man der Presse entnehmen konnte, dass der Nutzen für die Bürgerinnen nicht erkennbar sei. Diese Begründung ist abenteuerlich. Bei der Stärkung der Autonomie der Justiz geht es um die Stärkung der demokratischen Gewaltenteilung; nicht nur um die eigene Haushaltsverantwortung und die Effizienzsteigerung der Justiz, sondern um die Loslösung der Justiz von der Exekutive und ihre Demokratisierung und Enthierarchisierung.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Till Steffen GAL: Gut erkannt!)

Hier hängt die Justiz in Deutschland europäischen Standards weit hinterher. Wenn wir nach Italien schauen, freuen wir uns doch immer wieder, wie dort die Gerichte die Exekutive bremsen. Wir sind der Auffassung, dass rechtsuchende Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf haben, dass ihre Anliegen allein nach Recht und Gesetz und frei von sachfremden Faktoren behandelt werden. Deshalb werden wir uns mit der stillen Beerdigung des Projekts unabhängige Justiz nicht abfinden.

Die Basis einer funktionierenden Justiz ist eine angemessene personelle Ausstattung. Wir wissen, dass den Gerichten vielfach das Wasser bis Oberkante Unterlippe steht. Das gilt gerade für die Sozialgerichte, die aufgrund der nicht nur unsozialen, sondern auch schlampigen Hartz-Gesetzgebung das Dauerproblem einer anhaltenden Klageflut haben. Aus diesem Grund stimmen wir dem SPD-Antrag "Absicherung des richterlichen Stellenbestands bei den Sozialgerichten" zu. Wir stimmen außerdem dem CDU-Antrag zu den Gerichtsvollziehern zu, das ist ein wirklich guter Antrag, herzlichen Dank für die Initiative, Herr Tabbert.

(Dirk Kienscherf SPD: Abgeschrieben ist der!)

Das Problem gibt es schon lange und Sie können natürlich sagen, das hätte in den letzten Jahren gelöst werden können – das ist richtig, aber kein Grund, es nicht dieses beziehungsweise nächstes Jahr zu lösen, dafür plädieren wir.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Bisher hat die Justizsenatorin nicht erkennen lassen, dass sie mehr will als einen unbefriedigenden und teilweise schlechten Zustand zu verwalten und irgendwie über die Runden zu kommen. Das ist zu wenig.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort hat Herr Senator Neumann.