Verehrte Kollegen von der GAL und der CDU, ich kann es leider nicht lassen und muss es noch einmal sagen: Was wir heute diskutieren, hätte vor mehr als zwei Jahren, nämlich 2009, im Detail geregelt werden müssen.
Das ist kein Beschimpfen einer Fraktion. Das war ein schwerer Fehler und Sie haben damit wirklich Schaden angerichtet, das kann ich nicht anders
sagen. Dieses schwere Versäumnis von SchwarzGrün ist der Grund dafür, dass Schulleiter heute Brandbriefe schreiben, in denen sie sich über nicht funktionierende Inklusion beschweren, dass Eltern schwer verunsichert sind und Lehrer wie Schüler sich nicht selten sehr überfordert fühlen.
Meine Damen und Herren! Wir müssen daraus alle miteinander die Erkenntnis ziehen, dass derart grundlegende Veränderungen nicht über's Knie gebrochen werden dürfen. Keine UN-Konvention und auch kein falsch verstandenes, hektisches Gutmenschentum dürfen unsere Kinder und Lehrer derart unvorbereitet zurücklassen. Immerhin scheint bei Ihnen, verehrte Kollegen von der Union, diese Erkenntnis angekommen zu sein. Ihr Antrag zur Umsetzung der Inklusion basiert offenbar auf dieser Erkenntnis, die wir teilen und die Ihnen zeitweise anscheinend verloren gegangen war, eine Erkenntnis, die GAL und DIE LINKE heute immer noch nicht gewonnen haben. Nämlich, dass nicht alle Kinder gleich sind, sondern unterschiedlich, und dass auch nicht alle Behinderungen gleich sind, mit allen muss unterschiedlich umgegangen werden. Ein gehörloses Kind, ein Schüler mit einer Körperbehinderung, Kinder mit Lernschwierigkeiten oder Sprachverzögerung – sie haben alle grundsätzlich sehr verschiedene Bedürfnisse an ihre individuelle Förderung.
Deshalb brauchen wir eine Wahlmöglichkeit zwischen Inklusion und Sonderschule, eine fachliche Begutachtung jedes einzelnen Kindes und eine darauf aufbauende Ressourcenzuweisung. Das gilt für Lehrer und Sonderpädagogen, aber auch für zusätzlich notwendige Räumlichkeiten; daran hapert es jetzt schon. Wir Liberale unterstützen diese differenzierte Position nachhaltig bis hin zu den in Ihrem Antrag aufgelisteten Folgen für Rechenschaftssystem oder Lehrerbildung.
Ein Anspruch auf Inklusion ist nicht gleichzeitig eine Verpflichtung. Eltern müssen die Wahlfreiheit haben, ob sie ihre Kinder an einer allgemeinbildenden oder an einer speziellen Förderschule anmelden möchten. Die Wahlfreiheit der Eltern ist einer der zentralen Punkte, ein anderer betrifft die Umsetzung. Allgemeinbildende Schulen sollten sich, zumindest in der Anfangsphase der Umsetzung, auf bestimmte Förderschwerpunkte spezialisieren dürfen. Nur so kann allen Kindern, die eine besondere Förderung benötigen, diese auch zukommen.
Keine Förderung nach dem Gießkannenprinzip, sondern ausgerichtet auf die individuellen Bedürfnisse aller Schüler.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende SPDAntrag ist natürlich grundsätzlich unterstützenswert, er bleibt allerdings in den meisten Punkten etwas allgemein. Lehrerfortbildung ist eine Grundvoraussetzung, um Inklusion überhaupt umsetzen
zu können. Das ist das Mindeste, was wir erwarten können. Es ist aber nur eine der Voraussetzungen für die erfolgreiche Inklusion. Ressourcenverteilung nach dem Gießkannenprinzip und ein bisschen Fortbildung für die Lehrer – das reicht bei Weitem nicht aus. Wir brauchen eine Differenzierung, besonders vor dem Hintergrund der verfahrenen Situation. Wie Sie die nun auflösen wollen, verehrter Herr Senator Rabe, wollen Sie uns erst 2012 verraten. Bei allem Verständnis dafür, dass Sie auch in diesem Bereich der Schulpolitik das von Schwarz-Grün zerdepperte Porzellan aufräumen müssen – Sie lassen sich damit sehr viel Zeit, Zeit, die zu integrierende Kinder und schwer überforderte Pädagogen und verunsicherte Eltern nicht haben. Es gibt schon jetzt in Hamburg unterschiedliche Modelle. Die Vor- und Nachteile der bestehenden Modelle sind Ihnen seit Langem bekannt. Warum dauert es so lange, bis Sie das grundlegende Konzept endlich vorlegen? Eine Diskussion ohne Diskussionsgrundlage können wir nicht akzeptieren, sie ist nicht zielführend. Es wäre gut, wenn Sie sich auch hier das von der CDU formulierte und von uns Liberalen unterstützte Ziel zu eigen machen würden und noch in diesem Jahr ein Konzept vorlegen würden. Unsere mehr als 160 000 Schüler in allgemeinbildenden Schulen und erst recht die 8000 Kinder mit Förderbedarf würden es Ihnen danken. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dass bei diesem Tagesordnungspunkt drei Drucksachen vorliegen, hat einen Grund. Inklusion ist ein virulentes Thema in den Hamburger Schulen und so wie zurzeit der Paragraf 12 umgesetzt wird, geht es nicht. Ich weiß nicht, welche Erfahrungen Sie haben, Herr Holster, wir bekommen stapelweise Beschwerden von Eltern, Lehrern und von Schulen, dass alle überfordert sind und es überhaupt nicht gut läuft.
Die SPD hat in diesem Zusammenhang einen Antrag zur Fortbildung eingebracht. Auch die Fraktion DIE LINKE ist der Auffassung, dass Lehrerinnen und Lehrer in inklusiver Pädagogik und auch im inklusiven Unterrichten gefördert und eingeführt werden müssen. Dies muss auch Bestandteil von Studium und Referendariat sein. Der Antrag der SPD hat allerdings einen Haken. Sie wollen nichts dafür
[…] kurzfristig erhöhte Fortbildungsbedarfe […] im Rahmen der vorhandenen Ressourcen [erfolgen sollen]."
Das wird nicht funktionieren. Bei mehr als 2000 inklusiv beschulten Kindern in den Schuljahren eins, zwei, fünf und sechs gibt es, so die Schätzung der Experten, über 1000 Pädagogen, die eine intensive Fortbildung benötigen. Die Inklusion ist zurzeit die große Herausforderung im hamburgischen Schulsystem. Eines ist klar, sie kann nicht kostenneutral umgesetzt werden.
Neben der Fortbildung benötigen die Schulen Unterstützung, das haben Sie auch gesagt, Herr Holster, und bei der Unterrichts- und Schulentwicklung muss es in Richtung inklusive Schule gehen. Auch dies ist kostenneutral nicht möglich. Hinzu kommt noch, dass wir eine innere Schulreform haben, nämlich individualisiertes Lernen, für das die Lehrerinnen und Lehrer fortgebildet werden müssen und wollen. Es sind erhebliche Mittel für das LI nötig. Die Politik des SPD-Senats führt dazu, wenn Sie das so machen, wie Sie es angekündigt haben und wie es auch aus dem Antrag zu ersehen ist, dass die Inklusion an Hamburger Schulen scheitern wird zulasten der Kinder, der Eltern und der Lehrer.
Die Fraktion DIE LINKE wird in den Haushaltsberatungen deswegen einen Antrag einbringen. Wir werden den Antrag einbringen, die umstrittene Schulinspektion zu streichen und die dafür freiwerdenden Mittel in Höhe von 2 Millionen Euro in die Lehrerfortbildung speziell für Inklusion zu stecken, damit wir eine Fortbildung haben, die auch ihren Namen verdient.
Der CDU-Antrag stellt unserer Auffassung nach eine Verhinderung der Inklusion dar. Das macht folgender Punkt Ihres Antrags deutlich.
"Auch für Schülerinnen und Schüler mit sozial-emotionalem Förderbedarf gilt es, eine Beschulung auf Zeit in den Bildungs- und Beratungszentren sicherzustellen."
Wie soll diese Aussonderung sichergestellt werden? Damit noch nicht genug. Die CDU fordert darüber hinaus auch noch gesonderte Bildungspläne für Inklusionskinder. Das führt zur Aushöhlung des Paragrafen 12 des Schulgesetzes und verkehrt den Geist der UN-Behindertenkonvention genau ins Gegenteil. Mir ist aufgefallen, dass es der CDU vorrangig um den Erhalt ihrer Bildungs- und Beratungszentren geht und nicht um die Inklusion. Und, Herr Scheuerl, Inklusion ist kein Modewort. Inklusion ist eine gesellschaftliche Verpflichtung, die wir umsetzen müssen.
Von der Anfrage der GAL war auch schon die Rede. Sie hat viele Fragen gestellt, aber häufig hat sie keine Antworten bekommen. Der Senat hat zum Beispiel zu Themen wie Diagnoseverfahren, Förderpläne, Ressourcenzuweisung mit den Textbausteinen geantwortet, die wir alle kennen – ich zitiere –:
Das finde ich angesichts der Problematik in den Schulen und mit dem Auftrag der Inklusion ungeheuerlich. Die Schulen wissen vor Problemen nicht wohin und der Senat überlegt, vielleicht. Das Einzige, was der Senat immer wieder hervorhebt, sind die 108 Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen. Die Kinder und Jugendlichen haben aber keinen erzieherischen und sozialpädagogischen Förderbedarf, sie haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Außerdem werden diese Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen aus Geldern für das Bildungspäckchen finanziert, und diese Gelder stehen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Kindern von Hartz-IV-Empfängern zu. Es ist also irgendwie völlig verplant.
Was die Schulen dringend benötigen, sind mehr Sonderpädagogen. Seit mehr als 20 Jahren hat Hamburg bundesweit eine Vorreiterrolle bei der Integration behinderter Schülerinnen und Schüler an den allgemeinbildenden Schulen. Mit den integrativen Regelklassen wird an 35 Grundschulen eine sonderpädagogische Frühförderung für behinderte und von Behinderung bedrohte Schülerinnen und Schüler gewährleistet. Diese Pädagogik wurde in der Vergangenheit in den Gesamtschulen erfolgreich weiterentwickelt und könnte jetzt an Stadtteilschulen weitergeführt werden. Das System der gemeinsamen Beschulung aller Kinder in integrativen Regelklassen und Integrationsklassen genießt international wie national hohe Anerkennung. Dafür steht insbesondere der engagierte Pädagoge Pit Katzer von der Erich-Kästner-Schule.
Frau Heyenn, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, doch die Gespräche am Rande der Bürgerschaft sind entschieden zu viel und zu laut.
Am 11. November findet im Schulausschuss eine Expertenanhörung zum Thema Inklusion statt und DIE LINKE hat Pit Katzer benannt auch als Vertreter der GEW. Heute, zwei Tage vor der Anhörung, hat sein Dienstherr Schulsenator Rabe ihm die Teilnahme untersagt.
Dass ausgerechnet ein SPD-Senator den legendären Maulkorberlass von Frau Dinges-Dierig anwendet, ist wirklich unglaublich.
(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Walter Scheuerl CDU, Christa Goetsch GAL und Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)
Ich möchte an die Aktuelle Stunde vom 12. Mai 2004 erinnern, als Frau Dinges-Dierig mit der CDU diesen Maulkorberlass verfügt hat. Da hat die SPD-Abgeordnete Britta Ernst Folgendes gesagt – ich zitiere –:
"Dass über Schulpolitik kritisch diskutiert wird, ist in Hamburg ein ungeschriebenes Gesetz und steht über jeder Behördenverfügung.
[…] Der Maulkorberlass ist auch ein Anlass, diese Verfügung rechtlich zu überprüfen, denn sie verstößt gegen das Hamburgische Schulgesetz, das die Schulleitungen dazu ermächtigt, die Schule nach außen zu vertreten."
Der Senat schränkt mit dem Maulkorberlass nicht nur die beteiligten Experten ein, sondern auch die Rechte der Opposition. Zwei Tage vorher müssen wir gucken, wie wir neue Experten bekommen.
"Hier sollen vor allem die Schulleiter zum Verstummen gebracht werden und dieser Erlass ist ein Zeichen des Misstrauens genau gegenüber den Pädagogen vor Ort, die mit den vielfältigen Problemen des Schulalltags fertig werden müssen und dabei gleichzeitig auch noch qualitätsvollen Unterricht leisten sollen. Wer Misstrauen ausdrückt, der hat Angst. Sie, Frau Senatorin, haben offensichtlich Angst vor eigenen Fehlern, Sie haben aber vor allen Dingen Angst vor einer öffentlichen Diskussion über die Missstände und die Zukunft des Hamburger Bildungswesens."
In diesem Sinne frage ich: Wovor haben Sie eigentlich Angst, Herr Senator Rabe? Sie sind doch bei der Expertenanhörung anwesend. Warum wollen Sie die reichhaltigen Erfahrungen dieses Lehrers und auch des Lehrers von der Kielkoppelstraße in Bezug auf Inklusion, die sie dort direkt vor Ort erleben und bewältigen müssen, nicht anhören? Das verstehe ich nicht. Wenn Sie Kritik verbieten, werden Sie den Eltern, den Kindern, den Lehrkräften nicht gerecht werden.
Wenn Sie eine kluge Entscheidung fällen wollen, dann kann ich Ihnen nur raten, die Ausladung in eine Einladung umzuwandeln. Wir als DIE LINKE werden jedenfalls im Auftrag der GEW Herrn Pit Katzer einladen, an der Anhörung teilzunehmen. Ich bin sehr gespannt, ob Sie auch der GEW verbieten, dass dieser Experte zur Anhörung kommt.