Protocol of the Session on September 29, 2011

Frau Schneider, Sie haben das Wort ebenfalls für maximal fünf Minuten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte begründen, warum wir der Empfehlung des Eingabenausschusses, die die SPD zu verantworten hat, unter keinen Umständen zustimmen können. Wir hatten einen Antrag gestellt für ein Bleiberecht für Roma.

(Präsidentin Carola Veit)

Ich zitiere aus dem Wortprotokoll des Innenausschusses, Seite 7, Herrn Innensenator Neumann:

"Und deshalb ist bisher die Position, wird auch die Position des Senats bleiben, dass wir jeden Einzelfall mit sehr großem Augenmaß prüfen werden, aber von einer generellen Regelung absehen werden."

Und er bekräftigt das auf Seite 8:

"Und deswegen ist der Weg, den wir einschlagen wollen und der zweckmäßig erscheint, eben eine dezidierte Einzelfallprüfung. Ich habe ja selbst mit dem Flüchtlingsrat darüber auch gesprochen, ich habe auch mit Betroffenen darüber gesprochen und ich weiß auch von Einzelfällen, die sicherlich nicht zu einer Rückführung führen."

Herr Neumann hat den Innenausschuss und die Öffentlichkeit getäuscht, anders kann ich das nicht bewerten. Wann soll man jemanden denn nicht abschieben, wann soll man jemanden von einer Abschiebung ausnehmen, wenn nicht in einem solchen Fall, wo der Mann wirklich todkrank ist. Warum gewährt man ihm nicht einmal die neun Monate, die die GAL beantragt hat? Wir würden sogar sagen, warum gewährt man ihm nicht, hier zu bleiben, weil er schwerkrank ist? Sie wissen alle, die Sie hier sitzen, wohin die Roma abgeschoben werden.

Gestern war in "SPIEGEL ONLINE" ein Bericht "Osteuropas vergessener Bürgerkrieg". Da steht zwar Osteuropa, es bezieht sich aber auch auf Südosteuropa. Da ist von einem modernen Bürgerkrieg die Rede. Es ist davon die Rede, dass in vielen Ländern und in vielen Situationen das Leben der Roma nicht mehr sicher sei. Die Situation insgesamt ist außerordentlich prekär. Es gibt keine gute Grundversorgung und es gibt keine gute Bildung. Aber es wurde nicht ein einziger Fall, obwohl dies zugesagt war, von der Abschiebung ausgenommen.

Der Bericht in "SPIEGEL ONLINE" – das ist wirklich ein ganz stinknormales

(Dr. Christel Oldenburg SPD: Frau Schnei- der!)

bürgerliches Blatt – sagt, es brauche, um den Bürgerkrieg gegen die Roma in Osteuropa zu beenden, vor allem eines: Empathie. Und dieses Minimum an Empathie muss die Bürgerschaft aufbringen. Deswegen appellieren wir an Sie, in diesem Fall Abstand von einer Abschiebung zu nehmen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort hat Herr Schumacher.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im Bericht 20/1340 geht es um die Sitzung des Eingabenausschusses vom 12. September dieses Jahres. Der angesprochene Fall, die Eingabe 166/11, wurde strittig diskutiert und gibt heute Anlass für die Fünf-Minuten-Beiträge.

In der Eingabe geht es um eine Roma-Familie aus Serbien. Die Eheleute reisten 1991 zum ersten Mal nach Deutschland ein. Ein Asylverfahren wurde damals abgelehnt und die Familie wurde aufgrund der Bürgerkriegssituation geduldet. In Deutschland kamen dann drei Kinder zur Welt, 1992, 1995 und 1997. 1997 wurde die Duldung nicht weiter verlängert und die Familie reiste im Dezember 1997 aus. 13 Jahre später, im Dezember 2010, reiste die Familie im Zuge der bestehenden Visumsfreiheit wieder nach Deutschland ein.

Die Visumsfreiheit bedeutet, dass ein Aufenthalt in Deutschland von 90 Tagen möglich ist und wird für touristische Zwecke oder Geschäftsreisen genutzt. Die Familie stellte erneut einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führte ein Asylverfahren durch und lehnte die Anträge als unbegründet ab. Eine Klage gegen die Ablehnung wurde beim Verwaltungsgericht eingereicht. Die Folge ist, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Im Asylverfahren wurde auf die allgemeine Gefährdungslage von Roma in Serbien eingegangen und diese geprüft. Das Bundesamt stellte fest, dass die Situation der Roma als schwierig eingestuft wird, dies aber kein Abschiebungsverbot begründe.

An die Entscheidung des Bundesamtes über das Vorliegen von Abschiebehindernissen sind Ausländerbehörde und der Eingabenausschuss nach dem Asylverfahrensgesetz gebunden. Eine eigene Entscheidungskompetenz besteht nicht. Ein Aufenthaltsrecht wäre demnach nur im Härtefallverfahren möglich. Ein Härtefallverfahren ist in diesem Fall durchgeführt worden, führte aber mit großer Mehrheit in der Härtefallkommission zu keinem Ersuchen. Schon damals stellte die Behörde fest, dass aufgrund des aktuellen Gesundheitszustands die Flugreisetauglichkeit für die nächsten drei Monate nicht gegeben ist. Von einer Rückführung über den Landweg wurde abgesehen. So wurde zunächst eine Duldung für die nächsten drei Monate ausgesprochen. Die Duldung steht damit im direkten Zusammenhang mit der akuten Krankheit. Die Duldung muss und wird auch verlängert werden, wenn sich der Gesundheitszustand nicht bessert.

Die Prüfung ist immer Aufgabe der Behörde. Sie ist verpflichtet, Reisehindernisse kontinuierlich zu prüfen. Der Vater hat sich schon 2008 einer Lungenoperation in Serbien unterzogen, im Anschluss folgte eine Strahlentherapie. Es wurde also in die

(Christiane Schneider)

sem Fall eine schwerwiegende Erkrankung in Serbien behandelt. Die generelle Behauptung, dass Roma in Serbien nicht medizinisch behandelt werden, stimmt also nicht.

Auch die Mitglieder der SPD, im Ausschuss auch die von CDU und FDP, haben sich mit diesem Fall, wie in allen anderen Fällen, die auch um das Thema Roma und Abschiebung gehen, umfassend mit den Eingaben beschäftigt. Alle Gesichtspunkte sind abgewogen und geprüft worden.

Wir halten das Ergebnis mit einer dreimonatigen Duldung und kontinuierlicher Prüfung des Gesundheitszustands für eine richtige Entscheidung der Behörde. Pauschale Vorwürfe wie zum Beispiel, dass alle Roma abgeschoben würden und kein einziger Roma-Fall positiv entschieden worden sei, weisen wir zurück. Unsere Aufgabe ist es nicht, nach quantitativen Gesichtspunkten Eingaben zu beraten. Jeder Fall ist immer wieder ein neuer Einzelfall und wird genauestens geprüft. Von Abschiebung in den sicheren Tod kann nach Auffassung des Bundesamtes auch keine Rede sein. Auch liegen in fast allen Fällen abgeschlossene Asyl- und Gerichtsverfahren zugrunde. Wir sollten die Unabhängigkeit der Gerichte respektieren und auf persönliche Vorwürfe verzichten.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Und darauf können sich alle im Hause verlassen: Auch wir werden in Zukunft weiterhin mit größter Sorgfalt jede Eingabe im Einzelfall prüfen und beraten.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Nun hat Herr Hamann das Wort.

Ich stimme dem Kollegen Schumacher dahingehend zu, dass es für Vorwürfe irgendeiner persönlichen Art überhaupt keine Grundlage gibt. Selbstverständlich wird jeder Fall im Eingabenausschuss sehr ernsthaft und intensiv erörtert und geprüft, insbesondere auch die Fälle im Einzelfall, die wir dann auch hinterher noch an die Härtefallkommission schicken.

Auch stimmen wir mit Ihnen völlig überein, dass es kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für diese Familie geben kann, schon aufgrund der Rechtslage und der Historie, die Sie geschildert haben.

Gleichwohl bleibt es dabei, dass dies ein sehr besonderer Fall ist mit der schweren Erkrankung des Vaters. Wir als CDU-Fraktion würden es auch für richtig halten, dass wir unter Berücksichtigung aller Umstände den Fall noch einmal an den Eingabenausschuss zurückgeben und ihn dort noch einmal diskutieren. Insofern sind wir für eine Rücküberwei

sung und würden Sie bitten, das einmal in Betracht zu ziehen, damit wir die Facetten dieses Falls noch einmal erörtern können. – Danke.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der LIN- KEN)

Frau Möller, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Schumacher, vielen Dank für das umfangreiche Referieren dieses Einzelfalls. Sie haben ein Detail vergessen, vielleicht haben Sie es für nicht so wichtig erachtet. Aber an dieser Stelle muss man ganz entscheidend über das eigene Selbstverständnis, das wir als Abgeordnete im Eingabenausschuss haben, sprechen. Natürlich steht es uns überhaupt nicht zu, in die Unabhängigkeit der Gerichte einzugreifen. Es steht uns auch überhaupt nicht zu, im Nachhinein Entscheidungen verändern zu wollen, die andere Behörden getroffen haben. Aber wir sollten uns unsere Unabhängigkeit als Abgeordnete bei der Entscheidung bewahren.

Sie haben ausführlich den Werdegang dieser Familie geschildert. Die eine Tatsache, die aus unserer Sicht für diesen Einzelfall so entscheidend ist, ist nämlich, dass die Familie sich die erste Behandlung der Krebserkrankung des Mannes leisten konnte, weil sie über eigenes Geld verfügte und mitnichten als Roma durch das Gesundheitssystem in Serbien aufgefangen wurden. Diese Situation hat sich dramatisch verändert, sodass die Möglichkeit für eine weitere gesundheitliche Behandlung nach den Erkenntnissen, die wir haben – und wir konnten das alle nachlesen in den Unterlagen –, einfach nicht besteht.

Noch einmal zu dem, was wir uns an Entscheidung wünschen: Eine Möglichkeit des Gesundwerdens, des Kräftesammelns, sehr wohl unter der Berücksichtigung, dass sich trotz der Geburt der Kinder in Deutschland aus rechtlicher Sicht keine Aufenthaltsperspektive für die Familie ergibt. Ich bitte einfach noch einmal darum, das unter diesen Aspekten zu berücksichtigen. Wenn dem Votum der CDU gefolgt wird, wäre es hilfreich, noch einmal in Ruhe über den Fall zu reden. Ansonsten würden wir uns darüber sehr freuen, wenn vielleicht das bisherige Minderheitsvotum eine Mehrheit im Plenum finden würde.

Ich möchte aber auf die zweite Eingabe, die wir mit angemeldet haben, kurz eingehen. Hier haben wir einen etwas anders gelagerten Fall, der Ihnen aber, ohne ins Detail zu gehen, vielleicht deutlich macht, wie kompliziert die Gemengelage in Wirklichkeit ist, sprich die Arbeit, die wir im Moment im Eingabenausschuss interfraktionell leisten.

Wir haben die Eingabe 391/11 angemeldet. Darüber werden Sie sich gewundert haben, denn in

(Sören Schumacher)

dieser Eingabe haben wir einvernehmlich einen Fall zur Berücksichtigung empfohlen. Wir haben heute die Aufgabe, diese Entscheidung hier noch einmal zu bestätigen. Ich würde mir sehr wünschen, wenn wir im Plenum diese Eingabe noch einmal mit einer gewissen Vehemenz zur Berücksichtigung bestätigen würden. Wir haben hier nämlich eine Situation, bei der wir feststellen müssen, dass der Senat, in diesem Fall die Ausländerbehörde, dem einvernehmlichen Votum des Eingabenausschusses nicht folgen will. Bis jetzt macht sie jedenfalls keine Anstalten dazu.

Hier ist eine umgekehrte Situation, ein mindestens so empörender Vorgang wie die geschilderte Situation dieses schwerkranken Mannes, den wir im ersten Fall debattiert haben. – Danke.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort hat nun Herr Yildiz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte bei diesem Einzelfall bleiben und das, was Frau Möller und Frau Schneider gesagt haben, unterstützen. Ich möchte auch ganz herzlich die Familien, die hier sitzen, begrüßen. Eines möchte ich verdeutlichen.

Erstens: Die Krebsbehandlung des Vaters wurde von eigenem Geld bestritten, das von dem Vater des krebskranken Mannes aus Deutschland zur Unterstützung überwiesen worden ist. Die Mittel wurden nicht aus eigener Leistung aufgebracht, sondern der Vater, der seit Jahren in Deutschland lebt und arbeitet und jetzt Rentner ist, finanziert die Unterstützung.

Zweitens: Wenn man sich das Ergebnis der sensiblen Überprüfung der Einzelfälle insgesamt anschaut, worüber Frau Schneider und meine Vorrednerinnen schon gesprochen haben, dann sind alle zehn Eingaben negativ beschieden worden, und da kann man nicht von Sensibilität reden. Ich bitte euch, das noch einmal zu überprüfen.

Drittens: Alle, die hier sitzen, können sich sicher vorstellen, wie solche Behandlungen sind, wenn Menschen keine Perspektive haben. Und drei Monate Aufenthalt als Perspektive zu haben und jeden Tag aufzustehen in dem Wissen, dass er wieder abgeschoben werden kann, welche Auswirkungen wird das auf seine Behandlung haben? Das müssen wir bitte mit berücksichtigen, weil ich finde, dass das sehr wichtig ist. Daher stimmen wir dem Vorschlag von Herrn Hamann und der CDU zu, den Fall zurückzuüberweisen, damit wir ihn noch einmal überprüfen können. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung. – Das war ein Antrag auf Rücküberweisung?

(Jörg Hamann CDU: Ja!)

Dann stimmen wir zunächst über diesen ab.