Protocol of the Session on September 14, 2011

Es ist diskriminierend und integrationsschädlich, einbürgerungswilligen Menschen die doppelte Staatsangehörigkeit zu verweigern. Dies gilt insbesondere für junge Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind und von Geburt an Deutsche sind. Ihnen darf die Staatsangehörigkeit nicht nachträglich entzogen werden. Deutschland ist das einzige Land, das eine solche Optionspflicht hat. Optionszwang bedeutet: Ihr seid Deutsche unter Vorbehalt. Durch diesen Irrsinn werden in den nächsten Jahren einige Hunderttausend junge Menschen in die schwierige Lage gebracht, eine schwerwiegende Entscheidung treffen zu müssen. Wenn sie nicht richtig handeln, droht ihnen Zwangsausbürgerung und damit werden sie zu Ausländern oder zu Ausländern im eigenen Land gemacht. Das ist ein fatales Signal. Integration be

deutet Teilhabe durch gleiche Rechte und Pflichten.

Was kann daran schlimm sein, wie Ole von Beust damals sagte, wenn in einer Brust zwei Herzen schlagen? Vielen jungen Menschen in Deutschland fällt so eine Entscheidung sehr schwer, nicht deshalb, weil sie sich beispielsweise mehr mit der Türkei identifizieren können, als mit Deutschland, sondern weil sie in zwei oder drei Kulturen aufwachsen. Wir können nicht kulturelle Vielfalt als eine Bereicherung für unsere Gesellschaft betrachten und die dazugehörige Staatsangehörigkeit ablehnen.

Junge Menschen sollen sich Gedanken machen über ihre Ausbildung, über ihren Lebensweg und nicht über die Staatsangehörigkeit, die sie mit der Geburt erhalten – besser gesagt: geliehen bekommen – und die ihnen eventuell mit ihrem 23. Geburtstag wieder entzogen wird. Wir wollen, dass alle Menschen, gleich welcher Herkunft, sich als mündige Bürgerinnen und Bürger in unserer Gesellschaft verwirklichen können. Die Menschen, die dauerhaft hier leben, sollen mitbestimmen und mitgestalten können und nicht nur der Staatsgewalt unterworfen sein. Einbürgerung ist nicht die Endstation der Integration, sondern ein wichtiger Schritt dorthin. Die Politik hat die Aufgabe, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen erleichtert wird. Wer Integration will, muss den Erwerb der doppelten Staatsbürgerschaft fördern und nicht deren Verlust. Aus diesem Grund hat die Bürgerschaft im Januar 2011 ein GAL-Petitum als Ausschussempfehlung einstimmig beschlossen, das vor der Wahl nicht verfolgt wurde.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Auch ein SPD- Antrag!)

Sie haben den SPD-Antrag zugunsten des GALAntrags für erledigt erklärt. Wir werden auch dem Antrag zustimmen, Herr Dressel, keine Sorge.

Ich habe nur einen kleinen Klärungsbedarf, was das Petitum angeht. Aufgrund Ihrer Äußerungen gehe ich davon aus, dass Sie den Ausschussbeschluss im Ganzen annehmen und sich zusätzlich den vorhandenen Bundesratsinitiativen anschließen möchten. Ist das richtig so?

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja, das ist der Fall!)

Wenn diese Fragen mit Ja beantwortet werden, dann sind wir als GAL-Fraktion dabei. Wir werden den Antrag der CDU ablehnen, weil er in eine andere Richtung geht. Es ist nicht unser Ziel, den Menschen, die hier geboren sind und hierher gehören, das Leben zu erschweren,

(Dietrich Wersich CDU: Das will auch kei- ner!)

sondern ihren Lebensweg und Berufsweg zu erleichtern und zu fördern, damit wir endlich zu einer Gesellschaft werden und nicht heute oder morgen überlegen müssen, wo wir oder unsere Eltern künftig leben werden. Wir gehören alle hierher und wir wollen die Gesellschaft gemeinsam gestalten und dazu gehört auch, dass hier geborene Kinder gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben. – Danke

(Beifall bei der GAL, der SPD und der LIN- KEN)

Frau Kaesbach hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Hamburg ist eine Metropole, die sich unter anderem durch die Vielfalt ihrer Bürger auszeichnet. Integrationsbemühungen sind aus diesem Grund unabdingbar. Die integrationspolitische Bedeutung der doppelten Staatsangehörigkeit ist immer noch umstritten, auch wenn die einst im Zusammenhang mit dem Zuwanderungsgesetz gestellte Frage, ob die Integration am Ende oder am Anfang stehen muss, heute müßig erscheint. Wir Liberale begrüßen, wenn in Deutschland lebende Menschen mit Migrationshintergrund sich hier integrieren und schließlich auch die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollen. Schon bei der Einführung der sogenannten Optionspflicht war klar, dass es sich um einen politischen Kompromiss handelt, der die damals hitzig geführte Debatte über eine überfällige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ermöglicht hat. Die FDP hat diesen Kompromiss damals in die verfahrene Diskussion über eine Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts eingebracht. Uns war von vornherein klar, dass eine Überprüfung dieser Kompromisslösung stattfinden muss. Aus diesem Grund hat sich die schwarz-gelbe Koalition im Bund auch hierzu verpflichtet.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Und das Ergeb- nis?)

Zitat Koalitionsvertrag CDU/CSU im Bund:

"Die Erfahrungen mit diesen ersten Optionsfällen sollen auf möglichen Verbesserungsbedarf sowohl in verfahrens- als auch materiellrechtlicher Hinsicht überprüft und ggf. entsprechende Änderungsvorschläge erarbeitet werden."

Viele Beispiele von gut in Hamburg integrierten Mitbürgern mit einer doppelten Staatsbürgerschaft zeigen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft die Integration eher befördern kann. Es ist nur schwer vermittelbar, dass es EU-Bürgern möglich sein soll, zwei Staatsangehörigkeiten zu besitzen, Mitbürgern aus anderen Ländern aber nicht. Der Anteil der Einbürgerung mit fortbestehender Staatsangehörigkeit steigt seit Jahren. Die Tatsache, dass un

sere Gesellschaft diese Entwicklung ohne größere kontroverse Diskussion hinnimmt, zeigt meines Erachtens, dass sich Deutschland in den letzten zehn bis zwölf Jahren deutlich gewandelt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, aus diesem Grund muss ich jetzt doch noch ein paar kritische Worte zu Ihrem Antrag loswerden. Er kommt zur Unzeit.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Was?)

Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie vorpreschen und nicht die umfassende Evaluierung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge abwarten,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie wissen nicht, wie lange die Legislatur im Bund noch dau- ert!)

dessen Ergebnisse Anfang kommenden Jahres vorliegen werden. Ich bin davon überzeugt, dass eine Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts auf einer fundierten Datenbasis stattfinden sollte. Da die FDP-Fraktion davon ausgeht, dass das Ergebnis der wissenschaftlichen Untersuchung auf Bundesebene zumindest Änderungsbedarfe bei den bisher eher bürokratisch anmutenden Verwaltungsverfahren feststellen wird, wollen wir aber nicht auf Zeit spielen und stimmen dem Antrag der SPD-Fraktion zu.

Zum CDU-Änderungsantrag. Im Petitum des SPDAntrags wird Bezug genommen auf die Drucksache 19/8249. Wenn man sich die damals beschlossenen Maßnahmen anschaut, sind diese Maßnahmen fast identisch mit den Maßnahmen, die die CDU in ihrem Änderungsantrag vorschlägt. Vom Titel und der Begründung des CDU-Antrags wollen wir uns als FDP-Fraktion absetzen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sehr gut!)

aber die Vorschläge verstehen wir so, dass diese Maßnahmen vorläufig gelten sollen, bis eine gesetzliche Änderung zur Abschaffung der Optionspflicht eingetreten ist. Insofern stimmen wir dem CDU-Änderungsantrag zu, weil diese Maßnahmen identisch mit der Petition des SPD-Antrags sind.

Gegen Punkt 1, Fortsetzung der Einbürgerungskampagne, kann man auch nichts einwenden – also insofern Zustimmung zum SPD- und CDU-Antrag.

(Beifall bei der FDP)

Nun hat Frau Özdemir das Wort.

Frau Präsidentin, Meine Damen und Herren! Der Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht muss abgeschafft werden.

(Phyliss Demirel)

(Beifall bei der LINKEN und bei Gabi Do- busch und Dr. Andreas Dressel, beide SPD)

Die doppelte Staatsbürgerschaft schadet niemandem, viel mehr schadet es dem Zusammenleben in diesem Land, wenn junge Menschen zu Deutschen auf Widerruf erklärt werden. Es schadet diesem Land, wenn eine Ungleichbehandlung stattfindet und es schadet, wenn von einem Teil der als Deutsche geborenen jungen Menschen in Form des Optionszwangs ein Bekenntnis zum Deutschsein gefordert wird. Wie im SPD-Antrag erwähnt, ist die doppelte Staatsbürgerschaft bei Einbürgerungen ohnehin gängige Praxis. Menschen aus EU-Staaten, der Schweiz und einer Reihe weiterer Staaten müssen nicht für Deutschland optieren, und dabei entsteht kein Schaden, nicht für Deutschland, nicht für die Identität der Betroffenen und schon gar nicht für vermeintliche Integrationsprozesse.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Deutschen ist der Migrationshintergrund anzusehen, doch in der Öffentlichkeit werden wir nicht als Deutsche wahrgenommen. Gleichzeitig wird ständig begutachtet, ob unsere Integration gelungen ist. Da muss ich Frau Kaesbach fragen, was sie denn unter guter Integration versteht. Sie können mir einmal erklären, wie ich mich als in Deutschland geborene, kurdisch-stämmige junge Frau Ihrer Meinung nach integrieren sollte.

(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GAL)

Es wird unsere Partizipation gefordert und dabei geht es doch um die Frage, ob überhaupt Partizipation zugelassen wird.

(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GAL)

Hier sieht man, dass Partizipation von Migrantinnen und Migranten per Gesetz verhindert wird. Nicht einmal bei Kommunalwahlen haben wesentliche Teile der Bevölkerung ein Wahlrecht. Wir sollten die Kluft zwischen Wahlberechtigten und Bevölkerung verkleinern, doch der Optionszwang dient eher der Vergrößerung dieser Kluft. Wir können nicht einerseits Kampagnen für Einbürgerungen führen und andererseits durch den Optionszwang aus Deutschen wieder Ausländer machen. Allein der bürokratische Aufwand – Herr Simsek hat es erwähnt –, der durch den Optionszwang entsteht, signalisiert den Betroffenen: Du gehörst nicht dazu, du musst Termine machen, Anträge stellen, Geld bezahlen, du musst Schlange stehen, um so deutsch zu sein wie andere Deutsche. Durch den Optionszwang müssen die Betroffenen ihre gleichberechtigte Existenz in diesem Land, welches auch ihr Land ist, rechtfertigen. Es kann nicht sein, dass es Deutsche erster und Deutsche zweiter Klasse gibt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss De- mirel und Antje Möller, beide GAL)

Als Fraktion DIE LINKE fordern wir die ersatzlose Streichung des Optionszwangs und somit unterstützen wir auch den Antrag der SPD-Fraktion und werden ihm zustimmen. Dem CDU-Antrag werden wir nicht zustimmen, dazu hat Herr Hauflers Rede viel beigetragen. Wir unterstützen weiterhin eine vereinfachte Form der Einbürgerung, doch hierfür müssen auch der Einbürgerungstest abgeschafft und die Gebühren gesenkt werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss De- mirel und Antje Möller, beide GAL)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung. Zunächst zum CDU-Antrag aus Drucksache 20/1571.

Wer diesen annehmen möchte, bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Wer möchte sich nun dem SPD-Antrag aus Drucksache 20/1395 anschließen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist dieser Antrag mit großer Mehrheit angenommen.

Wir kommen zu Punkt 23 der Tagesordnung, Drucksache 20/1399, Antrag der SPD-Fraktion: Fortschreibung des Rahmenkonzepts Kinder- und Jugendkulturarbeit in Hamburg.

[Antrag der SPD-Fraktion: Fortschreibung des Rahmenkonzepts Kinderund Jugendkulturarbeit in Hamburg – Drs 20/1399 –]

Wird dazu das Wort gewünscht? – Frau Dr. VértesSchütter, Sie haben es.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Kinder- und Jugendkultur ist ein elementarer Bestandteil der hamburgischen Kulturlandschaft. Der Zugang zu Kunst und Kultur ist kein Luxus. Kulturelle Bildung stärkt nicht nur wichtige Schlüsselkompetenzen junger Menschen, kulturelle Bildung stiftet Sinn und Identität und ermöglicht Orientierung und Verständigung in einer Welt, die immer komplexere Herausforderungen für unsere Kinder und Jugendlichen bereithält.

(Beifall bei der SPD und bei Dietrich Wersich CDU)