Protocol of the Session on September 14, 2011

Sie passen auch nicht in das Zeitalter der Globalisierung, in dem wir jetzt leben. Hinzu kommt, dass das staatliche Verfahren in dieser Sache ein bürokratisches Monster geworden ist. Eine von zwei Staatsbürgerschaften abzulehnen beziehungsweise sich für eine zu entscheiden, ist genauso kompliziert wie das Einbürgerungsverfahren selbst, und das für junge Erwachsene, die hier geboren sind. Es kostet Geld, es kostet Zeit und es bindet Kräfte in der Verwaltung, die man sinnvoller einsetzen könnte.

(Beifall bei der SPD)

2007 akzeptierte Deutschland die Hinnahme der Mehrstaatigkeit von EU-Ausländern generell, sodass jeder EU-Bürger, der in Deutschland eingebürgert wird, zusätzlich seine alte Staatsangehörigkeit beibehalten kann. Dann gibt es noch die Fälle, in denen Kinder aus binationalen Partnerschaften hervorgehen und nach dem Abstammungsprinzip beide Staatsangehörigkeiten erhalten. Kinder zum Beispiel einer Deutschen und eines Franzosen haben zwei Staatsangehörigkeiten, unterliegen aber keinem Optionszwang. Der Optionszwang gegenüber denjenigen, deren Eltern keine EU-Bürger sind, ist nichts weiter als ein Ausdruck des Misstrauens gegenüber Menschen, die in Deutschland geboren, aufgewachsen und hier verwurzelt sind. Wir sollten uns überwinden und dieses Misstrauen aufgeben.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN und bei Antje Möller GAL)

Die Anerkennung der Mehrstaatigkeit würde außerdem versteckte Einbürgerungskreise schaffen. Niemand würde behaupten, die Gewährung der deutschen Staatsbürgerschaft mit oder ohne Beibehaltung einer anderen Staatsangehörigkeit wäre zwangsläufig zur Integration der Neubürger. Allerdings besteht Grund zu der Annahme, dass die Integration derjenigen vereinfacht und verbessert würde, die anderenfalls keinen Einbürgerungsantrag stellen würden. Und es wäre ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund, dass Deutschland ihre gemischte Identität und Kultur als Bereicherung anerkennt und würdigt.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Dazu kann ich nur sagen, dass auf Bundesebene in den 16 Jahren CDU-Regierung und -Integrationspolitik alles falsch gemacht wurde, was man falsch machen kann, aber das nur am Rande.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es hat lange gedauert und eine lang anhaltende gesellschaftliche Diskussion erfordert, bis die Mehrheit die Tatsache anerkannt hat.

(Roland Heintze CDU: Da war doch auch ei- ne Große Koalition bei! – Gegenruf von Dr. Andreas Dressel SPD: In den 16 Jahren nicht!)

Heute wissen wir, dass Deutschland schon allein aus demografischen Gründen auf Zuwanderung angewiesen ist. Wir sollten es denjenigen Menschen hierzulande nicht schwerer machen als notwendig. Bei den über 620 000 in den Jahren 2003 bis 2007 in Deutschland eingebürgerten Personen wurde in der Hälfte der Fälle die Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaft gestattet, das heißt, es gibt doppelte Staatsbürgerschaften.

Am 19. Januar 2011 erst hat es in diesem Haus nach einer langen Debatte einen fraktionsübergreifenden einstimmigen Beschluss in dieser Sache gegeben. Ich würde mich freuen, wenn wir uns weiter einig wären und diesem Antrag zustimmen würden.

(Beifall bei der SPD und bei Phyliss Demirel GAL und Cansu Özdemir DIE LINKE)

Übrigens werden wir den CDU-Zusatzantrag ablehnen, weil er in sich widersprüchlich und inakzeptabel ist. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei Cansu Özdemir [DIE LINKE) Cansu Özdemir DIE LINKE Vizepräsidentin Kersten Artus: Herr Haufler, Sie haben das Wort. Nikolaus Haufler CDU:* Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Vielleicht müssen wir uns etwas klarer werden, über welche Gruppe wir hier eigentlich sprechen, die von diesem Optionsmodell betroffen ist. (Vereinzelter Beifall bei der CDU – Präsiden- tin Carola Veit übernimmt den Vorsitz.)

Wir sprechen hier über Menschen, die im Jahr 2013 23 Jahre alt sein werden, die also seit 1990 in Deutschland leben. Zum Vergleich: Ich lebe seit 1995 in Deutschland und ich bin der Meinung, dass man in diesem Zeitraum mit sich selbst einig werden kann, wo man hingehört. Aber selbst wenn nicht, dann gibt es viele Möglichkeiten, das Für und Wider verschiedener Identitäten und Staatsangehörigkeiten zu bekommen. Vielleicht können Sie auch mit Menschen sprechen, von denen es sehr viele gibt, die die deutsche Staatsangehörigkeit mit großer Freude angenommen haben, für die das ein bewegender Moment und eine positive Erfahrung war und die festgestellt haben, welche Vorteile es hat, die deutsche Staatsangehörigkeit zu haben,

(Philipp-Sebastian Kühn SPD: Darum geht es doch gar nicht, Herr Haufler! – Barbara Duden SPD: Sie haben nicht begriffen, worum es geht!)

die festgestellt haben, dass sie um die ganze Welt reisen können und in fast allen Ländern dieser Erde ohne Visum freundlich und gerne empfangen werden, dass sie aufgenommen werden als jemand, der für ein Land steht, in dem es viele Dinge gibt, die in anderen Ländern bewundert werden, auch wenn es Dinge sind wie deutsche Autos oder deutsches Bier;

(Barbara Duden SPD: Deutsches Bier bei ei- nem so ernsten Thema, das ist unglaublich! – Christiane Schneider DIE LINKE: Das kann man auch bei doppelter Staatsangehö- rigkeit trinken!)

selbst das bekommen sie immer wieder zu hören.

(Beifall bei der CDU)

Ich ernte hier auf der linken Seite des Parlaments ein gewisses Unverständnis.

(Glocke)

Sie ernten derzeit vor allem Unruhe. Wir hören Herrn Haufler einmal zu und der Rest möge sich gerne melden, auch zu Zwischenbemerkungen.

Vor dem Hintergrund der Schwarzmalerei, die wir gerade gehört haben, was die deutsche Staatsangehörigkeit angeht, ist es einfach notwendig, darauf hinzuweisen, welche Vorteile die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Das war mir ganz wichtig.

(Beifall bei der CDU)

Sicherlich ist es ganz wichtig, über Verfahren und über die Gerechtigkeitsfrage auch in diesem Punkt nachzudenken; dem wollen wir uns auch ganz offen zeigen. Darüber hinaus hat auch die jetzt regierende Koalition auf Bundesebene genau das in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass es eben notwendig ist, dieses Verfahren zu prüfen und zu evaluieren, aber nicht hier und heute schon zu sagen, es sei auf keinen Fall tragbar und stelle alle nur vor große Probleme. Wie können Sie das sagen? Das Jahr 2013 ist meiner Kenntnis nach noch nicht jetzt und hier.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Im Übrigen erstaunt mich, ehrlich gesagt, Herr Simsek, wie vehement und mit größter Überzeugung Sie gegen dieses Gesetz antreten. Im Jahre 1999 war ich zwar erst 15 Jahre alt und habe noch nicht so viel von deutscher Politik gehört, aber eines wusste ich, dass nämlich eine rot-grüne Regierung in diesem Jahr regierte und keine CDU-Regierung, Herr Simsek.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie diese Argumente anführen, dann hätte es zur Ehrlichkeit dazugehört, dies auch zu erwähnen und nicht so zu tun, als sei diese Rechtslage auf Sie herabgefallen und Sie seien darüber nun schockiert. Stattdessen auf die berühmten 16 Jahre Helmut Kohl zurückzugreifen, war meiner Meinung nach, mit Verlaub, nicht ganz angemessen.

(Beifall bei der CDU)

In der Sache aber wollen wir ganz deutlich machen, dass die vielen jungen Leute in Hamburg, genauer gesagt sind es 12 000, die von diesem Gesetz betroffen sind, voll umfassend informiert werden über alle Auswirkungen, die sie mit ihrer Entscheidung betreffen; das ist uns ganz wichtig. Wenn wir dann feststellen, dass diese umfassende Information immer noch dazu führt, dass man nicht weiß, in welchem Land man zukünftig leben möchte, in welchem Land und in welcher Sprache man zukünftig seine Kinder aufziehen möchte, dann müssen wir auch darüber nachdenken, ob eine Ausweitung dieses Zeitraums notwendig ist; das kann man sich natürlich dann noch vorstellen. Auch dem wollen wir uns explizit nicht verschließen. Aber so wie Sie, ohne Prüfung populistisch die Abschaffung dieses Gesetzes zu fordern, das können wir nicht mitgehen.

(Andy Grote SPD: Populismus ist das nicht! – Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schneider?

Nein, weil ich jetzt zum Schluss komme.

Deshalb haben wir einen ausgewogenen, einen sachlichen und keinen zuspitzenden Vorschlag vorgelegt. Wir fordern Sie auf, diesem Vorschlag zuzustimmen. – Vielen Dank

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat nun Frau Demirel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich sage lieber nichts dazu.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

"Zu wem hältst du, wenn Deutschland gegen die Türkei spielt? Natürlich zu der Mannschaft, die den eleganteren Fußball spielt!",

antwortet Eren, ein junger Mann, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Seine Eltern stammen aus der Türkei, er hat die mittlere Reife und steht kurz davor, ein Profifußballer zu werden. Er wohnt in Winterbach und spielt für die Mann

(Nikolaus Haufler)

schaft "Young Boys Bern" Fußball. Er muss jetzt eine Staatsangehörigkeit wählen. Und eine junge Frau, die in Berlin geboren wurde sagt:

"Ich habe zwei Pässe. Niemand hat damit ein Problem. Dass Eren (…) sich entscheiden muss, finde ich unfair."

Ihre Mutter ist US-amerikanische Staatsbürgerin, kommt aber ursprünglich aus El Salvador. Sie arbeitet im Jüdischen Museum und im Jugendstrafvollzug in Berlin. Sie hat die deutsche und USamerikanische Staatsangehörigkeit.

Seit der Reform zur Staatsangehörigkeit 1999 erhalten in Deutschland geborene Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit und die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. Damit sollen sie als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufwachsen können. Die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat stimmte der Reform damals nur unter der Bedingung zu, dass sich diese Kinder bis zu ihrem 23. Geburtstag zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Das war ein großer Fehler, und die Bundesregierung ist bis heute nicht willens, diesen Fehler zu korrigieren, obwohl die Union und die FDP das Optionsmodell noch einmal überprüfen wollten. Frau Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, äußerte sich in der "Stuttgarter Zeitung" am 1. August, der Aufwand für das Optionsverfahren sei mindestens so groß wie ein vollständiges Einbürgerungsverfahren. Es geht doch auch anders.

In Deutschland leben 3 Millionen Spätaussiedler/ innen mit zwei Staatsangehörigkeiten. Über 2 Millionen Menschen aus den anderen EU-Ländern haben seit 2007 sogar einen Rechtsanspruch auf die doppelte Staatsangehörigkeit. Haben Sie je von Problemen gehört, die sich daraus ergeben? Ich nicht.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD und der LINKEN)

Es ist diskriminierend und integrationsschädlich, einbürgerungswilligen Menschen die doppelte Staatsangehörigkeit zu verweigern. Dies gilt insbesondere für junge Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind und von Geburt an Deutsche sind. Ihnen darf die Staatsangehörigkeit nicht nachträglich entzogen werden. Deutschland ist das einzige Land, das eine solche Optionspflicht hat. Optionszwang bedeutet: Ihr seid Deutsche unter Vorbehalt. Durch diesen Irrsinn werden in den nächsten Jahren einige Hunderttausend junge Menschen in die schwierige Lage gebracht, eine schwerwiegende Entscheidung treffen zu müssen. Wenn sie nicht richtig handeln, droht ihnen Zwangsausbürgerung und damit werden sie zu Ausländern oder zu Ausländern im eigenen Land gemacht. Das ist ein fatales Signal. Integration be