Protocol of the Session on August 24, 2011

Das Wort bekommt Frau Heyenn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Für DIE LINKE ist der Dreh- und Angelpunkt der Energiewende, dass die Abhängigkeit von den großen vier Energiekonzernen abgebaut wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gehört die Verfügbarkeit über die Netze. Fast auf den Tag genau vor zwei Monaten endete das Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Netze in Hamburg erfolgreich mit insgesamt 116 197 Unterschriften. Am 2. August, also sechs Wochen danach, habe ich in einer Schriftlichen Kleinen Anfrage gefragt – ich zitiere –:

"Beabsichtigt der Senat angesichts des erfolgreichen Volksbegehrens, Verhandlungen mit der Volksinitiative "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ" aufzunehmen?"

Die Antwort:

"Der Senat hat sich hiermit noch nicht befasst."

Und das geschah sechs Wochen nach einem Volksbegehren.

Im Arbeitsprogramm des Senats kann man nachlesen, dass der Senat den Erwerb einer strategischen Mehrheit von mindestens 25,1 Prozent an den Verteilnetzen für Gas, Strom und Fernwärme anstrebe, um Handlungsspielräume in der Energiepolitik zurückzugewinnen. Und am 23. März beschloss die Bürgerschaft auf Antrag der SPD-Fraktion, dass der Senat ersucht werde, ein Konzept für eine Beteiligung an den Verteilnetzen für Strom, Gas und Fernwärme zu erarbeiten.

Als ich vier Monate später nachfragte, wie der Senat angesichts des Erfolgs der Volksinitiative "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ" jeweils die Übernahme von 25,1 Prozent, das Scholz-Modell, 50,1 Prozent, das Runde-Modell, 75,1 Prozent oder 100 Prozent des Anteils an den Strom- und Gasnetzen beurteilt, da war die Antwort, dass der Senat sich grundsätzlich nicht zu den Vorbereitungen seiner Entscheidungen äußere. Das muss er aber,

(Dirk Kienscherf SPD: Nein, muss er nicht!)

vor allem dann, wenn es einen entsprechenden Bürgerschaftsbeschluss gibt, und das noch auf Antrag der SPD-Fraktion.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir machen noch mal einen Grundkurs in Verfassungs- recht!)

Das Parlament wird heute die Feststellung des Senats über das Zustandekommen des Volksbegehrens "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ" an die zuständigen Ausschüsse überweisen. Bis zum 15. Dezember dieses Jahres muss die Bürgerschaft entscheiden, wie sie sich zu diesem artikulierten Bürgerwillen nach Rekommunalisierung der Energieversorgungsnetze in der Stadt verhalten will. Wir meinen, auch der Senat muss mehr tun, als dem Parlament die Drucksache 20/1064 zur Kenntnis zu geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Arbeitsprogramm des Senats ist explizit ausgeführt, dass er zügige Verhandlungen mit Vattenfall und E.ON aufnehmen wolle. Dafür hat er bereits eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe gebildet. Das ist zu wenig und vor allen Dingen ist es zu einseitig; Herr Kerstan hat darauf hingewiesen. Die Rechte der direkten Demokratie stehen nicht nur auf dem Papier, sie müssen auch in der täglichen Politik respektiert und praktiziert werden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sagen Sie uns eine Sache, die verletzt ist!)

Mir ist bei der Rede von Frau Dr. Schaal aufgefallen, dass Sie, wenn Sie von direkter Demokratie reden, immer nur vom Volksentscheid reden. Auch das Volksbegehren ist schon ein Instrument der direkten Demokratie, und deshalb muss dringend mit der Initiative gesprochen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Gestern habe ich mich extra noch einmal vergewissert, ich habe bei der Initiative "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ" angerufen und erfahren, dass der Senat bis heute keinen Kontakt aufgenommen hat. Das halten wir für einen Skandal.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg GAL)

Ich mache dies zwar nicht häufig, aber da lobe ich mir doch die Vorgängerregierung von Schwarz-Grün, die gleich nach dem erfolgreichen Volksbegehren von "Wir wollen lernen!" Kontakte aufgenommen und versucht hat, einen Kompromiss zu finden. Davon können Sie noch lernen, liebe SPD.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Heute legt nun die SPD, die Regierungspartei, einen dreieinhalb Seiten langen Antrag mit 23 Punkten vor.

(Dirk Kienscherf SPD: Das ist ja zu viel für Sie!)

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

Ich kann lesen, Herr Kienscherf. Sie müssen ein bisschen vorsichtig sein mit Ihren Zwischenrufen.

In diesen 23 Punkten auf den dreieinhalb Seiten kommen Begriffe wie Volksbegehren, Volksinitiative "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ" und Konzessionsverträge überhaupt nicht vor und das acht Wochen nach der Bekanntgabe. Dieser Antrag ist deshalb für mich und für uns der größtmögliche Eiertanz, um eine Stellungnahme zum Volksbegehren zu vermeiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das beste Beispiel ist Punkt 19, den Herr Kerstan schon angesprochen hat. Hier geht es um die Weiterentwicklung der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze. Ich will das nicht wiederholen, Sie haben es schon zitiert. Ich beurteile das aber anders als Sie, denn wenn man sich den Punkt 19 ansieht, dann stellt man auch fest, dass die Sozialdemokraten sich um eine Frage herumdrücken, nämlich wer denn die Energienetze ausbauen soll. Und darum geht es uns.

(Andy Grote SPD: Hat DIE LINKE auch noch eine Meinung jenseits des Volksbegeh- rens?)

Der Antrag der SPD-Fraktion ist für uns ein einziges Ablenkungsmanöver von der Frage, wie man es mit den Netzen hält und der Initiative. Deshalb werden wir uns bei all Ihren Punkten enthalten.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist ja eine wegweisende Entscheidung!)

Wenn Sie es ernst meinten mit Ihrem Antrag, dann würden Sie die Angelegenheit, was GAL, FDP und auch wir befürworten würden, an den Umweltausschuss überweisen. Dann kann man über die einzelnen Punkte diskutieren. Aber 23 Punkte vorzulegen und zu sagen, dass man abstimmen solle oder es lassen soll, zeigt ganz deutlich, dass es nichts anderes als ein Placebo für die Stadt ist, dass die SPD sich um die Energie kümmere.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg GAL)

Wir beantragen, dass so schnell wie möglich, spätestens bis zum 31. Dezember 2011, vom Senat bekannt gegeben wird, dass die Konzessionsverträge für das Gas- und Stromversorgungsnetz beendet werden. Und wir wollen, dass das Thema Rekommunalisierung der Energienetze vorangebracht wird. Erst nach Bekanntgabe müssen Vattenfall und E.ON Umfang und Zustand der Netze offen legen. Wenn Ihnen drei Jahre vor Ablauf zu früh sind, Frau Dr. Schaal, dann können Sie doch einen Zusatzantrag auf zwei Jahre vor Antragsablauf stellen. Aber in der Stadt ist natürlich das Gefühl und das Misstrauen gegenüber den Sozialdemokraten, dass das gar nicht gewollt wird. Wir gehen davon aus, dass die Bekanntgabe in den dafür vorgesehenen Medien so formuliert wird, dass sie

für alle infrage kommenden Interessenten offen ist, und das ist leider nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Zum Beispiel bei der öffentlichen Ausschreibung zur Stromversorgung der städtischen Abnahmestellen wurde von der BSU als Ausschlusskriterium angegeben, dass die Vorlage von drei abgeschlossenen Geschäftsjahren gefordert werde, und das wohlwissend, dass HAMBURG ENERGIE erst zwei Jahre besteht. Trotzdem haben Sie HAMBURG ENERGIE ins Rennen geschickt und selbstverständlich hat Vattenfall den Zuschlag bekommen – welch ein Wunder. Dann ist es immer nur noch eine Pro-forma-Ausschreibung und das sieht auch die SPD in Eimsbüttel. Sie haben in einem Antrag, der auf dem Landesparteitag verhandelt werden soll, gesagt, soweit es zu einer Auswahlentscheidung unter mehreren Bewerbern komme, hätte die dafür zuständige Behörde Kriterien vorzulegen und ein Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot zu machen. Und wir glauben, dass dies nicht gewährleistet ist.

In einer Schriftlichen Kleinen Anfrage acht Wochen nach dem erfolgreichen Volksbegehren habe ich gefragt, inwieweit es denn gewährleistet sei, dass der Senat vor Durchführung eines Volksentscheids keine Fakten schaffe, die dem Ziel der Volksinitiative, nämlich die vollständige Rücknahme der Energienetze in die öffentliche Hand, zuwiderlaufen. In der Antwort stand, man solle sich die Antwort auf die Punkte 3 bis 4d ansehen. Und dort steht, dass der Senat sich grundsätzlich nicht zu den Vorbereitungen seiner Entscheidungen äußere; das kennen wir schon.

Wir lesen zwischen den Zeilen, dass es keineswegs gewährleistet ist, dass der Senat nicht vorher Fakten schafft. Es ist schon mehrfach betont worden, dass die Gespräche mit Vattenfall und E.ON laufen und nicht mit der Volksinitiative. Das sieht auch die SPD in Eimsbüttel-Nord so. Sie hat nämlich für den Landesparteitag beantragt, dass in den zurzeit laufenden Vorgesprächen zwischen Senat und Altversorgern keine verbindlichen Vereinbarungen getroffen werden dürften, die einen dem Volksbegehren eventuell nachfolgenden Volksentscheid ins Leere laufen ließen, und dass die Verträge nicht vorzeitig verlängert werden dürften. Deshalb bitten wir die Bürgerschaft zu beschließen, den Senat aufzufordern, dafür Sorge zu tragen, dass keine vorzeitige Verlängerung der Konzessionsverträge für das Gas- und Stromversorgungsnetz sowie das Fernwärmenetz erfolgt.

Nun legt die Handelskammer pünktlich zur heutigen Debatte ein Papier vor. Es handelt sich dabei keineswegs um eine Analyse, wie es auf dem Deckblatt steht. Aus meiner Sicht ist es ein Pamphlet aus einer Mischung von Daten, Vermutungen, falschen Behauptungen und Meinungsmache, die mit der Angst der Menschen spielt. Es handelt sich – das hat die FDP noch einmal bestätigt – um

einen konzertierten, neoliberalen Angriff auf den Gestaltungsspielraum der Politik.

(Beifall bei Jens Kerstan GAL)

Die Handelskammer Hamburg nimmt für sich in Anspruch, die Interessen der Hamburger Unternehmen zu vertreten. Das tut die Handelskammer Hamburg aber nur sehr bedingt. Es gibt nämlich nicht in allen Fällen ein Gesamtinteresse von Vattenfall und Kioskbesitzern, die alle in der Handelskammer Zwangsmitglieder sind. Was dem einen hilft, schadet dem anderen. Ein Verbleib der Energienetze in privater Hand oder ein Kohlekraftwerk mögen nützlich sein für Unternehmen wie Vattenfall, RWE oder E.ON, aber nicht unbedingt für alle Mitglieder der Handelskammer.

In seiner Bewertung – damit komme ich zum Schluss – vermischt Herr Schmidt-Trenz ständig Energieversorgung und die Nutzungsrechte für Netze. Problematisch wird es, wenn er ständig von Wettbewerb redet – was Sie von der FDP auch so gern machen –, denn eine Konzession bedeutet gerade den Ausschluss von Wettbewerb und die Erteilung eines Netzmonopols und das für 20 Jahre; das ist kein Wettbewerb.

Helmut Schmidt schrieb in einer Kolumne in der "Zeit" mit dem Titel "Schluss mit dem Schwachsinn": Nehmen wir alle diese Zwangsmitgliedschaften in Industrie- und Handelskammern. Obendrüber thront der Deutsche Industrie- und Handelstag und macht große Wirtschaftspolitik und große Steuerpolitik und das alles im Namen derjenigen, die Zwangsmitglieder seiner Kammern sind. Und er sagt zum Schluss: Das ist die Fortsetzung des Mittelalters.

Das werden sich die Mitglieder der Handelskammer Hamburg auch nicht gefallen lassen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Die rote Karte! – Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Im Bereich von 160 000!)

Ich hatte heute bereits drei Anrufe von Zwangsmitgliedern der Handelskammer Hamburg, die mir mitteilen wollten – sie kommen nicht aus der Volksinitiative, es sind Zwangs-Mitglieder der Handelskammer –, dass Herr Schmidt-Trenz, der Hauptgeschäftsführer, und die Handelskammer in Sachen Rekommunalisierung nicht in ihrem Namen sprechen. Ich vermute, dass es in den nächsten Tagen noch viel mehr werden.

Bis zum Volksentscheid hat der Senat die Gestaltung darüber noch in der Hand, wie er mit der Initiative und dem Volksbegehren umgeht. Wir können nur sagen: Nutzen Sie die Zeit, Herr Bürgermeister, und fangen Sie endlich Gespräche an.

(Beifall bei der LINKEN)