Protocol of the Session on August 24, 2011

(Beifall bei der SPD)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/1051 an den Ausschuss für Wirtschaft, Innovation und Medien zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig so überwiesen.

Wir kommen zum Punkt 87 der Tagesordnung, Drucksache 20/1224, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Grundrecht auf Bekenntnisfreiheit verwirklichen, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegentreten!

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Grundrecht auf Bekenntnisfreiheit verwirklichen, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegentreten! – Drs 20/1224 –]

Diesen Antrag möchte die GAL-Fraktion an den Verfassungs- und Bezirksausschuss überweisen. Frau Schneider, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Das furchtbare Massaker von Oslo und Utøya hat die Welt erschüttert. Ich spreche sicher für alle Mitglieder der Bürgerschaft, wenn ich sage, den Opfern, den Toten, Verletzten, Traumatisierten und auch den Angehörigen der sozialdemokratischen Partei, deren

Nachwuchs in so furchtbarer Zahl hingemordet wurde, und der norwegischen Gesellschaft, deren Fundamente durch das Verbrechen angegriffen wurden, gehören unser Mitgefühl und unsere Solidarität.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das Verbrechen ist kein fernes Ereignis in einem fernen Land, das wir erschrocken zur Kenntnis nehmen, um es dann in der Flut neuer Nachrichten wieder zu vergessen.

(Dirk Kienscherf SPD: Das wird für politische Zwecke missbraucht!)

Der Täter mag ein Einzeltäter sein, ein einzelner, isolierter Täter ist er nicht. Er war eingebunden in ein europaweites Netzwerk von Islamfeindschaft und Islamisierungsfurcht, das die Wahnvorstellungen des Täters, der sich als christlich-abendländischer Kreuzritter sah, bestätigte und nährte.

Haben Sie je einen Blick auf die Seiten von "Politically Incorrect" geworfen, dem wichtigsten Forum der Gesinnungsgenossen Breiviks in Deutschland? Welch ein Hass wird dort verbreitet, welche Niedertracht, welche Diffamierung und Verächtlichmachung von Muslimen, von Migrantinnen und Migranten und insgesamt von Andersdenkenden, über deren "Gutmenschentum" hergezogen wird. Hier wird der Islam, hier werden Muslime und Migrantinnen und Migranten als Feinde herauspräpariert, ganz nach dem Motto: wir oder sie. Hier wird das soziale Band zerstört, das die Mitglieder derselben säkularen Gesellschaft verbindet, Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen und kultureller Prägung, Nichtgläubige mit Gläubigen, Gläubige mit Andersgläubigen.

Hier wird die Achtung vor dem Mitmenschen systematisch zerstört, nicht von irgendwelchen Neonazis, sondern mitten aus der Gesellschaft heraus, von biederen Bürgern, die zu Brandstiftern werden. Die Untat von Norwegen hat den Sumpf von Islamhass und Islamfeindschaft ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Jetzt sind wir unausweichlich damit konfrontiert. Und es ist uns nicht gestattet, zur Tagesordnung überzugehen in der Hoffnung, dass er von selbst austrocknet. Die Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lehrt uns, dass sich Ressentiments und Feindbilder, die tief in der Mitte der Gesellschaft ankern, nicht von selbst erledigen.

Unser Antrag hat zwei Zielrichtungen: Erstens geht es um die Stärkung des demokratischen Verfassungsstaates als Garanten der Grund- und Menschenrechte. Die Bekenntnisfreiheit ist ein Grundund Menschenrecht, das durch Artikel 4 des Grundgesetzes geschützt ist. Es ist Aufgabe des demokratischen Verfassungsstaates, den rechtsstaatlichen Rahmen zu schaffen, in dem dieses Grundrecht in vollem Umfang verwirklicht werden

(Senator Frank Horch)

kann. Es umfasst nicht nur die individuelle Bekenntnisfreiheit, sondern gebietet ebenso die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, soweit sie im Hinblick auf ihre Größe, öffentliche Wirksamkeit und soziale Bedeutung vergleichbar sind. Um es deutlich zu sagen: Wir brauchen jetzt ein sichtbares Zeichen, mit dem wir uns zum Recht der islamischen Religionsgemeinschaft auf Gleichberechtigung und Gleichbehandlung mit der christlichen und der jüdischen Religionsgemeinschaft bekennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hamburg hat in der Vergangenheit manch guten Schritt in Richtung Anerkennung der religiösen und kulturellen Vielfalt getan, zuletzt mit der Gründung der Akademie der Weltreligionen an der Universität Hamburg im Jahr 2010. Jetzt aber muss der seit über vier Jahren verhandelte Staatsvertrag mit den islamischen Gemeinschaften unverzüglich abgeschlossen werden, und zwar als Staatsvertrag und nicht als Vereinbarung, die unterhalb des Staatsvertrags liegt und nicht zu Gleichberechtigung führt, sondern zu einer Religionsgemeinschaft zweiter Klasse. Es gibt nach unserer Kenntnis keine Fragen mehr, die nicht bei gutem Willen relativ schnell gelöst werden könnten. Jedes weitere Verzögern ist ein unheilvolles Signal. Umgekehrt setzt der Abschluss des Staatsvertrags mit den muslimischen Gemeinschaften ein Zeichen gegen Diskriminierung und Feindschaft. Er ist die richtige Antwort auf die grassierende aggressive Islamophobie, die wir jetzt geben müssen.

Der zweite notwendige Schritt in diese Richtung ist die Überprüfung der vielfältigen Privilegien insbesondere der christlichen Religionsgemeinschaften. Wir reden hier nicht davon – Sie wissen, wir sind eher für die strikte Trennung von Staat und Kirche –, dass dies und jenes Privileg abgeschafft werden sollte, sondern wir fordern die Gleichstellung der islamischen Religionsgemeinschaft ein, soweit es auf Landesebene geschehen kann. Wir rufen übrigens ausdrücklich nicht nach Ausweitung geheimdienstlicher Überwachung.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber es ist mehr als problematisch, wenn im Kriterienraster des Verfassungsschutzes islamophobe Hetze nur im Zusammenhang mit der NPD eine Rolle spielt und die Augen vor der gefährlichen Entwicklung in der Mitte der Gesellschaft verschlossen werden und wenn der Begriff des Islamismus so weit gefasst wird, dass er schon einem Generalverdacht gegen den Islam gleichkommt, aber der christliche Fundamentalismus nicht einmal in Betracht gezogen wird, obwohl doch die Rolle bekannt ist, die er in der Antiislamszene spielt.

Für äußerst problematisch halten wir auch, dass der neue Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz, kaum im Amt, der "JUNGEN FREIHEIT" ein Interview gegeben hat, einer Zeitung, die eine Scharnierfunktion zwischen rechtskonservativen und extrem rechten Milieus wahrnimmt und die auch auf den trüben Gewässern antiislamischer Hetze ganz vorne segelt. Das lässt uns befürchten, dass die Gefahren, die mit den islamfeindlichen Strömungen herangewachsen sind, durch die Politik und die Behörden nicht ernst genug genommen werden. Deshalb ist die zweite Zielsetzung unseres Antrags auch die Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements für die offene Gesellschaft und damit gegen jede Art gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, um einmal einen Begriff des Sozialforschers Heitmeyer aufzugreifen. Der wichtigste Ort dafür sind die Schulen, denn hier werden die Grundlagen für das Zusammenleben in der Gesellschaft von morgen gelegt. Hier, wo in den ersten Klassen an die 50 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben, ist der Ort, gegenseitige Anerkennung zu erlernen und sich eine Haltung kritischer Aufgeschlossenheit gegenüber dem anderen zu erarbeiten.

Es gibt nach unserem Eindruck gute Initiativen an den Schulen, zum Beispiel in Zusammenhang mit dem Projekt "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage". Aber diese Initiativen hängen allzu oft vom außerordentlichen Engagement einzelner Lehrer oder Sozialpädagoginnen oder von Klassen und Schülergruppen ab. Fehlt dieses besondere Engagement, bleiben Initiativen nach unserer Erfahrung in der Regel aus. Deshalb wollen wir, dass die Bedingungen für solche Initiativen an den Schulen deutlich verbessert werden, und fordern einen Bericht und ein Landesprogramm.

Das alles ist, zugegeben, noch nicht besonders viel. Aber wir können heute deutlich machen, und ich hoffe, das geschieht in der Debatte, dass die Politik in dieser Stadt gewillt ist, der Intoleranz, dem Ressentiment und dem Hass entgegenzutreten.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Wysocki hat nun das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Schneider, zunächst möchte ich Ihnen auch im Namen der sozialdemokratischen Fraktion dafür danken, dass Sie so mitfühlende Worte für die Opfer gefunden haben, vielen Dank dafür. Aber mich überfällt beim Lesen Ihres Antrags und auch bei Ihrer Begründung zum Antrag ein tiefes Unbehagen, weil ich erstens nicht sehe, dass Sie in diesem Antrag etwas grundsätzlich Neues fordern, und zweitens, weil ich eher das Gefühl habe, dass wir hier eine Zusammenstellung

(Christiane Schneider)

aller möglichen Themen im Zusammenhang mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Integration haben, die alle in dieser Stadt schon irgendwie bearbeitet sind und an deren Bearbeitung sich alle Fraktionen in diesem Hause schon beteiligt haben. Die werden hier noch einmal zusammengefasst und der Antrag endet damit, dass diese Zusammenfassung dann schon ein Nachweis für weitere Aktivitäten ist, was ich für ein fatales Signal halte.

Nun zu den einzelnen Punkten, zunächst zum Staatsvertrag: Der Senat hat sich zur Fortsetzung der Verhandlungen bekannt, es wird mit SCHURA, DITIB und anderen Organisationen gesprochen. Diese Gespräche erweisen sich zugegebenermaßen, da haben Sie recht, als sehr langwierig. Ob am Ende ein Staatsvertrag abgeschlossen wird oder irgendeine andere Art von Vereinbarung, wird man sehen. Aber hier ist nicht das Ziel, unverzüglich einen Staatsvertrag abzuschließen, sondern hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Unverzüglich hieße, alles das, was an Schwierigkeiten während dieses Verhandlungsprozesses aufgetaucht ist, einfach zu ignorieren. Deswegen ist das Wort unverzüglich in diesem Antrag völlig falsch.

(Beifall bei der SPD)

Eine Vorlage des aktuellen Verhandlungsstandes ist allein schon aus verhandlungstaktischen Gründen nicht angesagt. Was soll es bringen, wenn man sich zum aktuellen Verhandlungsstand mit den islamischen Gemeinschaften hier noch einmal äußert? Das würde die Schwierigkeiten in den Verhandlungen nicht beseitigen und wir sind darauf angewiesen, in den Verhandlungen zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Deswegen ist die Vorlage eines aktuellen Verhandlungsstandes bis zum 31. Oktober aus meiner Sicht keine Lösung.

Zum NDR-Staatsvertrag: Sie wissen genau wie wir, dass sich hier vier Länder einigen müssen und dass die letzten Äußerungen im Zusammenhang mit der Reform des Rundfunkstaatsvertrags dahin gingen, dieses Gremium von zurzeit 58 Mitgliedern deutlich zu verkleinern. Die SPD-Fraktion wird aber natürlich darauf achten, dass in den Gesprächen, die zum Rundfunkstaatsvertrag stattfinden müssen, die Fragen nach Sendezeiten, Achtung der religiösen Überzeugungen und Vertretung in Aufsichtsgremien nach wie vor natürlich eine Rolle spielen, unabhängig davon, ob das in einem Staatsvertrag jetzt schon festgelegt werden kann.

Zur nächsten Forderung, der Senat möge einen Bericht vorlegen, der auflistet, in welchem Maße die Religionsgemeinschaften in etlichen Gremien, unter anderem Rundfunkstaatsvertrag, verzeichnet sind: Da müssten Sie mir vielleicht noch einmal erklären, worin der Sinn besteht, dieses nachzufordern, denn jeder in diesem Hause hat einen Kenntnisstand darüber, wie die Verankerung von Kirchen

und Religionsgemeinschaften in den Gremien ist und was es dort auch nachzuholen gilt.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Wenn Sie überweisen, erkläre ich Ihnen das!)

Zweitens fordern Sie einen weiteren Bericht des Senats – und das wundert mich nun wirklich, Frau Schneider ist darauf eben eingegangen – über alles das, was im Moment an den Schulen läuft. Es ist sicherlich gar keine Schwierigkeit, in den entsprechenden Ausschüssen vom Senat die Informationen zu diesen einzelnen Programmen abzufordern, zumal Sie sie auch alle benannt haben. Es läuft eine ganze Menge in dieser Stadt, aber es erschließt sich mir nicht, warum man dazu einen weiteren Bericht machen sollte.

Es freut uns natürlich als SPD-Fraktion, wenn Sie aus unserem Arbeitsprogramm zitieren, und zwar beziehe ich mich auf Ihren Punkt 4, ein Landesprogramm gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Sie wissen, dass in unserem Arbeitsprogramm auf Seite 31 steht, dass es ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus geben soll, das die unterschiedlichen Aktivitäten auf sehr vielen Gebieten und auch die gesellschaftliche Debatte über Rechtsextremismus, Vorurteile und über die Problematik mit islamischen Gemeinden zusammenfassen soll. Das ist im Moment in der Planungsphase; die dann zuständige Behörde wird einen entsprechenden Bericht vorlegen. Deswegen wäre ein weiteres Programm, zumal Sie nicht genau sagen, womit sich dieses Programm beschäftigen sollte, eigentlich kontraproduktiv.

Frau Schneider, das Thema Integration ist kein Gebot der Stunde, wie Sie in Ihrem Antrag ausgeführt haben. Es ist ständige Aufgabe jeder politischen Debatte jedes Bundeslandes, jeder Debatte auch in diesem Hause. Deswegen ist es grundfalsch, jetzt Aktionismus an den Tag zu legen und viele Punkte zusammenzufassen, aus meinem Verständnis auch Dinge, die so nicht zusammengehören. Für mich ist es eine langfristige Aufgabe, die in diesem Hause von allen Fraktionen auch wahrgenommen wird, und damit erklärt sich auch mein zweites Unbehagen. Sie unterstellen mit diesem Antrag, dass die bisherigen Aktivitäten nicht ausreichend gewesen sind, und beziehen dann den Vorfall in Norwegen als Begründung mit ein. Das finde ich schlichtweg nicht statthaft.

(Beifall bei der SPD und bei Nikolaus Hauf- ler CDU)

Ich glaube, dass sich keine Fraktion in diesem Hause den impliziten Vorwurf in diesem Antrag gefallen lassen muss, dass in den bisherigen Regierungen – und das bezieht die Vorgängerregierung ausdrücklich mit ein – zu wenig gemacht worden ist, um diesem Thema gerecht zu werden und ein anderes Klima in dieser Stadt zu schaffen. Man braucht dafür nicht einen zusammengeschusterten

Antrag, der dem Ernst der Lage nicht gerecht wird. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herr Vahldieck, Sie haben das Wort.

Frau Schneider, wenn man Ihrem Redebeitrag gefolgt ist, dann konnte man den Eindruck gewinnen, bei den Morden von Norwegen habe es sich um einen Anschlag aus der Mitte der Gesellschaft gehandelt. Nein, das ist falsch. Es war ein Anschlag auf die Mitte der Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU und der SPD und bei Antje Möller GAL)

Die Verbrechen von Anders Breivik haben zu Recht in der ganzen Welt Ablehnung und Abscheu hervorgerufen. Anders als Sie es dargestellt haben, Frau Schneider, gibt es keine einzige ernstzunehmende politische Stimme, die auch nur die Spur eines Schattens von Verständnis für diese Taten aufbringt. Und das ist wichtig.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ganz im Gegenteil, die ganze Welt sieht voller Respekt und Hochachtung auf das norwegische Volk. Beginnend mit dem König, über den Ministerpräsidenten bis zu jedem einzelnen Bürger wurde in einer Weise reagiert, die von Würde und Größe geprägt war. Ich finde, das war beispielhaft, und ich habe mir natürlich auch Gedanken gemacht, was passiert wäre, wenn das bei uns geschehen wäre. Da mag sich jeder so seine Gedanken machen, ich fürchte, so ein gutes Bild hätten wir wohl nicht abgegeben.

Alle sind sich einig, dass dieses Verbrechen in seiner Brutalität, in seiner Bestialität und Monstrosität singulär ist, allenfalls vielleicht noch vergleichbar mit den Anschlägen von Madrid und London aus den Zweitausenderjahren. Es ist aber die Tat eines Einzeltäters und ich weigere mich, dessen wirres Geschreibsel auf 1500 Seiten im Internet in irgendeiner Weise ernst zu nehmen. Seine Motive sind für mich gänzlich ohne Belang. Der Verbrecher will doch nur, dass wir uns mit dem Zeug auseinandersetzen, und wir sollten ihm diesen Gefallen nicht tun und uns nicht von so einem Mann instrumentalisieren lassen.