Protocol of the Session on January 22, 2015

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Wir kommen zu den Debatten.

Ich rufe Punkt 90 unserer Tagesordnung auf, Drucksache 20/14184, Antrag der FDP-Fraktion: Eigentum sichern, Enteignung durch Überschwemmungsgebiete stoppen.

[Antrag der FDP-Fraktion: Eigentum sichern, Enteignung durch Überschwemmungsgebiete stoppen – Drs 20/14184 –]

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren! – Abweichende Regelungen für HQ100-Überschwemmungsgebiete an oberirdischen Gewässern in Hamburg – Drs 20/14369 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 20/14369 ein Antrag der Fraktion DIE LINKE vor.

Die SPD-Fraktion möchte beide Drucksachen gern an den Umweltausschuss überweisen.

Herr Dr. Duwe von der FDP-Fraktion bekommt das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dasselbe Thema, derselbe Redner, dieselbe Verunsicherung der Bewohnerinnen und Bewohner in den Überschwemmungsgebieten und fast dieselbe Lage in der BSU. Ich sage fast, denn wir haben erfahren, dass die BSU sich ein klein wenig bewegt hat. Sie ist bereit, weitere Berechnungen vorzunehmen, wie die Überschwemmungsgebiete in Hamburg vielleicht doch etwas anders gestaltet werden können.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Das ist natürlich nur ein kleiner Schritt. Ich schlage vor, dass die BSU, wenn sie schon so viel Geld in die Hand nimmt, sich auch gleich überlegt, was sie an Informationen aus den Modellrechnungen ziehen kann, um einzuschätzen, ob die Klagewelle, die sie wahrscheinlich erreichen wird, erfolgreich

(Dr. Eva Gümbel)

sein wird oder nicht. Sie wird in diesen Verfahren auf jeden Fall nachweisen müssen, dass das, was sie verbieten oder einschränken will, alternativlos ist und dass ihre Maßnahmen verhältnismäßig sind. Sie wird auch darlegen müssen, wer eigentlich die Verursacher der Überschwemmungen sind, die in den vergangenen 20, 30 Jahren vermehrt aufgetreten sind beziehungsweise angeblich in 100 Jahren auftreten werden. Das kann man mit solchen Modellen sehr schön tun. Dabei wird sie sehen, dass in den Einzugsgebieten kleinerer Gewässer wie der Berner Au oder der Kollau andere Verhältnisse bestehen als in den großen Einzugsgebieten von Donau, Elbe oder Rhein. Das aber ist im jetzigen Gesetz, dem Wasserhaushaltsgesetz, nur unzureichend berücksichtigt worden. Deshalb müssen wir in Hamburg mit einem Gesetz leben, das gar nicht auf die Verhältnisse in diesem Stadtstaat eingeht.

(Beifall bei der FDP)

Zum Verursacherprinzip. Es ist relativ einfach, die ganzen Neubaugebiete in den Einzugsgebieten herauszunehmen und zu berechnen, was passieren würde, wenn die Versiegelungen der letzten Jahrzehnte nicht stattgefunden hätten. Sie werden feststellen, dass die Überschwemmungsgebiete, die jetzt festgelegt werden sollen, sehr stark zusammenschmelzen werden. Dann stellt sich natürlich die Frage, ob man gerade den Menschen, die in diesen Gebieten wohnen, die gesamten Lasten auferlegen will für etwas, das die Gesellschaft insgesamt durch ihre Siedlungspolitik verursacht hat.

Des Weiteren muss man natürlich schauen, ob es alternativlos ist, was da gemacht wird, oder ob es Alternativen gibt, die die Überschwemmungen, zumindest zu einem gewissen Teil, vermeiden. Man könnte zum Beispiel die Regenrückhaltebecken wieder einmal auskoffern, sprich das, was sich dort in Jahrzehnten angesammelt hat, endlich wieder ausheben. Das kostet Geld. Leider hat dieser Senat Budgetkürzungen gerade im Bereich des Wasserhaushalts vorgenommen. Es ist also nicht so, dass dies eine Priorität dieses Senats war.

(Beifall bei der FDP)

Zur Verhältnismäßigkeit. Wenn Sie den Grundstücksbesitzern quasi verbieten wollen, etwas auf ihrem Grundstück zu verändern, zum Beispiel ihr Haus um 50 Prozent zu vergrößern, dann könnte man in dem Modell doch einfach einmal alle bestehenden Gebäude um 50 Prozent vergrößern und schauen, wie das Überschwemmungsgebiet dann aussehen würde, welche Auswirkungen das auf die Umgebung hätte und welche Schäden in anderen Gebieten auftreten würden. Dann würden Sie sehen, dass Sie Eigentum in Millionenhöhe vernichten, um alle 100 Jahre einmal die Grundstücke im Umkreis von 500 Metern nicht vielleicht 5 Zentimeter unter Wasser zu setzen. Es stellt sich hier natürlich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit

und ob nicht andere Mittel angewandt werden können, die weniger tief in Eigentum eingreifen.

(Beifall bei der FDP)

In der Argumentation wird auch gern auf die europäischen Vorgaben Bezug genommen. Wir kennen die deutschen Gesetzgeber, die übernehmen europäische Richtlinien nicht 1:1, sondern möglichst 5:1, weil man gern auf der sicheren Seite sein will. Wenn man sich dann anschaut, dass in anderen Mitgliedsländern der EU nicht nur die Praxis eine andere ist, sondern auch die Gesetze anders geschrieben werden, und dass selbst in anderen Bundesländern wie etwa in Bayern das Ausführungsgesetz anders aussieht und der Ermessensspielraum der lokalen Behörden viel größer ist, dann müssen wir dringend etwas an der Gesetzesgrundlage verändern, um den Menschen zu helfen, die in diesen Gebieten wohnen, und ihnen nur die Lasten auferlegen, die wirklich notwendig sind. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Frau Dr. Schaal von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Um es gleich klarzustellen: Wir werden die Anträge zum Thema Überschwemmungsgebiete an den Umweltausschuss überweisen. Wir haben in dieser Legislaturperiode keine Sitzung des Umweltausschusses mehr,

(Finn-Ole Ritter FDP: Deswegen kann man es ja überweisen!)

aber die Diskussion wird auch nach der Wahl nicht vom Tisch sein. Die FDP fordert in ihrem Antrag, mit einer Bundesratsinitiative dafür zu sorgen, dass der Ermessensspielraum der Länder bei der Ausweisung von Überschwemmungsgebieten vergrößert wird. Ehe wir aber das Ermessen mithilfe des Bundesrats zu vergrößern suchen, müssen wir doch erst einmal erfahren, welche Ermessensspielräume es gibt und wie die Behörde sie ausschöpfen will. Alles andere hieße, das Pferd vom Schwanze her aufzuzäumen.

Der Gesetzgeber hat ein Ermessen vorgesehen. Nach Paragraf 78 Absatz 3 Wasserhaushaltsgesetz kann in den festgesetzten Überschwemmungsgebieten die Errichtung und Erweiterung einer baulichen Anlage unter bestimmten Bedingungen genehmigt werden. Bedingungen sind – ich verkürze das einmal –, dass die Hochwasserrückhaltung nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird und der verlorene Rückhalteraum zeitgleich ausgeglichen werden kann, und dass Wasserstand und Abfluss des Wassers sich nicht nachteilig verändern. Kurz: Der Hochwasserschutz darf nicht beeinträchtigt werden. Ermessen kann nur das Ergebnis einer Einzelfallprüfung sein. Für uns steht

(Dr. Kurt Duwe)

fest, dass wir die rechtlichen Spielräume, die sich dabei ergeben, auch ausschöpfen werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Vom grundsätzlichen Ziel des vorbeugenden Hochwasserschutzes werden wir aus gutem Grund nicht abweichen, und das wird auch kein anderes Bundesland tun. Darum wird die Ausschöpfung des Ermessens auf keinen Fall dazu führen, dass die BSU die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten aufgibt. Damit würde der Sinn des Gesetzes unterlaufen werden. Das ist nicht beabsichtigt und auch nicht zulässig. Es geht bei der Ausweisung schließlich um Vorsorge und Schutz vor Hochwasserschäden. Extremniederschläge nehmen zu, das wissen wir alle, und mit ihnen wächst die Gefahr von Überschwemmungen in Siedlungsgebieten an Binnengewässern wie zum Beispiel der Berner Au, der Kollau oder auch weiterer Gewässer in dieser Stadt.

Die vorläufige Festsetzung von Überschwemmungsgebieten hat in der Tat bei den Betroffenen Sorge ausgelöst. Wir nehmen diese Sorgen ernst und haben deshalb darauf hingewirkt, dass zunächst einmal die Frist für die Stellungnahmen bis Ende Oktober des vorigen Jahres verlängert wurde und der Dialog zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Verwaltung intensiv weitergeführt werden konnte.

(Beifall bei der SPD)

Inzwischen liegen der BSU nahezu 400 Stellungnahmen vor, die nun abgearbeitet werden. Alle Absender bekommen detailliert Antwort; es wird nichts vom Tisch gewischt, wie immer behauptet wurde.

(Birgit Stöver CDU: Das ist doch normal, dass das beantwortet wird!)

Ganz im Gegenteil: Durch das Engagement vor Ort und auch durch unsere Initiative wurde einiges in Bewegung gesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Aus der BSU ist zu hören, dass alle Überschwemmungsgebiete neu berechnet werden. Diese Berechnungen sollen, vereinfacht gesagt, nicht mehr nur vom stationären Bild der Überflutung ausgehen, sondern zusätzlich den zeitlichen Verlauf der Ausbreitung und des Abflusses des Wassers im Gelände berücksichtigen. Daraus können sich noch Veränderungen bei der Gebietsausweisung ergeben. Darüber werden die Betroffenen dann natürlich ausreichend informiert. Als Pilotgewässer wird zunächst das Gebiet an der Lottbek neu berechnet, danach die Gebiete Berner Au und Kollau. Es folgen alle weiteren Gebiete, erst im Geestbereich, dann im Marschgebiet. Die Berechnungen für die Lottbek können bereits im April zum Abschluss kommen, für alle anderen Gebiete aller

dings erst gegen Ende des Jahres. Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

(Beifall bei der SPD)

Wer in der Neuberechnung eine bloße Hinhaltetaktik vermutet, liegt ebenso falsch wie diejenigen, die die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten als Enteignung bezeichnen. 2004 hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass eine Festsetzung von Überschwemmungsgebieten keine Enteignung ist. Wer trotzdem von Enteignung spricht, hilft den Eigentümern nicht. Nachweisbar tritt keine pauschale Wertminderung ein, wenn ein Gebiet als Überschwemmungsgebiet festgestellt wird.

(Finn-Ole Ritter FDP: Nein, natürlich nicht! Woher wissen Sie das denn?)

Banken und Versicherungen kennen die Rechtsprechung, und wenn nicht, kann man sie auf das Urteil hinweisen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Stöver von der CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Dr. Schaal, ich habe eine deutlich andere Wahrnehmung Ihrer bürgerfreundlichen Politik. Es ist nicht bürgerfreundlich, wenn man erst in einer Pressekonferenz elf Überschwemmungsgebiete festlegt, also Fakten schafft, bevor der Senat nach einer Flut von Protesten einknickt und jetzt, Mitte Januar, sagt, die Überschwemmungsgebiete würden neu vermessen und ausgewiesen. Das ist nicht bürgerfreundlich. Das ist ein Skandal.

(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Das Vorgehen des Senats war offensichtlich ohne Sinn und Verstand, denn die tieferliegenden Ausdehnungsflächen für Wasser werden jetzt mit dem neuen 2D-Berechnungsmodell erneut vermessen. Das ist alles schön und gut.

Frau Dr. Schaal, Sie haben gesagt, das käme keiner Enteignung gleich. In Überschwemmungsgebieten gilt baurechtlich, dass man keine Neubauten mehr errichten darf. Man darf nicht mehr pflanzen, was man gerne möchte. Der Eigentümer wird quasi enteignet; er kann sein Haus nicht mehr gewinnbringend verkaufen, die Altersvorsorge geht flöten. Das ist ein Skandal.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kollegen von der SPD! Herr Dr. Duwe hat es schon gesagt, wir diskutieren dieses Thema bereits das dritte Mal. Ihr Vorgehen ist dabei immer dasselbe: Erst Verteidigung der eigenen Linie, dann Ablehnung von konstruktiven Vorschlägen,