Protocol of the Session on January 19, 2011

und wenn man sich die Debatten anschaut, die im Bundestag in letzter Zeit dazu geführt wurden, hört man noch immer, es sei ein frommer Wunsch, dass Menschen, die in Deutschland geboren wurden, sich automatisch integrierten. Das sagte kürzlich der Kollege Reinhard Grindel, ursprünglich aus Hamburg stammend und ehemaliges Mitglied der Bezirksversammlung Eimsbüttel. Er sagt auch Sachen wie:

"Anders als bei der Einbürgerung muss der Optionsverpflichtete keinerlei Integrationsleistungen erbringen."

Er ist schließlich in Deutschland geboren, aber das scheint Herrn Grindel nicht zu interessieren.

"Er muss nicht deutsch sprechen können. Er kann kriminell sein. Das Grundgesetz muss er auch nicht achten."

Wenn man so etwas liest, wenn das die Kriterien für die deutsche Staatsbürgerschaft sein sollen, dann müsste man eigentlich einen allgemeinen Einbürgerungstest für alle in Deutschland geborenen 18-jährigen erwarten. Es erstaunt doch sehr, welche Haltungen dort zu finden sind.

Diese ideologische Regelung ist praxis- und lebensfern. Das hatte Ole von Beust erkannt, als er sagte:

"Lassen wir doch beide Herzen schlagen. Wir brauchen die jungen Leute."

Für die jungen Menschen geht es um eine wesentliche Identitätsfrage. Die meisten von ihnen sind in Deutschland aufgewachsen und in Deutschland sozialisiert, ihre Eltern sind aber meistens in ihren Heimatländern aufgewachsen und sozialisiert und dieser Kultur natürlich auch verbunden. Und wenn man es als Integrationsvoraussetzung von den jungen Menschen erwartet, sich quasi von ihren Eltern abzugrenzen, und damit einen regelrechten Bruch erzeugt, um zu sehen, ob sie auch tatsächlich ernsthaft in unserem Land leben wollen, dann drückt man damit eine total veraltete Vorstellung von einer ethnisch verfassten Volksgemeinschaft aus, der man nur zugehörig werden kann, wenn man sich von allen anderen kulturellen Einflüssen frei macht. Das ist doch weit entfernt von der Realität unserer modernen globalisierten Welt, in der auch mehrfache Staatsbürgerschaften zum alltäglichen Leben gehören.

(Beifall bei der GAL)

In der Praxis hat diese Regelung kritische Rechtsfolgen. Wenn die jungen Leute nicht bis zum 21.

Lebensjahr eine sogenannte Beibehaltungsgenehmigung beantragen, können sie die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren, was im Extremfall dazu führen kann, dass aus einem deutschen Staatsbürger ein staatenloser Ausländer wird. Das ist meines Wissen weltweit ziemlich einmalig. Es gibt im Übrigen massenhaft Ausnahmefälle, in denen die doppelte Staatsbürgerschaft hinzunehmen ist, weil es viele Länder gibt, die ihre Bürger nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen, Iran beispielsweise, Afghanistan, aber auch Argentinien und diverse andere Länder. Da sagen die deutschen Behörden natürlich, dem können wir das wohl nicht auferlegen, dass er seine ererbte Staatsbürgerschaft abgibt oder daraus austritt, da müssen wir die zusätzliche deutsche Staatsbürgerschaft hinnehmen. Es gibt ziemlich viele derartige Fälle und das bedeutet eine erhebliche Ungleichbehandlung bei diesen Verfahren, die einen müssen ihre ererbte Staatsbürgerschaft ablegen, die anderen nicht.

Man fokussiert immer gerne auf die Türkischstämmigen, weil die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft möglich ist, wenn auch nicht einfach. Aber es ist nicht nachzuvollziehen, warum den Iranern die doppelte Staatsbürgerschaft immer gestattet wird und den Türken nicht, weil das letztlich für die Rechtsfolgen in Deutschland gleich ist.

Es ist ein bürokratisches Monsterverfahren entstanden. Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung macht deutlich, dass das Optionsverfahren nirgendwo klappt, dass es genauso bürokratisch und kompliziert ist wie das der Einbürgerung und dass damit erhebliche Komplikationen verbunden sind, weil die 18-jährigen jungen Menschen in der Regel kaum durchblicken, was da von ihnen gewollt wird und welche Entscheidungen und welche konkreten Schritte zur Ablegung ihrer ursprünglichen Staatsbürgerschaft von ihnen erwartet werden. Es ist eine wirklich unglücklich konstruierte Regelung, die an der Lebensund Rechtsrealität vorbeigeht und die letztlich einfach nur unsere Behörden belastet und uns von den eigentlichen Aufgaben der Integration abhält.

Deswegen freue ich mich, wenn wir heute zu der Entscheidung kommen, dass Hamburg wieder eine Initiative im Bundesrat startet. Im letzten Jahr hatte es Initiativen gegeben, den Optionszwang abzuschaffen. Nun haben sich die Rahmenbedingungen im Bundesrat verändert. Die Bundesregierung konnte sich nur dazu durchringen, die bestehende Regelung bis 2013 evaluieren zu wollen. Das, meinen wir, ist nicht ausreichend.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Bitte die SPD er- wähnen! Das waren SPD-Regierungen!)

Das ist richtig, es waren SPD-Regierungen, die die Bundesratsinitiativen gestartet haben. Es gab auch diverse Anträge im Bundestag, von der SPD, von den Grünen und von der LINKEN. Das ist

schon ein ziemlicher Dauerbrenner, darauf hat keiner das alleinige Copyright.

Entscheidend ist zu erkennen, dass es nicht zielführend ist und nicht im Sinne der Menschen, diese Regelung bis 2013 weiterlaufen zu lassen, denn seit 2008 unterliegen die ersten Jahrgänge der Optionspflicht. Im Jahr 2008 waren es 3300, bis 2018 werden es circa 5000 pro Jahr sein und dann kommt ein großer Sprung und es werden pro Jahr über 50 000 junge Menschen in diese Entscheidung und in diese Bürokratiemühle gezwungen werden. Das muss wirklich nicht sein, wir sollten unsere Energien auf ein anderes Ziel fokussieren, denn wir brauchen diese jungen Menschen hier. Sie sind schließlich hier geboren und aufgewachsen. Und angesichts unserer demographischen Situation können wir es uns wirklich nicht leisten und es auch nicht als Erfolg feiern, wenn sich die Hälfte für die deutsche Staatsbürgerschaft erklärt. Die andere Hälfte lebt auch hier, diese Menschen sind hier genauso geboren und aufgewachsen, die müssen wir doch auch mitnehmen und ihnen Angebote machen.

Ich hatte eine Freundin, die in Madrid geboren war, weil ihr Vater dort für drei Monate für die Helm AG als Manager tätig war. Natürlich hat sie sofort die spanische Staatsbürgerschaft bekommen, und zwar seinerzeit im Franco-Spanien. Das war gängige Rechtspraxis. Natürlich hat sie zwei Staatsbürgerschaften, die deutsche und die spanische. What's the problem? Oder jemand kommt aus Argentinien, ist ein Rückwanderer und kann die argentinische Staatsbürgerschaft nicht abgeben; damit hat er zwei Staatsbürgerschaften. What's the problem? Das gesamte englische Commonwealth existiert nach diesem Motto, dass die Menschen aus den Commonwealthstaaten quasi ein Einwanderungsrecht nach Großbritannien haben. What's the problem? Da gibt es in Deutschland wirklich noch sehr verkrustete Haltungen und Denkstrukturen, die immer noch im Jus Sanguinis wurzeln; davon muss man abkommen.

(Beifall bei der GAL und bei Christiane Schneider DIE LINKE und Ksenija Bekeris SPD)

Wir hatten im Rechtsausschuss fünf Befassungen und eine Expertenanhörung dazu; wir haben auch ein relativ detailliertes Petitum beschlossen mit möglichen Maßnahmen für die Zeit bis zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts auf Bundesebene, denn wir können nur versuchen, dazu einen Anstoß zu geben. Wenn die CDU sich heute – es gab solche Signale – mitbeteiligt und letztendlich der Idee ihres früheren Bürgermeisters Ole von Beust von vor einem Jahr folgt, wenn von Hamburg ein einstimmiges Signal ausgeht und der Senat – er hat jetzt nicht mehr so unheimlich viel auf der Agenda – auch tatsächlich diese Initiative in

Richtung Bundesrat ergreift, dann wäre das tatsächlich einmal ein progressives Signal

(Frank Schira CDU: Ach!)

und das soll man, auch wenn es selten ist, dann auch nicht negativ darstellen. – Danke sehr.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN und bei Rolf-Dieter Klooß SPD)

Das Wort hat Frau Machaczek.

Herr Lieven, in der Tat, wir werden genau das tun, was der Altbürgermeister von Beust schon vor einem Jahr gesagt und danach getan hat. Sie als Grüne wollten das noch einmal neu einbringen, Sie als SPD haben dieses eingebracht und wir haben, und das möchte ich noch einmal betonen, intensive Debatten im Rechtsausschuss gehabt. Wir haben wirklich eine ganze Menge Argumente gefunden, an denen man nicht vorbeigehen kann. Ich will sie jetzt nicht alle erwähnen, Herr Lieven hat sie teilweise auch schon aufgeführt.

Für uns ist natürlich der wichtigste Punkt, dass die Kinder, die schon 18, 20, 23 Jahre hier gelebt haben, nicht am Ende zur Entscheidung gezwungen werden. Dabei geht es nicht um die, die sich heute schon für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden. Es ist eine gute Nachricht und die Tendenz ist ganz klar, dass sich viele, die hier aufgewachsen sind, dafür entscheiden, Deutsche zu werden. Wir ahnen natürlich – auch das kommt häufig vor –, dass es der eine oder andere schlicht vergessen wird und eines Tages aufwachen wird und keine deutsche Staatsbürgerschaft mehr hat. Vielleicht hat er dann schon an Wahlen teilgenommen und ist plötzlich ausgebürgert.

Daher sagen wir, wenn Kinder hier geboren werden, wollen wir, dass sie ihre Identität auf jeden Fall in Deutschland finden und nicht am Ende in schwierige Entscheidungsphasen kommen. Sie haben die Türken erwähnt. Teilweise müssen die jungen Männer sich erst einmal frei kaufen, damit sie einen verkürzten Wehrdienst in der Türkei ableisten müssen. Erst dann sind sie frei für die deutsche Staatsbürgerschaft. Warum ist das nötig, wenn wir diese Menschen hier bei uns halten wollen?

Sie haben auch erwähnt, dass es sehr viele Menschen gibt, die sowieso einen Doppelpass haben, weil man ihnen aus den verschiedensten Gründen den anderen gar nicht nehmen kann. Da kann ich auch den einen oder anderen verstehen, der sagt, das finde er auf Dauer ungerecht, wenn mehr und mehr Menschen sich nicht entscheiden müssten. Entscheidend ist doch für uns, wo man lebt, womit man sich identifiziert und ob man in diesem Land

(Claudius Lieven)

vorankommen und etwas für unser gemeinsames Leben tun kann.

Insofern sollten wir in der Tat – ich glaube allerdings nicht, dass es jetzt noch möglich ist – noch einmal einen Anlauf im Bundesrat nehmen. Wir wissen aber auch alle, dass das heute rein deklaratorischen Charakter hat. Die Abschaffung dieses Gesetzes wird sicherlich noch lange dauern, weil natürlich die eine oder andere Evaluation auch im Bundestag noch kommen wird; so läuft die Politik. Aber alle Beteiligten an dieser Debatte und alle, die sich ein bisschen damit auskennen – auch Herr Grindel ist da in den letzten Monaten schon ein paar Schritte mit uns gegangen –, wissen, dass das Optionspflichtgesetz so, wie es jetzt ist, sowieso geändert werden wird. Insofern können wir auch jetzt das Signal geben, wir wollen, dass es abgeschafft wird, aber wir wollen, dass es für die Kinder abgeschafft wird. Das ist jetzt keine Grundsatzdebatte, die Sie begonnen haben, um die doppelte Staatsbürgerschaft. Es geht um die Kinder, die hier aufwachsen. In diesem Sinne folgen wir dem, was Ole von Beust damals angestoßen hat, und stimmen diesem Petitum zu. – Danke.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort hat Herr Klooß.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die durch Thilo Sarrazins Buch ausgelöste Debatte über die Integration der in Deutschland lebenden Migranten war sicherlich in ihrem Ton und in ihrer Polemik kein Glanzpunkt des abgelaufenen politischen Jahres.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der LIN- KEN)

Die Diskussion über die Abschaffung des sogenannten Optionszwangs, welche im vergangenen Jahr im Rechts- und Gleichstellungsausschuss geführt wurde, hob sich hiervon dankenswerterweise ab. Die Anhörung im Ausschuss hat noch einmal deutlich gemacht, dass der Zwang für junge Leute, sich bis zum 23. Lebensjahr für eine von zwei Staatsangehörigkeiten zu entscheiden, nicht nur aus verwaltungstechnischer, sondern vor allem aus integrationspolitischer Sicht kontraproduktiv ist. Die Anhörung im Ausschuss hat ergeben, dass der Zwang, sich für eine von zwei Staatsangehörigkeiten zu entscheiden, bei den Betroffenen zu einem inneren Konflikt führt, den wir nicht gewollt haben und der der Sache nicht dienlich ist. Der Verzicht auf die ausländische Staatsangehörigkeit hat für die Betroffenen im Übrigen in vielen Fällen rechtlich negative Folgen; es geht da um Einreisebestimmungen, erbrechtliche, eigentumsrechtliche und andere Fragen. Hinzu kommt ein erheblicher Verwaltungsaufwand bei der Bearbeitung dieser Optionszwangsfälle durch die zuständige Behörde.

Dieser ist keineswegs zu unterschätzen, wie uns von allen Seiten versichert wurde. Gerade angesichts der vielen anderen Aufgaben, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden in diesem Bereich haben, ist es geradezu fahrlässig, hier nicht für Erleichterung zu sorgen.

(Beifall bei der SPD)

All dies ist Grund genug, den Optionszwang so schnell wie möglich abzuschaffen.

Meine Damen und Herren! Es ist aus heutiger Sicht kaum noch nachzuvollziehen, dass die Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit bei der Verabschiedung des damaligen Gesetzes als ein erstrebenswertes Ziel angesehen wurde. Seitdem ist viel passiert und diese Plattitüde kann man sich kaum verkneifen. In einer globalisierten Welt erscheint dieses Ziel reichlich gestrig.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann den Damen und Herren von der CDUFraktion allerdings nicht ersparen, daran zu erinnern, dass es ein Roland Koch war, der im damaligen hessischen Landtagswahlkampf

(Bettina Machaczek CDU: Hallo, wir sind jetzt hier in Hamburg!)

mit einer unseligen und, wie ich es empfand, infamen Unterschriftensammelaktion das Debattenklima anheizte und vergiftete.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Gut, dass wir in Hamburg eine sachlichere Art der politischen Auseinandersetzung haben.

Es ist natürlich bedauerlich, dass der jüngste Vorstoß aus Berlin und Bremen, über den Bundesrat die Regelung in Paragraf 29 Staatsangehörigkeitsgesetz zu kippen, keine Mehrheit gefunden hat. Da es sich um eine bundesgesetzliche Regelung handelt, besteht auch keine andere Möglichkeit, als es weiter über diesen Weg zu versuchen. Diejenigen, die am Optionszwang festhalten, müssen immer wieder gezwungen werden, sich mit diesem gesetzlichen Missstand auseinanderzusetzen. Ich halte wenig davon, hier aus angeblichen taktischen Erwägungen heraus zurückzustecken und auf weitere Initiativen zu verzichten. Im Übrigen dürfen wir den Ausgang von sieben Landtagswahlen in diesem Jahr doch einmal gespannt abwarten und uns dann die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat noch einmal ansehen.

(Beifall bei der SPD und bei Claudius Lieven GAL)

Um es mit Ovid zu sagen: Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas – wenn auch die Kräfte fehlen, der Wille ist dennoch zu loben. Und das wollen wir hier einmal tun.