Protocol of the Session on November 10, 2010

Was mich freut, ist die plötzliche Unterstützung für die Projekte und Maßnahmen in den Quartieren. Herr Stemmann hat schon gesagt, dass wir die Zahl, die im Koalitionsvertrag steht, nämlich 3000 AGHs im Sommer, dann zumindest auf dem Papier haben werden; Sie wissen auch, dass es

(Hjalmar Stemmann)

immer noch einen Unterschied zwischen Bewilligung und Besetzung gibt.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass Ihre Aussage zu den sogenannten Koop-Arbeitsgelegenheiten schlicht und einfach falsch ist. Auch hier haben wir in unserer Verständigung dafür gesorgt, dass das Absenken der AGHs im Koop-Bereich so gering ist, dass keine bestehenden Projekte aufgeben müssen. Es bleibt die Aufgabe, tatsächlich bis zum Sommer nächsten Jahres konzeptionell in vielen Bereichen mit vielen Trägern und mit vielen Akteuren und Akteurinnen vor Ort darüber zu reden, wie es weitergehen soll.

Im Übrigen muss man sich natürlich auch die Fragen stellen – das sind aber wieder Fragen, die wir vielleicht gemeinsam an die BA stellen sollten –, was für Maßnahmen denn eigentlich ansonsten für die Langzeitarbeitslosen, die zurück in den Arbeitsmarkt sollen, geplant sind. Da fehlen nämlich die Antworten von Bundesseite. Kürzlich hat Herr Alt gesagt, es solle keine verpflichtende Teilnahme an AGHs mehr geben; wir brauchten uns auch um Qualifizierung nicht mehr so viele Gedanken zu machen, Hauptsache sei, wir bekämen Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit. Mit welchen Maßnahmen das geschehen soll, dafür gibt es aber noch keine Vorschläge. Der politische Druck auf die Entscheidungen auf Bundesebene täte uns allen gut, weil wir nur dann für die Hamburger Politik, aber auch für die Hamburger Struktur der Arbeitsmarktförderungsmaßnahmen sinnvolle und hoffentlich zukunftsträchtige Lösungen finden können.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Joithe-von Krosigk.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir debattieren den SPD-Antrag "Massive Einsparungen bei Arbeitsmarktmitteln und falsche Akzentsetzung durch die team.arbeit.hamburg – die Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik in Hamburg muss transparent und nachvollziehbar sein". Transparenz und Nachvollziehbarkeit in der Arbeitsmarktpolitik in Hamburg, das klingt doch gut. Um das Unproblematische zuerst zu formulieren: Meine Fraktion wird dem Petitum dieses Antrags, das vom Senat Transparenz und Nachvollziehbarkeit in seiner Arbeitsmarktpolitik und die Ablehnung des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 im Bundesrat fordert, zustimmen.

Als sozialpolitischer Sprecher meiner Fraktion und als – das habe ich nach beinahe drei Jahren in diesem Hohen Haus keinesfalls vergessen – Hartz-IVGeschädigter möchte ich dann aber doch einige durchaus problematische Unschärfen dieses Antrags zur Sprache bringen. Zunächst wissen wir,

dass die Mittel, die in Hamburg zur Arbeitseingliederung von Erwerbslosen des Rechtskreises SGB II zur Verfügung stehen, in den kommenden drei Jahren drastisch heruntergefahren werden sollen. Ausgehend von 187 Millionen Euro in diesem Jahr werden die Mittel im Jahr 2011 auf rund 130 Millionen Euro und 2012 auf 101 Millionen Euro abgesenkt, um im Jahr 2013 mit 89 Millionen Euro bei rund der Hälfte der gegenwärtig aufgewendeten arbeitsmarktpolitischen Mittel im Rechtskreis des SGB II zu gelangen. Der Verweis auf die Sparbeschlüsse der Bundesregierung, den Vertreter der BWA und von team.arbeit.hamburg bei der Verkündung ihres arbeitsmarktpolitischen Streichkonzerts bemühen, entbindet den Senat der Freien und Hansestadt aber überhaupt nicht von seiner Verantwortung.

(Zuruf von der CDU: Frechheit!)

Er verdeutlich vielmehr, dass es der Senat in der Vergangenheit – da können Sie dann noch einmal "Frechheit" sagen – fahrlässig versäumt hat, sich in der Frage der Integration in Arbeit vom bundespolitischen Diktat zu lösen

(Beifall bei der LINKEN)

und eigene Haushaltsmittel für den Erhalt und die Schaffung regulärer Arbeitsplätze und die Realisierung vollwertiger Qualifikationsangebote in die Hand zu nehmen. Dies wäre eine nachhaltige Zukunftsinvestition gewesen ohne den leidigen Drehtüreffekt, der den bundesrepublikanischen Arbeitsmarktinstrumenten systematisch anhaftet. Diese bundespolitischen Arbeitsmarktinstrumente – und wir sprechen da von den Ein-Euro-Jobs und von den sogenannten 16e-Maßnahmen – sind aber auch, und das muss wieder einmal gesagt werden, Kinder der SPD. Und wenn wir in diesem SPD-Antrag lesen, dass die Hartz-IV-Betroffenen – ich zitiere –

"[…] zu den größten Sparopfern der Wirtschafts- und Finanzkrise werden",

dann ist das zweifelsfrei zutreffend. Zutreffend ist aber auch, dass die Hartz-IV-Betroffenen die ersten Opfer der rot-grünen Koalition Schröder/Fischer im Bund waren. Dies haben sie keinesfalls vergessen. Meine Fraktion heißt die drastischen arbeitsmarktpolitischen Einsparungen des schwarz-grünen Hamburger Senats zulasten der Langzeiterwerbslosen natürlich keinesfalls gut, das muss ganz offen gesagt werden. Allerdings war es wiederum die rot-grüne Bundesregierung, die durch die Schaffung des Zweiklassensystems in der Arbeitsförderung, also der Rechtskreise SGB II und SGB III, den prekären Status eines entrechteten langzeitarbeitslosen ALG-II-Empfängers geschaffen hat. Auch das sei Ihnen noch einmal ins Buch geschrieben.

In der Regel erfolgt der Absturz in das Hartz-IVSystem nach einem Jahr Erwerbslosigkeit, bei ent

(Antje Möller)

sprechend kurzen Anwartzeiten sogar schon nach einem halben Jahr. Die vorgebliche – ich zitiere noch einmal aus diesem Antrag –

"[…] Distanz von Langzeitarbeitslosen zum Arbeitsmarkt […]"

hat die rot-grüne Schröder/Fischer-Administration als erste definiert und in die Welt gesetzt, um von der strukturellen Distanz des Arbeitsmarktes von der freigesetzten Erwerbsbevölkerung abzulenken und einem in Europa beispiellos ausgeweiteten Niedriglohnsektor das Feld zu bereiten.

(Stephan Müller CDU: So eine Frechheit!)

Ich darf für meine Person in Anspruch nehmen, nicht nur über Hartz-IV-Betroffene zu sprechen, sondern auch mit ihnen zu reden. Und ich darf deshalb an dieser Stelle auch in Richtung der SPD formulieren: Lassen Sie uns über eine transparente und nachvollziehbare Arbeitsmarktpolitik in Hamburg diskutieren, aber bitte – und hören Sie da bitte gut zu – nehmen Sie nicht länger die rund 200 000 in Hamburg von Hartz IV betroffenen Menschen in Geiselhaft, wenn es Ihnen in Wahrheit – und das klang bei Frau Badde wieder durch – um die Interessen der angesichts der jüngsten Sparbeschlüsse sichtlich nervösen Beschäftigungsträger geht; das ist unredlich.

Meine Fraktion kann die Sparbeschlüsse des Senats in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ebenso wenig gut heißen wie die SPD-Fraktion. Ich betone das, damit wir nicht morgen in der Presse lesen müssen, die LINKE heiße die neoliberale Sparpolitik von Schwarz-Grün gut. Das macht sie selbstverständlich nicht. Aber – und das hat Frau Badde schon vorausgesehen – wir weinen den Arbeitsgelegenheiten, die nun wegfallen sollen, keine Träne nach und wir fordern weiterhin die Abschaffung der verbleibenden 7250 Plätze. Da gibt es gar kein Wenn und Aber. So steht es in unserem Wahlprogramm und daran halten wir uns.

(Ingo Egloff SPD: Das ist die Wahrheit!)

Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Ein-EuroJobs sind keine adäquaten Fördermaßnahmen. Sie verdrängen reguläre Beschäftigung, sie leisten einer Ausweitung des Niedriglohnsektors Vorschub und sie bringen die Erwerbslosen nicht nachhaltig in auskömmliche, reguläre und würdevolle Arbeit. Sie binden überdies arbeitsmarktpolitische Mittel, die sinnvoll für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen und für Qualifikation eingesetzt werden könnten.

(Beifall bei der LINKEN)

In abgeschwächter Weise gilt dies auch für die 16e-Maßnahmen, die sogenannte JobPerspektive, die den Arbeitsmarkt verzerren, einheitliche Arbeitnehmerrechte aufweichen, die Arbeitslosenversicherung schwächen, indem keine Beiträge abge

führt werden, und dem Drehtüreffekt weiterhin Vorschub leisten.

Der SPD-Antrag spricht verschiedene, für Hamburg und seine Menschen hochwichtige politische Aspekte an, aber er ist auch ein wenig diffus. Ich erkenne in dem Antrag die nachfolgenden Aspekte: Erstens die Situation der Hartz IV-Betroffenen, zweitens die soziale Integration in den Stadtteilen und drittens das Los der Beschäftigungsträger. Zu diesen drei wichtigen Politikfeldern möchte ich der Reihe nach die Position meiner Fraktion erläutern.

Zur Situation der von Hartz IV-Betroffenen: Selbstverständlich hören auch wir im Gespräch mit EinEuro-Jobbern oft das Argument, dass es die sogenannte Mehraufwandsentschädigung von 120 bis 160 Euro im Monat ist, die es ihnen ermöglicht, sich einigermaßen über Wasser zu halten. Und selbstverständlich wissen auch wir, dass es eben genau der Betrag ist, der einem von Hartz IV Betroffenen für eine grundlegende soziokulturelle Teilhabe im Monat fehlt. Die systematische politische Forderung, die daraus resultiert, kann aber doch nicht ein Festhalten an den arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiven, entwürdigenden und entrechtenden Ein-Euro-Jobs sein. Die systematische sozialpolitische Forderung muss die nach einer repressionsfreien und eine würdevolle Existenz gewährleistenden Mindestsicherung sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Die SPD hat die Möglichkeit, den erneuten Verfassungsbruch bei der Neuberechnung der Regelsätze, auf den die Bundesministerin von der Leyen geradewegs zusteuert, im Bundesrat zu stoppen. Ich fordere Sie an dieser Stelle auf, sich dafür einzusetzen. Solange dieses unterste Netz einer sozialen Mindestsicherung nicht gespannt ist, müssen wir gar nicht groß über stark konjunkturabhängige arbeitsmarktpolitische Konzepte diskutieren. Meine Fraktion fordert deshalb eine repressionsfreie Mindestsicherung in Höhe von 500 Euro im Monat, unabhängig von den individuell weder zu vertretenden noch zu beeinflussenden strukturellen und konjunkturellen Verwerfungen des Arbeitsmarktes, denn nur so nehmen wir den Menschen ihre Zukunfts- und ihre Existenzangst.

Dann zur sozialen Integration in den Stadtteilen, die sowohl von der GAL als auch von der SPD bemüht wurde: Wenn Defizite bei der sozialen Integration in den Stadtteilen – wohl weniger in den Elbvororten – wahrgenommen werden, und wir teilen diese Wahrnehmung, dann sollte die Behebung dieses Problems selbstverständlich oberste staatspolitische Priorität haben. Wenn wir die soziale Integration in der Stadt als einen hervorragenden politischen Wert erkennen – und dies tun wir doch wohl über alle Parteigrenzen hinweg –, dann sollten wir uns diese Wertschätzung auch etwas kosten lassen. Wir brauchen in den Quartieren bestens motivierte Lehrer, Erzieher, Sozialpädago

gen und Fach- und Pflegekräfte. Natürlich kann die Arbeit am Menschen und mit den Menschen nur fruchtbar sein, wenn sie auch entsprechend motiviert ist. Daraus aber ableiten zu wollen, dass dies auf Kosten der Bezahlung erfolgen soll oder auch nur kann, erscheint zutiefst absonderlich. Es erscheint abwegig, auf die Idee zu kommen, die stadtpolitisch hochwichtige soziale Quartiersarbeit ausgerechnet von den sogenannten Billigheimern – wie die Ein-Euro-Jobber von einigen bezeichnet werden – durchführen zu lassen. Ich frage ernsthaft in diese Runde: Ist das Ihr Konzept für die Zukunft der wachsenden Metropole Hamburg, eine soziale Stadtentwicklung in der Billigvariante und zudem je nach Kassenlage des Bundes? Das kann wohl nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Schließlich und endlich komme ich auf das Los der Beschäftigungsträger zu sprechen. Die Hartz-IVReformen haben an die eher – so muss man das wohl bezeichnen – niederen Tugenden der Branche appelliert. Mir ist kaum je ein Sozialpädagoge vorgekommen, der im vertraulichen Gespräch nicht über die fachfremden Zwänge, die ihm das HartzIV-System diktiert, geklagt hätte. Es ist doch letztendlich der wirtschaftliche Überlebenskampf der Beschäftigungsträger und ihrer Mitarbeiter, der sie in den Interessenbekundungsverfahren bei team.arbeit.hamburg mitpokern lässt. Ich verurteile die subjektive Verfolgung von Interessen keinesfalls, allerdings haben wir als Parlament die Aufgabe und die Möglichkeit, zwischen den Interessen, die da aufeinanderprallen, auszugleichen.

Wenn ich nun das bis hierher Entwickelte noch einmal Revue passieren lasse und eins und eins zusammenzähle, dann haben wir einen, das ist hier im Hause unbestritten, erheblichen Bedarf an sozialer Stadtentwicklung in den Quartieren. Und wir haben Fachleute in den sozialen Berufen bei den Beschäftigungsträgern.

Meine Damen und Herren, darf ich noch einmal um Aufmerksamkeit bitten.

Was liegt also näher, als den Trägern ihren originären sozialpädagogischen Auftrag zurückzugeben? Es gibt doch mehr als genug zu tun in unserem Hamburg, in den Quartieren. Und das wird keineswegs mit einem sozialpolitischen Sparhaushalt zu bewältigen sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann können wir auch weiter über Arbeitsmarktpolitik diskutieren, aber dann wirklich im Interesse der Langzeiterwerbslosen und nicht, indem wir deren Interessen nur vorschieben, in Wahrheit aber die Interessen der durch Hartz IV korrumpierten Beschäftigungsträger meinen, die den Arbeitsmarktpolitikern der SPD zuweilen doch offensichtlich sehr am Herzen liegen.

(Egbert von Frankenberg CDU: Das ist aber eine sehr unangemessene Ausdrucksweise, am Herzen!)

Meine Fraktion stimmt dem Antrag der SPD unter den von mir eben ausgeführten Vorbehalten zu und ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wenn ich auch noch einmal darum bitten dürfte, dass der Geräuschpegel gesenkt wird. Ich wollte Herrn Joithe in seinem Gedankenfluss nicht unterbrechen, aber es ist auch für uns schwierig, immer aufmerksam zu sein. Sie wissen selbst, wie es ist, wenn Sie vorne stehen und sich dann mit Ihrer Stimme nicht durchsetzen können. Das ist nicht der Sinn unserer Arbeit hier im Haus, dass wir uns gegenseitig stören,

(Beifall bei Wilfried Buss SPD)

sondern dass wir zuhören und in der Sache debattieren. Insofern darf ich noch einmal um Ruhe bitten.

Das Wort bekommt nun der Herr Wirtschaftssenator.

Herr Präsident, ich danke Ihnen. Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass ich diesmal wirklich dran bin. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe gespürt, dass mich die Opposition unbedingt hören wollte, und gehe deshalb noch einmal nach vorne.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der SPD)