Protocol of the Session on June 2, 2010

(Stephan Müller)

aus niederen Beweggründen ermordet wurde. Morsal hat, das wissen wir nach dem Prozess und auch nach unserer Akteneinsicht, schon vor der Tat mehrere Jahre unter dem Druck ihrer Familie gelitten, weil diese ihren westlich orientierten Lebensstil missbilligte. Das Mädchen war mehrfach beim KJND, es war auswärtig untergebracht, die Familie war seit Jahren beim ASD aktenkundig, es gab Anzeigen, die zurückgezogen wurden, und dramatische Szenen in der Familie mit Polizeieinsätzen – ein schrecklicher Fall, den die zuständige Behörde aber letztlich, auch in der Rückschau, nicht als einen Worst Case betrachtet hat.

(Stephan Müller CDU: Das hat aber nichts mit dem Antrag zu tun!)

Sie haben dann einen Antrag beschlossen – das ist jetzt schon fast zwei Jahre her –, von dem Sie glaubten, damit den Senat zum Handeln in diesem Bereich aufzufordern. Dieser Antrag ist jetzt vor einigen Wochen per Senatsmitteilung beantwortet worden, welche demnächst im Familienausschuss beraten wird. Über Zahlen, geschulte Personen oder die Wirkung von Maßnahmen steht in der Senatsmitteilung nichts. Vielmehr heißt es dort nach fast zwei Jahren: vorgesehen sei und geprüft werde. Das ist zu wenig.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Nun kommt die GAL hier wiederum mit der Aufforderung an den Senat, ein Projekt zu prüfen. Dort sollen jetzt andere das machen, was man seit zwei Jahren selbst nicht hinbekommt. Wir freuen uns, wenn es gelingen sollte, in Hamburg ein solches Projekt hinzubekommen, bei dem Externe finanzieren und es ein freiwilliges Engagement gibt. Das wäre schön, dennoch fällt uns und anderen Folgendes auf.

Erstens: Der Glaube an die Umsetzung der im Koalitionsvertrag versprochenen Maßnahmen offensichtlich schwindet auch bei den Regierungsfraktionen. Das ist verständlich angesichts bisheriger Erfahrungen, nicht allein in der Kita-Politik.

Zweitens: Die Erfahrungen im Fall Morsal haben zwar zu einem Antrag von CDU- und GAL-Fraktion geführt, aber auch dieser Antrag nach fast zwei Jahren nicht zu konkreten oder gar befriedigenden Ergebnissen. Und auch der Fall Fatima ist durchaus mysteriös geblieben.

Drittens: Die aktuelle Senatsmitteilung zum Morsal-Antrag von CDU und GAL ist so unkonkret, dass sich die Regierungsfraktionen zu einem weiteren Prüfauftrag für ein Projekt genötigt sehen.

Viertens: Dies führt zu der Frage, welche Funktion Prüfaufträge zu Projekten für eine Koalition erfüllen, die sich in ihrem politischen Spätherbst befindet.

(Beifall bei der SPD)

Fünftens: Solche Projekte entlassen Sie nicht aus der Pflicht, Ihre im Koalitionsvertrag gemachten Versprechungen abzuarbeiten oder hier abgefeierte, zwei Jahre alte Anträge auch endlich umzusetzen. Solche Projekte entlassen Sie auch nicht aus der Pflicht, andere Aufgaben zu erfüllen, zum Beispiel, ich zitiere das jetzt einmal, Regeldienste – wie es ganz richtig im zwei Jahre alten MorsalAntrag heißt – im Umgang mit spezifischen interkulturellen Familienkonflikten weiter auszubauen. Damit wären wir dann zum Beispiel wieder einmal beim ASD, wo wir seit Jahren auf eine Peronalbemessung hinarbeiten, damit er auch in diesem Bereich erfolgreicher arbeiten kann.

(Beifall bei der SPD)

Prüfen Sie das Projekt HEROES und prüfen Sie möglichst schneller, als Sie sonst arbeiten. Melden Sie sich gerne wieder, wenn es etwas Konkretes dazu gibt und lassen Sie darunter nicht die Pflichtaufgaben einer Landesregierung leiden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Artus.

Herr Präsident, sehr geehrte Herren und Damen! Herr Müller, schieben Sie das einmal nicht so weit weg, dass es hier keine patriarchalen Gewaltstrukturen gibt, machen Sie daraus nicht so eine Deutsch-Ausländer-Debatte.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade heute müssen wir groß lesen, dass ein Ehemann seine Frau und seine beiden Kinder umgebracht hat, nicht in Hamburg, aber in Bayern. Auch hier morden deutsche männliche Familienangehörige ihre Frauen und diese Strukturen werden immer schnell vergessen, wenn wir über Ehrenmorde reden. Dies einmal als Vorbemerkung.

(Beifall bei der LINKEN – Viviane Speth- mann CDU: Das ist doch kein Strukturpro- blem! Das ist doch Quatsch!)

In dem hier vorliegenden Antrag geht es um Vorbilder und Helden. Es geht um Jungen und Mädchen mit einer migrantischen Lebensgeschichte und es geht um einen Scheinriesen, den Antrag selbst.

Doch zunächst einmal ein paar sachliche Anmerkungen: Das Projekt HEROES soll Jungen und Mädchen die Möglichkeit geben, sich von Machtstrukturen zu distanzieren, indem die Männerrolle im Kontext der Ehrenunterdrückung problematisiert wird. Es geht darum, die Grenzen, die die Ehrenkultur für sie setzt, zu überwinden. Hierfür werden im Rahmen von Trainings Stärken und Fähigkeiten erlangt. Außerdem lernen die Jungen, sich für die Menschenrechte ihrer Schwestern und Freundin

(Carola Veit)

nen einzusetzen. Schauspieler und Theaterpädagogen leisten hierzu in Berlin bereits gute Arbeit. Die Jungen lernen, ihre persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und Sexismus zu bekämpfen, denn ihr Leben ist oftmals geprägt von massiver Ausgrenzung und von Demütigungserfahrungen. Wer in der Mehrheitsgesellschaft keine Anerkennung findet, fühlt sich nicht ausreichend gewürdigt. Deswegen muss die Mehrheitsgesellschaft auch dringend diese Angebote wie zum Beispiel HEROES machen. Hierzu gehört andererseits aber auch zu lernen, welches die Werte und Themen sind, die für ein Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft und für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Mädchen und Jungs, Frauen und Männern unverzichtbar sind. Letztlich ist es das Ziel von HEROES zu vermitteln, dass sich jeder Jugendliche Respekt dadurch erarbeitet, dass er sich gegen die Unterdrückung im Namen der Ehre einsetzt. Daher ist der Antragstext nicht nur schön geschrieben, sondern spricht sich auch für eine wichtige Sache aus, die sich lohnt, in unserer Metropole eingeführt zu werden. Sehr positiv finde ich, dass auch die Auseinandersetzung mit der oft homophoben Sichtweise unter Jugendlichen stattfinden soll.

Etwas widersprüchlich ist in diesem Zusammenhang aber, dass es immer noch keine Ansätze für das seit Längerem geplante schwule Jugendzentrum gibt. Es gibt nicht wenige, die befürchten, dass das Projekt der desaströsen und unehrlichen Haushaltspolitik des schwarz-grünen Senats zum Opfer fallen wird. Es ist weiterhin fraglich, wie das unbedingt erforderliche Gegenstück eines derartigen Projekts – eine aktive und verbindliche Mädchenarbeit – stattfindet. Ich erinnere daran, dass die Mehrheit der Bürgerschaft vor einigen Monaten den Antrag der Fraktion DIE LINKE für eine verbindliche Mädchenarbeit abgelehnt hat, als sie die verbindliche Jungenarbeit beschlossen hat. Auch in Berlin-Neukölln, wo das Projekt HEROES stattfindet, wurde beklagt, dass die Mädchenarbeit ein Nischendasein führt und sich weitgehend in Nähund Kochkursen widerspiegelt. Alle Erfahrungen im Zusammenhang mit zwangsverheirateten Mädchen – auch insbesondere mit der vor zwei Jahren in Hamburg ermordeten 16-jährigen Deutschafghanin Morsal, hierauf haben auch meine Vorrednerinnen und Vorredner schon Bezug genommen – zeigen aber, dass es auch und vor allem die Mädchen sind, die befähigt werden müssen, sich aus Gewaltbeziehungen zu befreien. Dieser notwendige Akt der Emanzipation muss ebenso von der Mehrheitsgesellschaft gefördert werden wie die Veränderung von Leitbildern bei männlichen Migranten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zurück auf den Scheinriesen. Der Antrag kommt im Text wirklich gut daher und ich vermute einmal, lassen Sie mich das ein bisschen

pointieren, dass die GAL-Fraktion schon eine Gute-Laune-Pressemitteilung verfasst hat, mit der sie sich selbst für diese Initiative lobt.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Ja, eben! – Ste- phan Müller CDU: Ja, das hat sie auch ver- dient!)

Nur ist es leider so, dass der Beschlusstext – Carola Veit hat das auch entsprechend kritisch angemerkt – so etwas von larifari ist, dass es eigentlich völlig unerheblich ist, ob wir den Antrag hier heute beschließen oder nicht. Prüfen kann man immer, zeitnah berichten heißt alles oder nichts. Der schwarz-grüne Senat wird vermutlich sowieso als Prüfsenat in die Hamburger Geschichte eingehen.

Wir setzen daher wenig Hoffnung in diese wohl unverbindlichste aller Absichtserklärungen. Der Antrag ist nicht das, was er glauben machen will, und erhält deswegen zu Recht von der Linksfraktion den Titel eines Scheinriesen. Wenn Sie Zeit finden, sehr geehrte Herren und Damen, dann lesen Sie noch einmal bei "Jim Knopf" nach; Herr Tur-Tur ist der besagte Scheinriese. Je weiter man von ihm entfernt ist, desto größer sieht er aus. Nur wenn man sich ganz nah an ihn heranwagt, erkennt man, dass er genauso groß ist wie jeder normale Mensch. Aber es kann auch wie bei "Jim Knopf" sein, dass sich der Antrag positiv auswirkt. Als sich Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, nämlich in der Wüste namens "Das Ende der Welt" verirren, hilft ihnen Herr Tur-Tur heraus. Später wird Herr Tur-Tur ein lebendiger Leuchtturm für Lummerland, damit der Postbote mit seinem Schiff nicht immer mit der Insel kollidiert.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Mit Leuchttür- men hat der Senat Erfahrungen!)

Daher stimmen wir dem Antrag auch zu und werden kontinuierlich nachhaken, ob er möglicherweise einmal einen Leuchtturmcharakter für die Freie und Hansestadt Hamburg bekommt. Besser als andere Leuchtturmprojekte des Senats wäre das nämlich allemal.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Blömeke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nicht zu Leuchttürmen und Scheinriesen, sondern zu den Prüfaufträgen, die wir angeblich hier so beliebig und mit Vorliebe verteilen, will ich noch etwas anmerken. Es ist eigentlich ganz klar, dass dieser Antrag nur ein Prüfauftrag sein kann. Wir haben in Deutschland zwar das Projekt in Berlin, ansonsten ist es europaweit getestet, und wir haben eine Stiftung im Hintergrund. Da kann man sich nicht so einfach hinstellen und sagen, das muss jetzt umgesetzt werden, wir neh

(Kersten Artus)

men einfach die Stiftungsgelder und weiten das ganze Projekt noch auf schwule und lesbische Migranten aus, die ebenfalls, wie ich ausführte, von dieser Art Ehrenproblematik betroffen sind. Deswegen ist es ganz richtig, dass man es erst einmal prüft und dass es Zeit braucht. Das gefällt mir auch nicht, weil ich das Projekt wirklich sehr gut finde, und ich hätte es lieber heute als morgen hier umgesetzt gesehen. Aber gewisse Dinge müssen erst einmal recherchiert oder geprüft werden und dann können wir, genau wie Frau Veit gesagt hat, in einem zweiten Schritt uns noch einmal darüber unterhalten, wie wir es hier einrichten können. Ich halte das für einen vernünftigen parlamentarischen Weg.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Das stand auch so zurückhaltend in Ihrer Presseerklä- rung!)

Das Wort hat Frau Dobusch.

Frau Blömeke, mir hat das mit dem Scheinriesen besser gefallen, ich fand das ganz angemessen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hatte in den letzten Jahren mehrfach nachgefragt, wie es denn so aussehe, welchen Stellenwert die Bekämpfung patriarchaler Strukturen und patriarchaler Gewalt zum Beispiel im Rahmen des Konzeptes Handeln gegen Jugendgewalt habe, wie in Hamburg gezielt männliche Familienmitglieder in den Communitys angesprochen werden sollen, welche Projekte für Jungen, für Eltern vor allen Dingen, für Väter es denn so gebe oder geben soll, in denen Gewaltprävention mit einer Auseinandersetzung mit Männlichkeitsbildern, Geschlechterrollen, sexuellen Identitäten und so weiter verbunden wird, und welche Planung es da überhaupt gebe. Die Antworten – das können Sie alle nachlesen – ließen viel zu wünschen übrig; lassen Sie mich das einmal so vorsichtig formulieren. Insofern macht mich dieser tatsächlich doch windelweiche Prüfungsauftrag misstrauisch, insbesondere im Hinblick auf die Frage von Akzeptanz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen bei männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

Ich möchte gerne noch einmal auf drei Punkte hinweisen.

Erstens: Welche Erkenntnisse hat die Innenbehörde eigentlich über das Gewaltpotenzial von Jugendlichen in Bezug auf Homosexuelle? Nach eigenen Angaben, wie sie mir gemacht wurden, so gut wie gar keine. Berlin zum Beispiel weiß da sehr viel mehr, und zwar dank des Projekts MANEO, angesichts dessen wir hier auch einmal gefragt haben, welche Möglichkeiten es dafür in Hamburg gebe. Die haben bereits 2006/2007 eine Umfrage

zu Gewalterfahrungen von schwulen und bisexuellen Jugendlichen und Männern in Deutschland gemacht. Demnach sind die Täter homophober Gewalttaten – nach den Angaben der Opfer – jung, männlich und in mindestens 16 Prozent der Fälle nicht deutscher Herkunft. Vor allem bei Jüngeren spielen sich die Taten überwiegend im schulischen Kontext ab, das hat diese Befragung noch einmal eindeutig gezeigt. Ich erlaube mir daher den Hinweis auf den Beschluss der Bürgerschaft aus der letzten Legislaturperiode, in dem es um Maßnahmen ging, die beschlossen waren im Hinblick auf Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen an Schulen und die natürlich immer noch der Umsetzung harren, wie meine permanenten Nachfragen immer wieder deutlich machen.

Zweitens: Es gibt in Hamburg tolle interkulturelle sexualpädagogische Ansätze, zum Beispiel das Projekt "Sei eigen – mit Respekt!", das von pro familia in Wilhelmsburg durchgeführt wurde, die immer wieder dafür plädiert haben, das doch bitte auszuweiten, weil es ein tolles Projekt wäre, um den Zielen, denen auch dieser Antrag nachgeht, zum Durchbruch zu verhelfen – nur einmal so als Anregung.

Drittens: Projekte sind ganz wunderbar, ich finde Peer-Projekte auch eine tolle Sache, aber aus meiner Sicht könnte Hamburg auch einmal ein paar strukturelle Maßnahmen durchführen. Ich erinnere hier an unseren Antrag zum Thema Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, dem Sie nicht folgen wollen, aber auch der vom Senat in Aussicht gestellte aktualisierte Aktionsplan Opferschutz ist seit Monaten überfällig, da kommen Sie auch nicht in die Hufe. Und ich fände es toll, wenn Hamburg dafür sorgen würde, dass sowohl Gewalt gegen Frauen und Mädchen als auch Gewalt gegen Lesben und Schwule, Stichwort Hate-Delikte, einmal angemessen erfasst würden. Das gibt es nämlich bisher in Hamburg auf keinen Fall, es gibt da in vieler Hinsicht Handlungsbedarf. Ich hätte es toll gefunden, wenn wir uns darüber auch in den entsprechenden Ausschüssen noch einmal hätten auseinandersetzen dürfen. Das wollen Sie nicht; schade, kann ich dazu nur sagen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Das Wort bekommt Herr Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Dobusch, Sie können davon ausgehen, dass uns die Studie aus Berlin auch vorliegt, und natürlich wird da auch Hamburg abgefragt. Insofern wissen wir davon, wie alle anderen es auch wissen können, denn es ist im Internet veröffentlicht. Was uns dazu veranlasst hat, auch

(Christiane Blömeke)