Protocol of the Session on May 5, 2010

(Mehmet Yildiz)

Das Image der SPD ist doch aber ehrlich gesagt ein bisschen angekratzt.

(Dirk Kienscherf SPD: Angekratzt! Das ist doch wohl nicht wahr!)

Als im Bundestag darüber abgestimmt wurde, ob die Hamburger Eltern durch höhere Kindergelder und Kinderfreibeträge um 84 Millionen Euro pro Jahr entlastet werden sollen, hat die SPD dagegen gestimmt und hier beklagen Sie sich über 9 Millionen Euro beziehungsweise 18 Millionen Euro mehr an Kita-Beiträgen. Das ist unglaubwürdig.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ihre engagierte Oppositionsarbeit hat noch andere Auswirkungen.

(Michael Neumann SPD: Wahrscheinlich die Begünstigung von Mövenpick oder so!)

Ich bekomme eine ganze Menge Protestbriefe, denn niemand bezahlt gern mehr, und ich muss ehrlich sagen, manches, was ich lese, verstört mich.

(Dirk Kienscherf SPD: Das glaube ich alle- mal!)

Da ist eine Familie, die monatlich 4000 Euro netto ohne Kindergeld zur Verfügung hat und die vorrechnet, dass sie quasi auf Sozialhilfeniveau lebe.

Da ist eine Familie, die mir schreibt, dass sie für die Kinderfrau 2500 Euro ausgeben müsse und daher keine 400 Euro für einen Zehn-StundenGanztagsplatz übrig habe.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das ist das Gros der Eltern, genau!)

Wir haben mit dem Gutscheinsystem Transparenz geschaffen, was ein Kita-Platz kostet. Jetzt melden sich immer mehr Eltern, die fragen, warum die Kita eigentlich so teuer sei.

Briefe dieser Art, das sage ich ganz offen, lösen bei mir Sorgen aus. Was für ein gesellschaftliches Bewusstsein haben wir und wie ist der soziale Zusammenhalt? Was sind die persönlichen Maßstäbe und – nicht zuletzt – welche Wertschätzung bringen die Eltern der engagierten Arbeit in den Kitas entgegen?

Auch wenn diese Debatte wieder hitzig geführt wird, sollten wir alle uns bewusst sein, welche immense Verantwortung wir in Politik und Medien haben, wenn es um Information und Willensbildung in unserer Gesellschaft geht. Das hat gerade die Diskussion um Griechenland gezeigt. Wir können es uns einfach machen und zu Schuldzuweisungen greifen oder den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einschenken.

In dem bemerkenswerten Leitartikel des heutigen "Hamburger Abendblatts" schreibt Egbert Nießler:

"In Zeiten der Krise schlägt auch immer wieder die Stunde der Demagogen, der großen Vereinfacher und Schuldzuweiser."

Er führt dann aus, dass alle EU-Länder, auch Deutschland, mehr oder weniger katastrophal hoch verschuldet seien – ich zitiere –:

"Das wiederum liegt nicht allein an geldgierigen Banken, herzlosen Ratingagenturen oder ganz allgemein am Wirtschaftssystem. Es liegt auch an uns allen. An Bürgern, die vom Staat zuviel erwarten – in Deutschland vor allem Sicherheit in allen Lebenslagen –, die ihren Politikern sofort mit Liebesentzug drohen, wenn vom Abbau lieb gewordener Subventionen gesprochen wird. Und es liegt umgekehrt auch an Politikern, die, um ihrer Wiederwahl willen sich um Wahrheiten und Entscheidungen drücken, solange es geht."

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ich meine, das ist ein bemerkenswerter Leitartikel, der den Finger in die Wunde der politischen Kultur unserer gesellschaftlichen und medialen Diskussion legt. Wir suchen Schuldige, denn dann brauchen wir nicht auf uns selber zu schauen. Wir zeigen lieber mit dem Finger auf andere.

Ich möchte das an einem Beispiel illustrieren. Im Zusammenhang mit der Kita höre ich viel zur HSH Nordbank. Das "Hamburger Abendblatt" hat neulich in einem Dossier zur HSH Nordbank festgestellt, dass bisher kein einziger Cent aus Steuergeldern in die Rettung der Bank geflossen ist.

(Dr. Joachim Bischoff DIE LINKE: Das ist schlicht falsch!)

Wenn Sie auf die Straße gehen und die Hamburgerinnen und Hamburger befragen würden, welche Summen bislang gezahlt wurden, würden wahrscheinlich 80 oder 90 Prozent von ihnen mit Millionenoder Milliardenbeträgen antworten. Diese massive Diskrepanz, dieser Abgrund zwischen Realität und öffentlicher Wahrnehmung muss eine Herausforderung für Politik und Medienverantwortliche sein.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ich weiß, dass Empfindungen und Stimmungen in der Politik wichtig und nicht zu unterschätzen sind und deswegen neigt Politik zu Symbolen und bedeutungsvollen Signalen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass sich Politik nicht darin erschöpfen darf und dass verantwortungsvolle Politik im Kern immer auf der Realität aufbauen muss.

Gerade wir gewählte Politiker müssen in schwerer Zeit Verantwortung übernehmen und den Mut zu Entscheidungen aufbringen, die uns wenig Freude machen und wenig öffentlichen Applaus einbringen, die aber notwendig sind. Griechenland jetzt und früher Skandinavien und andere Staaten ha

(Senator Dietrich Wersich)

ben uns gelehrt, dass das hohe Niveau unseres deutschen Sozialstaates nur dann bewahrt werden kann, wenn wir dafür sorgen, dass er bezahlbar bleibt.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das sind wir denen schuldig, die die Hilfe der Gemeinschaft brauchen, aber vor allem auch unseren Kindern und zukünftigen Generationen. In dieser Verantwortung handeln wir.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort hat der Abgeordnete Böwer.

(Wolfgang Beuß CDU: Das lässt nichts Gu- tes hoffen!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Als jemand, der ein Stück weit auch von der katholischen Kirche erzogen wurde,

(Jörn Frommann CDU: Was ist das denn?)

habe ich immer gedacht, wenn man nach Rom reist, kommt man schlauer wieder.

Herr Senator Wersich, Ihre Rede war zynisch und Ihre Familienpolitik ist ebenfalls zynisch.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen auch sagen, warum. Da schreiben Ihnen Eltern und was machen Sie mit den Briefen? Sie gehen hin und ziehen sie durch den Kakao.

(Jörn Frommann CDU: Da sind Sie doch Spezi drin!)

Wenn sich Eltern an Sie als Fachsenator wenden, dann haben Sie anders damit umzugehen, als Sie es getan haben.

Was erklären Sie, Stephan Müller oder die CDU insgesamt den Eltern? Sie erklären per Bewilligungsbescheid vom 23. April 2010:

"Sehr geehrte Frau …, sehr geehrter Herr …, der Bewilligungsbescheid vom 28. August 2008 für das unten genannte Kind wird mit Wirkung zum 14.05.2010 aufgehoben, weil eine Änderung in den Verhältnissen, die für die Berechnung des Familieneigenanteils und damit für die Kostenerstattung erheblich sind, [sic! mit Wirkung ab dem 15.05.2010 zu berücksichtigen ist]."

Es haben sich also die Verhältnisse geändert.

Es gab neben diesem Bescheid einen gelben Brief für alle 70 000 Eltern der Kita-Kinder, nicht adressiert und ohne Unterschrift der Autoren. Die Bezirksämter mussten in die Bresche springen, datieren und schreiben, was Sache ist. In diesem gelben Brief ist von einbrechenden Steuereinnahmen die

Rede – veränderte Verhältnisse und einbrechende Steuereinnahmen also.

Eine wesentliche Ursache kann man im Plenarprotokoll des Bundestags vom 18. März 2010 finden, in der Debatte um das Wirtschaftswachstumsförderungsgesetz. Der Bürgermeister selber hat gesagt, dass dieses Gesetz unsere Stadt 100 Millionen Euro koste. In der Debatte um die Kindergelderhöhung wurde explizit auf die unsoziale Familienpolitik der CDU hingewiesen, die den Eltern mit der einen Hand 20 Euro geben, mit der anderen Hand aber mindestens 30 Euro nehmen wolle. An dieser Stelle findet sich im Protokoll ein Zwischenruf des ansonsten von mir sehr geschätzten Kollegen Weinberg, das sei fachlich falsch. Herr Weinberg, in Hamburg sollen den Eltern nicht 30 Euro genommen werden, sondern bis zu 100 Euro und das ist zynisch und unsozial.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ein Sozialsenator, der ein Stück weit auch in der Tradition von Paula Karpinski steht, sagt – die Kollegin Carola Veit hat schon darauf hingewiesen –, die Erhöhung der Kita-Beiträge für behinderte Kinder sei ein Schritt der Normalisierung, dann ist das nicht nur zynisch, sondern auch unsozial und zeigt, dass Sie fachlich überhaupt nicht in Ihrem Amt angekommen sind.

(Beifall bei der SPD)