Herr Präsident, meine Damen und Herren! Heute ist der internationale Tag der Menschenrechte, denn vor 61 Jahren hat die Generalversammlung der UN, der United Nations, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Das passt ganz ausgezeichnet. Dort heißt es nämlich in Artikel 3 – Artikel 3 scheint immer ein guter Platz zu sein –:
Keine Angst, ich übersetze es Ihnen auch gleich, aber ich wollte es Ihnen lieber zuerst in der englischen Version vortragen, weil es in manchen Übersetzungen einfach heißt: Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der eigenen Person. Ich möchte das natürlich gerne so übersetzt haben, dass da steht, jeder und jede hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der eigenen Person.
Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass wir uns alle, wie wir hier sitzen, egal, welcher Fraktion wir angehören, dem auch tatsächlich verpflichtet fühlen. Heute geht es mir jedoch um die Frage, inwieweit in dieser Stadt derzeit die fundamentalen Rechte auf Leben, Freiheit und Sicherheit all jener Frauen sichergestellt sind, die zu Hause Gewalt ausgesetzt oder von Gewalt bedroht sind. Die Situation in den Hamburger Frauenhäusern ist unseren Informationen nach nämlich dermaßen angespannt, dass aus unserer Sicht dringender Handlungsbedarf besteht. Einen entsprechenden Antrag haben wir vorgelegt.
Lassen Sie mich das kurz ausführen. Der Senat hat uns wiederholt versichert, die Kapazitäten in den Frauenhäusern reichten aus. Ist das so? Ich habe da mittlerweile starke Zweifel. Im Jahr 2004 waren es beispielsweise noch 35 Frauen, die zur Aufnahme in Frauenhäuser außerhalb Hamburgs verwiesen wurden, weil in der aktuellen Notsituation, in der sie sich befanden, keines der Hamburger Frauenhäuser in der Lage war, diese Frauen aufzunehmen. Im Jahr 2006 waren es schon 86 Frauen, die an Frauenhäuser außerhalb Hamburgs verwiesen wurden, und im Jahr 2008 waren es 169 Frauen, die zur Aufnahme in Frauenhäuser außerhalb Hamburgs verwiesen wurden, weil in der akuten Notsituation keines der Frauenhäuser
in Hamburg in der Lage war, diese Frauen aufzunehmen. Das hat dazu geführt, dass bei Beratungsstellen wie Patchwork mittlerweile schon der Eindruck entstanden ist, es sei zwecklos beziehungsweise geradezu unverantwortlich, Frauen an die Hamburger Frauenhäuser zu verweisen, weil diese chronisch voll beziehungsweise – darauf komme ich später noch zurück – übervoll sind. Meine Damen und Herren, so geht es nicht.
Erstens: Es ist natürlich sinnvoll, wenn Frauenhäuser über die Landesgrenzen hinweg kooperieren, solange sichergestellt ist, dass dadurch nicht weitere bürokratische Hürden, zum Beispiel durch unterschiedliche Finanzierungsmodelle, Aufnahmebedingungen oder Ähnliches, entstehen. Aber lassen Sie uns nicht vergessen, dass davon auch Frauen betroffen sein können, die zum Beispiel ihren Arbeitsplatz in Hamburg haben und ihn eigentlich auch gerne behalten würden. Betroffen sein können auch Kinder, die ihre gewohnten Kitas und Horte nicht mehr aufsuchen können, eventuell die Schule wechseln müssen und ihre Freunde verlieren in einer Zeit, die sie als traumatisch erleben dürften. Wie sich die Lage in der Hinsicht im Detail darstellt, muss aus unserer Sicht dringend einmal geklärt werden.
Zweitens: Die Frauenhäuser selbst wollen keine Frauen abweisen, die sich in einer bisweilen akut lebensbedrohlichen Lage befinden, auch dann nicht, wenn die Häuser eigentlich voll belegt sind. In solchen Fällen kommt es zu Notunterbringungen in Gemeinschaftsräumen, also zum Beispiel auf dem Sofa im allgemeinen Wohnzimmer des Hauses, auf Notbetten oder wo immer Platz ist. Wir haben neulich zum Beispiel über einen Anspruch auf Einzelbettunterbringung im Pflegebereich diskutiert. Hier reden wir über die angemessene Unterbringung von häufig traumatisierten Frauen und ihren Kindern in psychisch stark belastenden Situationen und wir bieten ihnen bisweilen Notmatratzen in irgendeiner Ecke oder unter der Treppe an. Auch das geht aus unserer Sicht nicht.
Nun diskutiert dieses Haus nicht zum ersten Mal über Frauenhäuser. Deshalb habe ich noch einmal nachgelesen, wie die letzten Debatten dazu denn so gelaufen sind,
und versuche, etwas vorzubauen. Zum Beispiel lautete in einer der letzten Debatten die Begründung der CDU-Fraktion dafür, die Plätze nicht aus, sondern abzubauen – diese Begründung ist in den entsprechenden Kreisen natürlich legendär –, dass, wenn wir noch zehn Frauenhäuser dazubekämen, wir diese auch problemlos füllen könnten. Die Konsequenz, die damals von der CDU-Frakti
(Olaf Ohlsen CDU: Das ist ja unglaublich! – Gegenruf von Ingo Egloff SPD: Sie sagen es, Herr Kollege!)
Ich halte das natürlich für die falsche Konsequenz in so einer Situation. Wenn es hier Frauen gibt, denen wir keinen Schutz bieten können, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie den in Zukunft bekommen. Ich habe auch nachgelesen, dass die geschätzte Kollegin Koop damals ganz zuversichtlich war,
dass sie den Bedarf durch entsprechende Maßnahmen zum Beispiel im Bereich Gewaltprävention, Täterarbeit und so weiter senken könne. Aber der Bedarf ist immer noch sehr hoch und höher, als wir Plätze vorrätig haben. Die letzten acht Regierungsjahre der CDU haben zumindest noch nicht gereicht, den Bedarf zu senken.
Wie Sie wissen, ist seit Juni 2009 auch in dieser Sache noch ein Antrag meiner Fraktion im Sozialausschuss anhängig. Wir fordern einen Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und wir haben unsere Forderungen mit konkreten Maßnahmen unterlegt. Insofern sind wir natürlich Ihrer Meinung: Es kann nicht nur darum gehen, die Frauenhäuser weiter auszubauen, das alleine reicht nicht. Aber ausreichenden unmittelbaren Schutz für Frauen in Not zu gewähren, ist allerdings aus unserer Sicht die Grundbedingung für alles Weitere.
Wenn wir hier eine derartig dramatische Situation haben, wie sie sich jetzt abzeichnet, dann ist es die Verpflichtung des Senats, zu handeln und die Frauenhäuser vor dem Kollaps zu bewahren. Die Verletzung der grundlegenden Rechte von Frauen ist in allen Gesellschaften immer noch ein Problem. Deshalb dürfen Hamburg und der Senat an diesem Punkt nicht zögern zu handeln. Frauenhäuser, die wegen permanenter Überfüllung nicht mehr als möglicher Zufluchtsort zur Verfügung stehen, beschädigen nämlich das Vertrauen in das Schutzversprechen, das wir als Stadt den Frauen wiederum schulden.
In Hamburg gibt es für eine Bevölkerung von 1,8 Millionen 194 Frauenhausplätze. 235 wären es nach der Empfehlung des Europarats; diese Empfehlung wurde übrigens auch im Bundestag bei der letzten Behandlung dieses Themas aufgegriffen. Das heißt also, nach diesen Berechnungen fehlten in Hamburg 41 Frauenhausplätze. Deshalb kann bisher auch kaum angemessen berücksichtigt werden, dass Frauen zum Beispiel barrierefreie Unter
bringung benötigen oder in Begleitung ihrer Kinder, bisweilen auch ihrer Söhne, Unterbringung benötigen. Wir haben derzeit auch da nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen. Es kann zum Beispiel auch nicht berücksichtigt werden, dass seit der Auflösung entsprechender Unterbringungsmöglichkeiten von KOOFRA, der Koordinierungsstelle in Hamburg gegen Frauenhandel, auch tief traumatisierte Frauen aus der ganzen Welt in den Frauenhäusern untergebracht werden, Frauen mit Kindern in einem Zimmer mit Frauen, die ihre Kinder seit Jahren nicht mehr gesehen haben und deren Kinder quasi als Geiseln gehalten werden, um die Frauen als Opfer sexueller Ausbeutung gefügig zu halten. Das sind Zustände, die wir uns nicht einfach anschauen sollten, sondern wir sollten uns bemühen, Abhilfe zu schaffen.
Ich erwähne die Unterbringung von Frauen, die bei KOOFRA registriert sind, unter anderem deshalb, weil auch die Fälle von Frauenhandel im Jahr 2009 dramatisch gestiegen sind. Bereits im ersten Halbjahr 2009 hatten wir so viele Fälle registriert wie im gesamten Jahr 2008. Auf diese Entwicklung war die Hamburger Situation einfach nicht eingerichtet. Das Hamburger Frauenhaussystem hat dieses nicht gut verkraftet.
Zu Ihrer Erinnerung: Eine psychologische Betreuung vor Ort in den Frauenhäusern wird vom Senat schon seit Längerem nicht mehr finanziert und kann nur deshalb punktuell aufrechterhalten werden, weil die Mitarbeiterinnen in diesen Häusern, die eine entsprechende Ausbildung haben, auf eine adäquate Entlohnung verzichten und sozusagen auf ganz anderen Stellen arbeiten. Diese häufig überqualifizierten und zu wenig Lohn arbeitenden Frauen müssen sich dann übrigens auch noch von Menschen wie Herrn Amendt – Sie erinnern sich vielleicht, das ist der, der vor Kurzem die Frauenhäuser als Hort der Indoktrination gegen Männer schließen lassen wollte – vorwerfen lassen, sie seien Laienselbsthilfeanbieterinnen. Das ist aus meiner Sicht natürlich der absolute Gipfel.
Angesichts dieser Situation müssen wir uns tatsächlich mit den Standards in den Einrichtungen befassen. Wir fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und GAL, deshalb auf, jetzt nicht auf statistische Finessen der Bedarfskalkulation auszuweichen, wie wir das schon öfter, auch in der entsprechenden Situation im Ausschuss, hatten, sondern zu handeln, bevor der Schaden noch größer wird. Wie ich höre, wollen Sie einer Überweisung zustimmen. Das würde mich natürlich freuen, das wäre sehr gut. Wir dürfen die Sache nur nicht allzu lange liegen lassen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Dobusch, wir liegen in vielen Bereichen auf einer Linie, das ist ganz klar. Auch ich habe mir natürlich meine und Ihre Rede vom letzten Mal durchgelesen und man kann sagen, same procedure as every year.
Es ist klar, dass die Auslastung der Frauenhäuser an ihre Grenzen gestoßen ist, das ist richtig. Aber wir müssen natürlich auch sehen, ob diese steigende Tendenz sich verstetigt. Wenn das der Fall ist, muss die Behörde handeln und das ist auch in Aussicht gestellt. Anfang Januar wird ein Gespräch mit den Frauenhäusern und den entsprechenden Trägern stattfinden und da muss alles das auf die Tagesordnung kommen, was Sie eben angesprochen haben.
Es ist bei allen Fraktionen hier unbestritten, dass es eine Soforthilfe für Opfer von Gewalt geben muss und dass das auch möglichst wohnortnah und im gewohnten Umfeld stattzufinden hat. Aber es gibt auch einen anderen Blickwinkel auf das Thema. Für mich ist es wichtiger, dass wir die Familie, das heißt die Frauen und die Kinder, in ihren Wohnungen belassen. Eine konsequente Verfolgung der Gewalttäter ist wesentlich sinnvoller, als die Frauen und Kinder aus ihrer Umgebung herauszuholen.
Wir haben eine konfliktreiche Zeit vor uns. Das Fest des Friedens ist nicht unbedingt mit einem häuslichen Frieden verbunden und wer die Konfliktsituationen in normalen Familien kennt, der kann sich vorstellen, dass das in problematischen Familien noch dramatischer sein wird. Insofern ist schon zu beobachten, welche Entwicklung da ist, und da muss die Behörde dann auch ohne Weiteres handeln, das ist ganz klar.
In dieser Zeit, wenn aus der augenblicklichen Situation heraus die Fallzahlen steigen werden, ist es natürlich immer sehr populär zu sagen, wir brauchen mehr Häuser, mehr Unterbringung und so weiter. Das kostet alles Geld und das wissen wir. Woher die Gelder kommen sollen, müssen wir dann auch belegen können. Das darf also nicht einfach nur als Forderung im Raum stehen, sondern muss auch finanziell unterfüttert sein. Mir ist es wichtiger, konsequent an der Wegweisung von Gewalttätern zu arbeiten, und das muss umgesetzt werden. Wer schlägt oder prügelt, und sei es auch unter Drogen- oder Alkoholeinfluss, ist dennoch ein Gewalttäter. Jeder Tritt, jede Ohrfeige, jede psychische Gewalt ist Körperverletzung und muss
dementsprechend auch geahndet werden. Das gilt häufig in der Gesellschaft noch als Kavaliersdelikt, das gehört im häuslichen Bereich halt dazu. Frauenhäuser müssen bei der Behandlung dieses Problems die Ultima Ratio bleiben und sind eine Kriseneinrichtung. Sie sind keine dauerhafte oder ständige Wohnunterkunft.
Wenn Sie sagen, dass ich hier schon ewig immer wieder die gleiche Prävention einfordere, dann ist das etwas, was wir nicht einfach beiseite schieben können. Die Verstetigung eines Aufenthalts im Frauenhaus ist nicht das, was wir anstreben, sondern ganz im Gegenteil müssen wir sehen, dass die Frauen und Kinder in ihrem häuslichen Bereich bleiben können.
Zur Prävention von Gewaltanwendungen gehört nicht nur die politische Aktion und wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass wir mit mehr Plätzen und mehr Betreuung dem ganzen Phänomen der häuslichen Gewalt begegnen und es eventuell sogar eindämmen könnten. Es wird so lange ein Problem bleiben, solange in den Köpfen eine Faszination der Gewalt besteht. Wir haben am Anfang des Tages heute eine ziemlich einhellige Meinung zur öffentlichen Gewalt gehabt und von unserer Seite aus gesagt, dass wir sie ächten. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass auf der Straße die Gewalt weniger interessant wird. Wir sehen, dass diejenigen, die auf der Straße Gewalt erleben, sie dann auch in die häuslichen Bereiche hineintragen. Wer sich untereinander schlägt, der schlägt eben auch seine Familienangehörigen. Das ist etwas, wo wir eingreifen müssen und wo wir auch irgendwo sehen müssen, wie wir das Bild von Männlichkeit verändern, das sich in solchen Sprüchen widerspiegelt wie "Ein richtiger Junge prügelt sich schon einmal" oder "Wer ein richtiger Kerl ist, der haut auch einmal zu und setzt sich durch". Solche Dinge müssen unterbunden werden, solche Dinge müssen wir aufbrechen und wir haben eine ganze Fülle von Institutionen, die sich damit beschäftigen und die den Weg gehen, von vornherein ein neues Bild von Männlichkeit zu malen.
Wenn ich mir anschaue, was im Schanzenviertel los gewesen ist, dann kann man das nicht voneinander trennen. Man kann nicht sagen, hier haben wir die häusliche Gewalt und dort haben wir die öffentliche Gewalt. Da ist eine fast schon folkloristische Nische entstanden, dass Rebellionsromantiker hingehen, sich das ansehen und es eigentlich als selbstverständlich empfinden, dass man Auseinandersetzungen, seien sie privat oder öffentlich, mit Gewalt führt. Dieser grundlegenden Umstrukturierung in unseren Köpfen müssen wir viel mehr Raum geben.
Ich finde es gut, dass wir uns dazu entschlossen haben, das im Ausschuss zu besprechen. Ich gehe deswegen nicht näher auf Ihren Antrag ein. Das können wir alles im Ausschuss machen und ich
denke, dass uns das dazu bringen wird, uns vielleicht mit ein bisschen mehr Nachdruck dafür einzusetzen, dass nicht nur von der politischen Seite her gegen Gewalt im häuslichen Bereich gearbeitet wird, sondern auch im privaten Bereich und im sozialen Umfeld sowieso. – Vielen Dank.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir müssen traurigerweise feststellen, dass auch heute noch jede vierte Frau in der Bundesrepublik Opfer von häuslicher Gewalt wird. Das hat eine Studie des Bundesfrauenministeriums im Jahr 2004 bereits festgestellt und die Zahlen, die Frau Dobusch vorhin noch einmal genannt hat, machen leider deutlich, dass sich an dieser Tendenz nichts ändert, zumindest nicht in Richtung einer Verbesserung. Wenn wir enger auf den Hamburger Raum blicken, dann gibt es seit über 32 Jahren Schutzhäuser für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Das erste Haus in Hamburg wurde 1977 eingerichtet und wir können auch hier nur traurigerweise feststellen, dass der Bedarf nach Schutzräumen, nach Schutz in einem sogenannten Frauenhaus, eher zugenommen hat, denn wir haben inzwischen fünf Häuser – zeitweilig hatten wir sechs –, vier autonome Frauenhäuser und das Haus der Diakonie. Auch die Platzzahl hat Frau Dobusch vorhin genannt. Es ist von keiner Seite zu bestreiten, dass der Bedarf groß ist und tatsächlich auch noch größer wird. Es ist erschreckend, dass das trotz all der Maßnahmen passiert, die unternommen werden, und zwar unabhängig davon, welche Regierungsbildung wir in dieser Stadt haben. Wir können feststellen, dass es in den letzten 30 Jahren einen linearen Anstieg gibt und die Maßnahmen, sei es im Präventionsbereich, sei es in der nachgehenden Versorgung, doch nur in Akutfällen helfen. Es ist einfach eine bitterböse Realität, dass das Thema häusliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor in dieser Dramatik existiert.