Protocol of the Session on November 19, 2009

Wir setzen zunächst die

Aktuelle Stunde

von gestern fort.

Ich rufe das dritte Thema auf, das in der gestrigen Sitzung wegen Zeitablaufs nicht mehr behandelt werden konnte. Angemeldet wurde es von der SPD-Fraktion, es lautet:

Wersichs Streichliste – Neue Hürden und Sperren in der Sozialpolitik.

Das Wort wird dazu gewünscht. – Die Abgeordnete Veit hat es.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Senator Freytag und Bürgermeister von Beust teilen Hamburg gerne ein: in eine Zeit vor der Finanzkrise und eine Zeit während der Krise. Das tun sie, um von ihren hausgemachten Fehlern abzulenken. Sie möchten diese Fehler zurücklassen in der alten Zeit und nichts mehr hören von explodierenden Kosten bei Prestigeobjekten, nichts mehr hören vom Glücksspiel bei der HSH Nordbank, der HafenCity Universität, der Elbphilharmonie oder der U4. Sie reden über die Krise, um über die eigenen Fehler der vergangenen Jahre nicht zu reden. Ich sage Ihnen erneut: Das läuft mit uns nicht.

(Beifall bei der SPD)

Der Erste Bürgermeister mimt neuerdings den Landesvater und beklagt sich, von seiner Bundeskanzlerin und deren Koalitionspartner zur Kasse gebeten zu werden, und der Finanzsenator und Landesvorsitzende der CDU klopft zum gleichen Thema bei der Landespressekonferenz große Sprüche, kann aber nicht sagen, wie sich Schwarz-Grün dann im Bundesrat verhalten will.

Herr von Beust, das sind doch in Wahrheit Krokodilstränen. Die FDP hat doch lange vor der Bundestagswahl und übrigens während der Finanzkrise gesagt, was sie will, und dennoch haben Sie und viele andere für eine schwarz-gelbe Koalition geworben. Nun haben Sie den Salat und was machen Sie? Wir erleben in diesen beiden Sitzungen wieder, wo Ihre Prioritäten liegen. 3 Millionen Euro als Geschenk für die Tamm-Stiftung, ein Blankoscheck für die Stadtbahn, 20 Millionen Euro mehr für den Bergedorfer ZOB.

Soweit zu den Rahmenbedingungen und nun zu Senator Wersich. Senator Wersich beglückt die Stadt mit zehn goldenen Regeln, die für einen Aufschrei in der Hamburger Sozialpolitik gesorgt ha

ben, zehn goldene Regeln zum Sparen bei Menschen, die unsere Hilfe brauchen, bei Kindern, Eltern und Familien. Senator Wersich macht Vorschläge zum Kürzen von Rechtsansprüchen. Das tut er, ohne über die eigenen Fehler im Sozialbereich zu reden.

Zum Beispiel begleitet uns, seit Senator Wersich Staatsrat war, aus seinem Hause der Satz, dass es Ziel sei, durch geeignete Maßnahmen im Vorfeld Erziehungshilfen zu vermeiden. Dieses Ziel haben Sie nie erreicht. Seit Jahren erreichen uns jährlich Nachforderungen in zweistelliger Millionenhöhe allein zu diesem Bereich der Erziehungshilfen. Sie haben das Ziel verfehlt, denn den konsequenten Schritt zu mehr und noch früherer Prävention bei kleinen Kindern und deren Familien haben Sie nie gewagt. Flächendeckende Familienhebammen und Früherkennungsmaßnahmen lehnen Sie ab. Sie haben die Kinder von Arbeitslosen vor fünf Jahren konsequent aus den Kitas herausgedrängt. Jetzt wundern Sie sich, dass Ihnen das woanders auf die Füße fällt und Sie mehr Erziehungshilfen brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Herr von Beust, für genau diese Mutlosigkeit zahlen wir alle, zahlt Hamburg Ihre ständigen Nachforderungen in zweistelliger Millionenhöhe, die bei einer besseren Sozialpolitik vermeidbar wären; zehn goldene Regeln also, die in Wahrheit der politische Offenbarungseid des Sozialsenators sind. Sie wollen neue Vorhaben zurückstellen, auf gut Deutsch: Ihre Wahlversprechen aus dem Koalitionsvertrag wie bessere Sprachförderung oder ein Rechtsanspruch für Zweijährige in den Kitas werden kassiert. Sie wollen Gebühren erhöhen und Beitragsbefreiung zurücknehmen – das bedeutet, dass die Elternbeiträge erhöht werden –, Kitagruppen vergrößern und Standards senken; das sind Ihre Pläne. Dann kommt noch der wohl traurigste Satz, den jemals ein Sozialsenator in Hamburg geschrieben hat: der Aufbau von Hürden für die Inanspruchnahme gesetzlicher Leistungen. Der Aufbau von Hürden für die Inanspruchnahme gesetzlicher Leistungen, darunter steht Ihr Name, Herr Senator Wersich, das bedeutet nichts anderes, als dass Sie Berechtigte abhalten wollen, die gesetzlichen Leistungen auch in Anspruch zu nehmen.

(Egbert von Frankenberg CDU: Das ist un- seriös, was Sie da machen!)

Herr Senator Wersich, Sie haben hier geschworen, die Gesetze zu beachten und das Wohl Hamburgs zu fördern.

(Egbert von Frankenberg CDU: Das ist ja noch unseriöser! – Viviane Spethmann CDU: Wie geht das denn jetzt, das ist ja total daneben!)

Wenn Sie Ihre Behörde dazu anhalten, Bürgerinnen und Bürger über ihre gesetzlichen Ansprüche

zu täuschen, dann ist das der gröbste Verstoß gegen die Amtspflicht, den ein Sozialsenator begehen kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Stephan Müller.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin Veit, wenn Sie sprechen, kommt man manchmal aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Anders als bei der Kollegin Heyenn, die gestern von 185 000 Einkommensmillionären sprach, die wohl alle an einem Tag im AEZ ihre Unterschrift gegen die Schulreform geleistet hätten – hier bin ich mir sicher, dass sie das nicht so meinte –, muss ich fürchten, dass Sie inzwischen auch glauben, was Sie hier alles sagen.

(Ingo Egloff SPD: Dann holen wir die Vermö- gensteuer!)

Wenn Sie die Vergangenheit schon ansprechen, so ist dieses nicht der erste Senat, der einmal vor dieser schwierigen Aufgabe stand, einen Haushalt zu konsolidieren, allerdings nicht in der Größenordnung und nicht vor dem Hintergrund der Krise, die wir jetzt haben. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ein SPD-geführter Senat einen Haushalt konsolidiert hat und überall da gekürzt hat, wo es richtig weh getan hat, im sozialen Bereich, im Kita-Bereich und bei der Polizei. Dies alles ist ihm richtigerweise um die Ohren geflogen.

(Andy Grote SPD: Deshalb machen Sie das jetzt genauso!)

Sie wollen uns vorwerfen, unsozial zu sein, das ist nicht glaubwürdig.

(Beifall bei der CDU)

Sie waren doch diejenigen, die die Menschen in dieser Stadt im Stich gelassen haben und ihnen die kalte Schulter gezeigt haben. Nun stellen Sie sich hier hin und spielen den Moralapostel; so geht das nicht.

(Beifall bei der CDU – Ingo Egloff SPD: Des- halb sind Sie mit der Schill-Partei damals reingewählt worden!)

Ich sage Ihnen ehrlich, die Wirtschaftskrise und deren Auswirkungen, insbesondere für die öffentlichen Haushalte, ist bei allen angekommen, nur unerklärlicherweise nicht bei der SPD. Anders ist es nicht zu verstehen, dass Sie die kleinsten Fragmente, die vielleicht einmal durchsickern mögen, hier sofort aufnehmen und versuchen, sie zu skandalisieren. Wie immer machen Sie dann eine Riesenluftblase daraus und erklären uns, wogegen

Sie sind, aber wofür die SPD eigentlich steht, bleibt wie immer vollkommen im Dunkeln.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Wenn Sie einmal die Zeit fänden, sich nicht an eigenen Leuten abzuarbeiten, machen Sie das vorzugsweise an Senator Wersich oder Senator Freytag.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh! – Ingo Egloff SPD: Das ist unsere Aufgabe!)

Dabei ist doch die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung nicht abzustreiten, Sie scheinen das nur nicht erkennen zu wollen. Wir werden uns heute ganz bestimmt nicht darauf einlassen, mit Ihnen eine Debatte zu führen und über konkrete Maßnahmen zu sprechen, die noch gar nicht beschlossen wurden. Deswegen führen Sie aus meiner Sicht heute ganz eindeutig eine Scheindebatte und stochern hier einfach im Nebel herum. Als Grundlage Ihrer Vorwürfe führen Sie dann das Strategiepapier von Senator Wersich an mit den sogenannten zehn goldenen Regeln. Dabei ist dieses wirklich nur ein Fragment in einer sehr komplexen Frage der Haushaltskonsolidierung.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Erzählen Sie doch mal was zur Sache!)

Dann lesen Sie natürlich wie immer nur das, was Sie lesen wollen und versuchen, dies zu skandalisieren. Aber dass dieses Papier auch sehr viele gute, flankierende Maßnahmen und Notwendigkeiten enthält, ignorieren Sie. Das mag auch daran liegen, dass eine der Überschriften dieses Papiers "Ordnungspolitische Grundlagen" ist. Damit hatten Sie schon immer ein kleines Problem. Aber wenn Sie die Intention des Papiers erkannt hätten,

(Andy Grote SPD: Welche denn!)

wären Ihnen die honorigen Ziele sicherlich nicht entgangen, denn da steht unter anderem: gegen höhere Neuverschuldung, Gestaltungsspielräume belassen, Generationengerechtigkeit und keine Gefährdung der politisch gestaltbaren, freiwilligen Leistung. Dagegen kann doch niemand etwas haben, dass man sich darüber Gedanken macht. Um diese Ziele zu gewähren, muss man sich natürlich auch Gedanken machen, wie prognostizierte Kostenanstiege vermieden werden. Es geht eben nicht darum, Hilfen zu verweigern, die Menschen benötigen in dieser Stadt, im Gegenteil, sie werden die auch weiterhin bekommen.

Noch etwas. Gute Politik zeichnet sich auch dadurch aus – ganz besonders in Krisenzeiten –, sich mit Bedacht und Verantwortungsbewusstsein den Aufgaben zu widmen. Deswegen gibt es weder bei der CDU – ich darf das einmal so sagen – noch beim Senat irgendwelche Denkverbote, auch wenn Ihnen das so passen würde.

(Beifall bei der CDU)

(Carola Veit)

Deshalb finde ich es vollkommen richtig, dass dieser Senat und auch die Fraktionen alle Möglichkeiten durchdenken, auch mit dem Ziel, dass kommende Generationen noch Gestaltungsspielraum haben, sich vielleicht noch neuen Aufgaben widmen können und die Leistungen, die bei den Menschen ankommen, auch direkt dahin lenken können, wo sie hin sollen.

(Andy Grote SPD: Das interessiert Sie sonst an keiner Stelle! Das ist Ihre Verantwortung für die kommende Generation!)

Es ist erkennbar, dass es wieder einmal der Versuch der SPD ist, ein sozialpolitisches Schreckgespenst aufzubauen, aber dem ist nicht so. Ansonsten werden wir uns mit Ihnen über dieses Thema noch einmal auseinandersetzen und debattieren, nämlich dann, wenn es soweit ist, wenn Fakten auf dem Tisch sind und nicht vorher. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Blömeke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, dass Sie dieses Thema heute zur Aktuellen Stunde angemeldet haben, zeugt in der Tat einmal mehr davon, dass es seitens der SPD-Fraktion wirklich an Willen fehlt, Verantwortung für diese Stadt zu übernehmen, besonders wenn anstehende Entscheidungen unpopulär und unbequem sind.