Protocol of the Session on September 3, 2009

Über die Bedeutung von bezahlbaren Flächen für Kreative haben Sie, liebe Frau Gümbel, schon ge

(Norbert Hackbusch)

sprochen, das haben wir gestern ausführlich diskutiert. Ich kann in Ergänzung dazu sagen, dass wir auch beim Gängeviertel vorankommen, der Bezirk Hamburg-Mitte hat heute dem Immobilienmanagement der Finanzbehörde mitgeteilt, dass dem Investor heute um 17 Uhr per Boten die Baugenehmigung zugeleitet wurde. Damit ist der erste Schritt getan worden, um wesentliche Klarheit für das Gängeviertel zu schaffen. Mit einer Immobilienrunde wurde zudem eine Struktur ins Leben gerufen, die eine geeignete Basis für die künftige Arbeit sein wird. Vertreten sind alle Institutionen, die Kenntnisse oder Verfügung über Flächen und Immobilien haben, die für eine Nutzung durch Kreative in Betracht kommen. Die Angebote sollen dann schnellstmöglich in einer Datenbank zusammengetragen werden und eine der Aufgaben der künftigen Kreativagentur wird sein, die Kreativen bei der Datenbankabfrage zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass möglichst viele und vielseitige Flächen auch von privaten Eigentümern in das Angebotsportfolio eingebracht werden. Alle Hinweise auf Flächen sind hochwillkommen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, den wir uns vorgenommen haben, und damit komme ich zum Schluss, ist die Weiterentwicklung relevanter Teilmärkte. Als Beispiel sei hier das Thema Musikwirtschaft genannt und dies insbesondere vor dem Hintergrund des Strukturwandels in Folge der Digitalisierung von Audioinhalten. Im Dialog mit Branchenvertretern wird der Aufbau eines Microclusters Musik, Audio 2.0, in Angriff genommen. Innovative, internetbasierte Geschäftsmodelle bieten den Hamburger Unternehmen der Musikwirtschaft in Zukunft große Chancen und die Erarbeitung solcher Geschäftsmodelle wollen wir unterstützen. Ebenfalls im Austausch mit der Branche werden zurzeit Lösungen entwickelt, insbesondere die kleinen Musiklabels in ihrer Arbeit zu fördern.

Insofern werden wir natürlich auch bestehende Programme auf Bundesebene, hier zum Beispiel die Initiative Musik der Bundesregierung, mit einbinden und sinnvolle Ergänzungen anbieten. Auch ich bin gespannt auf die Debatte in unserem Ausschuss und finde die Anregung von Herrn Schwinke, dass dazu auch die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses eingeladen werden, sehr gut, denn ich bin mit Herrn Hackbusch der Meinung, dass es wirklich unsinnig ist, an alten Grenzen von Bereichen festzuhalten; darüber sollten wir schon längst hinaus sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Meine Damen und Herren! Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 19/3442 an den Kultur-, Kreativwirtschafts- und

Tourismusausschuss zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist einstimmig erfolgt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 96, Drucksache 19/3885, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Bundesratsinitiative für eine Aussetzung der Sanktionen gegen Hartz IV-Beziehende.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Bundesratsinitiative für eine Aussetzung der Sanktionen gegen Hartz IV-Beziehende (§ 31 SGB II) – Drs 19/3885 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Wirtschaftsausschuss überweisen.

Wer wünscht das Wort? – Herr Joithe, Sie haben es.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die fragwürdige Sanktionspraxis gegen Erwerbslose muss sofort gestoppt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Hartz-IV-Sanktionen bedeuten die Kürzung des Lebensnotwendigen. Sie sind unangemessen und entsprechen nicht unserer demokratischen Gesellschaftsform. Um faire Lösungen zu schaffen, ist die Anwendung des Paragrafen 31 SGB II, das ist der sogenannte Sanktionsparagraf, auszusetzen. Für diese Forderung setzen sich unter anderem ein die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, die Juso-Chefin Franziska Drohsel, die Vize-Parteivorsitzende der LINKS-Partei Katja Kipping ebenso wie der CDU-Politiker Heiner Geißler, ver.di-Chef Bsirske, Prinzen-Sänger Sebastian Krummbiegel und der Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Sie alle engagieren sich für ein Sanktionsmoratorium.

Die Sanktionen nach Paragraf 31 SGB II zwingen Erwerbslose angesichts der jahrelang anhaltenden Sättigung des Arbeitsmarktes in Deutschland dazu, Erwerbsarbeit beziehungsweise sogenannte Arbeitsgelegenheiten zu allerschlechtesten Konditionen aufzunehmen. Damit werden letztendlich auch die Erwerbstätigen unter Druck gesetzt, immer schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Außerdem werden mit diesen Sanktionsmöglichkeiten der Willkür in den ARGEN und Jobcentern Tür und Tor geöffnet, was zu vielen rechtswidrigen Entscheidungen führt. Wenn an den Transferleistungen gespart werden soll – ARGE-Chef Bösenberg sprach von 8 Prozent Einsparungsvorgabe anlässlich einer Sitzung des Eingabenausschusses –, dann ist das Sanktionsschwert eine Waffe, die nur durch Leistungsverminderung beziehungsweise Leistungsbehinderung zu erreichen ist – so kürzlich passiert im Fall einer Bedarfsgemeinschaft von Mutter und Sohn. Der Sohn, 21 Jahre alt, spurte in seinem Zwangs-Ein-Euro-Job nicht ganz

(Senatorin Dr. Karin von Welck)

so, wie es die ARGE gern hätte. Leistungsentzug auf 100 Prozent, darin war enthalten die Hälfte der Wohnungsmiete, war die Antwort der ARGE. Die Mutter wandte sich an die "Hamburger Morgenpost"; der Pressesprecher der ARGE, Herr Weise, teilte frech mit, alles sei rechtens, die Mutter hätte den Jungen halt besser zur Zuverlässigkeit erziehen sollen.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Dann hat die Mut- ter die Schuld!)

Am nächsten Tag musste die ARGE sich dann korrigieren. Die volle Miete musste, wie schon zuvor in einem ähnlich gelagerten Fall von einem Landessozialgericht festgestellt, von der ARGE gezahlt werden. Dies ist ein Beispiel aus dem Alltag der ARGE und der ARGE-Willkür in dieser Stadt und ein Schlaglicht auf das Menschenbild des Sprechers dieser Institution, bei der die Rechte nicht weiß, was die Linke tut und das mit System.

Aus den Antworten des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage meiner Fraktion zur Situation der unter 25-jährigen Hartz-IV-Geschädigten im Zusammenhang mit Sanktionen, Drucksache 19/3925, ist zu ersehen, dass der Senat sich nicht im Geringsten um diese Gruppe schert. Zahlen sind ihm nicht bekannt, er verweist auf die Statistik der Bundesagentur, die für diesen Personenkreis in Hamburg keine Zahlen liefert. Zynischer geht es wirklich nicht mehr.

Auf Bundesebene sind 789 000 Sanktionen im Jahr 2008 verhängt worden mit einem überproportionalen Anteil von unter 25-Jährigen. Die Jungerwachsenen sind einer noch restriktiveren Sanktionspraxis ausgesetzt als die über 25-Jährigen, was von ihnen häufig als eine Art schwarzer Pädagogik betrachtet wird. Dabei ist die Rechtsfehlerhaftigkeit bei den verhängten Sanktionen sehr groß. 37 Prozent der Widersprüche in 2008 wurde vollumfänglich stattgegeben und 65 Prozent der Klagen waren ganz oder teilweise erfolgreich; das geht aus der Bundestagsdrucksache 16/13577 hervor.

Das volkswirtschaftliche Problem, dem wir uns gegenüber sehen, ist jedoch nicht die mangelnde Motivation der Lohnarbeitslosen, eine auskömmliche Arbeit aufzunehmen, sondern vielmehr der strukturell und konjunkturell begründete Mangel an Arbeitsplätzen in ausreichender Zahl. Die neoliberale Regierungspolitik der vergangenen Jahre hat durch die Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors, einseitiges Setzen auf die Exportwirtschaft, Deregulierung und Entstaatlichung erheblich zu der gegenwärtigen Situation am Arbeitsmarkt und der Schwächung der Binnennachfrage beigetragen. Das gegenwärtige politische Krisenmanagement lässt, nachdem die Banken mit Milliardenkrediten und Bürgschaften bedient wurden, ein durchgreifendes, arbeitsmarktpolitisches Umsteuern keinesfalls erkennen. Sanktionen können dieses

strukturelle, gegenwärtig noch einmal konjunkturell verschärfte Problem mangelnder Arbeitsplätze nicht heilen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist zutiefst unredlich, wenn allein politisch zu behebende Strukturdefizite individuell den Langzeiterwerbslosen zugeschrieben werden. Selbst bei vorhandenen Lohnarbeitsplätzen kann das Mittel, Menschen erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sicherlich nicht das der Sanktionen, sondern doch viel eher nur das der Motivation sein.

Meine Fraktion unterstützt neben zahlreichen Wissenschaftlern, Künstlern und Personen des öffentlichen Lebens den Aufruf des parteiübergreifenden Bündnisses für ein Sanktionsmoratorium, das Sie unter www.sanktionsmoratorium.de abrufen können und fordert ein sofortiges Aussetzen des Sanktionsparagrafen 31 SGB II.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil es sich hierbei um ein Bundesgesetz handelt, ist der Weg über eine Bundesratsinitiative zu beschreiten. Erfreulich ist es, dass auch Kolleginnen und Kollegen der Bürgerschaft aus verschiedenen Parteien das Moratorium online unterstützt haben.

An Banken und Unternehmen sind Schutzschirme verteilt worden. Es ist jetzt an der Zeit, auch an die Lohnarbeitslosen und von Hartz IV Betroffenen zu denken. Der Eckregelsatz deckt kaum die notwendigsten Bedürfnisse eines Menschen. Ihn noch zu kürzen, verletzt das unbedingte Recht eines jeden auf ein menschenwürdiges Leben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich werbe um Ihre Stimme für eine umgehende Bundesratsinitiative mit dem Ziel, die Sanktionen gemäß Paragraf 31 SGB II auszusetzen, bis eine faire Lösung gefunden ist, die das Existenzminimum der Erwerbslosen unberührt lässt und ein zuverlässiger Verwaltungsvollzug bei den Trägern der Grundsicherung sichergestellt ist. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Frau Dr. Hochheim.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben es einmal wieder alle gehört, DIE LINKE ist und bleibt eine Protestpartei.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das ha- ben Sie letztes Mal auch gesagt!)

Ja, genau das ist es, jedes Mal muss ich hier feststellen, dass Sie Anträge einreichen, die nichts anderes dokumentieren, als dass Sie eine Protestpartei sind.

(Wolfgang Joithe-von Krosigk)

Aber Sie gehen damit auch hausieren. Auf Ihren Plakaten für den Bundestagswahlkampf haben Sie es stehen: Hartz IV abwählen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und genau dieses Ansinnen dokumentieren Sie. Mit dem Aussetzen von Sanktionen wollen Sie fundamental gegen eine der beiden tragenden Säulen des SG II angehen. Sie wollen die Säule des Forderns beseitigen, wohl wissend, und das ist Ihr eigentliches Ziel, dass die Säule des Förderns allein das SGB II nicht trägt, denn Fördern und Fordern bedingen einander, nur zusammen bilden sie ein festes Fundament für das SGB II.

(Beifall bei der CDU – Christiane Schneider DIE LINKE: Und wer nicht hören will, muss hungern!)

Jetzt haben Sie so viel miteinander vermischt, was gar nicht vermischt werden darf, daher komme ich noch einmal auf die Grundsätze. Was bedeutet das Fordern konkret? Das SGB II sieht vor, dass der Arbeitslose sich aktiv an der Arbeitssuche und der Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit beteiligen muss. Wenn der Arbeitslose nicht mitwirkt, kann er sanktioniert werden; soweit die Theorie. Tatsache ist, dass in der Praxis der allergrößte Anteil der Arbeitslosen – ich habe gelesen, das seien etwa 98 Prozent – vorbildlich, ohne jegliche Sanktion, an seinen Eingliederungsvereinbarungen mitwirken. Das heißt, das unsägliche Bild, das Herr Joithe hier gezeigt hat von grundsätzlichem Druck und Gegendruck zwischen ARGE-Mitarbeitern und Arbeitslosen, ist mehr als verzerrt, es ist falsch.

(Beifall bei der CDU – Wolfgang Joithe-von Krosigk [DIE LINKE]: Waren Sie schon mal auf der ARGE?)

Ich war schon bei der ARGE.

Eine gemeinschaftliche Kooperation ist bei der ARGE die Regel und prägt das tägliche Miteinander.

(Wolfgang Joithe-von Krosigk [DIE LINKE]: Auf welcher ARGE waren Sie denn?)

98 Prozent der Arbeitslosen werden nicht sanktioniert und haben nicht den Druck und Gegendruck, sondern sie arbeiten gemeinschaftlich mit ihrem ARGE-Mitarbeiter. Im Übrigen ist die Mitwirkungspflicht auch kein spezifisches Merkmal des SGB II, Herr Joithe. Auch in anderen Sozialleistungsgesetzen führen mangelnde Mitwirkungspflichten zu Konsequenzen, da müssten Sie hier genauso Skandal schreien. Fördern und Fordern gehören nach der Meinung der CDU untrennbar miteinander verbunden; deshalb wird die CDU den Antrag der LINKEN ablehnen.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Erstaunlich! – Wolfgang Joithe-von Krosigk [DIE LINKE]: Das haben wir nicht anders erwartet!)

Dennoch möchte ich zu einem Thema etwas sagen, was meines Erachtens noch diskussionswürdig ist und nicht nur Protestansatz der LINKEN, nämlich die Frage der Klagewellen gegen Rechtsbescheide der ARGE. Zum Teil haben diese Klagen eine hohe Erfolgsquote und das muss schon diskutiert werden. Das ist ein bundesweites Phänomen, ich glaube, die meisten Klagen gibt es in Berlin. Es ist jedoch ein Ausführungsproblem der Verwaltung und kein Gesetzesproblem. Ich habe deshalb bei der Verwaltung der ARGE einmal nachgefragt, was die Gründe sind, warum die Klagen so hohe Erfolgsquoten haben. Die Antworten fand ich ganz interessant, ich werde zwei Ausschnitte davon wiedergeben. Mir wurde gesagt, dass die Entscheide der ARGE oft gar nicht rechtsfehlerhaft seien, sondern es werde einem Widerspruch auch dann stattgegeben, wenn der Arbeitslose im Nachhinein einen wichtigen Grund für sein damaliges Verhalten angibt. Hätten die Betroffenen dieses bereits vor dem gesetzlich vorgeschriebenen Anhörverfahren dargelegt, wären die Leistungen oftmals gar nicht erst gekürzt worden.