Das war ein Zitat aus der Präambel. Machen wir uns die Köpfe frei von Behinderungen. Der Mann mit dem Kinderwagen am S-Bahnhof Friedrichsberg, der weder über Rolltreppe noch Fahrstuhl verfügt, ist ebenso benachteiligt wie die Frau im Rollstuhl oder der Rentner mit den schweren Einkaufstüten. Daher gilt, eine Politik für Benachteiligte, und damit eben auch zum Vorteil von sogenannten Nicht-Benachteiligten, ist möglich. Barrierefreiheit muss eben auch und gerade in den Köpfen stattfinden.
Meine Fraktion DIE LINKE unterstützt daher die Anträge der SPD, wir freuen uns auf hoffentlich barrierefreie Diskussionen im Sozial- und Schulausschuss. Zur Schule wird Frau Heyenn noch sprechen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst einmal freue ich mich als zuständiger Senator über die hohe Einmütigkeit hier im Raum, was die UN-Konvention für uns alle bedeutet und dass sie eben auch für Bund
und Länder in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe darstellt. Gleichzeitig möchte ich aber dem Eindruck widersprechen, dass es allein darum geht, ein paar Gesetze und Vorschriften zu ändern, und darauf hinweisen, dass die Dinge auch schwierig werden. Zum Beispiel gilt in Bezug auf das Thema Barrierefreiheit, dass das, was für den einen barrierefrei ist – wenn Sie zum Beispiel an das Abbauen von Schwellen für Rollstuhlfahrer denken –, für den Blinden möglicherweise eher schwierig ist, weil er Orientierungspunkte verliert. Oder wenn Sie sich vor Augen halten, dass die rollstuhlgerechte Wohnung für einen Menschen, der einen Gehwagen benutzt, völlig unbrauchbar ist, sogar im Gegenteil schlechter ist als eine normale Wohnung, dann wird deutlich, dass dieser Satz "Ich will für alle Barrierefreiheit schaffen" in der Realität eine ganz große Herausforderung wird, weil Barrierefreiheit für den einen möglicherweise neue Barrieren für andere Leute schafft.
Es wird auch, das will ich noch einmal sagen, darum gehen – von manchen Experten wird es schon so benannt –, dass wir unter dem Stichwort Selbstbestimmung und damit Abbau von Schutzmechanismen nicht in Wahrheit eine neue soziale Vernachlässigung bekommen, eine Vereinsamung dieser Menschen. Auch das wird von den Fachkräften immer wieder angesprochen, wenn wir zum Beispiel über das Thema Entinstitutionalisierung reden, dass Menschen, die bisher in einem geschützten Rahmen in einer Art Heim waren, plötzlich in einer eigenständigen Wohnung selbstbestimmt, aber eben vereinsamt und mit Tendenz zur sozialen Verwahrlosung oder Vernachlässigung leben.
Dennoch will ich noch einmal ganz deutlich sagen, Herr Grund, dass die Ziele, die wir gemeinsam verfolgen, keine neuen Ziele sind, auch wenn diese Konvention jetzt international verabschiedet wurde. Hamburg war schon immer, und auch in den 44 Jahren davor, bei diesem Thema durchaus fortschrittlich und wir haben zum Beispiel früh mit einem Modellprojekt unter dem Thema "Persönliches Budget" angefangen, den Menschen die Ressource selber in die Hand zu geben, als es noch gar nicht verpflichtend eingeführt war.
Wir haben das Programm der Ambulantisierung, das heißt, dass wir Menschen, die in stationären Einrichtungen leben, ermöglichen wollen, jetzt eigene Wohnungen zu bewohnen; 700 haben wir uns bis 2011 vorgenommen, wir haben das jetzt für 440 Menschen realisieren können. Im vergangenen Jahr haben wir in Hamburg bei der Arbeitsund Sozialministerkonferenz das auch schon angesprochene Papier einstimmig verabschiedet, was bedeutet, dass wir weg von institutionalisierten Fürsorgehilfen hin zu Selbstbestimmung kommen. Es wird ein ganz schwieriger Prozess – darauf hat Herr von Frankenberg schon hingewiesen – mit den Trägern dieser Eingliederungshilfeleistungen
werden. Weil Besitzstände und betriebliche Gewohnheiten in Frage gestellt werden müssen, wenn wir es ernst damit nehmen, dass der Betroffene in den Mittelpunkt der Hilfe rückt. Dass er seine eigenen Bedarfe zu verwirklichen weiß und es nicht mehr darum geht, dass eine Einrichtung sagt, was gut für die Betroffenen ist.
Ich würde mir also wünschen, dass die gute Stimmung von uns allen heute auch bei der konkreten Umsetzung anhält, wenn es darum geht, gegen Gewohnheiten und Besitzstände bei den nicht ganz schwachen Trägern in unserer Stadt gemeinsam dafür zu werben, wirkliche Inklusion, wirkliche Teilhabe Realität werden zu lassen. In diesem Sinne freue ich mich ebenso auf die Ausschussberatung. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hamburg wurde in den Siebzigerjahren und danach Vorreiter der Integration Behinderter in das allgemeinbildende Schulwesen. Darauf war Hamburg im Ländervergleich immer ein wenig stolz und wurde von Eltern aus anderen Bundesländern beneidet. Anderenorts konnte man sich zuweilen kaum vorstellen, dass nach der Grundschulzeit eine weitere Schule für alle – also die Gesamtschule, jedenfalls in der Vergangenheit – allen Fähigkeiten der Schüler gerecht werden könnte, geschweige denn einschließlich derer mit Behinderungen. Das war vielerorts den Horizont sprengend.
Was allerdings in Hamburg mit Schwung begann, die Einrichtung von Integrationsklassen in Grundschulen, später die Fortsetzung in den weiterführenden Schulen, was bald ergänzt wurde durch die integrativen Regelklassen, kam Ende der Neunzigerjahre doch arg ins Stocken. An der Ausweitung der integrativen Regelschule zerbrach sogar die Schulbehördenadministration der ersten Beust-Regierung kläglich. Der Senator erklärte sie für nicht finanzierbar, das heißt auf Deutsch, nicht gewollt. Da ging Frau Knipper dann lieber wieder in den Ruhestand zurück, aus dem man sie unter anderem zu diesem Zweck nun gerade reaktiviert hatte.
Etliche Schulen haben nun also in Hamburg eine Ausstattung, die Grundlage für eine Ziel- und Leistungsvereinbarung "Keine Abschulung aus der Grundschule in eine Förderschule" ist. Andere hätten sie gerne, erhalten sie indes nicht, weil die notwendige Personalausstattung fehlt. Die Regierung fand ein neues Modell der Förderzentren, was aber den sehr vielen Schülern nicht hilft, die weder in integrativen Regelschulen, noch in den Schulversuch Förderzentrum eingebunden sind. Und Integrationsklassen? Seit sechs Jahren Fehlanzeige.
Mehr als 7 200 von 9 000 Schülerinnen und Schülern mit festgestelltem Förderbedarf gehen in unserer Stadt immer noch auf eine Sonderschule; das sind 80 Prozent. In skandinavischen Ländern werden mehr als 90 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in Regelschulen unterrichtet. Die Umkehrung der bestehenden Verhältnisse in Deutschland und Hamburg ist also möglich. Es muss der Normalfall werden, dass Kinder mit Behinderungen in ganz normale Schulen gehen. Man muss es nur wollen. Leider wollten und wollen die Hamburger Regierungen es seit 2001 nicht mehr so recht.
Seit Deutschland Ende 2008 die UN-Behindertenkonvention ratifiziert hat, ist die Einbeziehung von behinderten Kindern in das Regelschulsystem aber keine Frage von Wollen oder eben Nicht-Wollen durch den Staat, diese Kinder haben jetzt einen rechtlichen Anspruch. Der letzte Versuch des Nicht-so-richtig-Wollens war der Behördenentwurf der Schulgesetznovelle im Paragrafen 12, der noch einen Ressourcenvorbehalt enthielt, der jetzt zum Glück durch Druck der öffentlichen Meinung, aber auch in der Deputation gestrichen worden ist, was wir sehr begrüßen.
Die Zeit der Integration ist jetzt vorbei, es beginnt die Zeit der Inklusion. Niemand gewährt mehr einigen behinderten Kindern ein Recht, alle Kinder haben jetzt ein Recht
auf nichtaussondernde Beschulung, Beginn nicht irgendwann, sondern jetzt und in dieser Legislaturperiode, und zügige Umsetzung.
Gerade weil es ein Verfassungsverstoß ist, der Kollege Grund wies in seiner Formulierung darauf hin, wenn wir keinen klaren Zeitplan für inklusive Umgestaltung des Schulwesens vorlegen, muss es unsere erste Forderung sein, ein verbindliches Aktionsprogramm zu entwickeln. Hier würde der Begriff Offensive, den ich eigentlich so nicht mag, einmal richtig gut passen, eine Inklusionsoffensive für Hamburg.
In unserem Antrag stehen Forderungen, die nicht in den Bereich der Utopie gehören, sondern Teil eines solchen Aktionsprogramms sein könnten. Da ich sicher bin, dass wir diesen Antrag im Ausschuss beraten werden, will ich hier unsere einzelnen Punkte nicht gesondert erwähnen. Klar ist, wir können nicht warten, klar ist, wir dürfen nicht verzögern, klar ist, wir müssen klare Perspektiven für Schüler, deren Eltern und die Hamburger Schulen entwickeln. Gerade in diesen Zeiten des tiefgreifenden Strukturumbruchs an Hamburger Schulen
Lassen Sie mich allerdings persönlich auch sagen: Inklusion in gegliederten Schulen ist für mich schwer vorstellbar. Nicht ohne Grund hat das Ganze an Grundschulen begonnen. Sich vorzustellen, wie Inklusion in nach Leistung sortierenden Schulen erfolgen soll, gelingt mir noch nicht. Als Sozialdemokrat werde ich nicht müde zu sagen, Inklusion gelingt nur wirklich in der einen Schule für alle mit langem gemeinsamem Lernen. Auch wenn der Weg zu dieser Schule in unserem Land noch weit sein könnte, sie bleibt das Ziel. – Schönen Dank.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es freut mich ehrlich, dass wir heute über das Thema diskutieren, auch gerade unter dem Aspekt der inklusiven Schule und der inklusiven Bildung. Sie haben in Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vieles Richtiges und Wichtiges geschrieben. Insbesondere in der Begründung findet sich ein Leitgedanke, den wir natürlich auch teilen: Nicht die Kinder müssen den Institutionen angepasst werden, sondern die Institutionen müssen sich der Unterschiedlichkeit der Kinder anpassen. Das ist in dieser Debatte schon mehrmals auch für andere Bereiche unseres Lebens festgehalten worden.
Deshalb ist Integration auch aus unserer Sicht nur ein halber Schritt, denn die Integration verlangt bislang noch vom Kind, sich im System anzupassen. Wir wollen aber eine Schule, die sich an die Kinder anpasst. Dass ist auch generell der Leitgedanke der Bildungsoffensive, die wir in Hamburg eingeleitet haben. Auch wenn wir jetzt die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Blick nehmen, umfasst unsere Reform alle Bereiche.
Im Antrag selbst wirft die SPD dem Entwurf der Schulgesetznovelle noch vor, dass das Recht auf Inklusion unter Vorbehalt gestellt sei. Das – Kollege Lein hat es gerade erwähnt – ist inzwischen im jetzigen Entwurf nicht mehr der Fall und das finde ich auch richtig und wichtig. Entscheidend ist, dass die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bildungsbereich natürlich von vornherein im Blick war, das zeigt auch der allererste Entwurf der Schulgesetznovelle. Entscheidend ist außerdem, dass wir zum ersten Mal überhaupt den Rechtsanspruch auf eine integrierte Beschulung aller Kinder im Schulgesetz festschreiben und damit ein Perspektiv- und Paradigmenwechsel in der schuli
Sie bemängeln im Antrag, dass die Schulgesetznovelle keine Perspektive aufzeige, ab wann die inhaltlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden. Das ist allerdings auch nicht der Zweck einer Schulgesetznovelle, dass sie einen detaillierten Zeitplan und Finanzplan mitführt; sie schafft nur den rechtlichen Rahmen dafür. Es versteht sich von selbst, dass die Festschreibung des Rechts auf integrierte Schulbildung, so wie sie im neuen Schulgesetz vorgesehen ist, in einem Programm mündet, wie dieses Ziel und dieses Recht in die Realität umgesetzt werden kann und werden wird – und das Ganze immer vom einzelnen Kind und den Eltern aus gedacht.
Gleichzeitig können wir aber den Schulen auch nicht die Möglichkeit verwehren, wenn nötig, eigene Lerngruppen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu bilden, das ist auch Teil der Schulgesetznovelle, immer natürlich unter der Prämisse einer angemessenen Förderung derer mit besonderem Bedarf.
Es ist klar, dass nicht innerhalb weniger Wochen ein Aktionsprogramm aufgestellt und dieser Paradigmenwechsel verwirklicht werden kann. Deswegen spricht alles dafür, das Thema sorgfältig und längerfristig zu behandeln. Der Anspruch, der im Schulgesetz verankert ist, zwingt uns, in einem transparenten und vor allem sorgfältigen Verfahren ein solches Konzept zügig auszuarbeiten.
Was ich nicht ganz verstehe beim Antrag der SPD ist so eine Mischung aus dem Versuch, wunderbar kritisch und konstruktiv zu sein, gleichzeitig aber im Petitum irgendwo in unkonstruktivem Vorpreschen zu münden. Völlig richtig ist, dass wir ein Aktionsprogramm brauchen; das muss erarbeitet werden. Nein sage ich allerdings zu dem, was Sie konkret im Antrag vorschlagen, das ist mir auf dem heutigen Stand erst einmal zu aktivistisch. Sie werfen ein bisschen mit Zahlen um sich, mit Zeiträumen, mit Jahren; wie Sie auf die jeweils kommen, das bleibt völlig unklar und erscheint willkürlich. Das gilt vor allem auch im Vergleich zum allgemeinen Antrag, den Sie gestellt haben, zur Umsetzung der Behindertenkonvention außerhalb des Schulbereichs. Sie haben lediglich drei Punkte aufgeführt, die auch richtig sind: erst einmal ein Programm aufstellen, diskutieren, mit den Betroffenen sprechen und dann sehen, welche Schritte notwendig sind. Warum Sie jetzt im Schulbereich viele einzelne Kullerpunkte haben, die teilweise Zahlen enthalten und konkret sind, teilweise etwas allgemeiner bleiben, ist mir nicht ganz erklärlich. Aber wir können im Ausschuss darüber beraten, ob Ihre Forderungen wirklich die richtigen Schritte sind oder ob es nicht auch andere Schritte gibt, die bei
Einigkeit herrscht in diesem Hause, das hat die Debatte schon gezeigt und das steht in dem Sinne nicht zur Diskussion, dass baldmöglichst alle Kinder mit Behinderungen gemeinsam mit den Kindern ohne Behinderungen zur Schule gehen können und gemeinsam unterrichtet werden sollen.
Wichtig ist uns auch die Einbeziehung der Eltern in die künftige Entscheidung, welche Schule ihr Kind besuchen soll. Die Eltern müssen mitbestimmen können, an welchem Lernort und an welcher Art von Lernort ihr Kind zur Schule geht, wenn es denn einen Förderbedarf hat. Es zeigt auch ein bisschen die Bremse des Ausbaus von Integrationsklassen in Hamburg, dass es möglicherweise doch einigen Eltern gar nicht so wichtig ist oder sie es nicht vorziehen, ihre Kinder an der Regelschule zu beschulen; sie könnten ja Anträge stellen. Aber das ist erst einmal Spekulation. Wichtig ist, dass sie künftig die Chance haben, gemeinsam mit der Behörde, gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern zu entscheiden, was für ihre Kinder der richtige Weg ist.
Wenn wir das diskutieren, müssen wir allerdings berücksichtigen, wie es die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Karin Evers-Meyer, gesagt hat:
"Ein echtes Wahlrecht gibt es aber erst, wenn an den Regelschulen die Bedingungen herrschen, die eine individuelle Förderung behinderter Kinder ermöglichen. Deshalb müssen alte Denkmuster überwunden und Regelschulen personell und sächlich ausgebaut werden."