Protocol of the Session on April 1, 2009

"Nachts liege ich wach, denke an die Kinder, die ich betreue, und habe Angst, dass etwas Schlimmes passiert."

Das ist die Aussage eines Sozialarbeiters. Ich habe diesen Satz der "Hamburger Morgenpost" von gestern entnommen. Es ist der erste Satz eines Berichts über die Arbeitsbedingungen bei den Allgemeinen Sozialen Diensten.

Schon lange herrschen unter den zuständigen Kollegen und Kolleginnen in den Ämtern Sorge und auch Angst, dass sie persönlich für den Tod eines Kindes verantwortlich gemacht werden könnten. Sie fühlen sich verantwortlich für die Familien, die sie betreuen, aber sie können aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen diesem Anspruch nicht mehr gerecht werden, schon lange nicht mehr. Dieser eine Satz drückt die ganze Situation aus, vor denen die Sozialarbeiter und Soziarbeiterinnen stehen. Er drückt aus, in welcher Gefahr möglicherweise weitere Kinder in Hamburg sind.

Ich hätte es begrüßt, wenn der Familien-, Kinderund Jugendausschuss gestern darüber geredet hätte und Senator Wersich nach diesen Umständen konkreter hätte befragt werden können. Vielleicht hätte man sich auf einen schnellen Weg einigen können, um den unerträglichen Missstand bei der Beachtung der Lebensbedingungen von Babys und Kleinkindern in bestimmten Familien zu beseitigen.

Aber der Kinderexperte der CDU, Herr Müller, und die Kinderexpertin der GAL, Frau Blömeke, haben es vorgezogen, Herrn Wersich nicht in diese Nöte zu bringen. Sie haben den Tagesordnungspunkt mit ihren Mehrheiten weggestimmt. War es eigentlich das Ergebnis eines gemeinsamen Jour Fixe beim Senator, dass man seit Ende letzter Woche versuchte, den Obleuten der SPD und der LINKEN aus dem Familien-, Kinder- und Jugendausschuss nahezubringen, doch bitte schön auf das Thema Lara bis nach Ostern zu verzichten? Neben den Arbeitsbedingungen in den Ämtern hätten wir gestern auch über verbindliche Vorsorgeuntersuchungen oder ein verbindliches Einladesystem reden können; wir hätten es müssen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Dieser Senat und seine beiden ihm angehängten Fraktionen entwickeln ein gewisses Talent darin, Dinge aus dem Zusammenhang zu reißen und mit depressiver Sachlichkeit die Emotionen um den Tod des neunmonatigen Kindes aus Wilhelmsburg verbal zu zertreten.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wenn ein Kind verhungert in Zeiten, in denen eigentlich niemand mehr hungern müsste, dann sind ganzheitliche Sichtweisen vonnöten. Und wenn ein Obduktionsergebnis noch nicht vorliegt, dann ist es nicht deren Aufgabe, das Thema von der Tagesordnung zu nehmen, sondern umgehend eine Bestandsaufnahme zu machen und vorsorgliche Maßnahmen einzuleiten.

(Linda Heitmann)

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Hätte es nach dem Tod von Lara eine ähnliche gesellschaftliche Empörung und Betroffenheit wie im Jahr 2000 nach dem Tod des kleinen Volkan, der von einem Hund totgebissen wurde – ebenfalls in Wilhelmsburg – gegeben, dann hätten Sie bereits einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der Vorsorgeuntersuchungen verbindlich macht und der eine adäquate Betreuung von Familien inklusive angemessener personeller Ausstattung der Ämter für soziale Dienste und ausreichende Zuwendungen für die beauftragten Freien Träger gewährleistet. Damals konnten Sie gar nicht schnell genug sein mit einem Gesetz, das Hunden Maulkörbe verpasst, an die Leine zwingt und die Zucht bestimmter Rassen verbietet. Jahrelang wurde bis dahin über eine Kampfhundeverordnung diskutiert. Aber es musste erst ein Kind sterben, bis gehandelt wurde. Warum ich das hier erwähne?

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Das ist pein- lich!)

In einem Kommentar in den Medien hieß es damals:

"Volkan ist das Opfer eines Kampfhundes und untätiger Bürokraten."

Wessen Opfer ist Lara?

Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen der CDU und der GAL! DIE LINKE fordert euch und Sie unmissverständlich auf, umgehend mit der SPD und der LINKEN den Senat verbindlich mit Maßnahmen zu beauftragen, die Fälle wie Lara in Hamburg unmöglich machen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Chri- stiane Blömeke GAL: Das wird es nicht ge- ben!)

Das Wort bekommt Herr Kienscherf.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Blömeke, das war schon ein bisschen zynisch, was Sie hier abgeliefert haben.

(Christiane Blömeke GAL: Ich war aus- nahmsweise mal sachlich!)

Ich erinnere an das, was auch Herr Hesse in der letzten Legislaturperiode im Jugend- und Familienausschuss mitgetragen hat. Wir hatten auch nach Jessica ein paar Fälle und wir waren alle bestrebt, diese Fälle entsprechend aufzuarbeiten.

Was wir aber gestern erlebt haben, hatte mit Aufarbeitung, mit Transparenz, mit dem Willen zur Aufklärung und Veränderung nichts zu tun und das ist das Verwerfliche, Frau Blömeke. Sich dann hier hinzustellen und so zu tun, als sei das einvernehmlich geschehen, ist wirklich zynisch.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollten gestern konkret wissen,

(Christiane Blömeke GAL: Sie waren doch gar nicht da gestern!)

warum Lara gestorben ist. Das wussten wir gestern nicht, das wissen wir auch heute nicht. Was wir aber in der letzten Sitzung schon festgestellt haben, war doch die Tatsache, dass es Versäumnisse an der einen oder anderen Stelle gibt und dass es Aufklärungsbedarf gibt.

Herr Wersich hatte zum Beispiel schon weitere Pressemitteilungen herausgegeben und die Mehrheit des Ausschusses hat dann gesagt, an dieser Diskussion haben wir kein Interesse, sondern wir wollen die vertagen. Jeder Tag, an dem wir nicht handeln, ist ein verschenkter Tag für die Kinder in unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deshalb brauchen wir Aufklärung und deswegen will ich auch noch einmal ganz deutlich sagen, dass wir den Fokus, so tragisch es auch ist, nicht alleine auf den Fall Lara richten, sondern wir sind aufgeschreckt worden durch die Ergebnisse unserer Großen Anfrage. Das ist der Ansatzpunkt und nicht das, was Sie uns hier einreden wollen, dass wir aus bestimmten Gründen den Fall Lara nach vorne bringen wollen. Wir wollen über das Thema U-Untersuchung diskutieren und darüber, dass dieser Senator – damals als Staatsrat, heute als Senator – immer gesagt hat, was wollt ihr eigentlich mit den U-Untersuchungen, das läuft doch alles wunderbar. Wir haben aufgrund unserer Großen Anfrage erkennen müssen, dass es nicht wunderbar läuft und wir ganze Gruppen in bestimmten Stadtteilen davon ausgrenzen, eine Gesundheitsuntersuchung wahrzunehmen. Das kann nicht angehen und deswegen müssen wir hier handeln.

(Beifall bei der SPD – Kai Voet van Vormi- zeele CDU: Sie blockieren das doch auf Bundesebene, Herr Kienscherf!)

Es ist schon etwas merkwürdig. Damals haben wir darüber diskutiert und es hieß, das mit der Verbindlichkeit gehe gar nicht, das könnten wir rechtlich gar nicht durchsetzen. Dann haben wir gesagt, wir machen ein verbindliches Einladewesen. Der Staatsrat hat dann gesagt, ein verbindliches Einladewesen sei auch schwierig und wenn SchleswigHolstein das nicht mache, dann gehe das auch nicht, wir könnten keine Insellösung machen, sondern müssten auf die Entscheidungen auf Bundesebene warten.

Frau von der Leyen hat aber mehrmals – Ihrem Haus gegenüber und auch in der Öffentlichkeit – gesagt, als Bundesfamilienministerin fordere sie alle Länder auf, landespolitisch tätig zu werden. Hamburg ist eines der ganz wenigen Bundesländer, das bisher versagt hat, und das ist Fakt.

(Kersten Artus)

(Beifall bei der SPD)

Schleswig-Holstein betreibt dies erfolgreich und wir brauchen dieses in Hamburg auch. Wir brauchen es nicht, beschränkt auf zwei Untersuchungen, wir brauchen es auch nicht, weil der Rechnungshof angemerkt hat, dass man sich Doppelarbeit sparen solle – das ist der Hintergrund Ihres Antrags –, sondern ein verbindliches Einladewesen kann ein Baustein sein, um Kindesvernachlässigung frühzeitig zu entdecken und zu verhindern. Das ist unser Ansinnen, dagegen haben Sie sich jahrelang gesperrt und dagegen sperren Sie sich jetzt und das ist letztendlich fatal für die Kinder in unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD)

Noch einmal zu Ihren Ausführungen, Herr von Frankenberg. Natürlich haben wir beim ASD 30 Stellen mehr, aber wir haben auch ein paar Tausend Fälle mehr, die die Mitarbeiter bewältigen müssen. Diese Analyse, inwieweit der ASD überhaupt handlungsfähig ist, haben Sie nicht durchgeführt. Auch hier haben Sie sich verweigert und gesagt, wir machen eine andere Datengrundlage und dann wird das irgendwie schon funktionieren. Es funktioniert nicht und deswegen besteht auch hier Handlungsbedarf. Wir erkennen an, dass das eine oder andere gelaufen ist, aber die große Linie fehlt nach wie vor und deswegen ist eine Diskussion über die Verbindlichkeit von U-Untersuchungen richtig und wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Müller.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt einfach noch das eine oder andere richtigzustellen und hier wird auch sehr viel durcheinander geworfen.

(Carola Veit SPD: Ach, das sagt ja gerade der Richtige!)

Auf der einen Seite steht die Thematik der U-Untersuchungen und auf der anderen Seite der Fall Lara. Es ist einfach sehr wichtig, wenn man sich sachlich damit auseinandersetzt, die Fälle voneinander zu trennen. Niemand aus der Koalitionsfraktion bestreitet, dass ein verbindliches Einladesystem möglicherweise Kinder und Familien identifizieren kann, die sonst unentdeckt blieben. Deshalb debattieren wir heute darüber und werden dieses auch letzten Endes beschließen.

Aber Sie vermengen das immer und das führt dann zu einem parteipolitischen Hickhack, den wir ja gar nicht begonnen haben.

Lassen Sie mich einmal auf den einen oder anderen Redner eingehen. Herr Yildiz hat eben die ehemalige Senatorin Schnieber-Jastram zitiert, dass sie letzten Endes die Punkte aus dem Ausschuss

umsetzen werde und möchte. Das ist richtig, das hat sie auch so getan. Daraufhin ist diese Bundesratsinitiative entstanden und ich hatte Ihnen auch erklärt, warum die gescheitert ist.

Übrigens, Herr Yildiz, möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben, dass all das, was Sie hier angesprochen haben, wir würden betriebswirtschaftliche Sichtweisen auf diese Fälle anwenden, nicht zutrifft. In den meisten Fällen gibt es einen Rechtsanspruch auf Hilfen und Unterstützung und deswegen ist das in dem Fall auch keine Frage des Geldes.

Frau Ernst, Sie haben vollkommen richtig gesagt, dass U-Untersuchungen ein Baustein sein können, um noch einmal genauer hinzusehen. Aber auch Sie haben dann wieder davon gesprochen, dass Sie verbindliche Vorsorgeuntersuchungen treffen wollen. Da bitte ich Sie von der SPD, uns einfach einmal zu erklären, wie denn Ihr heutiger Gesetzesentwurf zu verstehen ist, in dem nichts von verbindlichen Untersuchungen steht, sondern lediglich etwas von einem verbindlichen Einladesystem.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Frau Artus, die Arbeitsbedingungen beim ASD sind natürlich immer ein wichtiges Thema. Wir hatten auch schon erwähnt, dass unsere Qualitätsoffensive dieses sehr wohl im Fokus hat. Wir haben nicht nur durch Stellenanhebungen beim ASD schon eine Menge bewegt, sondern auch durch entsprechende Umstrukturierungsmaßnahmen.

(Präsident Berndt Röder übernimmt den Vorsitz.)