Meine Damen und Herren des Senats, Herr Wersich! Hören Sie auf, Kinder- und Jugendbetreuung unternehmerisch zu führen. Wir reden hier nicht von Betriebskostensenkungen zur Erhöhung des Profits oder der Effizienz, wir reden hier von dem Wohl der Kinder unserer Stadt.
Kinder sind die Zukunft dieser Stadt, dieses Landes und der gesamten Welt. Sie sollten sich fragen, ob Sie mit einer verantwortungsvollen Politik, die nicht nur am Sparen orientiert ist, den Tod der kleinen Lara hätten verhindern können. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst finde ich es ein bisschen befremdlich, dass dieses Thema zur Aktuellen Stunde angemeldet wird, wo nur Fünf-Minuten-Beiträge möglich sind, obwohl wir es gleich unter Tagesordnungspunkt 3 in der regulären Tagesordnung haben. Ich will mich bemühen, mich ebenfalls an diese fünf Minuten zu halten und kann deshalb auch nur holzschnittartig auf dieses Thema eingehen.
Ich will ganz deutlich vorwegnehmen: Wir führen das Einlade- und Kontrollwesen für die U-Untersuchungen auch in Hamburg ein. So ist es im Koalitionsvertrag vorgesehen und so machen wir das auch.
Bei aller Umstrittenheit im Detail hatte auch der letzte Senat das Ziel, die Daten der Nichtteilnehmer direkt und unbürokratisch von den Krankenkassen zu erhalten, um sie den Jugendämtern zu
Zwecken des Kinderschutzes zur Verfügung zu stellen. Zweimal hat der Bundesrat auf Initiative Hamburgs entsprechende Beschlüsse gefasst, die jedes Mal ausgerechnet an der SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gescheitert sind.
Es ist schon aberwitzig, dass in den Ländern jetzt ein zusätzliches, kompliziertes und bürokratisches Einlade- und Kontrollsystem aufgebaut werden muss, weil die Bundes-SPD nicht bereit war, uns die bereits vorhandenen Daten bei den Krankenkassen über die Nicht-Teilnehmer zur Verfügung zu stellen.
Wenn wir jetzt ein solches Einlade- und Überprüfungssystem in Hamburg aufbauen, dann sollten wir uns auch vor übertriebenen Hoffnungen hüten und davon nicht zuviel erwarten. Das fängt schon mit den Begrifflichkeiten an, darauf ist hingewiesen worden. Öffentlich wird der Eindruck erweckt, wir reden über Pflichtuntersuchungen. Das ist, Herr Müller hat es gesagt, eigentlich Etikettenschwindel, kommt auch nicht im SPD-Gesetzesentwurf vor und gibt es auch in den anderen Bundesländern nicht. Eine Pflicht zur Vorsorgeuntersuchung, ohne dass diese durchgesetzt wird, also eine Pflicht ohne Zwang, würde gerade in gefährdeten Familien ins Leere laufen. Eine zwangsweise Vorführung beim Arzt, um Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen, wird nicht nur von allen Ärzten abgelehnt, sondern wäre auch nach Auffassung der Bundesregierung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Die freiwillige Mitwirkung der Eltern an den Vorsorgeuntersuchungen ist deshalb auch für alle Experten so wichtig, weil die Untersuchung, die Teilnahme selbst, gar nichts bewirkt. Sie ist eben nur eine Untersuchung und keine Therapie. Für den Fall, dass man bei der Vorsorgeuntersuchung etwas feststellt, kommt es darauf an, dass die Eltern mitwirken und daraus dann auch die Konsequenzen für die Therapie ziehen. Deshalb sagen alle Experten, Vorsorgepflicht ist Quatsch, es nützt uns nichts, wenn die Eltern sagen, ich war da und mache meinen Haken, sich aber um die Konsequenzen nicht kümmern.
Bei dem Thema, über das wir heute diskutieren, geht es, wenn man den SPD-Antrag liest, gar nicht um die Pflicht oder gar den Zwang zur Vorsorge, sondern ob man sie nutzen kann für Zwecke des Kindeswohls und da liegt gleich der nächste Haken. Die größeren zeitlichen Abstände dieser Untersuchung sind nach übereinstimmender Auffassung aller Experten kaum geeignet, Verwahrlosung und Misshandlung zu erkennen. Hier können allenfalls schwerste Formen gesehen werden. Und
auch da hatten wir mit unserer Bundesratsinitiative einen Vorstoß unternommen, nämlich den Untersuchungskatalog der Vorsorgeuntersuchungen um Hinweise zu ergänzen auf Kindeswohlgefährdung.
Im Auftrag von Ulla Schmidt hat der gemeinsame Bundesausschuss aus Experten von Kassen und Ärzten dieses Ende 2007 abschlägig beschieden – ich darf zitieren –:
"In den durch den G-BA ausgewerteten Publikationen und Studien wurden allerdings keine Belege gefunden, dass sich durch Tests im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen drohende Kindesmisshandlung verhindern oder aufdecken lässt."
Aufgrund dieser Analyse lehnte der Gemeinsame Bundesausschuss es ab, das von uns geforderte Screening auf Kindesmisshandlung, Kindesvernachlässigung oder Kindesmissbrauch in die Untersuchungsinhalte aufzunehmen.
Alle Experten sind sich auch an dieser Stelle wieder einig, dass sowohl die regelmäßige Betreuung der Kinder in Schule oder Kita als auch die Beobachtung des Kindes im häuslichen Umfeld, also der Hausbesuch, wesentlich besser geeignet sind, um Verwahrlosung und Vernachlässigung aufzudecken, als Vorsorgeuntersuchungen.
Deshalb geht es uns darum, wie in Schleswig-Holstein und anderswo, über ein wiederholtes Einladewesen mit Teilnahmerückmeldung und nachgehender Kontrolle aller Nicht-Teilnehmer festzustellen, ob es dem Jugendamt bisher nicht bekannte Risikofamilien gibt, bei denen hinter der Nicht-Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen eine Kindeswohlgefährdung stecken könnte.
Das heißt, es geht darum zu kontrollieren, ob die Nichtteilnehmer dem Jugendamt bis dahin nicht bekannt waren – das ist von den Vorrednern der Koalition dargestellt worden –, und genau dieser Mangel bestand bei Lara nicht. Lara war dem Jugendamt schon vor der Geburt bekannt und wurde vom Jugendamt begleitet. Deshalb steht zu Recht im Fokus der Untersuchung die Kritik, ob der Hilfeplan und die Hilfeleistung im Fall Lara angemessen und sicher waren, und nicht das Thema Vorsorgeuntersuchung.
Meine Damen und Herren! Das alles macht deutlich, dass das Kontrollwesen der Nichtteilnahme an Vorsorgeuntersuchungen nur ein Baustein im System des Kinderschutzes darstellt, dessen Wirkung nicht überschätzt werden darf und vor allem die Beteiligten nicht in falscher Sicherheit wiegen kann. Insofern war die Einführung dieses Kontrollwesens auch in politischen Kreisen immer deutlich populärer als bei den Fachleuten.
Wir wollen dieses Element jetzt einführen, nämlich das Einladewesen mit Nachkontrolle der Nichtteilnehmer, aber gezielt mit Augenmaß und mit Überprüfung der Wirksamkeit von Beginn an.
Frau Veit, zum Schluss möchte ich noch sagen, dass ich es völlig daneben finde, wenn Sie versuchen, mit dem Thema Vorsorgeuntersuchung den Eindruck zu erwecken, als hätten Senat und Behörden nach dem verbrecherischen Einsperren und Verhungernlassen der kleinen Jessica 2005 durch die Eltern nichts unternommen. Es wurde ein umfassender Maßnahmenkatalog erarbeitet und durchgesetzt, indem rechtliche, fachliche, qualitative, strukturelle, organisatorische und finanzielle Konsequenzen gezogen wurden. Infolgedessen haben wir heute über 80 Mitarbeiter mehr in den Jugendämtern. Ihr Vorwurf ist grober Unfug und ein Schlag ins Gesicht all derer in der Stadt, in den Behörden, Ämtern, Universitäten, Schulen, Kitas und im Gesundheitswesen, die sich seitdem für das Kindeswohl in Hamburg engagieren.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Senator Wersich, in gewisser Art und Weise bin ich Ihnen dankbar für Ihre Ausführungen, weil Sie sehr deutlich gemacht haben, dass Sie bis heute die Vorsorgeuntersuchungen überhaupt nicht verbindlicher gestalten wollen. Sie haben ein Argument an das andere gereiht, um deutlich zu machen, warum Sie von dieser Maßnahme nichts halten.
Da sind Sie sich in gewisser Weise treu geblieben, denn Sie waren auch zu Gast im Sonderausschuss und haben schon damals erkennen lassen, dass Sie der Meinung sind, dass der Staat nicht zu aktiv werden solle, wenn es darum gehe, Kinder vor Vernachlässigung zu schützen.
Ich will aber rückblickend noch einmal sagen, dass ich es sehr bedauerlich finde, dass wir hier in einen sehr heftigen, mit üblen Vorwürfen gespickten parteipolitischen Streit geraten und der Ausgangspunkt ein völlig anderer war. Wir haben nach dem Tod des Mädchens Jessica einvernehmlich einen Sonderausschuss eingesetzt und einvernehmliche Handlungsempfehlungen beschlossen. Und allen, die damals mitgearbeitet haben, war sehr daran gelegen, diesen parteipolitischen Hickhack, der heute wieder aufflackerte, nicht zu machen – Herr Müller, ich meine Sie –, weil uns das in der Sache zu wichtig war. Alle Fraktionen haben damals darauf verzichtet, konsequent ihre Ansichten durchzusetzen, sondern wir haben uns auf einen gemeinsamen Forderungskatalog verständigt, in dem
stand, dass U-Untersuchungen verbindlicher werden sollen. Das war ein einstimmiger Beschluss der Hamburgischen Bürgerschaft, der vor drei Jahren gefasst wurde.
Herr Müller, Sie hatten die Sorge, dass es arrogant klinge, was Sie hier dargelegt haben. In der Sache wussten Sie nicht genau, worüber Sie sprechen; das war das Problem. Als der Sonderausschuss eingesetzt wurde, hat es bundesweit eine Diskussion darüber gegeben, wie man die U-Untersuchungen verbindlicher machen kann und ob das der richtige Weg sei. Zum einen gibt es in jeder der hier anwesenden Parteien bis heute unterschiedliche Auffassungen darüber, weil ein Teil der Jugendhilfe das nicht möchte, ein anderer Teil in jeder Partei aber glaubt, dass man auf dieses Instrument als ein Baustein nicht verzichten könne. Das Erfreuliche war aus meiner Sicht, dass sich in der Hamburgischen Bürgerschaft diejenigen durchgesetzt haben, die diese Verbindlichkeit für einen unverzichtbaren Baustein hielten. Diesen Beschluss haben wir hier getroffen, ein Widerspruch zur Diskussion in jeder Partei, in Ihrer, in der SPD und auch bei den Grünen.
Der zweite Punkt, den wir damals im Sonderausschuss nicht genau wussten, war, wie man das eigentlich regelt, weil es einen heftigen Streit darüber gegeben hat, ob die Bundesebene zuständig sei oder ob es Ländersache ist. Erst nach dem Ende des Sonderausschusses hat sich herausgestellt, dass die Bundesländer für das Gesundheitswesen zuständig sind und deshalb in diesem Rahmen diese Untersuchung als Bundesland auch regeln können. Der Vorwurf ist, dass Sie das in Hamburg seit drei Jahren unterlassen haben.
Herr Wersich hat hier wieder versucht, die Nebelkerze der Bundeszuständigkeit zu werfen. Sie müssen sich doch einmal fragen, warum Hamburg inzwischen fast das einzige Bundesland ist, das keine landesgesetzliche Regelung getroffen hat; wir sind die Ausnahme geworden. Ich habe noch einmal die Debatten nachgelesen. Herr von Frankenberg, der im Ausschuss mitgestritten hat, als wir das erste Mal unseren Gesetzesentwurf eingebracht haben, hat dies damals abgelehnt und gesagt, wir wollen keine Insellösung. Sie merken gar nicht, dass Hamburg eine Insel der Untätigkeit ist, denn wir laufen Gefahr, bald das einzige Bundesland zu sein, das landesgesetzlich immer noch nicht zu einer höheren Verbindlichkeit kommt. Darum melden wir dieses Thema solange an, bis wir auch in Hamburg zu einer Veränderung kommen.
Ich kann ehrlicherweise auch das Argument nicht mehr hören, wir würden den Eindruck erwecken, damit seien alle Probleme gelöst. Es gibt über
haupt niemanden, der dieses Argument benutzt. Es wird aber von Gegnern der verbindlichen U-Untersuchung immer benutzt. Jeder weiß, dass verbindlichere Einladungen nur ein Baustein sind. Aber man muss sich doch angesichts des neuen Todesfalls fragen, ob dieser Baustein nicht notwendig ist, Frau Blömeke. Wir haben doch die schreckliche Situation, dass Familienhilfe vorhanden ist und trotzdem Kinder zu Tode kommen. Wenn man diese vielen Fälle analysiert, dann wird deutlich, dass die U-Untersuchungen wirklich verbindlicher sein müssen, dass dies ein unverzichtbarer Baustein ist.
Ich möchte abschließend noch erwähnen, Herr Senator Wersich, dass es uns nicht nur darum geht, dass eine verbindliche Einladung die Familien erreicht – auch darin unterscheiden wir uns vermutlich –, sondern es geht uns darum, dass diese Untersuchungen auch durchgeführt werden. Ich halte es für ein Menschenrecht von Kindern, dass der Staat ihnen dabei hilft, sich gesundheitlich normal zu entwickeln. Es kann festgestellt werden, ob Kinder Haltungsschäden haben, ob sie mangelernährt sind, ob sie kaputte Zähne haben. Das sind wichtige Dinge und da möchten wir, dass in Hamburg Kinder diesen Schutz, wie in allen anderen Bundesländern inzwischen auch, bekommen. – Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eines vorweg: Bürgerschaft und Senat haben in den letzten Jahren viel für die Kinder in unserer Stadt erreicht – das möchte ich erst einmal festhalten –,