Vor vier Jahren haben wir uns in einem Sonderausschuss mehr als ein halbes Jahr lang in vielen Sitzungen und Expertenanhörungen mit dem Fall der kleinen Jessica beschäftigt. Am Ende haben wir einstimmig einen sehr konkreten Maßnahmenkatalog an den Senat verabschiedet.
Wir wollten Familienhebammen für alle Mütter, die das brauchen. Sie gehen bis zu einem Jahr nach der Geburt regelmäßig in die Familien; Sie haben das nicht umgesetzt. Wir waren uns einig, dass der ASD angemessen besetzt und ausgestattet werden muss,
auch für aufsuchende Arbeit. Bis heute gibt es nicht einmal eine Bedarfsanalyse und die schlecht bezahlten Stellen können nur schwer besetzt werden. Laras Akte wurde immer wieder auf Wiedervorlage gelegt.
Wir waren uns einig, dass wir eine Zertifizierung und eine Qualitätsoffensive für die Freien Träger wollen. Auch das haben Sie nicht umgesetzt. Wir waren uns einig, dass ein ganz besonders wichtiges Instrument zum Schutz der Kinder die lückenlose Teilnahme an allen Vorsorgeuntersuchungen ist. Deshalb – da waren wir uns damals alle einig – sollten diese Untersuchungen verbindlich werden.
Aber nichts ist geschehen und noch immer steht es im Belieben der Eltern, ob die Kinder zum Arzt kommen oder nicht. Damit ist Hamburg inzwischen eine Ausnahme. Von den 15 anderen Bundesländern haben mittlerweile elf eine landesgesetzliche Regelung und die vier anderen zumindest einen Gesetzesentwurf, Herr Wersich. Zweimal haben Sie von der CDU unseren Gesetzesentwurf für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen, den wir hier eingebracht haben, abgelehnt. Sie haben sich damit auch nie wirklich auseinandergesetzt, etwas Eigenes vorgeschlagen haben Sie schon gar nicht. Das war und ist verantwortungslos.
Unsere Große Anfrage, die wir schon vor Laras Tod gestellt hatten, hat erschreckende Zahlen ergeben, zum Beispiel, dass in Jenfeld, Altona-Altstadt oder Wilhelmsburg, der Veddel oder St. Pauli nur um die 60 Prozent der Kinder regelmäßig einem Kinderarzt vorgeführt werden. Viele Kinder dort sind auf Hilfe angewiesen und die verweigern Sie ihnen.
Wir beschäftigen uns nachher noch mit dem Antrag von Schwarz-Grün, der den Senat auffordert, ein Modellprojekt zu erarbeiten und probeweise zwei von zehn Untersuchungen verbindlich zu machen; ein kleines Modellprojekt, drei Jahre nach dem Sonderausschuss. Auch das ist verantwortungslos.
Denn klar ist doch, Herr Wersich, egal, ob ein Kind bei den Eltern lebt, in einem Heim, einer Pflegefamilie oder ob die Mutter eine Familienhilfe bekommt, hätte Hamburg verbindliche Vorsorgeuntersuchungen, dann wäre sichergestellt, dass ein Arzt das Kind auch wiederholt auf mangelhafte Versorgung, auf Krankheit oder sogar Misshandlungen untersucht.
Dabei will natürlich niemand ein System, das Eltern unter Generalverdacht stellt. Die große Mehrheit der Hamburger Kinder ist bei ihren Eltern in guter Obhut. Über die reden wir hier nicht. Wir reden über die Hamburger Kinder, die unsere Hilfe wirklich benötigen.
Ich glaube, es gibt einen sehr breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass es dabei keinen Raum gibt für die Frage, ob Vater oder Mutter Lust haben, ihr Kind regelmäßig einem Kinderarzt vorzustellen oder nicht. Sie, Herr Senator Wersich, stehen da ganz weit im Abseits. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Frau Veit, Sie haben eine sehr schlimme Rede gehalten,
die sich ausschließlich auf Schuldzuweisungen zurückzieht. Sie möchten den Eindruck hinterlassen, der Senat beziehungsweise Senator Dietrich Wersich wären an dem Tod der kleinen Lara in irgendeiner Weise schuld.
Dabei haben Sie sich selbst schon einmal ganz anders dargestellt; ich verweise auf Ihre Internetseite, die nachlesbar ist. Da haben Sie kurz nach dem
Bekanntwerden des Falles Lara gesagt, dass Sie traurig und betroffen seien, das nehme ich Ihnen auch ab. Aber ansonsten haben Sie auch gesagt, Sie wollten keine Vorverurteilungen aussprechen, bevor alle Informationen lückenlos auf dem Tisch lägen, denn Schnellschüsse würden niemandem weiterhelfen.
Das sind Ihre Worte, Frau Veit. Wir alle wissen, dass in diesem ganz speziellen Fall uns einfach noch wichtige Fakten fehlen. Wir sind noch nicht in der Lage zu erklären, an welchen Ursachen dieses Kind gestorben ist. Wir haben keine Aussage der Betreuerin. Sie selbst wissen auch, dass das Berichtswesen der Träger an das Jugendamt mehr als mangelhaft war. Insofern kann Ihr Stil, hier Schuldzuweisungen zu machen, allerdings auch nach hinten losgehen, spätestens dann, wenn sich der Verdacht erhärtet, dass im Hilfeplan beziehungsweise im Hilfeverlauf möglicherweise Fehler gemacht worden sind. Dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie sich hier genauso hinstellen und die Schuldzuweisungen an den zuständigen Bezirk geben.
Das ist das Jugendamt Hamburg-Mitte, aber das werden Sie vermeiden, weil Sie dann nämlich auf Ihre eigenen Leute eingehen müssten.
Noch etwas, Frau Veit. Ich muss mich beeilen, weil die Zeit immer sehr knapp hier ist. Es tut mir leid, es mag arrogant klingen, aber ich gebe Ihnen einmal etwas Nachhilfe in Ausschussvorsitz, Frau Veit.
Nicht der Senator ist derjenige, der einen Tagesordnungspunkt vertagen kann, sondern lediglich die Fraktion. Und das haben wir getan, das ist auch falsch in Ihrer Pressemitteilung.
Es ist richtig, dass der Sonderausschuss "Vernachlässigte Kinder" die Forderung einer Bundesratsinitiative zu U-Untersuchungen enthielt, deswegen eine Bundesratsinitiative, weil wir uns einig waren, dass dieses auf Bundesebene zu bewegen wäre. Diese Initiative hat es auch gegeben. Hamburg war sich mit fast allen Bundesländern einig über die Ausgestaltung der Früherkennungsuntersuchungen und natürlich auch der Verpflichtung der Datenübermittlung an Jugendämter und Gesundheitsämter.
Das ist aus mehreren Gründen gescheitert. Aber ein Grund war unter anderem, Frau Veit, dass die Bundesregierung diese Forderungen abgelehnt hat. Ich frage Sie einmal, ob Sie denn wissen, wer die zuständige Bundesministerin war. Das war Frau Ulla Schmidt aus der SPD.
Ihre Große Anfrage hat im Ergebnis auch gezeigt, dass es in der ganzen Republik, auch in den SPDgeführten Bundesländern, keinen Teilnahmezwang für U-Untersuchungen gibt.
und heute wieder einen Zusatzantrag, übrigens ganz schlecht gemacht, da steht noch 18. Wahlperiode drauf, das hätten Sie gerne mal mit Tipp-Ex entfernen können –, und mit Ihren Gesetzesentwürfen verbindliche Vorsorgeuntersuchungen in diesem Haus beantragen wollten. Schaut man nun hinein, dann stellt man fest, dass dort nichts von verbindlicher Vorsorgeuntersuchung steht. Das ist ein verbindliches Einladesystem, ich weiß gar nicht, ob Sie den Unterschied kennen. Eine Verbindlichkeit im Einladesystem ist etwas ganz anderes, Frau Veit.
Sie betreiben hier Etikettenschwindel, indem Sie das Thema verbindliche Untersuchungen anmelden und dieses selbst nie beantragt haben.
Es ist richtig, dass wir heute debattieren und auch beschließen werden, ein verbindliches Einladesystem vorläufig bei U6- und U7-Untersuchungen einzuführen. Das Ziel ist klar, wir wollen Hilfen an Kinder und Familien vermitteln, die diese auch benötigen.
Wenn diese Kinder eben nicht an den Untersuchungen teilnehmen, schaltet sich das Jugendamt entsprechend ein und kann dann auch bedarfsgerecht Hilfemaßnahmen einleiten, die dann auch in einer sozialpädagogischen Familienhilfe enden können.
Nun schlage ich einmal den Bogen zum Fall Lara. In diesem Fall hat es eine sozialpädagogische Familienhilfe konkret schon gegeben. Das, was wir und Sie mit diesem Antrag erreichen wollen, ist doch, dass eine sozialpädagogische Familienhilfe in die Familie kommt. Insofern ist das schon der zweite Schritt, da waren Sie etwas zu schnell.
Den Eltern zufolge erkrankte das Kind Mitte Februar. Wenn man einmal zurückrechnet, wäre die letzte Untersuchung für die kleine Lara im Dezember fällig gewesen. Da stellt sich doch klar die Frage, ob denn eine U-Untersuchung in diesem Fall schon einen Befund oder ein Krankheitsbild hätte erkennbar werden lassen.
Es ist sehr wichtig, viel sachlicher mit dieser Thematik umzugehen. Die Frage ist doch hier ganz klar: Was passiert denn, wenn ein Kind akut erkrankt? Dann muss es zum Arzt gebracht werden, dafür sind die Eltern da und dafür ist die sozialpädagogische Familienhilfe da.