Protocol of the Session on March 4, 2009

Am Ende komme ich noch einmal kurz zu den Anträgen der Opposition. Grundsätzlich kann ich nur eines feststellen: Sowohl bei der LINKEN als auch

bei der SPD fehlt bei allen Anträgen eine solide Gegenfinanzierung. Aber auch wenn es sie gäbe, Herr Kienscherf, könnten wir trotzdem inhaltlich und fachlich nicht zustimmen. Die LINKE beantragt Notfondsberatungen. Natürlich können den Menschen keine gesetzlichen Leistungen verwehrt werden, auch wenn der Haushalt sie nicht vorsieht. Alle Menschen werden diese Leistungen bekommen. Auch der Kessel Buntes der SPD zur Sozialpolitik ist eigentlich in vielen Punkten obsolet.

(Andy Grote SPD: In welchen zum Bei- spiel?)

Daher werden wir diesen Antrag ablehnen bis auf den Antrag im Bereich wohnungslose Frauen; den hat auch Herr von Frankenberg schon erwähnt. Wir finden den Antrag prüfungswürdig und deswegen werden wir ihn annehmen. Wir werden auch einer nachträglichen Überweisung zustimmen, weil er vernünftig ist und vielleicht auch ein Defizit deutlich macht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Als nächster hat Herr Joithe das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Im allgemeinen Vorbericht zum Finanzbericht 2009/2010 wird eine Abnahme der Empfängerzahlen in den Rechtskreisen des SGB II, also Arbeitslosengeld II, und des SGB XII unterstellt. Aus einer kurzfristigen, positiven Fallzahlenentwicklung in 2008 im Bereich des SGB II und des SGB XII und im Asylbewerberleistungsgesetz wird auf eine Fortsetzung dieser Trends geschlossen.

Warum eigentlich? Dementsprechend sind im Ansatz für den Haushalt 2009/2010 geringere Mittel eingestellt worden. Die erheblichen Verwerfungen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise sind jedoch gar nicht berücksichtigt. Wir erleben gerade, wie der Haushaltsansatz 2009 nach wenigen Monaten bereits Makulatur ist. Es wäre in dieser unübersichtlichen wirtschaftlichen und sozialen Situation vermessen, eine seriöse Haushaltsplanung für 2010 aufstellen zu wollen. Wir fordern deshalb zunächst einen Jahreshaushalt und lehnen den Doppelhaushalt ab. Dies wäre eine gute Sozialpolitik für Hamburg.

Viele Menschen, die bereits heute als Erwerbslose und Geringverdiener als Grundsicherungsbezieher an den Rand der Gesellschaft verwiesen werden, und zwar genau von denen, die durch ihr Zocken für das geplatzte Finanzkasino verantwortlich sind, werden auf diese Krise mit Hoffnungslosigkeit, Isolation und Vereinsamung reagieren. Im Gegensatz zu Frau Goetsch, die meint, wir könnten alles so locker abdecken – dazu komme ich später noch –, meine ich schon, dass der Sozialetat der Stadt

(Nebahat Güclü)

nicht ausreichen wird, um die absehbaren katastrophalen Folgen – unter anderem steigende Erwerbslosigkeit, Anwachsen der Zahlen der ALG-II-Empfänger und -Empfängerinnen, Zunahme von Armut, neue Dimensionen von Drogensucht und Obdachlosigkeit, Anwachsen von psychischen Erkrankungen und Suiziden sowie Gewalt in Familien – abzumindern beziehungsweise ihnen präventiv entgegenwirken zu können.

Das ist kein Kessel Buntes, das ist sicher richtig, der Kessel hier sieht sehr grausam aus. Deswegen hat meine Fraktion ein Strukturprogramm mit einem Umfang von 2 Milliarden Euro vorgelegt, das an den Haushaltsausschuss überwiesen wurde. Und auch dieses Strukturprogramm ist eine gute Politik für Hamburg.

(Beifall bei der LINKEN)

Zusätzlich ist es erforderlich, den Etat der Sozialbehörde auszuweiten. Zu berücksichtigen sind alle Titel, bei denen Projekte und Maßnahmen unterstützt werden, die der direkten Betreuung der Benachteiligten dieser Gesellschaft sowie den in diesem Bereich Beschäftigten zugute kommen.

Senator Wersich teilte in der Presse mit, dass 2000 zusätzliche Erwerbslose Mehrkosten in Höhe von 15 Millionen Euro bedeuten würden. Rolf Steil, Leiter der Agentur für Arbeit in Hamburg, geht im Rahmen der Prognose des Jahreswirtschaftsberichts von 2,5 Prozent Schrumpfung und damit für Hamburg von einem Anstieg der Erwerbslosenzahlen auf 100 000 Menschen aus.

Solidarität ist angebracht gegenüber den Menschen, die in dieser reichen Stadt Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Den General- und Misstrauensverdacht, wie er gegenwärtig genau gegenüber dieser Gruppe allgegenwärtig ist, insbesondere in den sogenannten Job-Centern, sollten wir auf die konzentrieren, die es verdient haben, nämlich die Zocker auf den internationalen Finanzmärkten.

Ich möchte ein Beispiel dafür nennen, dass Haushalt nicht nur trockene Zahlen bedeutet, und das, was hier beschlossen wird, sich nicht nur auf irgendwelchen Papieren wiederfinden wird, sondern was Einsparen im sozialen Bereich bedeutet. Gestern erschien die "Hamburger Morgenpost" mit dem Aufmacher, dass die ARGE Wandsbek der gefährlichste Arbeitsplatz in Hamburg sei, und zwar weil es so viele Übergriffe der sogenannten Kunden – die nennen die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen Kunden – gegeben hätte. In der Zeitung stand, dass es 222 Übergriffe in dieser ARGE gegeben habe, und drei waren wohl tätlich. Wie tätlich, wurde nicht erwähnt, und der Rest waren dann wohl eher verbale Übergriffe.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Ist ja schlimm!)

Ja, Herr Hesse, hören Sie gut zu.

Von den Übergriffen der Sachbearbeiter auf die Kunden wird nicht berichtet. Ich erzähle Ihnen einmal etwas aus der Sozialberatung. Da kommen Leute und sagen, bei mir war gestern vor der Tür der sogenannte Betreuungsdienst. Herr Rose hat darüber, wenn ich mich recht entsinne, schon eine Pressemitteilung herausgegeben. Dieser Betreuungsdienst wird dann zwar nicht in die Wohnung gebeten, aber die Mieter lassen ihn vor lauter Überraschung doch hinein. Dann wird eine Kuhle im Bett festgestellt, oder vielleicht nur ein Sofa, dass sich nicht zum Schlafsofa umwandeln lässt, und schon ist die sogenannte eheliche Gemeinschaft oder, wie es juristisch richtig heißen würde, die Einstandsgemeinschaft, gegeben und dann passiert Folgendes: Ob das nun stimmt oder nicht, ist gar keine Frage, die ARGE sagt, bei dem wird gekürzt und auf Null herabgesetzt.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Ich verstehe nicht, was Sie machen wollen!)

Herr Hesse, hören Sie ruhig weiter zu, es wird gekürzt auf Null.

Das bedeutet ganz klar, dass dieser Mensch kein Geld mehr hat. Der hat morgen kein Geld mehr zum Essen und übermorgen kein Geld mehr für die Wohnung. Ehe das Sozialgericht entschieden hat, ist der obdachlos. Dann sagt der Teamleiter dieser ARGE, ein gewisser Herr Göllnitz, ich nenne den Namen bewusst: Gehen Sie doch zur "Tafel" oder gehen Sie zur bezirklichen Fachstelle für Wohnungsnotfälle. Und wissen Sie, was passiert, wenn Sie zu dieser Fachstelle gehen? Dann sagt die Fachstelle, wir können Ihnen nur helfen, wenn zukünftig die Miete gesichert ist, und die ist nicht gesichert aufgrund dessen, dass Sie kein Arbeitslosengeld II mehr beziehen. Da beißt sich dann die Katze in den Schwanz.

Ihre Frage sicher, was das mit Haushalt zu tun hat.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Nee, was hat das mit Übergriffen zu tun?)

Wir waren bei Herrn Bösenberg – das ist der Leiter der ARGE in Hamburg – und er hat erklärt, er müsse 8 Prozent einsparen. 8 Prozent Einsparungen bedeuten, den Betreuungsdienst zu aktivieren, den Betreuungsdienst in die Wohnung zu schicken und auf Deubel komm raus Leistungsverminderung, Leistungsverhinderung zu betreiben.

So sieht das in unserer Stadt aus, das ist nicht solidarisch.

(Antje Möller GAL: Das ist nicht der Sozial- haushalt, nicht der Einzelplan, über den wir reden! Das ist am Thema vorbei!)

Herr von Frankenberg, Sie sagen, wer Hilfe in Hamburg brauche, dem werde geholfen. Perfider geht es nimmer, wenn dem so geholfen wird.

Beenden Sie diese Betreuungsangebote, Herr Gedaschko – er ist leider nicht hier, obwohl das SGB II, die ARGE auch in seinen Bereich fallen –, das wäre eine gute Sozialpolitik für Hamburg.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu guter Letzt, Frau Möller, braucht Hamburg ein Sozialticket, das seinen Namen verdient, und keine Rabattkarte. Für den Großbereich Hamburg müssen Sie nach Abzug der Rabattkarte von 18 Euro immer noch 70 Euro bezahlen und das kann kein ALG-II-Empfänger bezahlen. Das ist mehr als das Vierfache dessen, was im Regelsatz vorgesehen ist.

Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zum Antrag meiner Fraktion, der Drucksache 19/2290, denn das wäre eine gute Sozialpolitik für Hamburg. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gibt es weitere Wortmeldungen zum Bereich Soziales? – Das Wort hat Herr Senator Wersich.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin verschnupft, nicht, weil Sie mich übersehen haben, sondern biologisch, und bitte schon einmal vorab um Entschuldigung.

(Wolfgang Beuß CDU: Masern!)

Nein, zu den Masern kann ich nachher in der Gesundheitsdebatte noch etwas sagen.

Herr Kienscherf, ich war gespannt auf Ihre heutigen Ausführungen. Sie sind eine Alternative völlig schuldig geblieben und haben eigentlich nur unterstrichen, dass Sie genauso wie die Hamburger diese Regierung aus CDU und Grünen brauchen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL – Zuruf von Dirk Kienscherf SPD)

Ich weiß, Herr Kienscherf, dass die Nische, die die Grünen und die CDU Ihnen politisch lassen, sehr klein ist und nehme das auf, was Frau Güclü eingangs gesagt hat. Ich bin selbst auch überrascht, denn ich muss gestehen, dass ich vor einem Jahr, nach der Wahl, als es um die Koalitionsverhandlungen ging, deutlich skeptischer war.

(Uwe Grund SPD: Wir reden hier über den Haushalt!)

Die Situation hatte sich zugespitzt, nicht zuletzt durch den Wahlkampf. Wir haben dann in den Vereinbarungen zum Koalitionsvertrag, bei natürlich unterschiedlicher Beurteilung der Lage, eine hohe Übereinstimmung in den Zielen und Ansätzen festgestellt, wie wir sie bereits vorher, zum Beispiel mit der "Lebenswerten Stadt", verfolgt hatten.

Wir haben etwas sehr Wichtiges im Koalitionsvertrag formuliert, nämlich unser sozialpolitisches Credo, dass es nicht nur darum geht, die Grundsicherung zu garantieren, sondern wir gemeinsam Wege finden wollen, wirksame Hilfestellung zur Überwindung von konkreten Problemlagen zu geben. Wir haben das Ziel, den Menschen zu helfen, wieder Verantwortung für sich und andere übernehmen zu können und sich, soweit es ihnen möglich ist, damit auch aus dem Transferleistungsbezug zu lösen.

Diese sozialpolitische Grundhaltung ist mehr, als LINKE und SPD zu bieten haben.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Diese Maxime, die wir gemeinsam formuliert haben, haben wir sehr sorgfältig über alle Vorhaben und deren Umsetzungsmöglichkeiten aus dem Koalitionsvertrag in diesen Doppelhaushalt hineingebracht. Wir haben nicht nur neues Geld ausgegeben, sondern auch gemeinsam umgeschichtet. Ich habe auch bei uns in der Behörde die Verwaltung auf den Kopf gestellt, damit wir Millionenbeträge für neue Maßnahmen, auch durch den Abbau der eigenen Verwaltung, freisetzen können. Über all diese Maßnahmen haben wir, Herr Kienscherf, in über 20 Stunden Ausschussberatungen ausführlich gesprochen.

Es ist erwähnt, dass hier ein Viertel des Hamburger Haushalts auf die Sozialbehörde – 1,3 Milliarden Euro, das ist richtig, Herr Kienscherf – für Soziales und Integration entfällt. Das ist eine enorme Menge Geld.

Ich bin kein Freund der Aussage, gute Politik solle sich immer nur an mehr Geld messen lassen. Es wäre für uns alle viel angenehmer, wenn wir keine Mittel mehr bereitstellen müssten für mittellose Menschen, für benachteiligte Kinder, Obdachlose, Behinderte, Kranke, Pflegebedürftige, Flüchtlinge oder Migranten, weil eben keine Hilfe mehr nötig ist. Aber so ist die Welt nicht, so war sie auch nicht vor dieser viel diskutierten Krise.