Protocol of the Session on March 3, 2009

(Glocke)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend) : Ich darf Sie bitten, etwas Ruhe zu bewahren.

(Jörn Frommann CDU: Aber doch nicht bei dem Geplapper da!)

Ansonsten haben Sie die Möglichkeit, wenn Sie Gespräche führen wollen, vor die Tür zu gehen. – Herzlichen Dank.

Ich würde Sie gern einmal 14 Tage lang täglich in die Schule mitnehmen. Ich glaube, Sie würden zum Beispiel im Sportunterricht nach zehn Minuten schreiend hinauslaufen, weil Sie den Lärm gar nicht ertragen könnten.

Was brauchen wir für die Lehrer? Die Arbeitszeit muss heruntergesetzt werden. Qualitativer und guter Unterricht und Austausch mit den Eltern kann nicht bedeuten, dass das alles auf dem Rücken der Lehrer stattfindet.

Wir treten für zehn Jahre gemeinsames Lernen ein. Sie wissen, dass wir eine Schule für alle unterstützt haben. Wir finden den Ansatz dieser Regierung, gemeinsames Lernen von vier auf sechs Jahre zu verlängern, akzeptabel; es geht uns nicht weit genug. Wir haben eine ganz große Skepsis, ob es bei dieser Art und Weise funktioniert, wie die Primarschulen zugeordnet werden, ob es nicht auf das Gegenteil hinausläuft, dass nämlich soziale Auslese schon vorher stattfindet. Da sind unsere großen Bedenken.

Wir setzen uns unbedingt dafür ein, weil gerade Hamburg in den letzten Jahrzehnten unter den Schulreformen – in Anführungszeichen – wirklich gelitten hat. Es ist von allen Seiten darauf zu achten, dass ein Schulsystem, egal welche Änderungen man einbringen möchte, für die nächsten Generationen von Schülern auch noch entwicklungsfähig sein muss. Es ist uns sehr wichtig, dass man in dieser Richtung auch versucht, dort unterstützend zu arbeiten, es auch kritisch zu begleiten. Wir werden ein ganz klares Augenmerk darauf haben, was mit den sozial Schwachen im Schulsystem passiert.

Ich möchte noch einmal Ihre Aufmerksamkeit auf ein Problem lenken, das uns im Ausschuss aufgefallen ist.

(Olaf Ohlsen CDU: Nee, lass nach!)

Ein ganz großes Problem für Schüler ist die große Perspektivlosigkeit. Es gibt viele Schüler ohne Hauptschulabschluss, mit Hauptschulabschluss und auch mit Realschulabschluss, die eigentlich schon recht früh in ihrem Schulleben wissen, dass sie keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben. Die von der Behörde vorgesehenen Maßnahmen, die den Übergang zwischen Schule und Beruf organisieren sollen, sind nicht wirksam; dies ist auch offen diskutiert worden.

Wir fordern das ein, was im Ausschuss gesagt wurde, dass man sich ernsthaft überlegen muss, wie man einen wirksamen Übergang von Schule zu Beruf hinbekommt. Wenn es nicht genug Ausbildungsplätze im dualen System gibt, dann hilft das alles nichts, dann müssen wir schulische Vollzeitausbildung anbieten, damit jeder Jugendliche auch eine Ausbildung bekommt. Das ist ein wichtiges Recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man in den Haushaltsplan-Entwurf schaut, dann muss man leider feststellen, dass diese Regierung eines gar nicht beachtet hatte, nämlich dass wir im Jahre 2010 einen doppelten Abiturjahrgang haben. Wir haben jetzt schon das Problem, dass Abiturienten Realschüler aus Ausbildungsverhältnissen hinausdrängen und die Realschüler die Hauptschüler. Wenn jetzt ein doppelter Abiturjahrgang kommt, dann werden die Chancen der Haupt- und Realschüler noch einmal weiter verschlechtert. Es ist leider im Haushaltsansatz für die Übergangsmaßnahmen Beruf und Schule kein höherer Ansatz vorgesehen, sondern die Ansätze sind sogar heruntergeschraubt worden. Da müssen wir sehr große Anstrengungen machen – ich appelliere hier auch noch einmal an die Senatorin, das hatte ich schon öfter angesprochen –, wir müssen uns um diese Schüler aus dem doppelten Abiturjahrgang besonders intensiv kümmern. Wir müssen dafür sorgen, dass dort mehr Mittel hineinfließen, dass Haupt- und Realschüler auch einen Ausbildungsplatz bekommen und nicht von den Abiturienten verdrängt werden. Das ist unser großes Petitum dabei.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Senatorin Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben heute eine ganze Menge darüber gehört, dass es den einen nicht weit genug geht und den anderen

zu schnell. Dann gibt es noch die eine oder andere Polarisierung, das ist sehr interessant.

Ich möchte eine Sache allerdings gleich zu Beginn richtigstellen. Liebe Frau Heyenn, es gibt kein Abitur zweier Klassen. Das Abitur ist ein Zentralabitur. Es wird heutzutage am Gymnasium und an der Gesamtschule gemacht in der jeweiligen gymnasialen Oberstufe und insofern gibt es keine zwei Klassen. In der künftigen Stadtteilschule und im künftigen Gymnasium gibt es ebenfalls ein Zentralabitur. Die beiden sind gleichwertig, das ist der höchste allgemeinbildende Bildungsabschluss und daran wird sich nichts ändern. Es ist nicht gut, von Zwei-Klassen-Systemen zu sprechen, das wäre falsch. Genau das war das Ziel der Enquete-Kommission, dass beide Wege zum Abitur führen. Das ist eine grundlegende, wichtige Sache, die man hier nicht diskreditieren sollte.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ob nun Polarisieren oder Märchengeschichten erzählen – ich komme darauf gleich noch zurück –, es geht doch letztendlich darum, dass unsere Schülerinnen und Schüler in Hamburg von der Schulreform und unserer Bildungsoffensive profitieren sollen, die müssen im Mittelpunkt stehen. Deshalb ist es viel zu kurz gegriffen, wenn sich hier immer nur eine Reduzierung auf die Einführung der Primarschule in der Diskussion ergibt. Manchmal hat man das Gefühl, wenn CDU und GAL die Primarschule nicht einführen würden, wäre alles gut, dann könne es so bleiben wie es ist. Das ist eine ganz unfruchtbare Verkürzung, Primarschule ja oder nein, denn es geht um mehr. Martin Spiewak, der Bildungsjournalist der "Zeit", hat vergangenen Donnerstag zwei beachtenswerte Sätze geschrieben – Zitat –:

"Umbau der Schulstruktur oder Verbesserung des Unterrichts – darüber stritten Bildungspolitiker nach dem Pisa-Schock. Eine moderne Schulpolitik, das zeigt sich, wird beides miteinander verbinden."

Genau darum geht es in der Debatte, einige Vorredner haben es schon angeführt, Herr Freistedt und Herr Gwosdz. Also Struktur und Unterricht, beides ist untrennbar miteinander verbunden.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Diese Gerüchteküchen reduzieren auf Struktur. Wenn ich nur die Struktur ändere, dann werde ich nichts verbessern, das ist vollkommen klar.

Wenn ich Frau Heyenn richtig verstanden haben, dann hat die Fraktion der LINKEN in den letzten Wochen deutlich gesagt, dass sie es richtig fände, Struktur und Unterricht zu verändern, die Reformen aber nicht weit genug gingen.

Was ich überhaupt nicht verstehen kann, ist die Haltung der Kolleginnen und Kollegen der SPD. Herr Rabe sagt, zehn Jahre gemeinsam lernen,

(Dora Heyenn)

Herr Neumann sagt, wir machen uns Gedanken über längeres gemeinsames Lernen. Also entweder machen Sie sich Gedanken bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag

(Michael Neumann SPD: Das ist doch ein- fach zu billig!)

oder Sie handeln auch. Ich habe das Gefühl, Sie reihen sich in die Reihe derjenigen ein, die lieber alles so behalten wollen, wie es ist, Stadtteilschule ja, aber alles andere bloß nicht. Ich finde es unverantwortlich, dass Sie, Herr Rabe, sagen, es müsse mobilisiert und alles dafür getan werden, damit die Bildungsverlierer in unserem Schulsystem endlich aus dieser Loser-Situation herausgeholt werden. Dann müssen Sie auch handeln und dürfen sich nicht nur Gedanken machen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Auch verstehe ich nicht, welchen anderen Beteiligungsprozess Sie organisieren würden als so, wie wir die Schulentwicklungsplanung eingeführt haben. Frau Ernst, Sie haben die Details, die wir jetzt in der Schulentwicklungsplanung bei den Konferenzen durchführen, wortwörtlich in Ihren Papieren in der letzten Legislaturperiode aufgeschrieben. Es ist mir schleierhaft, welche Alternativen Sie vorschlagen wollen, wenn Sie wirklich Eltern, Schüler und Lehrer und in dem Falle auch die Bezirke und die Kita-Träger beteiligen wollen.

Ich freue mich deshalb umso mehr, dass diese Bildungsoffensive unserer Koalition doch inzwischen vieles bewegt hat und viele sich bewegen. Es ist bemerkenswert, wie viele Menschen aus den verschiedenen Bereichen, Verbänden, übrigens auch aus der Wirtschaft, ihre alten Positionen geräumt haben. Wenn man bedenkt, dass natürlich eine Reform immer auch Unsicherheit und Skepsis hervorruft, dann ist doch umso bemerkenswerter, dass sich 60 Prozent der Hamburger Eltern, die schulpflichtige Kinder haben, dafür aussprechen. Interessanterweise sind 59 Prozent der SPD-Wähler dafür. Das ist ein kleiner Widerspruch zu dem, was Sie uns heute gesagt haben. Natürlich sind die Eltern-Lehrer-Schüler-Kammern dafür. Insofern werden wir mit diesem Schwung und dem Haushaltsplan-Entwurf,

(Ties Rabe SPD: Das ist ein Glaubenskrieg!)

auf den ich jetzt zu sprechen komme, diesen Umbau gestalten, denn wir können die Hände nicht in den Schoß legen. Wir müssen alles tun, um die Schulsituation zu verändern und zu verbessern, weiter auf die Spur zu bringen.

Es geht zum einen um Lehrerstellen, es geht um die Ressourcen und die Mittel. Das Zahlenwerk im Detail haben wir schon in den Ausschüssen vorgelegt.

Es geht darum, was man an Lehrern für die jeweiligen Klassen benötigt, wie viel man für das Sprach

förderkonzept, für die Ganztagsschulen braucht. Natürlich, Herr Rabe, ist das eingestellt. Wir haben das beschlossen, um die Schulen zu 100 Prozent auszustatten und entsprechende Veränderungen vorzunehmen.

Ich will einmal aufzählen, was heute in der Haushaltsdebatte überhaupt noch nicht genannt worden ist, zum Beispiel die Einführung der Integrationsklassen in den Vorschulen und den Gymnasien. Da geht es um die Erhöhung der Stundentafel in den Oberstufen der integrierten Gesamtschulen und in beruflichen Gymnasien, damit die Schüler mehr Lernzeit zur Verfügung haben.

Für diese Bildungsoffensive, Herr Rabe, die Sie angesprochen haben, ist natürlich Geld eingestellt worden. Es sind schon einmal 80 Millionen Euro ausschließlich für die Frequenzsenkung vorgesehen und dann kommen temporäre Mittel hinzu. Ich finde es sehr spannend, dass Sie mit temporären Mitteln Ihre Haushaltsanträge finanzieren wollen. Das ist eine unseriöse Vorgehensweise, die nicht dazu führt, dass so ein Bildungsprozess vernünftig begleitet wird vor allen Dingen mit den Geldern für die Fortbildung, das ist hier schon angesprochen worden.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Kommen wir einmal zu den kleinen Klassen, die Grundvoraussetzung sind, um individualisierten Unterricht zu machen. Wir wollen weg vom Gleichschritt marsch in den Klassen, vom 45-Minuten-Takt zu individuellen Lernformen, wo jedes Kind sein eigenes Lerntempo finden kann, wo es darum geht, die schwächeren und die starken Schüler zu fördern und zu fordern. Das ist die Herausforderung in allen Schulformen, auch für die Gymnasien. Alle unsere Schulformen sind gleich viel wert. Wer das Rahmenkonzept gelesen hat, dem wird auch sehr deutlich, dass es hier um alle Schulen geht.

Wir haben deshalb – das ist nun einmal im Haushalt eingestellt, da kommen Sie auch nicht drumherum – schon mit dem Nachtragshaushalt im letzten Jahr damit angefangen: Keine Klasse über 25 Schüler in der Primarschule und in der Stadtteilschule und in den sozialen Brennpunkten in den Primarschulen, Klasse 0 bis 6, möglichst keine Klasse über 20 Schüler. Das gibt wirklich einen vernünftigen Rahmen und dafür werden 270 Stellen in den kommenden Jahren oder knapp 18 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. Es geht eben systematisch um die Absenkung der Klassenfrequenzen.

Ich fand spannend, dass hier gesagt wurde, man müsse auch einmal die Lehrer loben und ihnen applaudieren. Bisher ist immer Polizei und Feuerwehr gedankt worden. Ich finde das gut, denn wir brauchen gutes Personal und dann kann man auch ein

(Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch)

mal den Lehrerinnen und Lehrern danken, denn das habe ich in diesem Haus noch nicht erlebt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Es ist mir persönlich auch sehr wichtig, weil wirklich großartige Arbeit geleistet wird. Aber genau um dies zu leisten, was die Frage neuer Lernformen angeht, brauchen wir dieses große Programm Lehrerfortbildung. Es ist vom Feinsten und findet auch bundesweit Beachtung. Es bedeutet nicht nur Seminare im Landesinstitut, sondern Fortbildung der Teams der Lehrerinnen und Lehrer, der Fachschaften in didaktischen Werkstätten vor Ort in den Bildungsregionen. Da gehen wir wirklich große Wege und dies wird auch Früchte tragen.

Die Sprachförderung ist mehrfach angesprochen worden. Natürlich werden wir mehr in die Sprachförderung investieren. Wir haben schon einige Male darüber diskutiert, dass, wer in Mathematik den Aufgabentext nicht versteht, auch die Aufgabe nicht lösen kann.

Jetzt zum Thema soziale Barrieren abbauen: Das ist unsere gesellschaftspolitische Herausforderung in Hamburg und deshalb wird die Vorschule zum neuen Schuljahr auch wieder kostenfrei. Es werden 15 000 Familien davon profitieren; unter anderem sind das 3,5 Millionen Euro.