Protocol of the Session on December 10, 2008

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Sie sind nicht darauf eingegangen. Der Einzige, der es nicht gemacht hat, sind Sie.

Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass irgendein CDU-Abgeordneter es irgendwann einmal begreift, dass wir nicht für mehr Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess kämpfen, weil wir die Menschen am Ende belohnen wollen, dass sie sich ganz brav integriert haben, sondern wir haben in Hamburg in der zweitgrößten Stadt Deutschlands ein massives Integrationsproblem. Das löst auch nicht der Integrationsbeirat.

(Harald Krüger CDU: Aber kommunales Wahlrecht löst es doch auch nicht!)

Wir müssen Überlegungen anstellen, wie wir die Menschen dazu bekommen – dass es ein zweiseitiges Unterfangen ist, ist klar –, sich dazugehörig zu fühlen und dazu gehört auch, ihnen das Signal auszusenden, ihr seid willkommen und nicht am Ende des Sandkastens mit der Möglichkeit des kommunalen Wahlrechts zu winken.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich sage ganz offen, dass ich bei Ihnen die Hoffnung aufgegeben habe. Sie werden das nie be

(Roland Heintze)

greifen. Aber ich bin gespannt, wie sich dazu neuerdings die GAL positionieren wird.

Das kommunale Wahlrecht ist nicht das einzige Instrument, aber ein sehr wichtiges Instrument für Integration. Wir haben den Blick ins europäische Ausland gewagt. 16 EU-Staaten haben bereits Ausländern aus Nicht-EU-Staaten das kommunale Wahlrecht zugesprochen. Es sind nicht selten Länder, von denen wir uns in Sachen Integration durchaus etwas abgucken können. Natürlich nicht alles, aber doch einiges. Sie haben Mut bewiesen und wurden dafür auch belohnt, zum Beispiel durch eine wesentlich höhere Einbürgerungsquote. Ich würde mir wünschen, dass Sie das verstehen.

Kommunales Wahlrecht auf der einen Seite und zusätzlich höhere Einbürgerungsquoten. Alle europäischen Länder, die das kommunale Wahlrecht den Nicht-EU-Bürgern zubilligen, haben höhere Einbürgerungsquoten als hier. Das kommunale Wahlrecht und das Werben für mehr Einbürgerungen sind demzufolge keine Gegensätze. Da würde ich mir ein bisschen mehr Mut von Ihnen wünschen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Es ist ein sinnvoller Schritt zu mehr gemeinsamem Handeln, zu mehr politischer Teilhabe. Ich bin – das sage ich noch einmal ausdrücklich – ganz klar, meine erste Kampagne ist immer mehr Einbürgerung, Leute nehmt die deutsche Staatsbürgerschaft an, aber ich will nicht diejenigen bestrafen, die seit zwei, drei Jahrzehnten hier leben, vielleicht einen Zwischenschritt benötigen und teilhaben wollen an dem kommunalen Wahlrecht, weil ich nicht glaube, dass das kontraproduktiv für diese Gesellschaft, sondern im Gegenteil sehr produktiv ist. Ich glaube, dass wir von diesem Parlament aus – und das ist selbstverständlich auch eine Sache, die von einem Landesparlament ausgehen muss, Rheinland-Pfalz hat es vorgemacht, Berlin auch –, ein Signal aussenden müssen, dass diese Menschen, die hier seit mehreren Jahrzehnten wohnen, ihre Steuern zahlen, ihren Pflichten nachkommen, auch willkommen sind und am politischen Willensbildungsprozess teilnehmen sollen.

Im Jahre 2003 wusste die CDU noch nicht, wer von den 230 000 Menschen ohne deutschen Pass in Hamburg die objektiven Einbürgerungskriterien erfüllt hat und wer nicht. Noch vor einem Jahr haben Sie von Einbürgerungskampagnen gesprochen. Ich glaube nur das, was ich sehe, und das sind völlig überlastete Einbürgerungsstellen in Hamburg, wo ein Sachbearbeiter bis zu 300 Einbürgerungen bearbeiten muss und Wartezeiten von 18 Monaten zustande kommen. Von einer Einbürgerungskampagne habe ich bis dato noch nie etwas gesehen, nur ab und zu einmal etwas gehört.

Wir haben in Sachen Integration Defizite. Das ist überhaupt keine Frage. Wir haben es in der letzten Woche in PISA gesehen, wir haben im Bildungsbereich Defizite, im Arbeitsmarkt. Das bedeutet, dass Integration eine Querschnittsaufgabe ist. Ich will aber auch nicht so tun als hätten wir in Hamburg Verhältnisse wie in manchen europäischen Metropolen, wo Hunderttausende von Menschen nebeneinander leben und nicht miteinander, wo sich Enklaven gebildet haben, aber auch in Hamburg haben wir ein Problem mit mehreren zehntausend Menschen, mit sehr vielen Menschen, die abgehängt sind, die nebeneinander leben und sich alles andere als integriert fühlen in dieser Gesellschaft. Es ist nicht so, dass all die, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, glauben, dass seien immer nur die anderen, die bösen Deutschen, die uns nicht integrieren wollen. Nein, das ist nicht so, sondern sie sind durchaus selbstkritisch und sehen, dass sie auch Versäumnisse haben und sich an einigen Stellen vielleicht viel zu wenig bemüht haben. Wir wollen mehr dafür tun, dass wir zusammenwachsen. In der zweitgrößten Stadt Deutschlands darf nichts mit der Begründung abgelehnt werden, macht erst mal, dann gucken wir mal und dann belohnen wir euch, aber wie, das wissen wir heute noch nicht genau.

Viele Zuwanderer erkennen durchaus eigene Versäumnisse und wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, gemeinsam an einem Haus Hamburg zu arbeiten und ihnen die Hand ausstrecken und ihnen die Möglichkeit dazu geben, an den Stellen die Lücken zu schließen. Ich glaube, dass das kommunale Wahlrecht oder die Zubilligung keine Wohltat ist, sondern es ist auch ein Gebot der Gleichbehandlung. 2001 erfolgten fast 10 000 Einbürgerungen in Hamburg. Heute haben wir die Situation, dass wahrscheinlich nicht mehr als 2500 Menschen eingebürgert werden. Die Einbürgerungsquote in Bremen ist sogar höher als in Hamburg. Das sind doch nun wirklich keine Erfolge, auf die man verweisen könnte.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Ja, richtig!)

Von den rund 230 000 lebenden Mitbürgern, die keinen deutschen Pass haben, leben 130 000 acht Jahre oder länger hier. Das sind Kriterien, die man aus meiner Sicht nicht einfach von der Hand weisen sollte. Es haben andere Bundesländer vorgemacht, dass man die Initiative von den Ländern ins Bundesparlament tragen muss. Rheinland-Pfalz hat es vorgemacht und Sie halten es hier noch nicht einmal für nötig, diese Anträge in den Ausschüssen zu beraten. Ich frage mich, nach welchen Kriterien Sie entscheiden, welches Thema in welchem Ausschuss behandelt wird. Was ist Ihnen eigentlich wirklich wichtig? Dass dieses Thema Ihnen überhaupt nicht wichtig ist, ist erschreckend und lässt tief blicken.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Eg- bert von Frankenberg CDU: Das stimmt doch überhaupt nicht! – Jens Kerstan GAL: So unschuldig sind Sie doch auch nicht! Das ist echt billig!)

An die GAL gerichtet, will ich dringend dafür appellieren, dieses Thema ernst zu nehmen. Ich kann mich an Kollegen erinnern, die sehr viele Jahre für dieses kommunale Wahlrecht geworben haben. Ich würde gerne einmal wissen, was Sie jetzt sagen.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Dann setzen Sie sich mal hin, dann hören Sie es!)

Ich kann es nicht mehr hören, dass uns ständig vorgeworfen wird, wir würden diese Anträge nur aus taktischen Gründen einbringen. Das erklären Sie mal all den Leuten, mit denen Sie dann sprechen werden, dass Sie diesen Antrag nur ablehnen werden, weil das nur Taktik hätte. Das ist Unfug. Ich kann vor solch einem Verhalten nur warnen, denn so langsam bekommt es jeder mit, dass Sie das eigentlich gar nicht wollen und nie gewollt haben. Die Menschen in dieser Stadt achten sehr wohl darauf, wer ihnen zu welchem Zeitpunkt welches Engagement versprochen hat. Das erinnern sie sehr wohl. Deshalb, liebe Kollegen, kommen Sie aus Ihrer Wagenburg heraus.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das ist albern!)

Das ist nicht albern. Dass Sie das Thema albern finden, haben Sie ja bewiesen. Kommen Sie aus Ihrer Wagenburg heraus und seien Sie wirklich weltoffen und progressiv, wie Sie das überall, wo Sie auftreten, immer ankündigen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Karl- Heinz Warnholz CDU: Unmöglich!)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Farid Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In Hamburg leben knapp 200 000 Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger. Sie haben jetzt schon erhebliche Rechte, die wir uns einmal zu Gemüte führen sollten. Sie können Petita an den Bundestag und die Bürgerschaft richten, sie können Beschwerde- und Petitionsrechte gegenüber Organen der EU und in Sachen EU-Angelegenheiten auf den Weg bringen und sie sind wahlberechtigt im Betriebsverfassungs- und im Personalvertretungsrecht und sie sind sogar wahlberechtigt bei der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen in Deutschland.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Super! – Ingo Egloff SPD: Und Steuern dürfen sie auch zahlen! – Bülent Ciftlik SPD: Sagen Sie das auch mal in St. Georg!)

Deswegen unterstützen wir Grünen seit langem ein weiteres Bürgerrecht, nämlich das kommunale Wahlrecht für die Nicht-EU-Bürgerinnen und –Bürger in diesem Land und auch in Hamburg.

(Beifall bei der GAL)

Deswegen hat auch die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen einen entsprechenden Gesetzentwurf – übrigens die einzige Fraktion – in den Bundestag eingebracht. Deswegen gab es im September, worauf der Kollege von der CDU bereits hingewiesen hat, eine Anhörung im Innenausschuss, die sehr interessant war. Für diejenigen, die in der Debatte nicht so drin sind: Der Gesetzentwurf, der von den Grünen im Bundestag eingebracht wurde, deckt sich im Wesentlichen mit dem Gesetzentwurf, der im Bundesrat von RheinlandPfalz liegt.

Es beschäftigen sich aber nicht nur die grüne Bundestagsfraktion und der Innenausschuss mit dem Thema, sondern die große Koalition hat dazu in ihrem Regierungsprogramm einen Prüfauftrag vereinbart, der offenbar auch notwendig ist.

(Bülent Ciftlik SPD: Sind Sie dafür oder da- gegen? Was wollen Sie eingeführt haben?)

Es gibt – das ist bei der Expertenanhörung noch einmal deutlich geworden – vier verfassungsrechtliche Positionen, wie man das kommunale Wahlrecht erreichen kann, wenn man das politisch will. Wir wollen das. Ich sage Ihnen das einmal verkürzt, damit man weiß, worauf wir uns hier politisch einlassen.

Die erste Position sagt, dass das Grundgesetz so formuliert ist, dass es sogar geboten ist, die NichtEU-Bürgerinnen und -Bürger sofort mit dem kommunalen Wahlrecht auszustatten. Das ist die weitestgehende Position.

Dann gibt es eine verfassungsrechtliche Position, die sagt, wenn man das auf Landes- und auf Bundesebene will, muss man dafür die Verfassung ändern. Gleichzeitig heißt es, dass für die Kommunalwahlrechte in den Ländern einfache Landesgesetzänderungen reichen würden. Das ist die zweite Position.

Die dritte Position sagt, dass es in jedem Fall, egal, welches Wahlrecht wir ändern – wir haben das Kommunalwahlrecht, das Landeswahlrecht, das Bundestagswahlrecht –, einer Verfassungsänderung bedarf.

Dann gibt es noch eine vierte Position, die auch nicht unrelevant ist, und die sagt, egal, was ihr wollt, es ist verfassungsrechtlich gar nicht möglich. Selbst wenn ihr es ändern wollt, es ist nicht verfassungskonform.

Vor dem Hintergrund finde ich die Idee, es hier soeben mal durchzuwinken, nicht besonders schlau. Hamburg ist schon einmal auf die Nase gefallen,

(Bülent Ciftlik)

1989, als wir mit dem Landesgesetz das Ausländerwahlrecht eingeführt haben.

(Ingo Egloff SPD: Lassen Sie uns das im Ausschuss beraten!)

Das Bundesverfassungsgericht hat es kassiert. In einem Urteil dazu ist einiges für die verfassungsrechtliche Diskussion abgeleitet worden. Trotzdem wollen die Grünen das kommunale Wahlrecht. Die Bundestagsfraktion hat den Vorschlag im Gesetzentwurf mit einer Verfassungsänderung gemacht. Wir haben einen Weg vorgegeben. Wir wollen den auch weitergehen und werben dafür. Wir würden uns ebenfalls sehr freuen, wenn die SPD nicht nur bei uns werben würde, denn wir reichen nicht für eine Verfassungsänderung im Bundesrat und Bundestag, sondern wenn sie anfangen würde, nicht nur Vorwürfe in Richtung Union zu richten, sondern einmal überlegt, wie sie die Unions-Abgeordneten im Bundestag und im Bundesrat mitnimmt auf diesem Weg,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das gilt auch für die Grünen hier in Hamburg!)

auf dem es beide Volksparteien hinbekommen müssen. Es kann nicht sein kann, dass Sie für sich allein parteipolitisches Profil in den Ländern herausarbeiten wollen für eine komplizierte Frage der politischen Willensbildung auf Bundesebene, wo Sie zurzeit nicht zurechtkommen in der großen Koalition

(Ingo Egloff SPD: Und Sie nicht in dieser hier!)

und auch nicht erkennbar ist, dass die Sozialdemokratie einen ähnlichen Elan wie in Hamburg auf den Weg bringt, denn die fachliche Debatte haben zurzeit die Grünen im Bundestag geführt. Wir hoffen, dass die Ergebnisse auch Teil der Prüfung sein werden, die Sie in der großen Koalition machen werden.

(Bülent Ciftlik SPD: Was denkst du?)

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie diese Meinungsbildung auch bei der Union weiter voranbringen und das geht nicht, indem Sie sie nur beschimpfen, sondern es geht in die Richtung, dass Sie versuchen, auf die Argumente der Union einzugehen auf Bundesebene und dass wir da einen Konsens finden. Das ist ein mühsamer Weg, aber glauben Sie uns, wir Grünen haben Erfahrungen darin,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ah ja!)

Minderheitenpositionen in diesem Land mehrheitsfähig zu machen. Sie tun sich damit momentan ein bisschen schwer.