Protocol of the Session on November 19, 2008

Vertrauensverlust ist auch das weitere Stichwort, zu dem ich etwas sagen will. Der Schaden, den Sie angerichtet haben, ist nicht durch die Abstimmung, die wir machen werden und die zweite Lesung im Dezember beseitigt worden. Jeder, der mit Bürgerinnen und Bürgern in den vergangenen Monaten gesprochen hat, weiß, dass Volksentscheide massiv von Bürgerinnen und Bürgern infrage gestellt werden, weil sie nicht mehr an ihre Wirkung glauben. Das begegnet einen in Altona bei der Frage des Bismarckbades, das begegnet einen in Wohldorf-Ohlstedt zur Frage der Bebauung und das begegnet einen bei der Frage des Landesbetriebs Krankenhäuser. Sie haben durch Ihr Verhal

ten einen Vertrauensverlust herbeigeführt, den wir heute nicht durch eine Abstimmung beseitigen. Das muss allen klar sein. Wir alle kämpfen mit wachsender Politikverdrossenheit. Die CDU in Hamburg hat diesen Prozess jedoch beschleunigt, statt ihm etwas entgegenzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen jetzt einen Beschluss, um die Verfassung zu ändern, um die Grundlagen zu schaffen. Dann brauchen wir aber auch gelebte direkte Demokratie in Hamburg, um das Vertrauen in dieses Instrument wieder zu stärken, damit Bürgerinnen und Bürger wissen, dass sie es haben. Was wir vor allen Dingen brauchen, ist, dass wir versprechen, nie wieder Hand an diese Volksgesetzgebung legen zu wollen, sondern dass das für uns Bestand haben wird, was heute beschlossen wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Schneider.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wer hätte das gedacht, auch Ole sagt Ja zum Volksentscheid.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

Noch vor gut einem Jahr hat dieses Plakat der LINKEN für einige Aufregung bei der CDU gesorgt und heute erleben wir, vielleicht nicht gerade eine 180 Grad-Kehrtwende, aber immerhin eine Kehrtwende von ungefähr 150/160 Grad. Ich gebe zu, als im Oktober 2007 der Volksentscheid, der die Verbindlichkeit von Volksentscheiden in die Verfassung schreiben sollte, trotz einer Zustimmung von fast 76 Prozent scheiterte, weil mit einer Beteiligung von knapp einer halben Million Bürgerinnen und Bürger an einem wahlfreien Sonntag die unmäßig hohe Hürde verfehlt wurde, hatten auch wir nicht geglaubt, dass das Ziel in letztlich so kurzer Zeit doch noch erreicht werden würde. Doch wir haben es schwarz auf weiß: Ole sagt Ja zum Volksentscheid, die CDU sagt Ja zum Volksentscheid.

Das vorliegende Gesetz zur Änderung der Verfassung ist – wir erkennen das an – für die CDU ein großer Schritt. Leider hat sich an einem Punkt dann doch noch der Kleingeist durchgesetzt. Die CDU konnte sich trotz des ausdrücklichen und einhelligen Votums des Trägerkreises nicht dazu durchringen, das Gesetz, das alle hier im Rathaus vertretene Parteien gemeinsam mit der Initiative erarbeitet haben, auch gemeinsam einzubringen. Schade. Selbstverständlich lassen wir uns von solchem Kleingeist nicht anstecken, sondern stimmen dem Gesetz zu.

Es ist bereits gesagt worden, dass das Gesetz ein Kompromiss ist. Nicht alle Forderungen der Initiative sind umgesetzt. Die Hürden für die Verbindlichkeit von Volksentscheiden sind höher als im Gesetzentwurf der Initiative und vor allem ist das Verfahren der Feststellung des Quorums an Wahltagen ziemlich kompliziert. Doch trotz aller Abstriche wollen wir nicht einzelne Kritikpunkte in den Vordergrund stellen, sondern sagen – auch eingedenk der jahrelangen politischen Auseinandersetzung in dieser Stadt, die nun zum Ende kommt –, dass das Ergebnis tragfähig ist, die Hauptziele werden erreicht. Bisherige Regelungen, die sich in der Praxis oft eher als Verhinderungsbestimmungen erwiesen haben, fallen. Volksentscheide werden, da sie grundsätzlich an Wahltagen stattfinden sollen, erheblich erleichtert. Vor allem können Bürgerschaftsmehrheiten und Senat die Ergebnisse von Volksentscheiden nicht mehr so missachten, wie sie von CDU-Mehrheit und CDU-Senat in der Vergangenheit missachtet wurden, wenn ich, wie Frau Ernst, an dieser Stelle an die Privatisierung des LBK erinnern darf, die gegen den in einem Volksentscheid erklärten Willen der Hamburgerinnen und Hamburger erfolgte mit desaströsen Folgen auch und gerade für die Demokratie.

Wer in den vergangenen Jahren in Sachen Volksgesetzgebung auf den Straßen und Plätzen unterwegs war, wer mit den Menschen gesprochen hat und ihnen vor allem auch zugehört hat, der ist oft mit Resignation, Misstrauen gegenüber den Parteien und dem Parlament und mit dem Satz konfrontiert worden, die da oben machen doch, was sie wollen, was war denn zum Beispiel mit dem LBK?

Die Missachtung von Volksentscheiden ist nach unserer Auffassung einer der Gründe zunehmender Parteien- und Parlamentsverdrossenheit, der sich in sinkender Wahlbeteiligung niederschlägt und gefährlich zu einer Delegitimierung parlamentarischer Demokratie beiträgt.

Die von konservativer Seite oft vorgebrachte These, mehr Demokratie, das heißt die unmittelbare Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger, also des Souveräns, durch Volksentscheide würden das parlamentarische Rückgrat der Republik brechen, ist falsch. Sie verkehrt sich ins Gegenteil.

"Öffentlichkeit ist …"

um einmal Günter Wallraff zu zitieren –

"… der Sauerstoff der Demokratie.

(Beifall bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Je mehr Öffentlichkeit hergestellt wird, desto mehr Sauerstoff wird in die Demokratie hineingepumpt."

Alle Erfahrungen zeigen, dass bei direkter demokratischer Willensbildung mehr Themen, mehr Beiträge, mehr Meinungen und mehr Interessen Öffentlichkeit finden als bei rein repräsentativ demo

(Britta Ernst)

kratischen Verfahren. Sie zeigen, dass bei Volksgesetzgebungsverfahren öffentliche Diskussionen eine hohe Intensität erreichen, dass die Diskussions- und Informationsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger enorm zunimmt und – ganz wichtig – ihre politische, ihre staatsbürgerliche Kompetenz gestärkt wird.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU: Niemand will eine Mauer bauen!)

Ihre Zwischenrufe werden immer dümmlicher, finde ich.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber natürlich nur dann, wenn die Ergebnisse des öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozesses nicht ohne Weiteres in die Tonne getreten werden können, sondern ein hohes Maß an Verbindlichkeit erlangen. Das sichert das vorliegende Gesetz zur Änderung der Hamburgischen Verfassung. Deshalb tragen wir es vollverantwortlich mit, nicht, weil es das parlamentarische System schwächt, sondern weil es dieses qualifiziert und durch verbindliche Formen direkter Demokratie ergänzt. Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass der größte Dank den Aktivistinnen und Aktivisten gilt,

(Zurufe von der CDU: He, he!)

die jahrelang für Volksentscheide und für die Verbindlichkeit von Volksentscheiden gekämpft haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Wir kommen dann zur Abstimmung.

Das Präsidium hat sich davon überzeugt, dass mehr als 91 Abgeordnete in diesem Raume zugegen sind, denn das ist nach Artikel 51 der Verfassung erforderlich. Zur Änderung bedarf es des Weiteren zweier übereinstimmender Beschlüsse der Bürgerschaft, zwischen denen ein Zeitraum von mindestens 13 Tagen liegen muss.

Wer nun den gemeinsamen Antrag der CDU- und der GAL-Fraktion annehmen und das 11. Gesetz zur Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg aus der Drucksache 19/1476 in der Neufassung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass für das Gesetz mehr als zwei Drittel der anwesenden Mitglieder gestimmt haben. Es ist damit in erster Lesung angenommen worden. Die zweite Lesung wird für die nächste Sitzung am 10. und 11. Dezember vorgesehen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf, Drucksache 19/1025, Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE: Gender Budgeting im Haushalt 2009/2010.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Ja, meine Damen und Herren, ich weise darauf hin, dass die Amtssprache Deutsch ist.

[Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE: Gender Budgeting im Haushalt 2009/2010 – Drs 19/1025 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion federführend an den Haushaltsausschuss und mitberatend an den Sozial- und Gleichstellungsausschuss überweisen. Wird das Wort gewünscht? – Die Abgeordnete Artus hat es.

Herr Präsident, sehr geehrte Herren und Damen! Wir können von der Dritten Welt lernen. Ursprünglich kommt Gender Budgeting aus der Entwicklungshilfe, wo es mittlerweile als Standardmethode zur Bekämpfung von Frauen- und Kinderarmut gilt. Gestatten Sie mir, dass ich einen kleinen Hintergrund zum Thema gebe, denn einige befassen sich womöglich zum ersten Mal mit Gender Budgeting.

Haben wir mit dem Haushalt 2009/2010 einen geschlechtsbewussten Haushalt? Bislang habe ich keine Kriterien entdecken können, die mir verdeutlichen, ob die öffentlichen Mittel nach Gender-Budgeting-Kriterien verteilt wurden. Der Senat wurde von der Bürgerschaft in der letzten Wahlperiode aufgefordert, zum Haushalt 2009/2010 über den Sachstand zu berichten, inwiefern zur geschlechtergerechten Darstellung bei der Verwendung der finanziellen Mittel Kennzahlen im Sinne des Gender Budgetings entwickelt werden können und hierbei die Erkenntnisse der Machbarkeitsstudie des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend einfließen zu lassen.

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden über- nimmt den Vorsitz.)

Es ist der GAL und insbesondere der von mir geschätzten Frau Dr. Verena Lappe zu verdanken, dass Gender Budgeting in Hamburg vorangetrieben wurde.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Sie können ruhig applaudieren.

Zwar bejubelten auch CDU-Vertreter damals die Tatsache, dass sich Hamburg nach Berlin nunmehr als zweites Bundesland mit dem Thema befasst, aber in Köln, Mannheim und München sind die Kommunen ebenfalls dabei, ihre Ressourcen nach geschlechtergerechten Kriterien durchzuchecken. Australien gendert seine Budgets bereits seit Mitte der Achtzigerjahre.

1995 vereinbarten 189 Staaten, darunter Deutschland, auf der Weltfrauenkonferenz in Peking Gender-Budgeting-Konzepte für ihre Haushalte. 13 Jahre ist das her, eine ganze Generation, und es

(Christiane Schneider)

wurde seitdem von verschiedenen Senaten Hamburgs nicht viel unternommen, um diesen Beschluss umzusetzen. Man kann es auch so sagen: Es wurde ganz schön geschludert mit dem Thema. Ich sage es noch einmal anders: Die Männer haben ihre Ressourcenmacht erfolgreich verteidigt.

Nun treten 2015 verbindliche EU-Richtlinien für Gender Budgeting in Kraft. Spätestens bis dahin müssen sich die Männer daran gewöhnen, dass sie nicht mehr das größere Kuchenstück bekommen, sondern dass sie abgeben müssen und es geht noch nicht einmal um Gleichmacherei. Es kann sogar zu einer positiven Diskriminierung kommen, um eine besondere Benachteiligung auszugleichen.

Nun möchte ich an dieser Stelle aber einfügen, dass ich Gender Budgeting lediglich für eine Chance zu mehr Gerechtigkeit halte, nicht aber für ein Zauberinstrument. Gender Budgeting ist aus meiner Sicht kein Allheilmittel für die Gleichberechtigung der Frauen, denn die Frauendiskriminierung ist immer verschränkt mit der sozialen Frage. Die Töchter der über 400 Hamburger Millionäre stellen sich andere Gleichstellungsfragen als die Tausenden von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger und Niedriglohnjobberinnen. So wie die Einnahmen und Ausgaben eines Haushalts immer von der jeweiligen Regierung abhängig sind, ist Gender Budgeting auch kein sozialpolitisch neutrales Instrument. Nur weil ein Genderstempel draufsteht, muss eine Maßnahme noch lange keine frauenfreundliche und geschlechtergerechte sein; auch Hartz-IV gilt als gendergeprüft. Wäre die Agenda 2010 aber wirklich nach umfassenden GenderBudgeting-Kriterien durchgecheckt worden, hätte sich ergeben, dass die Abhängigkeiten von Frauen durch die Bedarfsgemeinschaften ganz klar erhöht wurden. Es gilt also auch immer ein Augenmerk auf die soziale Frage zu werfen.

Gender Budgeting ist nicht nur bei Feministinnen beliebt, sondern auch bei Finanz- und Haushaltsexpertinnen und -experten. Die Machbarkeitsstudie Gender Budgeting auf Bundesebene, die vor 13 Monaten erschienen ist, ergibt, dass geschlechtersensible Haushalte effizienter sind als andere. Die Bundesregierung kam aber dennoch zu dem Schluss, dass die Vorschläge der Forscherinnen und Forscher zum Teil mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden wären, ein nicht seltenes Totschlagargument, das ich neulich erst im Gesundheitsausschuss in anderem Zusammenhang hören musste.

Gender Budgeting bedeutet natürlich eine höhere Erhebung von Datenmaterial und damit einen höheren Aufwand der Verwaltung. Vor dem Hintergrund was mir, seitdem ich Abgeordnete bin, bekannt geworden ist an nicht vorhandener Information, zum Beispiel das Fehlen ausgewiesener Daten