Protocol of the Session on September 17, 2008

und deshalb begrüße ich auch, dass Frau Goetsch eine Initiative zu einer umfassenden Fortbildung der Lehrer angestoßen hat, damit diese lernen, mit der Individualität ihrer Schüler umzugehen und ihre Schüler in den Schulen individuell zu fördern.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Herr Rabe, ein zweiter Punkt, auf den Sie hingewiesen haben, ist, dass bei einer Schulreform jeder mitgenommen werden muss.

(Dirk Kienscherf SPD: Jede auch!)

Auch da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Ich glaube, das haben wir bereits in Angriff genommen. Es wird in der nächsten Zeit viele Schulentwicklungskonferenzen in dieser Stadt geben, an denen alle Schulen beteiligt sind, um Konzepte zu entwickeln, wie die Schullandschaft in dieser Stadt in Zukunft gut funktionieren kann.

(Ties Rabe SPD: Umpflügen!)

Dass Sie in Ihren Reden genau die Aspekte in den Vordergrund gestellt haben, die wir bereits angestoßen haben, bestätigt mir, dass wir mit unserer Reform, mit unserer Bildungssenatorin auf dem richtigen Weg sind und dass wir dafür erfreulicherweise sogar in diesem Hause eine breite Unterstützung haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Baum.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir unterstützen diese Initiative, weil wir der Auffassung sind, dass die Selektion der Schülerinnen und Schüler bei uns in Hamburg viel zu früh stattfindet. Das wird durch die Einführung der Primarschule durch die schwarzgrüne Regierung auch weiterhin unterstützt. Wir befürchten, dass die Auswahlkriterien der Schülerinnen und Schüler viel zu früh einsetzen, womöglich noch vor der Vorschule. Viele Gegner der Initiative behaupten, die Gymnasien sollten abgeschafft werden. Das trifft in unseren Augen überhaupt nicht zu. Wir wollen das Potenzial der Gymnasien nutzen für eine Schule für alle. Wir wollen sie nicht abschaffen, sondern weiterentwickeln, so wie alle anderen Schulen auch. Alle Schulen können die vielfältigen Potenziale der Schüler nur erschließen, wenn sie die Chancen zu individueller Förderung haben. Die Möglichkeit des Abschulens auf angeblich geringwertigere Schulformen verhindert die Entwicklung an allen Schulen. So wird verhindert, dass die pädagogischen Potenziale heterogener Schülergruppen zum Tragen kommen.

Die Gymnasien werden im Zuge ihrer Weiterentwicklung zu Schulen für alle, die in der Lage sind, ihre anspruchsvolle Bildung den benachteiligten und weniger privilegierten Kindern zukommen zu

lassen, was zurzeit nicht stattfindet. Das Einzige, was die Gymnasien verlieren werden, wäre ihr elitärer Status als die obere oder auch die bessere Schule, die andere Schulen unter sich haben und sie verlieren die Möglichkeit, Schüler auf andere Schularten abzuschulen, wenn sie nicht mitkommen. Stattdessen übernehmen sie die Verantwortung für jeden einzelnen Schüler während der gesamten Schulzeit.

Führende Politiker unseres Landes haben aufgrund der PISA-Studien dazu Stellung genommen, wie zum Beispiel Horst Köhler im Jahre 2006. Ich zitiere:

"Für mich war das wichtigste und das bestürzendste Ergebnis dieser Schuluntersuchungen wie PISA und anderer, dass in keinem anderen Land in Europa der Schulerfolg so stark von der sozialen Herkunft abhängt wie bei uns in Deutschland. Ein Kind aus einer Facharbeiterfamilie hat im Vergleich zu dem Kind eines Akademikerpaares nur ein Viertel der Chancen, aufs Gymnasium zu kommen. Die Ursachen dafür mögen vielschichtig sein; der Befund ist beschämend. Das müssen wir dringend ändern, um der Lebenschancen jedes Einzelnen willen und wegen unserer wirtschaftlichen Stärke und des Wohlstands für alle, den wir auch in Zukunft haben wollen."

Ziel der Initiative ist eine Gemeinschaftsschule, in der Kinder ohne Abschulen und Sitzenbleiben individualisiert bis zum Ende der 10. Klasse lernen können und daran schließt sich dann die gymnasiale Oberstufe oder die Berufsausbildung an. Wir sollten den Mut haben, Neues zu beginnen und in diesem Fall auch von unseren Nachbarn zu lernen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Schneider.

(Robert Heinemann CDU: Das Einheitssys- tem!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf der Homepage der Initiative "'Wir wollen lernen!' – Für den Erhalt gymnasialer Bildung ab Klasse 5" wird als Argument gegen die Primarschule aufgeführt, dass es schon bis zum Ende der vierten Klasse gravierende Lernrückstände von ein bis eineinhalb Jahren gebe, die nicht aufzuholen seien. Nun will niemand die zum Teil sicher auch großen Lernunterschiede von Kindern bestreiten. Aber welche Konsequenzen will man daraus ziehen? Will man wirklich die Konsequenz ziehen, dass ein Teil der Kinder als Ballast für das schulische Fortkommen der anderen betrachtet und behandelt wird?

(Linda Heitmann)

Das Problem ist doch, dass die Lernunterschiede – das ist jetzt mehrfach gesagt worden – in erheblichem Ausmaß eben nicht mit unterschiedlichen natürlichen Veranlagungen, sondern mit der sozialen Ungleichheit, mit den oft krassen Unterschieden der Lebensverhältnisse und damit übrigens auch der Erfahrenswelten zu tun haben. Es gibt – das kann wohl niemand bestreiten – keine soziale Chancengleichheit junger Menschen, sondern eine tiefgreifende soziale Chancenungleichheit.

Diese soziale Chancenungleichheit wird durch das mehrgliedrige Schulsystem verfestigt und auch das gemeinsame Lernen – und das ist unsere wesentliche Differenz zur GAL – bis zur sechsten Klasse ist nur ein Schritt in die richtige Richtung, löst aber das Problem nicht.

Zu den wesentlichen Vorteilen, die über Erfolg oder Nichterfolg der Schullaufbahn entscheiden, gehört ganz wesentlich das Bildungsniveau der Eltern. Das soziale und kulturelle Herkunftsmilieu vermittelt kulturelle Praktiken, insbesondere Sprachkompetenzen, die gerade in den Jahren, wo auf der einen Seite das Verständnis und die Beherrschung der Sprache den Hauptansatzpunkt für das Urteil der Lehrer bilden, nämlich da, wo sie vorhanden sind, als großer Vorteil und auf der anderen Seite da, wo diese Kompetenzen nicht entwickelt sind, als gravierendes und tückisches Hindernis wirken.

Nun hören Sie gut zu, insbesondere in der CDU. Ich zitiere, die wirklich nicht reformerische oder gar revolutionäre "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die im August im Wirtschaftsteil Untersuchungen von Bildungsökonomen vorstellte und unter anderem die folgende Erkenntnis wissenschaftlicher Forschungen wiedergab – ich zitiere –:

"Um die Leistungen aller Schüler zu verbessern, sei es außerdem nötig, Schüler verschiedener Leistungsstärken so lange wie möglich in einer Klasse zu unterrichten."

Diese Forderung sei heikel – so die "FAZ" –, weil viele sich an die sozialistische Einheitsschule der DDR erinnert fühlten. Aber die Zeitung fährt mutig fort – Zitat –:

"Ihre Untersuchungen [– der Bildungsökonomen –] zeigten, dass ein möglichst langer gemeinsamer Unterricht den schwächeren Schülern sehr nutze, ohne den stärkeren zu schaden. Ein längeres gemeinsames Lernen verringere die Abhängigkeit der Leistungen vom Elternhaus."

Soweit das Zitat der "FAZ". Das liegt tatsächlich nahe, weil das lange gemeinsame Lernen die gravierenden Lernunterschiede, die durch die unterschiedlichen sozialen und kulturellen Voraussetzungen bedingt sind, einebnet. Selbst im elitären Wirtschaftsteil der elitären "FAZ" kann man lesen, dass die Schule für alle für viele junge Menschen

zum Vorteil und zumindest für niemanden zum Nachteil ist. Ich meine, sie ist für alle zum Vorteil.

(Beifall bei der LINKEN)

Einer der von der "FAZ" zitierten Wissenschaftler warnte – ich zitiere –:

"… in der Diskussion über die Einheitsschule vor schlichten Betrachtungen."

Dem kann ich mich insbesondere mit Blick auf Herrn Lemke anschließen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Yildiz.

(Ties Rabe SPD: Müssen die alle reden?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Angesichts der künftigen Schulstruktur in Hamburg, die ein Nebeneinander von Gymnasien, Stadtteilschulen und Förderschulen vorsieht, hat sich eine parteiübergreifende Initiative "Eine Schule für Alle" gegründet. Das Ziel dieser Initiative ist es, sich gegen die Aufteilung in höhere und geringwertigere Bildungsgänge zu wenden und für eine integrative Schule für alle Kinder und Jugendlichen zu sein. Wir halten dieses Volksbegehren für sehr wichtig, weil es sich gegen die selektive Einordnung des Bildungssystems richtet. Die Leidtragenden sind insbesondere Kinder aus Arbeiterfamilien oder auch aus Migrantenfamilien. Diese Tatsache, dass sich die Selektion der Schülerinnen und Schüler nach sozialer Herkunft richtet, wurde auch von Frau Goetsch und die bekannte PISA-Studie bestätigt. Schauen wir uns einmal die Situation der Schüler mit Migrationshintergrund an. Zurzeit gehen 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund auf die Hauptschule, 20 Prozent auf die Realschule und 10 Prozent auf das Gymnasium. Aus den Statistiken zur Förderschulkonzentration geht hervor, dass es eindeutig die Migrantenkinder sind, die überdurchschnittlich in den Förderschulen vertreten sind.

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden über- nimmt den Vorsitz.)

Untersuchungen zeigen, dass die Grundschulempfehlung nicht nur von der individuellen Leistungsfähigkeit des Kindes abhängt, sondern zu einem großen Teil auch von der sozialen Herkunft der Kinder geprägt ist. Dass Fehleinschätzungen passieren und Empfehlungen für weiterführende Schulen nicht selten negativ ausfallen, ist das eine. Das andere ist, dass auch bei positiven Einschätzungen und Empfehlungen das Problem selbst nicht aufgehoben wird, weil das selektive Schulsystem eben nicht alle mitnimmt, sondern die vorgefundenen Leistungen entsprechend zuordnet. So haben Kinder aus sogenannten bildungsnahen

(Christiane Schneider)

Elternhäusern eine doppelt hohe Chance, für die Gymnasien empfohlen zu werden.

Doch der Preis, den die Gesellschaft dafür zahlt, ist sehr hoch. Zum Beispiel verlassen 20 Prozent der Migrantenkinder und durchschnittlich 10 Prozent der übrigen Schülerinnen und Schüler jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. Das selektive Bildungssystem macht die Zukunft von Millionen Kindern zunichte. Dabei belegt die PISA-Studie seit 2001 deutlich, dass längeres gemeinsames Lernen in einheitlichen Schulen eine Leistungssteigerung aller Schülerinnen und Schüler bewirkt. Abgesehen davon möchte ich auch auf die UNO-Kinderrechtskonvention von 1989 hinweisen, die in diesem Zusammenhang insbesondere auf Gleichheit, Menschenwürde und Schutz vor Diskriminierung hinweist. Leider sind die Fakten und Daten unserer Bildungsrealität derart, dass die dringende Notwendigkeit besteht, auf die Kinderrechtskonvention aufmerksam zu machen. Angesichts dessen klingen die schönen Worte – ich sage das in Richtung der CDU-Kollegen – der Bundeskanzlerin, Bildungsrepublik Deutschland, wie die Ankündigung des Himmels auf Erden. Doch wir sind bescheiden. Wir fordern nur eine Schule für alle, denn wir sind fest davon überzeugt, dass soziale Kompetenz, Teamfähigkeit, Akzeptanz, Toleranz und interkulturelle Kompetenzen gemeinsam besser entwickelt werden. Gleiche Chancen in Bildung gebietet eine Schule für alle. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Heyenn.

Ich habe die Aktuelle Stunde bisher immer so verstanden, dass wir über aktuelle Themen in dieser Stadt sprechen. Es geht kein Weg daran vorbei, wir werden in den nächsten drei Wochen über Schulstruktur diskutieren müssen, und Schulfragen waren in Hamburg immer außerordentlich wichtig. Deswegen haben wir das Thema auf die Tagesordnung gesetzt und nicht, um Werbung für irgendetwas zu machen. Das möchte ich klarstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens, Herr Gwosdz, ist die Aktuelle Stunde ja eine Debatte. Deshalb würde ich gern auf einiges eingehen. Wenn Sie ein Volksbegehren als Konfrontation mit irgendwelchen Themen verstehen, dann haben Sie das plebiszitäre Verhalten nicht verstanden. Es geht darum, dass wir Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungen beteiligen. Das wollen wir hoffentlich alle.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

Ich muss mit einem grundsätzlichen Irrtum aufräumen, Herr Gwosdz. Die Initiative "Eine Schule für

Alle" haben viele Einzelpersonen ins Leben gerufen. Die Partei DIE LINKE hat, was das Konzept einer Gemeinschaftsschule betrifft, durchaus unterschiedliche Auffassungen, aber sie unterstützt diese Initiative. Es ist aber keine Initiative der Linksfraktion. Das möchte ich deutlich sagen.

(Beifall bei der LINKEN – Martina Gregersen GAL: Wer sagt denn das?)