Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf, Drs. 18/7178, Große Anfrage der GAL-Fraktion: Bilanz der sozialen Stadtteilentwicklung 2001 bis 2007 und der Initiative "Lebenswerte Stadt".
[Große Anfrage der Fraktion der GAL: Bilanz der sozialen Stadtteilentwicklung 2001 – 2007 und der Initiative "Lebenswerte Stadt Hamburg" - Drs. 18/7178 -]
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was nicht sein darf, das gibt es nicht, was der Bürgermeister nicht sehen will, das gibt es in Hamburg auch nicht.
Gestern haben wir erfahren, dass durch das Kohlekraftwerk Moorburg keine Klimagefahr besteht. Wir haben
auch gehört, dass es an den Schulen keine Probleme gibt und auch keine soziale Spaltung in der Stadt, das sei alles eine Erfindung der Opposition.
Wie zynisch ist es, wenn dieser Bürgermeister davon spricht, dass es keine Spaltung in der Stadt gibt, obwohl die Zahlen in der Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage deutlich machen, dass die Schere weiter auseinander gegangen ist. Der Zynismus von Herrn von Beust kennt anscheinend keine Grenzen.
Ich frage mich, wie weit Sie sich, Herr von Beust, von der Wirklichkeit der Stadt entfernt haben - der Elfenbeinturm scheint hoch zu sein -, dass Sie die gravierenden Probleme in der Stadt gar nicht sehen. Es gibt in Hamburg Kinderarmut, es gibt schlechte Bildungschancen und es gibt trotz des Aufschwungs weiterhin Arbeitslosigkeit. Die Spaltung in arme und reiche Stadtteile ist vorhanden, das können Sie nicht abstreiten. Es ist verantwortungslos, wie Sie damit umgehen.
Ich wiederhole es, die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander. Die ärmeren Stadtteile in der reichsten Stadt Deutschlands profitieren nicht vom Aufschwung. Er kommt dort nicht an, das haben die Zahlen noch einmal belegt. In den Stadtteilen, in denen es den Bewohnern gut ging, ist es noch besser geworden, aber dort, wo die Arbeitslosen, die Hartz-IV-Empfänger, wohnen, wächst die Armut weiter. Das sagen die Zahlen und das ist soziale Spaltung unserer Stadt.
Das gilt bei Weitem nicht nur für die sechs Stadtteile, die Sie mit dem Programm "Lebenswerte Stadt Hamburg" - wir sprechen gern von einem Anhübschprogramm - zu bedenken versuchen. Ich bin oft gefragt worden, warum der Senat nur diese sechs Stadtteile und nicht Lohbrügge und Jenfeld nennt. Ich könnte die Galerie weiter fortsetzen. Allein in Jenfeld mussten im letzten Jahr weitere knapp 16 Prozent alleinerziehende Mütter Hartz IV beantragen. In Jenfeld leben inzwischen über 500 junge Mütter von staatlichen Transferleistungen. Wir haben diese Stadtteile analysiert und es wurde schnell klar, dass wir ein Unterstützungsprogramm für mindestens 18 Stadtteile brauchen, weil dort die sozialen Lagen mehr als kritisch sind. Es gibt einen Teufelskreis zwischen Armut und schlechten Bildungschancen. Dem können die Menschen dort kaum entrinnen. Wir sehen vor Ort die Spaltung in der Stadt.
Ich habe es immer wieder angeführt, wir haben Obdachlosenprojekte, in die Kinder mittags zum Essen kommen, weil sie Hunger haben. Das geschieht in der reichsten Stadt Deutschlands und das kann man nicht hinnehmen.
Der Anteil der Hartz-IV-Empfänger ist in 13 von 18 Stadtteilen weiter gestiegen. Die Menschen sind dort weiter verarmt. Es gibt 20.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Jobs. Das ist gut, das haben wir alle begrüßt, das ist richtig. Wenn man sich aber die Zahlen in der Antwort des Senats genau anguckt, dann muss man
leider feststellen, dass viele Menschen nicht mehr von ihrer Arbeit leben können - working poor, arbeiten und trotzdem arm sein. Diese Gruppe ist um 13.500 Menschen gewachsen. Das ist soziale Spaltung in der Stadt, das ist ein Beschäftigungsabbau mit Arbeitslöhnen. Das lehnen wir ab, das schreit geradezu nach Mindestlohn.
Was mich persönlich besonders berührt und wovor wir die ganzen Jahre gewarnt haben, ist Folgendes: Wenn Sie in der sozialen Stadtteilentwicklungspolitik so weitermachen und im Bereich Bildung kürzen, werden die Bildungschancen in Billstedt, Wilhelmsburg, Neugraben, Fischbek, Lurup, Jenfeld immer schlechter werden. Als wir die Große Anfrage zu den Bildungsabschlüssen behandelt haben, haben wir schon gehört, dass wesentlich weniger Abschlüsse gemacht werden und viele Schülerinnen und Schüler die Schule ohne mittlere Reife oder Abitur verlassen. Armut führt zu schlechteren Bildungschancen. Dieser Teufelskreis ist das Schicksal vieler junger Menschen und damit produzieren Sie sozialen Sprengstoff.
Gerade in diesen Stadtteilen haben Sie in den gut ausgebauten, rhythmisiert arbeitenden Ganztagsschulen den Rotstift angesetzt und um 60 Prozent gekürzt, ebenso bei der Sprachförderung. Da können wir nicht zusehen. Das ist keine Politik einer sozialen Stadtentwicklung, sie hat den Namen nicht verdient. Wir brauchen hier mehr Geld. Es ist ein Feigenblatt, wenn Sie erzählen, sie haben noch 10 Millionen Euro draufgelegt. Das Geld ist auf vier Jahre verteilt und das reicht nicht. Wir brauchen gerade in diesen Stadtteilen im Bildungsbereich wieder eine Schulpolitik, die mit Sorgfalt und Engagement gemacht wird. Die soziale Spaltung springt aus der Antwort der Großen Anfrage an den Senat geradezu heraus. Wir haben die Zahlen ausgewertet und Sie können von uns gern die Diagramme haben.
Dazu, wie sich diese soziale Spaltung in den letzten Jahren fortgesetzt hat, kann man nur sagen: Hoffentlich nicht weiter in diesen Händen. Es ist zynisch, auf den Plakaten die Worte "In guten Händen" zu lesen. Das stimmt nicht. Diese verantwortungslose Politik muss aufhören.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im Wahlkampf hat sich jetzt eine neue Qualität von Resistenz ergeben. Ich kannte sonst immer das Wort "beratungsresistent".
Wir können Ihnen alle möglichen Daten und Fakten nennen, Sie wischen sie vom Tisch und sagen, wir haben unsere eigenen, Ihre interessieren uns gar nicht, wir nehmen die Zahlen, die uns in unserer Politik nützen.
Moralische. Von Geld reden wir gar nicht - das ist die Erfahrung, die ich gemacht habe -, das kommt nämlich bei uns vom Staat, wie früher in den Siebzigerjahren der Strom aus der Steckdose.
Am Dienstag hat der Senat die Ergebnisse und Erfolge des ersten Jahres der Initiative "Lebenswerte Stadt" präsentiert. Das ist wirklich ein einmaliges Projekt. Sie reagieren reflexartig und sagen, das ist alles nicht genug, die Projekte gibt es an der falschen Stelle, sie sind viel zu klein und auch nicht in unserem Sinne.
Wir sehen sehr wohl die Problemlagen in manchen Stadtteilen, die aber - das dürfen wir nicht vergessen - vorwiegend dank Ihrer eingeleiteten unvernünftigen Wohnungsbaupolitik entstanden sind.
(Doris Mandel SPD: Wie bitte? - Karin Timmer- mann SPD: Wir haben wenigstens noch Wohnun- gen gebaut!)
Sie haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass in den Stadtteilen eine problematische Lage entstanden ist.
- Herr Neumann, wissen Sie was? Machen Sie einmal etwas für den Umweltschutz, halten Sie fünf Minuten die Luft an, das spart CO2.
Wir bereiten keine vordergründige Stadtteilpolitik, sondern wir gehen auf den Bürger zu, wir machen mit dem Bürger und für den Bürger Politik.