Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Es sind harte Zeiten für die Nichtbildungspolitiker aller Fraktionen, dass zwei Bildungsdebatten hintereinander folgen.
Zu den Ganztagsschulen stellt die SPD-Fraktion aus aktuellem Anlass einen Antrag. Ich möchte noch einmal
zurückblicken. Im Jahr 2003 hat die rotgrüne Bundesregierung das größte bildungspolitische Investitionsprogramm der Nachkriegszeit auf den Weg gebracht. Wir haben damals 4 Milliarden Euro bereitgestellt, um in Hamburg den großen Wechsel von der traditionellen Halbtagsschule zur Ganztagsschule zu ebnen. Wer sich daran erinnert, wie erbittert in den vergangenen Jahrzehnten darum gerungen wurde, der weiß zu würdigen, dass diese Veränderung ein ganz wichtiger Schritt ist, weil sich sehr lange nicht nur in dieser schulpolitischen Frage der Ganztagsschule Befürworter und Gegner unversöhnlich gegenüberstanden. Das hat sich geändert. Die Akzeptanz der Ganztagsschule ist genauso wie parallel die Akzeptanz eines modernen Familienbildes in der Republik gewachsen. Die SPD ist als große Partei auch stolz darauf, diesen Wechsel ganz maßgeblich mitbetrieben zu haben.
Wir haben uns mit dem Ganztagsschulprogramm 2003 viel vorgenommen. Das war kurz nach der PISA-Studie, die uns nun endgültig bescheinigte, Defizite im Schulsystem zu haben. Wir wollten, dass sich an den Schulen etwas ändert, dass Kinder und Jugendliche mehr Zeit zum Lernen haben und besser gefördert werden. Wer in Hamburg unterwegs ist, der weiß, wie wichtig es für Jugendliche ist, ein ganztägiges Angebot zu haben, erfahren doch viele in ihren Familien weder Halt noch Unterstützung und kommen oft am Nachmittag auf dumme Gedanken.
Wir wollten nicht nur, dass sich der Unterricht in den Nachmittag verlängert, sondern wir wollten ein abgestimmtes Konzept aus Pädagogik, Lernen, Wiederholen, sportlicher und kultureller Betätigung. Schule sollte mehr sein als reine Unterrichtsvermittlung, sollte ein soziales Gebilde werden, ein Lebensraum für Schülerinnen und Schüler. Die Bundesländer haben das Ganztagsschulprogramm aufgegriffen, allerdings sehr unterschiedlich.
Was geschah in Hamburg? Die Abgeordneten, die schon in der Legislaturperiode hier waren, als das Programm auf den Weg kam, erinnern sich daran, mit welcher Verbalintensität Schulsenator Lange gefordert hat, dass dieses Programm endlich auf den Weg gebracht wurde. Er konnte es gar nicht abwarten. Wenn man aber genau hinsieht, dann gab es zwar diese verbale Ungeduld, aber es wurde überhaupt nicht damit begleitet, dass man sich in der Schulbehörde konzeptionelle Gedanken gemacht hat, was das für Hamburg bedeutet. Sich über diese Ausgangslage keine Gedanken gemacht zu haben, begleitet dieses Programm bis heute. Die Bildungsbehörde hat sich sehr spät mit den Rahmenbedingungen auseinandergesetzt und den Schwerpunkt auf die Schulzeitverkürzung, das Abitur nach zwölf Jahren gelegt, und somit die Frage, was eine gute Ganztagsschule ausmacht, hinten angestellt.
Das Ergebnis sehen wir. Wer sich umschaut, der merkt, dass es Kinder gibt, die weniger Musikangebote wahrnehmen, die sich aus Sportvereinen abmelden. Hier hat irgendetwas nicht funktioniert. Das müsste nicht so sein, sondern konzeptionell hat hier der Senat versagt. Man hätte das anders gestalten können, indem man die Eigeninitiative der Schulen etwas besser unterstützt hätte.
Sieht man genau hin, merkt man, dass es vielen Schulen an Räumen für ihre gewachsenen Aufgaben fehlt. Es rächt sich jetzt, dass man bei der Verwendung der Inves
titionsmittel fast ausschließlich Kantinen gebaut hat und noch dazu mit dem Schwerpunkt bei den Gymnasien. Es hat sich niemand Gedanken gemacht, welche Räume eine Schule zusätzlich braucht, um auch Hausaufgabenkurse anzubieten, um Klassen zu teilen. Es hat sich auch keiner Gedanken gemacht, ob wir nicht viel mehr Sportflächen brauchen, um Jugendlichen attraktive Angebote zu machen und auch die latent schlummernde Konkurrenz mit den Ansprüchen der Sportvereine hinzubekommen. Man hat sich auch darüber keine Gedanken gemacht, dass sich die Arbeitsplätze von Lehrerinnen und Lehrern massiv verändern. Gerade dieser Punkt in unserem Antrag ist uns sehr wichtig. Viele erinnern sich noch daran, wenn man Schulen besucht, wie es aussieht. Es ist so, dass sich in den Pausen oder Freistunden viele Lehrer um einen großen runden Tisch drängen, jeder versucht, einen Platz zu ergattern, an irgendeiner Wand in der Ecke hängt das Telefon, mit dem die wichtigen Gespräche mit den Eltern geführt werden und auf einem anderen Flur der Schule, im Computerraum, gibt es vielleicht auch einen PC, den man noch einmal benutzen kann. So sieht der moderne Arbeitsplatz der Zukunft für Lehrerinnen und Lehrer nicht aus, sehr geehrte Damen und Herren, und wir sollten alles tun, um daran etwas zu ändern.
Wir stellen doch sehr hohe Anforderungen an unsere Lehrerinnen und Lehrer und haben es längst nicht geschafft, die Rahmenbedingungen bereitzustellen, um diese harten Aufgaben auch zu bewältigen.
Ein eigener Arbeitsplatz, Zugang zu Telefon und Computer sind Mindeststandards von Arbeitsplätzen. Das sollte auch für Lehrkräfte gelten.
Zurzeit ist es bei Schulen, die akuten Raumbedarf haben, so, dass sie sich ein bisschen abarbeiten an der Schulbürokratie, die undurchsichtig ist. In Wahrheit verlangen sie eigentlich nur die Arbeitsbedingungen, um das zu machen, was wir von ihnen wollen. Daher unser Wunsch: Unterstützen Sie unseren Antrag, bringen Sie auf den Weg, dass die Räume in Schulen bereitgestellt werden, die für gute Ganztagsschulen benötigt werden. Helfen Sie, dass die BBS ein wenig nachsitzt und wir endlich gute Rahmenbedingungen haben. - Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Liebe Frau Ernst, es ist doch so, dass die SPD jahrzehntelang das Thema Ganztagsschulen in Hamburg völlig verschlafen hat. Sie haben gerade mal eine neue Ganztagsschule pro Jahr gegründet und das ohne jedes Rahmenkonzept, ohne irgendwelche Prioritäten und vor allem auch ohne irgendwelche neuen Räume. Im Gegenteil. Bei Ihnen galt, dass Ganztagsschulen ausdrücklich nur die Schulen werden durften, die bereits über ausreichende Räume verfügen. Für alle anderen Schulen hieß es bei der SPD: Pech gehabt, meldet euch später.
Wir hingegen haben bereits vor drei Jahren ein Rahmenkonzept für die Ganztagsschulen verabschiedet. Wir haben auch - die Senatorin hat es schon gesagt - die Zahl der Ganztagsschulen in sechs Jahren deutlich mehr als verdoppelt. In diesen Zahlen sind die von Ihnen so sehr verhassten Gymnasien noch gar nicht enthalten, denn sonst hätten wir die Ganztagsschulen, wenn Sie sich da die Zahlen angucken, schon vervierfacht. Wir haben, anders als die SPD, einen klaren Kriterienkatalog und haben die Priorität dabei ganz klar auf die sozialen Brennpunkte gelegt.
Ich nehme einmal Lurup als Beispiel. Dort haben wir die Ganztagsschulen von zwei auf sechs verdreifacht. Auch die Zahl der Grundschüler in Ganztagsschulbetreuung dürfte sich inzwischen vervier- oder verfünffacht haben. Anders als die SPD haben wir auch viele Millionen Euro für neue Räume in Ganztagsschulen investiert, und zwar nicht nur die Mittel des Bundesprogramms, die wir natürlich komplett abgerufen haben, sondern auch Hamburger Haushaltsmittel. Der Antwort auf die Anfrage, die Sie gestellt haben, hätten Sie entnehmen können, dass wir allein im letzten Jahr 3 Millionen Euro Hamburger Haushaltsmittel investiv in neue Räumlichkeiten investiert haben und Sie hätten feststellen können, dass wir seit 2001 10 Millionen Euro aus Hamburger Haushaltsmitteln für neue Räumlichkeiten in die Ganztagsschulen investiert haben.
Dazu kommen natürlich noch die Betriebskosten, die Hamburg ohnehin selber zahlen muss. Jeder Ganztagsschüler kostet den Hamburger Haushalt zwischen 400 und 900 Euro pro Jahr. Auch das sind Summen, die erst einmal gestemmt werden müssen, aber die wir gestemmt haben.
Nun fordert die SPD heute ein neues Musterraumprogramm, welches die besonderen Bedarfe der Ganztagsschulen berücksichtigt. Das ist auch keine falsche Idee.
Deshalb arbeitet die Behörde schon seit geraumer Zeit an diesem Thema und deswegen können wir der ersten Forderung des SPD-Antrags heute auch gerne zustimmen.
Lassen Sie mich aber auch einmal klarstellen, dass Sie zwischen 1994 und 2001 kein neues Musterraumprogramm aufgestellt haben. Sie waren auch nicht bereit, die zusätzlichen Bedarfe von Ganztagsschulen anzuerkennen oder zu finanzieren. Die Bildungsbehörde hat hingegen schon seit geraumer Zeit ein Raumkonzept für die Ganztagsschulen und respektiert auch die zusätzlichen Bedarfe von Ganztagsschulen.
Natürlich können nicht alle Wünsche auf einmal erfüllt werden. Wir müssen parallel - das wissen Sie - noch den milliardenschweren Sanierungsstau abarbeiten, den Sie uns in den Schulen hinterlassen haben. Trotzdem haben wir in den letzten Jahren fleißig in den Ganztagsschulen gebaut. Ich glaube, die endlosen Listen der Baumaßnahmen - Herr Zuckerer kennt sie wahrscheinlich aus dem Haushaltsausschuss - sind eindrucksvoll und gut bekannt.
Viele der neuen Ganztagsschulen sind heute deutlich besser ausgestattet als es die alten Ganztagsschulen zu
SPD-Zeiten je waren. Von daher erinnert mich die SPD heute ein bisschen - wir haben ja Fußball - an einen Stürmer, der mangels Leistung bei 0 : 3 ausgewechselt wird und sich dann über den neuen Stürmer mokiert, dass er beim Stand von 5 : 3 nicht auch noch ein 6 : 3 geschossen hat. Ja, wir können noch mehr machen, aber wir haben schon deutlich mehr gemacht als die SPD es je hinbekommen hat.
Das neue Musterraumprogramm, das die Bildungsbehörde erarbeitet, muss aber noch mehr leisten als nur die Ganztagsschulbedarfe zu berücksichtigen. Es muss natürlich auch das heute völlig andere Denken von Schule berücksichtigen. Das fehlt mir in Ihrem Antrag völlig. Zum einen sollte man vielleicht einmal beginnen, nicht in Räumen, sondern in Flächen zu denken. Das ist ein Thema, das zum Beispiel die Max-Brauer-Schule, aber auch gerade die Schulen, die in den Schumacher-Bauten sind, immer wieder bemängeln, dass man zu sehr in Räumen und nicht in Flächen denkt. Man sollte den Schulen aber auch mehr Flexibilität geben. Wir haben doch die selbstverantwortete Schule. Die veränderten Anforderungen von Schule sind sehr unterschiedlich. Die Ganztagsschulkonzepte sind sehr unterschiedlich. Von daher sollten wir den Schulen auch die Flexibilität einräumen, im Rahmen der Kapazitäten, die wir ihnen zur Verfügung stellen, dort selber kreativ tätig zu werden.
Die SPD hingegen plant da einen Rückwärtssalto ins vergangene Jahrhundert und will alles wieder kleinklein und zentral regeln. Am besten bekommt jeder Lehrer einen festen Arbeitsplatz mit x Quadratmetern, einen Tisch, einen genormten Rollcontainer mit einem GEWAufkleber. Das ist Ihre Denkweise dazu. Wir haben überhaupt nichts gegen Arbeitsplätze, aber …
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Wir sollten es doch den Schulen selber überlassen, wo, wie, in welchem Umfang sie Arbeitsplätze einrichten, ob sie sich die zum Beispiel teilen wollen, ob sie für jeden Lehrer einen haben wollen, ob sie welche für Teamgruppen haben wollen. Das, denke ich, sollten Lehrer selber entscheiden können.
Aber ich habe der etwas abenteuerlichen Presseerklärung - sie war sehr lang und wurde immer verquaster -, die Herr Buss vor zwei Tagen losgelassen hat, entnommen, dass Ihnen das noch nicht genug Bürokratie ist, alles genau und kleinklein zu regeln. Sie wollen jetzt sogar, dass allen Ganztagsschulen von der Behörde der Stundenplan vorgegeben wird. Selbst die "Platzierung", was auch immer das ist, der Hausaufgabenkurse wollen Sie staatlich regeln. Ich glaube, das ist so albern und so weit weg von der Realität an Schulen, was Sie vorhin gerade noch der Senatorin vorgeworfen haben, und ist auch soweit weg von dem, was uns die Experten in der Enquete-Kommission gesagt haben und von den demokratischen Gremien an Schule, dass ich, glaube ich, 30
Jahre zurückgreifen muss, um die passende Antwort darauf zu finden: Es hieß mal im Wahlkampf Freiheit statt Sozialismus. Ich glaube, das gilt heute offenbar mehr denn je.
Lieber Herr Buss, Sie haben sich vorhin über die Mathematikkompetenz der Behörde mokiert. Da möchte ich Ihnen einmal zwei PISA-Aufgaben aus Ihrem Pressetext vorlesen oder gemeinsam mit Ihnen lösen. Sie sagen, Sie wollen in sechs Jahren 100 Ganztagsschulen zu je 500 000 Euro bauen. Das sind 50 Millionen Euro in sechs Jahren. Was macht das dann pro Jahr? Herr Buss sagt, 18,3 Millionen Euro. Meine Rechnung ergab 8,3 Millionen Euro. Ein kleiner Rechenfehler von 10 Millionen Euro im Jahr. Macht nichts, kann ja sein, kann auch ein Tippfehler sein, eine eins zu viel, das passiert.
Spannender wird es bei der zweiten Rechnung, weil es bei der ersten Rechnung nur ein Tippfehler war. Jetzt kommt ein Denkfehler. Sie sagen, ein Schüler hat einen Ganztagsmehrbedarf von 1.419 Euro. Das stimmt nicht, ist eine alte Zahl, aber macht nichts.
Also 1.419 Euro, in sechs Jahren 100 neue Ganztagsschulen machen 60 Millionen Euro Betriebskosten. Dann teilen Sie diese Betriebskosten irgendwo durch. Ich habe nicht genau herausgefunden, wodurch, weil so eine krumme Zahl dabei herauskam, aber durch irgendetwas teilen Sie die und kommen dann auf jährliche Kosten von 10,8 Millionen Euro. Zum einen müsste die Rechnung deutlich komplizierter sein, weil Ganztagsschulen aufwachsen und das gilt erst recht, wenn man jedes Jahr 17 gründet. Aber egal.
Zum Zweiten, Herr Buss - und das sollten Sie sich wirklich merken -, kann man Betriebskosten, anders als Investitionskosten, nicht durch irgendwelche Jahre teilen. Die muss man jährlich bezahlen, jedes Jahr immer wieder. Ich weiß, dass Sie das in der Vergangenheit häufig vergessen haben. Deshalb sage ich Ihnen das noch einmal. Jedes Jahr 60 Millionen Euro, es sei denn, Sie wollen jedem Schüler nur ein Jahr Ganztagsschule gönnen. Das geht natürlich auch. Sie haben sich also mal eben um schlappe 50 Millionen Euro pro Jahr verrechnet. Das entspricht ungefähr der Größenordnung der Lehrerstellen, über die wir geredet haben. Zu dieser doch sehr seriösen Rechnung von Ihnen passt übrigens auch Ihr Finanzierungsvorschlag, denn diese riesige Summe soll laut Ihrem Vorschlag aus Rückstellungen für Mehraufwendungen bezahlt werden. Ich bin Ihnen natürlich dankbar, dass Sie endlich den Goldesel in dieser Stadt gefunden haben. Nur ein Hinweis: Der aktuelle Haushaltsansatz - das habe ich einer Anfrage von Herrn Zuckerer entnommen - für diesen Titel für 2008 beträgt 46 Millionen Euro. Daraus kann man natürlich locker 60 Millionen Euro finanzieren.