Protocol of the Session on December 12, 2006

(Doris Mandel SPD: Soziale Kälte!)

Entweder werden Dinge nicht angepackt, kommen ohne Analyse, von oben verordnet, bleiben auf halbem Wege stehen oder gehen in die völlig falsche Richtung.

Ich will Ihnen Beispiele nennen. Auch psychisch kranke Menschen lassen Sie im Abseits stehen. Wie sollen denn persönliche Kontakte aufrechterhalten werden, wenn ein Erkrankter irgendwo, teils Hunderte Kilometer von seinem früheren Wohnumfeld entfernt, untergebracht wird? Sie wollen doch immer die Familie stärken. Dann stärken Sie doch mal das Angebot vor Ort. Geben Sie doch älter werdenden Angehörigen auch die Möglichkeit, ihre Kinder und Verwandten noch besuchen zu können. Wir fordern Sie auf, endlich dafür zu sorgen, dass Menschen nicht gegen ihren Willen weit außerhalb Hamburgs untergebracht werden. Entwickeln Sie doch endlich mal eine Rahmenplanung für die stationäre und ambulante Eingliederungshilfe.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Aber auch Angehörige und Kinder psychisch Erkrankter brauchen Hilfe, denn gerade für Kinder ist es sehr belastend, wenn ein Elternteil erkrankt.

(Wolfhard Ploog CDU: Das ist für jeden belas- tend!)

Hier ist Hilfe, Beratung und Unterstützung für die betroffene Familie dringend geboten, besonders aber für die Kinder. Bei ständig steigenden Zahlen von psychischen Erkrankungen kann der Senat solche Arbeit nicht weiter auf das Ehrenamt und Spenden abwälzen. Mit unserem Haushaltsantrag fordern wir daher die finanzielle Absicherung dieser Beratungsangebote von Kindern psychisch erkrankter Elternteile.

Sie haben eine Riesenbaustelle, Frau Schnieber-Jastram: die Pflege. Trotz des demografischen Wandels verzichten Sie auf zukunftsweisende Pflegeplanungen. Die derzeit in Hamburg genutzte Rahmenplanung zur pflegerischen Versorgungsstruktur arbeitet mit veralteten Zahlen und ist in dieser Fassung nicht in der Lage, neue Bedarfslagen zu erfassen, Trends zu entwickeln, frühzeitig zu erkennen und Handlungsempfehlungen abzugeben. Dieser Zustand ist erschütternd und hat auf diversen Veranstaltungen viel

Kopfschütteln hervorgerufen. Sie werden sich vielleicht daran erinnern, Frau Koop.

Handeln müssen Sie aber auch im Heimrecht, welches seit der Föderalismusreform in Ihrer Kompetenz liegt. Hier müssen die Standards abgesichert und neue Wohn- und Pflegeformen ermöglicht werden. Die Pflege und ihre Qualität betrifft und besorgt viele Menschen in dieser Stadt. Sie und auch die CDU-Fraktion müssen dieses Thema endlich ernst nehmen und anpacken. Vielleicht können wir es endlich mal im Sozialausschuss bewegen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Sie sparen auch bei den Menschen mit Behinderungen. Menschen mit Behinderungen raus aus den Heimen und in eine eigene Wohnung unterzubringen, das muss das Ziel sein. Diese sogenannte Ambulantisierung führt zu mehr Selbstbestimmung und Selbstveranwortung, auch von schwerstbehinderten Menschen. Doch genau hier setzen Sie, Frau Senatorin, den Rotstift an.

Die Rahmenvereinbarungen mit den Verbänden der Leistungsträger haben Sie aufgekündigt und nun betreiben Sie die Ambulantisierung unter der Vorgabe maximaler Kosteneinsparungen. Besser wäre es, wenn Sie alle Menschen, egal welchen Behinderungsgrad sie haben, gleichberechtigt behandeln würden, ihnen eine Wahlfreiheit ihrer Wohnform zubilligen würden und sie hierbei unterstützen. Wir fordern eine Umsetzung von Ihnen und, ich finde, das kann von einer Sozialsenatorin wirklich nicht zuviel verlangt sein.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Auch der Opferschutz leidet unter Ihnen.

(Wilfried Buss SPD: So ist es!)

Ihre Erklärung, Sie setzen mehr Mittel für die Opfer von Gewalt ein, ist doch reine Augenwischerei. Klar lässt es sich leicht von finanzieller Aufstockung reden, wenn man vorher den Opferschutz finanziell ausbluten ließ. Allein die Reduzierung bei den Frauenhäusern um 400 000 Euro von 2001 bis 2004 ist doch höher als das, was Sie jetzt wieder an Finanzmitteln dazulegen und für das Sie sich öffentlich auch wieder loben. Seit 2005 fehlen zudem 2,8 Millionen Euro aus der Gewinnabschöpfung aus Verbrechen, die Sie künftig nicht mehr dem Opferschutz zur Verfügung stellen wollen. Dieses Handeln wird den Opfern von Gewalt und Verbrechen in Hamburg überhaupt nicht gerecht und ist unverantwortlich.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Auch die Wohnungslosenhilfe klappt überhaupt nicht. Obdachlose sind oft nicht in der Lage, sich selbst aus ihren schwierigen Situationen zu befreien. Sie brauchen besondere Hilfe, auch von Ihnen, Frau SchnieberJastram. Mit dem sogenannten Fachstellenkonzept sollte es eigentlich besser werden, doch in der Realität funktioniert das nicht. Es gibt zu hohe Hürden bei der Beratung und Gewährung von Hilfen. Es gibt zu wenig verfügbare Wohnungen, um die verstärkte Integration von wohnungslosen Menschen zu sichern. Es gibt zu wenig kleine Einrichtungen, zu wenig Einzelzimmer und zu wenig Angebote für junge, erwachsene Wohnungslose.

Frau Bürgermeisterin, diese Beispiele zeigen, dass Sie durch Ihre Sozialpolitik viele Menschen im Regen stehen lassen. Dabei wäre es Ihre Aufgabe, die Menschen, für die Sie Verantwortung haben, endlich ernst zu nehmen

und ihnen Wege aufzuzeigen, aus der Sozialhilfe herauszukommen und ein Leben in Würde zu führen. Wir fordern nicht das Blaue vom Himmel. Alle unsere Anträge – dafür sorgt Herr Maier – sind gegenfinanziert und abgesichert. Also denken Sie doch bitte auch einmal kreativ und seien Sie den Menschen behilflich, den Weg in ein Leben unabhängig von Sozialhilfe zu finden, anstatt ständig den Druck zu erhöhen. In jedem Menschen steckt etwas, das man fördern sollte und das, wenn es sich entwickelt, dem Wohl der ganzen Gesellschaft zugute kommen kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt Senatorin Schnieber-Jastram.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Kienscherf, lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede sagen, dass Ihre Rede für die SPD-Fraktion keine politische Auseinandersetzung war, sondern – wie so häufig – eine auf der persönlichen Ebene.

(Beifall bei der CDU – Bernd Reinert CDU: Ja!)

Diesen Stil haben Sie vielleicht in der Bürgerschaft hoffähig gemacht, regierungsfähig ist er jedenfalls nicht.

(Beifall bei der CDU – Manuel Sarrazin GAL: Der Bürgermeister ist gar nicht da!)

Sie werden auch den Realitäten des Haushalts nicht gerecht, im Gegenteil, Sie streuen der Bevölkerung in Wahrheit Sand in die Augen, wenn es um die soziale Lage und die damit verbundenen Aufwendungen der Stadt geht. Frau Gregersen, das gilt auch für Sie.

(Dirk Kienscherf SPD: Unsere Haushaltsanträge sind durchfinanziert!)

Ich will nur wenige Beispiele nennen. Allein 570 Millionen Euro wendet die Stadt für Wohngeld – neudeutsch: Kosten der Unterkunft – auf, damit über 200 000 Menschen mit wenig oder gar keinem Einkommen menschenwürdig wohnen können. Das sind viermal so viel staatliche Investitionen wie die von Ihnen gern kritisierten Leuchttürme Elbphilharmonie und Jungfernstieg zusammen und das nicht nur

(Beifall bei der CDU – Petra Brinkmann SPD: Das wussten Sie doch! Da kommen wir doch gar nicht drum herum!)

das mag Ihnen gefallen oder nicht – einmal in 30 Jahren, sondern jedes Jahr wieder.

(Zurufe von der SPD – Petra Brinkmann SPD: Das ist doch ein Bundesgesetz! – Gegenruf von Bernd Reinert CDU: Nun seien Sie doch mal ruhig! – Glocke)

Meine Damen und Herren! Es ist sehr munter, es ist leider zu munter. Das Wort hat die Senatorin.

(fortfahrend) : Oder die Grundsicherung, also das, was früher die Sozialhilfe war, die Aufwendungen für rund 23 000 Menschen, die nicht oder die nicht mehr arbeitsfähig sind, wie zum Beispiel Rentner, und die daher kei

nen Anspruch auf Hartz IV oder ausreichend eigenes Einkommen haben. Hierfür wendet meine Behörde jährlich über 120 Millionen Euro auf.

(Beifall bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Das sind doch bundesgesetzliche Leistungen!)

Der Haushalt meiner Behörde ist mit insgesamt 2,2 Milliarden Euro der mit Abstand größte der ganzen Stadt. Alles in allem jährlich doppelt so viel wie das ebenfalls von Ihnen kritisierte Sonderinvestitionsprogramm des Senats in seiner gesamten Laufzeit von fünf Jahren. Wer angesichts dieser Summen weiterhin davon spricht, Hamburg gebe sein Geld nur für Hochglanzprojekte aus,

(Dirk Kienscherf SPD: Das sind doch Bundesleis- tungen!)

der diffamiert hier nicht nur den Senat mit unwahren Aussagen, sondern der vergeht sich an den Menschen der Stadt,

(Beifall bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Hören Sie doch auf!)

denn derartige Diffamierungen – darüber müssen Sie sich im Klaren sein – spalten die Stadt und sind nur ein billiger Appell an den Neid.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD: Oh! – Dirk Kienscherf SPD: Ungeheuerlich, was Sie hier für eine Rede halten!)

1,35 Milliarden Euro jährlich, davon alleine für soziale Zwecke und Integration, sind keine Peanuts, sondern Gelder der Bürger und Firmen dieser Stadt, die Steuern zahlen. Anstatt die Menschen gegeneinander im Sinne des Sozialneids auszuspielen, steht es uns allen, glaube ich, gut an,

(Dirk Kienscherf SPD: Was machen Sie denn bei dem HVV-Tarif?)

den Bürgern zu danken, die mit ihren Steuern diese Sozialleistungen überhaupt ermöglichen.

(Beifall bei der CDU)

Damit komme ich zu einer anderen Herausforderung, die, wie ich finde, eigentlich hinter der sozialen Frage steht. Gerade Sozialdemokraten, aber nicht nur, wie ich aus langjähriger sozialpolitischer Erfahrung auch selbstkritisch weiß,

(Dirk Kienscherf SPD: Glaubt man gar nicht, dass Sie die haben!)