Protocol of the Session on September 14, 2006

Grund, um Rückführungen auszusetzen. Welche Studie haben Sie gelesen? Welcher Bericht ist Unterlage Ihrer Aussage: "Von einer Veränderung der Lage der afghanischen Bevölkerung kann nicht ausgegangen werden"?

(Beifall bei der GAL – Aydan Özoguz SPD: Das interessiert die gar nicht!)

Die Tagesschau, meine Damen und Herren, hat im letzten Monat eine kleine Chronik veröffentlicht. Das ist auch nur ein Presseorgan, ich gebe es zu. Es gibt seit Anfang 2006 2200 getötete Personen in Afghanistan. Davon waren ungefähr 90 Mitglieder von internationalen Institutionen oder Friedenstruppen. Der Rest, meine Damen und Herren, war Zivilbevölkerung. Wie viele Tote brauchen Sie eigentlich noch?

(Beifall bei der GAL – Farid Müller GAL: Na bitte!)

Das Wort bekommt Herr Dr. Jäger.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor gut einem Jahr haben wir an dieser Stelle das Thema Afghanistan schon einmal debattiert.

(Aydan Özoguz SPD: Sehr richtig!)

Die GAL hatte damals das Thema "Abschiebung nach Afghanistan – Nagels rücksichtsloser Alleingang" angemeldet. Damals lautete der Vorwurf, Senator Nagel würde ohne rechtliche Grundlage und ohne ein geregeltes Rückführungsverfahren die Abschiebung der afghanischen Flüchtlinge betreiben. Dies war weder damals so noch entspricht es heute den Tatsachen.

Vielmehr haben sich alle Innenminister im Juni 2005 auf Grundsätze für die Rückführung der afghanischen Flüchtlinge geeinigt. In diesen Grundsätzen ist festgelegt, unter welchen Voraussetzungen auch Familien mit Kindern zurückgeführt werden können. Es gibt umfangreiche Ausnahmeregelungen, die besonders Familien vor Härtefällen schützen. Hamburg hat sich selbstverständlich an diese Grundsätze gehalten, es wird dies auch in Zukunft tun. Deshalb entbehrt der Vorwurf, Hamburg gehe hier einen Sonderweg, jeglicher Grundlage.

(Aydan Özoguz SPD: Das ist doch gar nicht richtig! – Antje Möller GAL: Erzählen Sie doch mal was zum Thema!)

Sollten die oben erwähnten Ausnahmeregelungen aber nicht greifen, hat die Behörde den bundesgesetzlichen Auftrag, einen Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist. Für die Durchführung der Asylverfahren und die Feststellung zielstartbezogener Abschiebungshindernisse ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig. Haben aber Bundesamt und gegebenenfalls die Verwaltungsgerichte zuungunsten der Antragsteller entschieden, ist die Ausländerbehörde an diese Entscheidungen bundesgesetzlich gebunden.

Wir alle müssen uns allerdings die Frage stellen, ob eine Abschiebung nach Afghanistan überhaupt zu befürworten ist. Diese Frage lässt sich nur im Rahmen eines sehr sorgfältigen Abwägungsprozesses beantworten. Bejaht man aber diese Frage, dann hat der Staat die gesetzliche Pflicht, die Rückführungen auf der Grundlage der zwischen den Innenministern vereinbarten Grundsätze durchzuführen.

(Aydan Özoguz SPD: Vor über einem Jahr!)

Dabei ist es immer schwierig zu entscheiden, wann ein ehemaliges Kriegsgebiet wieder so weit ist, um seinen Bürgern einen sicheren Aufenthalt zu gewährleisten. Betrachtet man allerdings die Verhältnisse in Afghanistan objektiv, ist die Sicherheitslage nicht so dramatisch, wie Sie sie in Ihren Anträgen darstellen.

(Antje Möller GAL: Können Sie Ihre Quelle nen- nen!)

Das Bundesamt für Migration beurteilt die Sicherheitslage weiterhin so, dass Rückführungen nach Afghanistan möglich sind. Nach dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amts ist die Sicherheitslage zwar regional unterschiedlich, wird für Kabul aber als zufriedenstellend eingeschätzt.

(Farid Müller GAL: Im Zweifel für das Leben, Herr Jäger!)

Herr Müller, es ist zynisch, uns vorzuwerfen, wir würden mit dem Leben der Leute spielen. Wir machen uns diese Entscheidung wirklich nicht leicht.

(Beifall bei der CDU – Jens Kerstan GAL: Genau das ist der Vorwurf!)

Auch im privatwirtschaftlichen Bereich scheint die Lagebeurteilung eher positiv zu sein. Allein aus Deutschland ist es mehrfach pro Woche möglich, auf dem Luftweg Kabul zu erreichen, und zwar unter Nutzung verschiedener Fluggesellschaften. Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass die Lage nicht als übermäßig gefährlich eingeschätzt wird.

(Zurufe von der GAL)

Das wollen Sie nicht hören, weil Sie einseitig und auf dem einen Auge blind sind.

(Aydan Özoguz SPD: Sie sind auf beiden Augen blind!)

Besonders hervorheben möchte ich die Aussagen von Außenminister Steinmeier während der Haushaltsdebatte im September im Bundestag. Er berichtete über Erfahrungen während seiner Afghanistanreise im August und stellte dabei ausdrücklich fest, dass die Situation vor Ort sicher noch Anlass zur Sorge und in manchen Regionen Anlass zu wachsender Sorge gebe, dass aber dort etwas in Gang gekommen sei. Ausdrücklich hat er darauf hingewiesen, dass die Flüchtlinge wieder in ihr Land zurückkommen können und dass dies auch auf freiwilliger Basis geschehe.

Meine Damen und Herren! Sicherlich ist Afghanistan kein Land, von dem wir behaupten würden, dass alles in friedlichen demokratischen Bahnen verlaufe, aber nach 23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg handelt es sich um ein Land im Aufbau, das seine Landsleute und insbesondere auch die jungen Menschen vor Ort benötigt. Wir nehmen die aktuellen Bedenken zur Sicherheitslage jedoch auch als CDU-Fraktion ernst. Deshalb fordern wir in unserem Zusatzantrag auch, dass der Senat sich um aktuellere Informationen bemühen soll, um dann anlassbezogen dem Innenausschuss zu berichten. So wird sichergestellt, dass wir als Parlament auf neuere Entwicklungen zeitnah reagieren können.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist die CDU aber der Auffassung, dass Abschiebungen nach Afghanistan dem Grunde nach möglich sind.

(Aydan Özoguz SPD: Wie human!)

Dieser Auffassung dürfte im Übrigen auch die SPD sein, die in ihrem Antrag nur die Aussetzungen für Familien mit Kindern und junger Erwachsener fordert, ansonsten aber offensichtlich auch Rückführungen für möglich hält. Hier sind Sie, meine Damen und Herren von der SPD, im Gegensatz zur GAL inkonsequent. Wenn Rückführungen möglich sind, dann können sie auf der Basis der Grundsätze der Innenminister vom Juni 2005 auch durchgeführt werden.

(Aydan Özoguz SPD: Man kann doch Straftäter nicht mit Kindern vergleichen!)

Deshalb hält meine Fraktion die von der Innenbehörde eingeleiteten Maßnahmen zur Rückführung nach Afghanistan für angemessen und sachgerecht. Ich bin davon überzeugt, dass die Behörde bei ihren Einzelfallentscheidungen mit dem nötigen Augenmaß vorgehen wird. Wir werden Ihre Anträge daher ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Özoguz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Jäger, ich beginne mal mit einem Zitat:

"Die Lage ist nach wie vor nicht ruhig, nicht stabil. Auch unser Minister hat mehrfach darauf hingewiesen, dass er die dortige Entwicklung der Lage als sehr besorgniserregend deklariert."

Dies sagte ein Regierungssprecher im Sommer dieses Jahres, das heißt, genau zu der Zeit, als Innensenator Nagel anwies, die ersten Familien zu Gesprächen über eine Rückkehr nach Afghanistan in die Behörde einzuladen.

Auch ich kann mich sehr gut an die Debatte vor einem Jahr erinnern, die die Grünen angemeldet hatten, und ich kann mich auch gut daran erinnern, dass Herr Ahlhaus damals brüsk zurückwies, die Abschiebungen seien weder ein Alleingang noch geschehe irgendetwas Rücksichtsloses. Man muss nicht nur dem Staatsrat, sondern auch der CDU-Fraktion eine bedenkliche Wahrnehmensstörung unterstellen – ich muss es einfach tun –, wenn Sie nicht begreifen wollen, dass ein Schritt, den Hamburg allein tut, denn andere Bundesländer schieben keine Familien ab, dass man so etwas als einen Alleingang bezeichnen muss und dafür trägt der Innensenator auch die volle Verantwortung – und die Fraktion.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wer in der heutigen Lage bereit ist, Familien nach Afghanistan zu schicken, ist meiner Meinung nach schlimmer als rücksichtslos. Kommen Sie uns jetzt nicht mit dem Argument – ich kann mir schon vorstellen, dass der Innensenator das gleich sagt –, dass in Hamburg nun mal mehr Afghanen leben als in anderen Bundesländern. Das ist kein intelligenter Grund dafür, Menschen, die bei uns im Moment Sicherheit gefunden haben, in der jetzigen Lage und womöglich mit Gewalt dorthin zu befördern. General Kneip – das leuchtet Ihnen dann vielleicht ein, wenn ich mal in dieser Richtung argumentiere –, der

Kommandeur des Deutschen ISAF-Kontingents, sagte in einem dpa-Interview, er rechne damit, dass dieser Einsatz noch mindestens zehn Jahre dauern werde. Nun wissen viele von uns, dass Soldaten selten etwas sagen, was mit der politischen Führung nicht abgestimmt ist. Es gab auch erwartungsgemäß kein Dementi vonseiten der Regierung.

Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, das einige von Ihnen kennen werden. Herr Warnholz bekommt das bestimmt auch nach Hause, bei anderen weiß ich es nicht, eine Zeitschrift der Bundeswehr, Ausgabe September 2006, in der Folgendes berichtet wird:

"ISAF: Nicht sicher, nicht stabil Höchste Anspannung bei unseren Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan"

Zitiert wird auch eine deutlich verschärfte Sicherheitslage.

Ich möchte noch einen Satz zitieren:

"Das macht es den Taliban umso leichter, mit ihrer radikalen Interpretation des Islam die Oberhand zu gewinnen. Schon deshalb ist die Sicherheitslage besonders im Süden und Osten des Landes so schlecht wie nie seit dem Ende des Taliban-Regimes."

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich möchte noch eines sagen, weil Sie so wenig darauf eingehen, dass es um Familien geht, denn Innensenator Nagel arbeitet eine Liste ab – Herr Jäger, das wissen Sie –, die letztes Jahr, wie Sie richtig sagten, einmal erstellt wurde. Jetzt sind wir bei dem Punkt angelangt, wo es um Familien geht.

(Wolfhard Ploog CDU: Es geht um Menschen!)

In der Presse können Sie nachlesen, dass 150 Schulen niedergebrannt und weitere 200 geschlossen wurden, sodass 200 000 Schulkinder, meist Mädchen, heute wieder vom Unterricht ausgeschlossen sind. Es lässt sich nicht verkennen, dass es eine Korrelation zwischen geschlossenen Mädchenschulen, Präsenz der Taliban, Drogenanbau und tiefer Armut gibt. Das sind alles keine Warnungen für Touristen, das ist die bittere Lage für die Menschen, die dort leben.

(Beifall bei der SPD und der GAL)