Protocol of the Session on September 14, 2006

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir sind auch für die Menschen verantwortlich, die zurzeit bei uns sind und auf unseren Schutz ein Stück weit angewiesen sind.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Aber Sie wollen doch auch abschieben, oder?)

Wir Sozialdemokraten machen nur eine Ausnahme und die haben wir immer gemacht, die ist völlig konsequent. Ich weiß gar nicht, wo Herr Jäger da wieder etwas aus seinem Hut zaubern will. Es gibt eine Ausnahme und da spreche ich glücklicherweise von einer sehr kleinen Minderheit.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das sind auch Men- schen!)

Das sind nämlich diejenigen, die ihren Aufenthalt hier missbrauchen und straffällig werden. Das ist für mich überhaupt nicht zu vergleichen – das fand ich äußerst zynisch – mit Kindern, die mit ihren Eltern jetzt nach Afghanistan zurückgeschickt werden sollen. Das ist doch kein Argument, so etwas kann man nicht gleichsetzen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Zuletzt bleibt noch zu sagen, dass viele Menschen aus Afghanistan bei uns seit vielen Jahren leben. Es ist nicht ihre Schuld, dass dieser Krieg so lange dauert, es ist nicht die Schuld der Eltern, dass viele Kinder die Heimat ihrer Eltern noch nie gesehen haben. Und es wäre für uns alle gut, wenn Kindern, die nicht nur unsere Schulen besucht haben, die Deutsch als erste Sprache sprechen, wenn zumindest einigen von diesen Kindern und ihren Eltern auch einmal eine längerfristige, wenn nicht eine endgültige Bleibeperspektive angeboten würde; das Thema bewegt uns alle. Herr Schäuble hat es zwar erwähnt, aber leider noch nicht allzu viel getan.

Ich möchte noch einmal sehr deutlich daran erinnern, dass Innensenator Nagel bereits im Februar dieses Jahres von einer zu erarbeitenden Bleiberechtsregelung sprach und ankündigte, er würde bei einer Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz mitwirken und sich besonders dafür einsetzen, dass dort etwas passiere. Ich habe in der Zwischenzeit mit zwei Kleinen Anfragen nachgefragt. Jetzt heißt es – es sind immerhin sieben Monate vergangen –, dass sich inzwischen irgendetwas konstituiert habe, aber die Gruppe hätte noch kein einziges Mal getagt; von besonderem Engagement zeugt dies also nicht.

Wie wäre es, Herr Senator, wenn Sie Ihre Energien einmal in diesen Bereich verlagern und sich dafür einsetzen würden, dass eine Arbeitsgruppe sofort die Arbeit aufnimmt. Wie wäre es, wenn Sie sich auch einmal mit dem Aspekt der Asyl- und Flüchtlingspolitik auseinandersetzen würden und nicht nur populäre Wege gingen, sondern auf das Schicksal der Menschen schauten und auch für diese Nichtwähler Verantwortung trügen. Das wäre human und auch mutig. – Danke.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Senator Nagel.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Möller, eines vorweg: Ich kann Ihren Standpunkt verstehen und auch nachvollziehen. Trotzdem bin ich auch nach Ihren Argumenten anderer Meinung.

Sie betonen in Ihrer Argumentation immer wieder die Sicherheitslage in Afghanistan. Es gibt jedoch eine eindeutige Bewertung dieser Sicherheitslage vom zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Ich kann, darf und will mich nicht auf alle möglichen Medienberichterstattungen beziehen.

(Nebahat Güçlü GAL: Das waren keine Medien- berichterstattungen!)

Frau Güçlü, das ist nicht mein Thema, sondern eine offizielle Sprachregelung, eine offizielle Bewertung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, von etlichen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten und des Auswärtigen Amts. Das sind diejenigen, die letztendlich die Sicherheitslage in Afghanistan bewerten. Keine – und ich betone keine – dieser unabhängigen Stellen hat bisher ein generelles Rückkehrhindernis nach Afghanistan festgestellt, ganz im Gegenteil. Die Entscheidungslinie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist klar. Es ist für einen erfolgreichen Asylantrag eben nicht ausreichend, nur aus Afghanistan zu kommen. Diese Anträge,

auch bei Familien mit Kindern, werden in der Regel abgelehnt.

(Doris Mandel SPD: Das ist doch ein anderes Thema!)

In den meisten Fällen klagen abgelehnte Asylbewerber vor dem Verwaltungsgericht und diese unabhängigen Verwaltungsgerichte haben in etlichen Entscheidungen klar und deutlich festgestellt, dass es kein generelles Abschiebehindernis nach Afghanistan gebe. Die Entscheidungen, die Sie immer wieder gern zitieren, Frau Möller, beziehen sich auf individuelle Rückkehrhindernisse, das heißt, es geht um die Einzelfallprüfung. Ich sage nicht, dass eine generelle Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich sei, das wissen sie auch.

(Doris Mandel SPD: Nach zehn Jahren, ja!)

Weil Sie sich immer wieder auf das Auswärtige Amt berufen: Auch das Auswärtige Amt beurteilt die Sicherheitslage in Afghanistan je nach Region differenzierter und sagt zum Beispiel für den Raum Kabul, dass es dort zufriedenstellend sicher sei. Dabei berücksichtigt das Auswärtige Amt, Frau Möller, übrigens auch den von Ihnen gestern zitierten Bericht von Human Rights Watch. Das bedeutet, dass zahlreiche unabhängige Behörden und Gerichte die Rückkehrmöglichkeiten der ausreisepflichtigen Afghanen, auch der von Familien, regelmäßig feststellen und die Ausländerbehörde dann nach Recht und Gesetz gezwungen ist, die Ausreise durchzusetzen, auch wenn Ihnen das im Einzelfall nicht passt. Sonst würde sie nämlich gegen geltendes Recht verstoßen; das sind die Fakten.

(Doris Mandel SPD: Die können Sie dulden!)

Zur Durchsetzung von Recht und Gesetz in einer Gesellschaft hat im Übrigen das Bundesverfassungsgericht im Mai dieses Jahres eine grundsätzliche Bemerkung gemacht, die ich mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitieren möchte:

"Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiert rechtstreues Verhalten und untergräbt damit die Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit."

(Doris Mandel SPD: Was soll uns das sagen? – Dr. Andreas Dressel SPD: In welchem Zusam- menhang hat das Gericht das gesagt?)

Noch ein Wort zur Sicherheitslage. Ich habe gestern Nachmittag mit dem Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Dr. Albert Schmid, ein längeres Telefonat geführt. Sie kennen sicherlich Dr. Schmid, er war unter anderem für einige Zeit SPD-Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag und hat speziell bei Rotgrün einen sehr guten Ruf. Auch Dr. Schmid bestätigte mir gestern die Einschätzung der Sicherheitslage. Ein generelles Rückführungshindernis gibt es nicht, sondern bei der Prüfung der Asylanträge geht es, wie bisher auch, um mögliche, ganz individuelle persönliche Rückkehrhindernisse wie bei jedem anderen Asylbewerber aus anderen Ländern auch; das ist der Fakt. Es gibt bisher keinen Grund für einen pauschalen Abschiebestopp; das sage ich hier und heute ganz deutlich.

Wenn es im Übrigen die Sicherheitslage nicht zuließe – um es einmal ganz deutlich zu sagen –, wären nach vorsichtigen UNHCR-Einschätzungen seit dem Jahre 2002

nicht schon fast 4,5 Millionen Afghanen in ihr Heimatland zurückgekehrt. Diese Tatsache, Frau Möller, muss man auch einmal zur Kenntnis nehmen.

Herr Dr. Jäger hat es zwar schon angedeutet, aber ich möchte es noch einmal sagen: Hamburg hat hier keine Vorreiterrolle. Wir haben einen IMK-Beschluss, an den alle Länder gebunden sind, und den vollziehen wir in Hamburg nach Recht und Gesetz.

(Jens Kerstan GAL: Aber sonst keiner!)

Aber sehr wohl.

Ganz deutlich möchte ich heute noch machen, dass Hamburg dann, wenn Menschen in Not waren, wenn die Stadt gebraucht wurde, Menschen aufgenommen hat und das ist auch richtig so. Das war während des Bürgerkriegs in Afghanistan so, das war auch während des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien so, als wir viele Flüchtlinge aufgenommen haben. Hamburg hilft also, wenn es notwendig ist, und wir werden auch weiterhin helfen, wenn es notwendig ist. Allerdings ist diese Hilfe in Zukunft nur dann möglich, wenn die Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren, wenn es die Lage zulässt.

Frau Özoguz, zum Schluss noch ein Hinweis: Es ist richtig, dass die länderoffene Ministerarbeitsgruppe noch nicht getagt hat. Das liegt aber leider nicht an mir, sondern das Vorsitzendenland hat noch nicht eingeladen und nach jetziger Planung steht wohl der 9. Oktober als möglicher Termin fest. Es ist nicht ganz einfach, 16 Bundesländer-Minister zu terminieren, aber es schaut so aus, als ob wir noch vor der IMK Anfang November zum Gespräch und zu Beratungen zusammenkommen würden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Und eine Lösung erar- beiten! Das wäre vielleicht sinnvoll!)

Ergebnisse sind momentan aber noch nicht voraussehbar, das wissen Sie alle. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Möller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! An der Stelle fängt die Debatte eigentlich erst an. Fünf Minuten habe ich noch, das werden Sie vielleicht noch aushalten.

(Zurufe von der CDU: Nein!)

Der Senator hat sich erfreulicherweise inhaltlich auf das Thema eingelassen. Aber um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir wollen keinen generellen Abschiebestopp, den zum Beispiel das Bundesamt verhängen könnte, sondern wir reden hier über die Länderverantwortung, da Sie als oberste Landesbehörde für das Bundesland Hamburg die Abschiebung durchführen. Sie führen als erstes und einziges Bundesland Abschiebungen von Familien durch beziehungsweise bereiten sie vor.

Wir haben jetzt September, der Winter beginnt früh in Afghanistan. Wir haben – das haben Sie auch selbst gesagt – nur eine einzige Möglichkeit, nämlich nach Kabul abzuschieben, und wir haben damit als Bundesland die Verpflichtung, uns sehr individuell um diese spezielle Situation zu kümmern, in die wir Familien abschie

ben. Das tut das Bundesamt nicht, das müssen Sie tun, Herr Senator.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Dazu muss man sich zum Beispiel die Zahl der zerstörten Schulen – ich habe sie erwähnt, Frau Özoguz hat sie erwähnt – einmal vergegenwärtigen, was es für die Kinder bedeutet, die hier in der Schule sind, in welche Situation sie kommen. Ist es das wirklich wert? Die Situation spitzt sich zu, es wird für unsicher erachtet, weitere Soldaten hinzuschicken, es wird überhaupt nicht mehr abgestritten, dass die Versorgungssituation wesentlich schlechter ist als im letzten Jahr. Warum nutzen Sie als verantwortliches Bundesland nicht diese Chance, die das Aufenthaltsgesetz bietet, nach Paragraf 60 a für sechs Monate einen Abschiebestopp zu erlassen?

Herr Jäger, noch einmal zu Ihnen. Vielleicht kommen Sie einmal im Eingabenausschuss vorbei, dann können Sie sich im Detail über die Situation informieren, aus der die Familien kommen und in die sie hineinkommen. Sie mit Geschäftsreisenden zu vergleichen, die selbstverständlich nach Afghanistan fahren – das sind im Übrigen nicht nur Afghanen, sondern es sind auch viele Deutsche, die da feine Geschäfte machen –, finde ich so unter Niveau, dass es im Grunde aus dem Protokoll gestrichen werden müsste. Aber Sie wissen vielleicht nicht, dass die Familien, die abgeschoben werden, nur das bei sich haben, was sie tragen können. Das ist bei großen Familien vielleicht ein bisschen mehr als bei kleinen, aber es ist lächerlich im Vergleich zu denen, die ihre Geschäfte mit den Ländern machen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Özoguz.

Ich kann es kurz machen, aber ich möchte das nicht so stehen lassen. Ich zitiere noch einmal das Auswärtige Amt, Stand 11. September:

"In der Hauptstadt Kabul kann es trotz Präsenz der Internationalen Schutztruppe zu Attentaten kommen. Nachts kommt es häufig zu Schießereien und Gewaltverbrechen. In Vororten und Seitenstraßen besteht auch tagsüber die Gefahr von Überfällen.