Protocol of the Session on September 14, 2006

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Frau Dr. Hochheim, es stimmt, dass es in den Arbeitsbeschäftigungsmaßnahmen der Neunzigerjahre sehr stark den so genannten "Lock-in"-Effekt gab. Aber wer hat denn die großen ABM-Wellen über Deutschland gebracht? Das war beispielsweise 1998 der sehr geehrte Herr Bundeskanzler Kohl mit 600 000 ein halbes Jahr vor der Wahl. Sie wurden einfach nur so ausgeschüttet, damit entsprechend die Statistik verbessert wird, ohne das vernünftig zu evaluieren. Insofern glaube ich, dass es nicht korrekt ist, an dieser Stelle einfach irgendwohin mit dem Finger zu zeigen.

Ihr Kombilohnmodell würde ich klasse finden, wenn ich endlich sehen würde, ob und wie das funktioniert. Aber was machen Sie in Wahrheit? Sie haben hierfür 9 Millionen Euro als Sollplanzahl eingestellt, was seit April läuft. Der Mittelabfluss im September ist null. Die Behörde arbeitet offensichtlich nicht, denn anders kann ich das nicht verstehen. Die ARGE arbeitet auch nicht vernünftig.

Sie geben heute eine Pressemitteilung heraus – ich glaube, das sollte eine Art Lob sein –, dass Sie die Organisationsabläufe der ARGE genauer untersuchen lassen wollen. Es ist 21 Monate her, seitdem Hartz IV eingeführt ist. Im Mai oder Juni ging Ihr Senator noch an die Presse und erklärte, dass Sie zur Verbesserung der ARGE zehn Punkte haben. Und jetzt kommen Sie nach 21 Monaten und sagen, dass es irgendwie nicht richtig klappt. Dann frage ich mich doch: Was haben Sie die anderen 21 Monate gemacht? Ich verstehe ja, dass Sie nicht nur drei Monate hierfür benötigen, aber spätestens nach sechs Monaten war klar, dass die Organisation der ARGE, so wie sie heute dasteht, nicht richtig funktioniert. Aber das interessiert Sie nicht.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der GAL)

Warum funktionieren Ihre Maßnahmen nicht? Sie funktionieren nicht, weil Sie schlichtweg einem Wettbewerbsideologen Ihrer Behörde aufgesessen sind. Dieser meint nämlich, nach jedem halben Jahr alle 10 000 Maßnahmen immer wieder neu ausschreiben zu müssen. Dann wechselt man einmal die Träger hier, ein anderes Mal dort und hat letztendlich gar keine vernünftigen Zahlen, mit denen man evaluieren könnte. Im Ergebnis schaffen Sie hier nur Verunsicherung.

Sie haben Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip geschaffen, in denen Sie beispielsweise junge Menschen zehn Monate in Maßnahmen hineinstecken und überhaupt nicht richtig wissen, mit welchen geringen sozialen Voraussetzungen sie dort hingekommen sind. Jetzt wundern Sie sich, dass Sie Abbruchquoten von über 50 Prozent haben.

Wenn Sie jemanden nehmen, der 22 Jahre lang auf der Straße sozialisiert wurde und dessen Straßenverhalten irgendwie sozial adäquat ist, dann brauchen Sie mehr als zehn Monate, um ihn an die Hand zu nehmen und ihm Schritt für Schritt deutlich zu machen, dass die richtige Welt eine andere ist. Hier beginnt schon der Zuschnitt der entsprechenden Maßnahmen, indem man die notwendigen Sozialpädagogen hat, die zu ihm nach Hause fahren, ihn abholen sowie zurück in die Maßnahme bringen und

nicht einfach zulassen, dass er die Maßnahme abbricht. Und wenn er sie abbricht, dann gehört es nachgehalten, dass er keine Grundsicherung mehr bekommt oder zumindest eine entsprechende Kürzung vorgenommen wird. Nicht einmal das tun Sie, weil Sie völlig desorganisiert sind.

Sie brauchen mindestens ein Jahr, um einen Menschen sozial zu stabilisieren. Dann müssen Sie versuchen, ihm Schritt für Schritt die Grundqualifikationen, wie einfaches Rechnen und Schreiben, beizubringen. Das alles können Sie nicht in zehn Monaten schaffen und daher funktionieren auch Ihre komischen Maßnahmen, die Sie hier nach dem Gießkannenprinzip ausschütten, nicht.

Sie müssen sich ein vernünftiges Programm beziehungsweise eine vernünftige Strategie überlegen, wie Sie beispielsweise mit diesen jungen Menschen systematisch umgehen. Solange Sie kein entsprechendes Programm haben, werden Sie ständig gegen die Wand fahren. Sie werden dann erklären, dass es keinen Sinn hat, nehmen die Gelder und schütten Sie in irgendwelche wirtschaftspolitischen Projekte, bei denen dann am Ende in Ihren gelben Seiten im Einzelplan 7 enthalten ist, dass Sie mit Millionen von Geldern 70 Arbeitsplätze geschaffen haben.

Hier kann ich Ihnen sagen, dass unsere Konjunkturprogramme aus den Siebzigerjahren, die vielleicht auch nicht immer besonders einfallsreich waren, schon ein bisschen effektiver waren. Besinnen Sie sich erst einmal, Ihre Kernaufgaben richtig durchzuführen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Sarrazin.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Fraktion von der bösen Linken, von der Frau Dr. Hochheim gerade gesprochen hat, Sie wissen schon, dass ich in diesem Hause ein bisschen der Europa-Onkel bin

(Rolf Harlinghausen CDU: Mehr Baby als Europa!)

und ich muss Ihnen heute eine kleine Geschichte erzählen, und zwar eine Geschichte von Herrn Uldall und dem Europäischen Sozialfonds.

Man kann diese Geschichte als Geschichte voller Missverständnisse oder auch "Uldall, der Sozialfonds und der lange Weg ins Unglück" betiteln.

Es war einmal vor anderthalb Jahren, als die europapolitischen Sprecher aller Fraktionen einen Termin beim großen Hamburger Träger hatten, der sich mit ihnen über die Zukunft der Förderung des Europäischen Sozialfonds unterhalten wollte. Seinerzeit wurde uns und auch den Kollegen von der anderen Seite deutlich gemacht, dass man sich jetzt unbedingt daransetzen müsste, die alte Programmplanung zu evaluieren und zu schauen, was in der Vergangenheit gut war und fortgesetzt werden kann beziehungsweise an welcher Stelle man Evaluationsansprüche der Kommission befriedigen kann. Was ist hier seitens des Senates geschehen? Sie wissen das alle: Wie immer nichts.

Vor sieben Monaten hatte ich einen Termin bei einem großen Hamburger Träger, der ziemlich viel Geld aus dem ESF erhält. Dort wurde uns dargestellt, dass man mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen würde, dass in der

BWA kein Interesse vorhanden wäre, sich mit dem ESF auseinanderzusetzen. Man wüsste noch gar nicht, wie es in der neuen Programmperiode weitergehen sollte.

Jetzt kommt der letzte Teil der Geschichte: Die Bürgerschaftsdebatte in diesem Haus zu den europapolitischen Schwerpunkten. Herr Senator Uldall hat an dieser Stelle erklärt, dass er gegen diese europäische Subventionierung wäre und überhaupt würden ihn ESF-Gelder nicht interessieren, denn dann müsste man kofinanzieren und davon hält er nichts. Am besten würde man das Ganze sein lassen.

Dann – glaube ich – ist den lieben Herren an der rechten Seite des Hauses etwas aufgefallen, nämlich mal kurz schwuppdiwupp 90 Millionen Euro zu erhalten. Das hätte diese Seite des Hauses nicht gemacht. Daher muss ihnen eingefallen sein: Mensch, was machen wir mit diesem Geld?

Dann kommt ein Antrag von der CDU-Fraktion. Das Problem ist: Wenn Sie sagen, die böse Linke im Haus, Frau Dr. Hochheim, wir haben einen ganz starken Verbündeten. Wir können auf ganz viele Papiere verweisen, in denen das enthalten ist, was wir sagen. Das sind keine linksradikalen Papiere aus Zeiten, wo es die Grünen noch nicht gab oder wo wir Straßenschlachten geführt haben. Das hat die Europäische Kommission in die Verordnung des Europäischen Sozialfonds und auch in die Umsetzungsverordnung hineingeschrieben.

Worum geht es dem Europäischen Sozialfonds inhaltlich? Es geht um Sozialintegration, Integration und Arbeit, Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und um Integration von Frauen. Und das geht nicht nur mit einer klaren Ausrichtung darauf, dass man hinterher die Statistik zeigen kann, dass man einen Arbeitsplatz mehr geschaffen hat.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Der Unterschied ist – das kann man ziemlich deutlich machen –, dass der Europäische Sozialfond die Idee hat, sich in Europa mit europäischen Geldern um die Menschen zu kümmern, damit es in unserer Gesellschaft vorangeht und die soziale Ungleichheit weniger wird.

(Rolf Harlinghausen CDU: Was verstehen Sie von Arbeitslosigkeit? Sie haben noch nie gearbeitet!)

Herr Harlinghausen, so wie Sie im Parlament arbeiten, wäre ich froh, wenn Sie mehr arbeiten würden und hier nicht so viel herumquatschen würden. Ehrlich gesagt, ich habe gar keine Lust mehr darauf und so müssen Sie mir nicht kommen.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, es ist begriffslogisch ausgeschlossen, dass ein Kollege quatscht.

Entschuldigung, ich wollte natürlich sagen "spricht".

Der Punkt ist, dass sich der Europäische Sozialfonds an den Menschen orientiert und möchte in Menschen investieren und Menschen ausbilden, damit sie sich in der Gesellschaft und im Arbeitsmarkt besser integrieren können. Wovon Sie ausgehen, ist einfach nur, dass Sie eine Statistik hochhalten und erklären wollen, was für eine

tolle Arbeitsmarktpolitik Sie durchgeführt haben, weil ein oder zwei Jobs mehr hinzugekommen sind.

Das Problem ist, dass Sie nicht nur in Hamburg etwas vor die Wand fahren, sondern Sie müssen sich auch anschauen, was mit der europäischen Verfassung in Holland passiert ist. Dann ist es notwendig, dass wir in der Europapolitik eine Diskussion über das europäische Sozialmodell führen.

Wir müssen deutlich machen, dass Europa sich auch um die sozialen Aufgaben vor Ort kümmert und es bringt nichts, wenn Sie die europäischen Gelder, die ge- nau dafür da sind, in irgendwelche Prestigeobjekte stecken, die nicht genügend soziale Auswirkungen haben. – Danke sehr.

(Beifall bei der GAL)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksachen 18/4896 und 18/4959 federführend an den Wirtschaftsausschuss und mitberatend an den Europaausschuss zu? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich lasse in der Sache abstimmen. Wer möchte den GALAntrag aus der Drucksache 18/4959 annehmen? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt.

Wer möchte den CDU-Antrag aus der Drucksache 18/4896 annehmen? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist mehrheitlich angenommen.

Tagesordnungspunkt 11, Drucksache 18/4674, Große Anfrage der SPD-Fraktion: Voll von der Rolle – Politik für Lesben und Schwule in Hamburg.

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Voll von der Rolle – Politik für Lesben und Schwule in Hamburg – Drucksache 18/4674 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Sozialausschuss überweisen. Wird das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Der Abgeordnete Kretschmann hat es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir debattieren heute die Antwort des Senats auf eine Große Anfrage meiner Fraktion zum Thema "Lesben und Schwule in Hamburg". Um es geradeheraus zu sagen: Die 23 Seiten umfassende Große Anfrage mit der Antwort des Senats ist eine einzige Dokumentation des Stillstands auf dem Gebiet der Politik für homosexuelle Menschen in Hamburg. Hamburg wirbt immer noch damit, dass hier die Homo-Ehe erfunden wurde, aber de facto ist seit 2001 nichts mehr passiert. Im Vergleich zu München, Köln und Berlin fällt Hamburg deutlich zurück.

Besonders junge Menschen, die entdecken, dass sie vielleicht homosexuell sind, brauchen Orientierungshilfe und Unterstützung. Hierzu ist Aufklärung und eine Thematisierung im Unterricht unverzichtbar und es wundert schon, wenn "Jugend im Parlament" im Jahr 2005 feststellt, dass Homosexualität im Unterricht nicht behandelt wird. Die Jugendlichen haben gefordert, das Thema im Sexualkundeunterricht zu verankern.

(Karen Koop CDU: Habe ich gemacht!)

Der Senat erklärt dazu, die Behandlung des Themas sei verbindlich vorgeschrieben.

(Karen Koop CDU: Habe ich auch gemacht!)