Protocol of the Session on May 26, 2004

Das ist das ganz große Problem. Sie gaukeln vor, der Bürger hätte Mitentscheidungsmöglichkeiten. Die hat er aber gar nicht. Er hat gar nicht die Möglichkeit, alle Kandidaten kennen zu lernen. Wir sind in einem Stadtstaat, der gar nicht die Möglichkeit bietet wie ein bayerisches Bergdorf. Das ist ein Problem.

(Dr. Willfried Maier GAL: München ist kein Berg- dorf! – Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Aber München ist auch kleiner als Hamburg.

(Dr. Willfried Maier GAL: Vor allem, wo Hamburg jetzt so wächst!)

Sie glauben doch nicht, dass unsere Bürger hier tatsächlich die Möglichkeit haben werden, die Kandidaten zu kennen. Wenn ich mir angucke, welche Schwierigkeiten die Wähler haben, jetzt über die Volksinitiative abzustimmen – das ist für sie derart schwierig, sie blicken da kaum noch durch. Verspielen Sie doch nicht das Vertrauen! Das, was Sie hier machen, ist ein Vorgaukeln von angeblicher Einfachheit, das ist Politik light und die ist nicht so einfach möglich.

(Beifall bei der CDU)

Bisher haben die Bürger schon die Möglichkeit, mitzuwirken. Was erleben wir davon tagtäglich in den Parteien? Wenig. Was erleben wir an den Infoständen? Auch wenig. Das, was Sie hier tun, ist Populismus. Sie gaukeln den Bürgern vor, durch ein einzelnes Kreuzchen mehr oder weniger – oder durch fünf Kreuze mit Kandidaten – hätten sie für vier Jahre mehr geschafft. Weniger haben sie geschafft. Sie gäben es auf Leute ab, die möglichst viel Zeit darauf verwenden, Wählerstimmen zu ergattern, aber nicht auf Leute, die tatsächlich etwas im Sinne der Wähler machen. Das ist einfach von Ihnen nicht ehrlich gegenüber den Wählern.

(Beifall bei der CDU – Dr. Willfried Maier GAL: Dann sollten wir das Wahlrecht ganz abschaffen!)

Ich möchte einmal darauf hinweisen, dass es ja bei den Grünen angeblich immer so viel Nähe bei irgendwelchen Abstimmungen gibt. Sie haben zwar Mitgliederversammlungen, aber die lassen sich bei Ihnen ja auch relativ leicht kippen. Es sind ja nicht so viele Leute, die bei Ihnen mitwirken. Wenn man sich Ihre Mitgliederversammlungen anguckt – das ist doch ein Lacher. Es sind doch gar nicht so viele Mitglieder zugegen, dass man tatsächlich etwas auf die Reihe kriegen könnte.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Das muss man sich doch vor Augen führen. Sie gaukeln den Leuten etwas Falsches vor. Wir sind für Ehrlichkeit. Wir appellieren, der Wähler möge nicht darauf hineinfallen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Grund.

Herr Dr. Maier, wenn es so wäre, wie Sie sagten, nämlich dass ein Wahlverfahren, wie Sie es vorschlagen, zu mehr Bürgernähe von Politik und zu mehr Vertrauen gegenüber Politik führen würde, dann hätten wir ja in München und in anderen süddeutschen Städten paradiesische Zustände, weil das Vertrauen in Politik dort besonders groß wäre. Das, kann ich Ihnen sagen, ist doch überhaupt nicht feststellbar.

Die Tatsache ist doch vielmehr, dass, wenn man sich selbst die großen Kommunen anschaut, die mit diesen Wahlsystemen – ähnlichen, weniger komplizierten als Ihrem – wählen gehen, die Wahlbeteiligung in den letzten Jahren permanent weiter gesunken ist und dass die Zahl der ungültigen Stimmen so groß ist wie die für die FDP bei der letzten Bürgerschaftswahl, mit steigender Tendenz.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Ihr System ist noch komplizierter, meine Damen und Herren, als diese Panaschiersysteme. Deshalb ist das nicht überzeugend.

Es ist doch ein wichtiges Gut, dass man den Bürgerinnen und Bürgern am Wahltag ein System anbietet, das für sie durchschaubar ist, das sie nachvollziehen können, das transparent ist. Dieses System, das Sie gewählt haben – bei allem Respekt vor Ihren Bemühungen für mehr Demokratie – führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Transparenz.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Meine Damen und Herren, das Zweistimmenwahlrecht hat sich doch in dieser Republik bewährt. Das ist doch gar nicht anders darzustellen.

Ich habe den Eindruck, dass gelegentlich von Ihnen die ganz große Fahne "Mehr Demokratie" geschwenkt wird, es in Wahrheit aber um etwas ganz anderes geht: Ganz offen sagen die Initiatoren Ihres Vorschlages nämlich, es gehe ihnen darum, die kleinen Parteien zu bevorzugen. Sie wollen bei dieser Gelegenheit absahnen. Das ist die Wahrheit

(Beifall bei der SPD und der CDU)

und deshalb treten Sie öffentlich so an, weil Sie und die kleineren Parteien – deshalb war auch anfangs die FDP dafür – von einem solchen Wahlsystem profitieren würden. Ich finde es nicht fair, wenn man solche Absichten hat, ganz andere Fahnen zu schwenken.

Meine Damen und Herren, der Vorschlag, den die Mehrheit dieses Hauses den Bürgerinnen und Bürgern gemacht hat, ist eindeutig, ist klar, ist überzeugend. Die Menschen kennen das System, sie werden es wahrnehmen. Wir werden direkt gewählte Abgeordnete haben und darüber hinaus auch Abgeordnete, die sich dennoch anstrengen müssen. Dieses Parlament – so meine Prophezeiung – wird in vier Jahren, bei der nächsten Wahl,

nahezu zu 50 Prozent anders aussehen, auch wenn der Wahlvorschlag durchkommt, den wir als Mehrheit in diesem Parlament gemacht haben. Das wird Hamburg gut tun.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Steffen.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich mir die Argumente anhöre, die Sie hier zum Wahlrecht gegen den Vorschlag der Wahlrechtsinitiative vorbringen, dann frage ich mich: Wovor haben Sie Angst?

(Ingo Egloff SPD: Vor gar nichts!)

Sie bringen nämlich Argumente, die äußerst fragwürdig und sehr an den Haaren herbeigezogen sind. Wir hatten, bis Herr Maier das ein bisschen grundsätzlicher angegangen ist, nur Argumente, die mit der Größe des Stimmzettels und mit der Durchführung zu tun hatten, also gar nicht mit dem Wahlrecht als solchem, um das es erst einmal geht, oder mit den Unterschieden zwischen den Vorschlägen. Da wurde nur über die Wahlhelfer gesprochen, über den Stimmzettel und so weiter.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Nein, das stimmt nicht!)

Dann wird hier der Vorschlag der Wahlrechtsinitiative zitiert: Er verbinde ja – oh Gott – die Stadtteile Finkenwerder und Hamm in einem Wahlkreis. Was macht der Vorschlag der Bürgerschaft? Er verbindet – das passt viel besser zusammen – St. Pauli und Finkenwerder in einem Wahlkreis.

(Beifall bei der GAL)

Die Fähre muss der Wahlkreisabgeordnete genauso benutzen, wie es nach dem Vorschlag der Wahlrechtsinitiative wäre. Diese Argumente also, die Sie da im Kleinen bringen, sind nicht wirklich stichhaltig.

Auch das Argument von Herrn Grund, die kleinen Parteien würden bevorzugt, stimmt nicht. Es gibt einen Effekt bei einem Zweistimmenwahlrecht, das wir bei der Bundestagswahl kennen, nämlich das Stimmensplitting. Beispielsweise geben Wähler, die irgendwo zwischen SPD und Grünen stehen, ihre Erststimme an die SPD und ihre Zweitstimme an die Grünen. Das ist bekannt und wird immer wieder gemacht. Das wird natürlich auch bei dem Vorschlag der Bürgerschaft eintreten. Aber dieser Effekt wird bei weitem nicht so stark eintreten wie bei dem Vorschlag der Wahlrechtsinitiative, weil es dann eine Vielzahl Wahlkreise geben wird, in denen auch grüne Kandidaten eine Chance haben, anders als bei dem Modell für die Bundestagswahl. Diese Argumente sind also an den Haaren herbeigezogen.

(Beifall bei der GAL)

Wir grünen Abgeordneten sind bislang bei dem System außen vor. Bei der Bundestagswahl spielt das bei den großen Parteien zu einem gewissen Anteil mit eine Rolle und bestimmt, wer im Parlament sitzt.

Wir finden das falsch. Wir stellen uns gern dem Wettbewerb und nehmen die Mühe auf uns, vor Ort zu überzeugen. Wenn wir bei Ihrem Modell bleiben, dann gucken wir einmal das Aufstellungsverfahren innerhalb der SPD an.

Im Prinzip ist es nach bisherigem Wahlrecht doch so, dass der, der seinen Distrikt überzeugt hat, seinen Platz schon relativ sicher hat.

(Petra Brinkmann SPD: Haben Sie aber eine Ah- nung!)

Dann stellt sich nur noch die Frage, in welcher Reihenfolge der Abgeordnete im Distrikt, im Bezirk und später dann auf die Landesliste gesetzt wird.

Es wird künftig auch so bleiben, dass im Wesentlichen die Distriktversammlung darüber entscheidet, wer für den Wahlkreis antreten darf. Dann gibt es ziemlich sichere Wahlkreise für die SPD, auch wahrscheinlich mittlerweile ziemlich sichere Wahlkreise für die CDU. An diesem Zustand wollen Sie im Prinzip festhalten, damit die Entscheidung bei Ihnen vor Ort bleibt.

Aus meiner Erfahrung als Bezirksabgeordneter kann ich sagen, der Wahlkreis, der Rotherbaum, Harvestehude und Eimsbüttel-Ost umfasst, ist ziemlich genau der, in dem ich aufgrund meiner Arbeit als Bezirksabgeordneter jede Straße kannte. Wenn mich ein Bürger anrief, hatte ich von der Problemlage sofort ein Bild vor Augen.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Toll!)

Das sind Wahlkreise, die auch von Politikern gut zu überschauen sind. Deswegen ist Ihre Stimmungsmache, das seien Wahlkreise, in denen man sich gar nicht mehr um die einzelnen Stadtteile kümmern sollte, höchstens begründet aus einer Ferne zu den Stadtteilen, die sich bei Ihnen mittlerweile eingestellt hat, die wir aber nicht wollen. Wir wollen Abgeordnete, die über die Probleme vor Ort informiert sind.

(Beifall bei der GAL)

Weitere Wortmeldungen zum ersten Thema sehe ich nicht. Dann rufe ich nunmehr das zweite, von der CDU-Fraktion angemeldete Thema auf:

Olympia 2016: Neue Chance für Hamburg

Wird das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Der Abgeordnete Weinberg hat es.