Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Wahrheit hier natürlich manchmal auch ein wenig neu interpretiert wird. Aber was Sie sich eben geleistet haben, Frau Goetsch, war der Gipfel von allem. Sie haben wahrscheinlich gehofft, wir hätten alle diese dicke Drucksache zuhause gelassen, weil sie uns zu schwer wäre. Ich habe sie aber mitgebracht. Sie haben behauptet – Sie wollten mich ja nicht fragen lassen – auf Seite 61 ginge es los, überall würde um 13.15 Uhr Schulschluss sein. Ich fange einmal an.
Albert-Schweitzer-Gymnasium: Viermal 16 Uhr, einmal 15 Uhr. Albrecht-Thaer-Gymnasium: Dreimal 16 Uhr, zweimal 14.15 Uhr. Alexander-von-Humboldt-Gymnasium: Dreimal 16 Uhr, zweimal 15 Uhr. Carl-von-Ossietzky-Gymnasium: Einmal 16 Uhr, viermal 15 Uhr.
Es geht noch weiter: 16 Uhr, 15 Uhr, 16 Uhr, 16 Uhr, 16 Uhr, 17 Uhr. Sogar 21 Uhr ist in Teilen dabei. Das ist die Wahrheit. Ich finde, ein bisschen Ehrlichkeit, wenn Sie hier die Sachen vorlesen, sollte schon dabei sein.
Vielleicht auch ein bisschen Ehrlichkeit zu dem, was Frau Bulmahn da gemacht hat. Wir haben mehrmals darüber diskutiert, dass Frau Bulmahn nur die Investitionsmittel zur Verfügung stellt. Wir wissen alle, dass wir nach zwei, drei Jahren schon mehr an Betriebskosten ausgegeben haben als das, was einmal vom Bund als Investitionsmittel zur Verfügung gestellt wurde und das ist das Entscheidende für den Hamburger Haushalt, dass wir hier natürlich mit den Betriebskosten belastet werden. Von daher ist es natürlich so, dass wir uns dort, wo die Betriebskosten nicht erhöht werden müssen, weil es über die Schulzeitverkürzung läuft, natürlich eher neue Ganztagsschulen leisten können als dort, wo wir die gesamten Betriebskosten zusätzlich tragen müssen. Das ist doch völlig logisch. Wie schwierig das ist, haben Sie doch bewiesen, indem Sie immer nur eine Ganztagsschule pro Jahr neu gegründet haben.
Sie waren es doch, die auch gesagt haben, nein, das geht nicht. Wir haben sie jetzt verdoppelt. Das haben Sie nie hinbekommen.
Die anderen Länder haben es auch nicht hinbekommen und haben dann zu irgendwelchen anderen Maßnahmen wie Dachsanierungen gegriffen. Das hat Hamburg nicht gemacht. Hamburg hat sich strikt an das gehalten, was Frau Bulmahn vorgegeben hat. Wenn Sie mit dem, was Frau Bulmahn vorgegeben hat, nicht zufrieden sind, dann müssen Sie Frau Bulmahn ansprechen und nicht uns das vorwerfen.
Ein letzter Punkt ist das Thema Rechnungshof. Der kann gerne bei Frau Bulmahn anklopfen. Die "Welt" hat zu Recht geschrieben: "Ohrfeige für Frau Bulmahn" und nicht etwa "Ohrfeige für Frau Dinges-Dierig". Was den Bund anbelangt sind wir, glaube ich, auf der richtigen Seite. Was Hamburg anbelangt, möchte ich nur daran erinnern, dass es der Hamburger Rechnungshof war, der gesagt hat, dass die Hamburger Ganztagsschulen falsch ausgestattet sind, weil jede Betreuung, auch Mittagspause und so weiter, durch hochbezahlte A 13-/A 14-Kräfte gemacht wird. Da hat der Hamburger Rechnungshof gesagt: Lieber Senat, stellt das ab und das haben wir abgestellt und das ist die Minderausstattung, die Sie uns heute vorwerfen, weil wir uns an das halten, was der Rechnungshof hier vorgegeben hat. Das gehört auch zu der Ehrlichkeit.
Wenn Sie sich diese Liste auf Seite 62, Seite 63 angucken, jede Schule, die ein- oder zweimal um 14 Uhr, 15 Uhr oder um 13.25 Uhr endet, ist keine Ganztagsschule. Herr Heinemann, wenn Sie und Frau Dinges-Dierig von großen familienpolitischen Dingen gesprochen haben, dann muss auch gewährleistet sein, dass der Nachmittag ordentlich versorgt wird, wenn man das nur einmal unter dem Betreuungsaspekt sieht.
Wir müssen doch nicht drum herumreden. Wir wollen eine Ganztagsschule mit einem pädagogischen Konzept. Das ist da nicht gegeben und dabei bleibe ich. Wenn dann auch noch Frau Dinges-Dierig damit ankommt, in Form einer positiven Diskriminierung zu sagen, es sei aber auch etwas in den Aufbaugymnasien drin, damit die armen Migrantenkinder auch noch etwas abbekommen, dann kann ich nur sagen, immer noch nicht verstanden. So wollen wir das nicht haben.
Wer stimmt einer nachträglichen Überweisung der Drucksache an den Schulausschuss zu? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt.
Diese Drucksache möchte die GAL-Fraktion an den Schulausschuss überweisen. Wird das Wort gewünscht? – Die Abgeordnete Goetsch hat es.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jetzt geht es mit einem anderen spannenden Thema weiter. Gestern hat die Schulsenatorin den gymnasialen Oberstufen in Hamburg eine vergangenheitsreiche Zukunft versprochen. Doch bevor ich zu dem Thema komme, möchte ich zur Großen Anfrage das eine oder andere erläutern, meine Einschätzung zu dem geben, was Sie, meine Damen und Herren von der CDU, mit den Oberstufen in den letzten Jahren gemacht haben.
Die GAL-Fraktion hat Ende der Neunzigerjahre angefangen, regelmäßig über Große Anfragen die schlimme strukturelle und pädagogische Situation der gymnasialen Oberstufen darzustellen. Das Ergebnis bei dieser neuen Großen Anfrage ist unverändert, das heißt, die Oberstufen sind zu klein, um vernünftige Leistungs- und Grundkurse mit einem entsprechenden Angebot zu organisieren. Die Kollegen versuchen, alle möglichen kreativen Möglichkeiten zu nutzen, um das irgendwie besser zu machen, und so ist die Situation einfach unverändert schlecht geblieben.
Die Bilanz ist letztendlich ernüchternd, wenn man vor allen Dingen sieht, wie sich die Situation doch noch weiter zugespitzt hat. Während wir im Schuljahr 1998/1999 für 300 Schülerinnen und Schüler der Oberstufe noch 23 Lehrer zur Verfügung hatten, sind es im Jahr 2004/2005 nur noch 17 Lehrer. Das sind satte 26 Prozent weniger. Nach diesem Aderlass wirkt es fast gönnerhaft, wenn die Schulsenatorin nun verspricht, dass die geplante Reform der Oberstufe nicht dazu dient, Lehrerstellen zu sparen. Vermutlich ist durchgedrungen, dass Kürzen in unseren gymnasialen Oberstufen in Hamburg gar nicht mehr geht, egal ob an Gesamtschulen oder Gymnasien.
Doch welche Folgen hat dieser Aderlass? Es sitzen immer mehr Schülerinnen und Schüler in größeren Kursen. In den Leistungskursen durchschnittlich 18 statt vormals 14, in den Grundkursen fast 21 statt vormals 18 Schülerinnen und Schüler. Das sind aber nur Durchschnittswerte.
Wie sieht es in der Realität aus? Nehmen wir mal einen Jahrgang – und das ist ja das Drama, die Jahrgänge haben teilweise nur 40, 50, 60 Schülerinnen und Schüler. Wenn man sich zum Beispiel überlegt, dass die Schülerinnen und Schüler verpflichtet sind, entweder Erdkunde oder Geschichte als Grundkurs zu belegen, wollen zum Beispiel zehn Schülerinnen und Schüler Geschichte und 34 wollen Erdkunde. So sieht die Realität aus. Wer Ge
schichte will, hat in diesem System das Nachsehen. Man sitzt dann mit 34 Schülerinnen und Schülern für Erdkunde und für Geschichte geht es dann nicht oder man muss dann irgendwie hoppen zu einer anderen Schule.
Die andere Problematik ist, wenn Sie weniger Lehrer in der Oberstufe haben und die Kurse größer sind, dass dann bestimmte Kurse gar nicht mehr zustande kommen und das ist das nächste Drama. Das gilt vor allen Dingen für die Fächer Chemie, Physik, Informatik, Französisch und Musik. Wenn sich nur elf Schülerinnen und Schüler für einen Physikleistungskurs anmelden, dann kann die Schule das nicht leisten und man wird genau überlegen, ob man den Kurs einrichten wird. Dann klagen wieder alle, dass wir zu wenig Ingenieure haben, zu wenig Physikerinnen und Physiker. Wir wissen ganz genau, dass nur diejenigen, die diese Kurse belegt haben, auch tatsächlich diese Fächer studieren. Da beißt sich die Katze in den Schwanz und insofern sind die Fächer, die an der Uni studiert werden, in diesen Bereichen auch so gering belegt.
Weil in den meisten Oberstufen zu wenig Kurse angeboten werden, gibt es seit Jahren ein florierendes Notprogramm in den Schulen. Mit sehr viel Phantasie und Kreativität basteln die Oberstufenkoordinatoren daran, dass den Schülerinnen ein Mindestmaß an Angebot zur Verfügung steht. Inzwischen fahren Schülerinnen und Schüler durch die halbe Stadt, manchmal bis zu vier Schulen an, um ihren Leistungskurs zu bekommen. Ich habe persönlich natürlich nichts gegen das tolle Engagement der Oberstufenkoordinatoren und der Lehrerinnen und Lehrer und gegen die Kreativität, die ja manchen Schaden von den Schülerinnen fernhält, aber der Ressourcendruck und die Mangelverwaltung kann nicht ernsthaft das Geschäft der Hamburger Oberstufen sein.
Wenn die Schulen dann auch noch dazu übergehen müssen, Lehrer aus dem Unterricht der Unter- und der Mittelstufen herauszuziehen, um die Oberstufenkurse überhaupt bezahlen zu können, dann ist das wirklich ein echtes Problem. Das heißt, die Situation ist unverändert. Wir haben an dieser Stelle in den letzten Jahren schon oft zu diesem Thema gesprochen. Jetzt sind wir im Grunde genommen beim Kern der Sache. Die Oberstufen bluten seit Jahren ressourcenmäßig aus. Viele sind zu klein, um den Schülerinnen und Schülern wirklich ein gutes Wahlangebot geben zu können. Genau das, meine Damen und Herren, war der Grundgedanke der reformierten Oberstufe, die in den Siebzigerjahren eingeführt wurde. Im Mittelpunkt stehen die Schülerinnen und Schüler, die nach ihren fachlichen Interessen ihr eigenes Kursprogramm zusammenstellen. Dieses System sollte so viel Freiheit gewähren, dass eine bestimmte Grundbildung geleistet wird, aber die Schülerinnen und Schüler da, wo sie Stärken haben, wo sie Interesse haben, auch schneller voranschreiten können. Wir wissen, dass gerade die Leistungskurse viel Exzellenz hervorbringen. Das System ist auch so aufgebaut worden, dass später ein Studium möglich ist und die Methoden auch gelernt werden. Also weg von den alten Klassen hin zu Kursen, weg von der vorgegebenen Fächerwahl, hin zu der Verantwortung, die Schwerpunkte selber festzulegen, weg von den vorgegebenen Arbeitsaufgaben – das halte ich für ganz wichtig – zu eigenständigem Arbeiten, Denken und Forschen.
Sicherlich gab es da auch mal Fehlschläge und Probleme, vielleicht auch Rückschritte. Trotzdem halte ich per
sönlich die Reform der gymnasialen Oberstufe für eines der gelungensten Projektes, die man überhaupt in der Bildungslandschaft in diesem Land hinbekommen hat. Viel gab es sowieso nicht.
Schön wäre es, wenn man diese gelungene Reform weiterentwickeln könnte. Man muss sie auch weiterentwickeln, aber, meine Damen und Herren von der CDU, Sie drängen ja mächtig zurück zu alten Idealen und Vorstellungen. Auch die Senatorin will zwar noch wählen lassen, aber arg, arg eingeschränkt. Wählen sollen die Schülerinnen und Schüler in Zukunft vor allem ein Profil. Die GAL hat die Profilbildung nach dem Vorbild der MaxBrauer-Schule immer unterstützt – das ist gar nicht die Frage –, aber es kann nicht angehen, dass das jetzt für alle Schulen vorgeschrieben wird. Es ist nur sinnvoll, wenn diejenigen Schüler, die kein passendes Profil finden, an einem Oberstufenzentrum einer integrierten Oberstufe – wie auch immer, der Name ist da ziemlich egal – auch in Zukunft ein Profil bilden können, damit ihre Interessen und Fähigkeiten tatsächlich abgedeckt sind. Sonst dient diese Idee nur dazu, die vielen – und da sind wir beim Punkt – kleinen Oberstufen an den Gymnasien zu erhalten und die Schülerinnen und Schüler auf Kosten der Wahlfreiheit irgendwie in die Zukunft zu retten und den massiven Ressourcenabbau der letzten Jahre abzufedern und das lehnen wir mit aller Entschiedenheit ab.