Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal scheint die Zeit gekommen für eine Analyse einer Krise der Europäischen Union – nicht zum ersten Mal. Lassen Sie mich sagen, Bündnis 90/Die Grünen und auch die GAL in Hamburg haben den Verfassungsprozess seit dem Europäischen Konvent – also von Anfang an – aktiv unterstützt. Wir haben Joschka Fischer als erstes hochrangiges Regierungsmitglied persönlich in den Konvent geschickt. Wir haben das aus unserer Überzeugung heraus getan: Veränderungen in der Europäischen Union sind notwendig, die Europäische Union muss für die Bürgerinnen und Bürger fassbarer, transparenter und in sich selbst entscheidungsfähiger werden.
Mit den gescheiterten Referenden über die Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden scheint dieser Weg zunächst wieder verbaut. Wir müssen beachten, das ganz unterschiedliche Motivationen bei den Verfassungsgegnern zu ihrer Ablehnung geführt haben. Den einen bedeutete die Verfassung zu wenig Europa, den anderen bedeutete sie zu viel Verlust an nationalstaatlicher Macht. Man kann das Ergebnis der Referenden also nicht als reine Europaskepsis lesen. Wir alle wissen, wie europäisch unsere Nachbarn in Frankreich und in Holland denken und wie sie fühlen. Wir müssen es als einen Auftrag verstehen, in Zukunft Europa besser zu machen.
Eines haben die Referenden auch gezeigt, der Druck, dieses Europa in Zukunft besser zu machen, ist politisch da. Wir meinen, an dem Ratifizierungsprozess in den noch ausstehenden Staaten muss jetzt natürlich festgehalten werden. In der EU haben alle Mitgliedstaaten mit zu entscheiden, jedes Land muss die Möglichkeit haben, zu diesem Verfassungsentwurf Stellung zu beziehen. Erst danach können wir ausgewogen endgültig entscheiden, wie es weitergehen soll.
Natürlich ist es ärgerlich, wenn sich vieles an Kritik an der Verfassung an Bereichen festmacht, in denen die Verfassung selber einen klaren Fortschritt gegenüber dem jetzt gültigen Stand von Nizza darstellt. Natürlich würden wir Europapolitiker die Integration auch schneller haben wollen, als sie jetzt vielleicht kommen wird. Aber, ich denke, wir alle in diesem Raum sollten unsere persönlichen Lehren aus den Ergebnissen in Frankreich und in Holland ziehen. Wir müssen verstehen, die Menschen wollen Europa, die Menschen wollen den Wirtschaftsraum Europa, sie wollen die Freizügigkeit, sie wollen die Sicherheit und den Frieden. Die Menschen in Europa wollen aber auch ein soziales und ein nachhaltiges Europa und es ist unsere Aufgabe zu erklären, warum die EU auch das für sie leistet.
Manch einer unter uns in diesem Saal mag in diesen Tagen geneigt sein zu lamentieren. Das mache ich auch öfter und gar nicht so ungern.
Warum, fragen wir uns, schicken die Menschen kein Stoßgebet in Richtung Brüssel, wenn sie zum Telefonhörer greifen und billiger telefonieren als vor einigen Jahren? Warum dankt es niemand der Europäischen Union, dass jetzt ausgezeichnet werden muss, wenn Gentechnik in ihrem Essen ist? Warum belohnt niemand Brüssel dafür, dass er jetzt zwei Jahre lang seinen Fernseher zurückgeben kann und nicht wie vorher nur ein halbes Jahr? Warum verstehen noch nicht einmal hamburgische Senatoren, dass Vorhaben wie die Feinstaubrichtlinie oder die Chemikalienverordnung der Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger dienen und nicht irgendwelcher Bürokratie?
Ich bin davon überzeugt, nur ein Weg führt aus dieser Sackgasse: Wir müssen Europa wieder mehr an die Menschen bringen und ich bin überzeugt, wir müssen Europa in Hamburg diskutieren, und zwar ernster, sachlicher und vor allem früher, als wir es bisher getan haben.
Das heißt für alle 121 Abgeordneten der Bürgerschaft, wir brauchen in der Bürgerschaft mehr öffentlichen Streit über konkrete Vorhaben der Europäischen Union und nicht nur Interessenpolitik in Hinterzimmern von Regierungen oder Sonntagsreden einzelner Politiker.
Sie haben das Thema zur Debatte angemeldet, ein erster Schritt, hoffentlich machen Sie auch weiter in der Richtung. Dazu kommen wir gleich.
Lassen Sie uns nämlich künftig über mehr wichtige europäische Themen fachlich anspruchsvoll im Europaaus
schuss und in der Bürgerschaft streiten. Nur so können wir zu einer lokalen Meinungsbildung beitragen und so können wir auch die Auswirkungen, die Europa in Hamburg hat, für die Menschen deutlich machen. Lassen Sie uns gemeinsam der Bürgerschaft mehr Informationen und Mitwirkung an der Europapolitik Hamburgs im Bundesrat gewähren. Dazu haben wir einen Antrag vorgelegt. Also gehen Sie den zweiten Schritt, nachdem Sie das Thema zur Debatte angemeldet haben, und stimmen Sie auf der nächsten Sitzung unserem Antrag zu, Herr Hesse.
Ich möchte zum letzten Punkt kommen, zur Vorbildfunktion von Abgeordneten, von der oft geredet wird. Ich möchte, dass wir 121 hamburgische Bürgerschaftsabgeordnete als Vorbild gemeinsam vorangehen und die Verfassung, die bei uns ja ratifiziert worden ist, zum Auftrag nehmen, unsere eigene Arbeit zu überdenken. Ich möchte mit Ihnen allen gemeinsam künftig auch in Hamburg so konsequent über europäische Entscheidungen streiten und versuchen, an ihnen teilzunehmen, dass wir in Hamburg mehr Bewusstsein sowohl in Parteien als auch in den Medien als auch in der Bevölkerung schaffen, dass auch wir Hamburgerinnen und Hamburger europäische Bürgerinnen und Bürger sind.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich teile die Auffassung des Hauses, dass wir in Hamburg viele gute Gründe haben, das Ergebnis der Volksabstimmung und damit die Verzögerung des Prozesses der Ratifizierung der Europäischen Verfassung zu bedauern. Wenn wir Bilanz ziehen zwischen der heutigen Situation Europas und der Entwicklung seit dem Krieg bis heute, müssen wir aus Hamburger Sicht und als Europäer feststellen, dass uns der europäische Einigungsprozess in vielen grundsätzlichen Fragen Vorteile gebracht hat. Dass wir in Europa seit 60 Jahren Frieden haben, ist ein Ergebnis dieses Einigungsprozesses, den man gar nicht überschätzen kann. Das ist mit das größte Verdienst des sich vereinigenden Europas.
Ein weiterer Aspekt ist natürlich, dass wir in Hamburg Nutznießer dieser Entwicklung sind. Unsere guten Zahlen im Außenhandel sind zum großen Teil auf die Erweiterung der Europäischen Union zurückzuführen. Auch der Wegfall von Handelsschranken hat unserer Stadt, die vom Außenhandel lebt, und der Region natürlich große Vorteile gebracht.
Gerade in Zeiten der Globalisierung ist es wichtig, für alle Menschen in Europa verbindliche soziale Standards zu vereinbaren, und zwar nicht nur in einem Land, sondern in einer ganzen Region, auf einem ganzen Kontinent. Das wird uns die Kraft geben können, die Globalisierung erträglicher zu machen. Auch das ist nicht zu unterschätzen.
Wie soll es weitergehen, meine Damen und Herren? Wir haben verschiedene Meinungen gehört. Die Ergebnisse der Volksabstimmungen in Frankreich und in Holland und auch das Zurücknehmen der Volksabstimmung in Großbritannien, weil man ein Nein befürchtete, sind nicht die Ursache dieser Krise Europas, sondern sie sind ein Symptom dieser Krise. Worin liegt diese Krise begründet?
Ich glaube, dass wir alle, die wir von Europa sprechen, lange dazu geneigt haben, die Schwierigkeiten und die Divergenzen, die es objektiv gibt, mit Schönwetterreden zu verkleistern. Machen wir uns nichts vor, es gibt unterschiedliche Auffassungen über die Aufgaben des weiter zusammenwachsenden Europas, unabhängig vom Text der Verfassung. Die Franzosen sagen zum Beispiel: Wir wollen im Zuge der Globalisierung nicht auf die mitteleuropäische Tradition der Daseinsvorsorge verzichten, wir wollen gewisse soziale Standards vom Staat garantiert bekommen, wir wollen darum im Prinzip eher weniger als mehr Markt. In Großbritannien ist das Gegenteil die herrschende Meinung. Dort wird gesagt: Mehr Liberalität, mehr Markt, mehr angelsächsische Prinzipien. Das ist hoch umstritten zwischen diesen Völkern.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob wir die EU erweitern oder vertiefen wollen. Wenn man ehrlich ist, muss man feststellen, dass das in vielen Ländern umstritten ist. Nicht umsonst argumentiert die Regierung in Großbritannien, aber auch die Bevölkerung, eher für eine Erweiterung, weil von ihr erhofft wird, dass Europa mehr in Richtung lockerer Staatenbund geht, während andere Länder mehr in Richtung Bundesstaat gehen wollen.
Machen wir uns nichts vor, die Finanzbeziehungen zwischen den Staaten Europas sind völlig ungeklärt. Die Frage, wie die neuen Fördergebiete finanziert werden sollen, ob zulasten Portugals oder Spaniens, ist umstritten. Wie die Erweiterung bezahlt werden soll – wollen wir mehr für Europa bezahlen oder wollen wir die Gelder anders verteilen –, ist umstritten. Die Frage der Beiträge einzelner Länder, allen voran des deutschen Beitrags – wir sind nach wie vor Netto-Meistereinzahler in Europa –, ist umstritten. Die Frage des "Thatcher-Rabattes" für Großbritannien ist umstritten. Das heißt, trotz der guten Regelungen in der Verfassung sind viele Punkte, die für Europas Zukunft wichtig sind, nach wie vor in der Europäischen Union hoch strittig. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
Vor diesem Hintergrund ist es auch unklug, "auf Deubel komm raus" den Ratifizierungsprozess fortzusetzen. Das ist meine ganz persönliche Überzeugung und hat mit der CDU gar nichts zu tun. Wir wollen ja streiten, hatten Sie vorhin gesagt, Herr Kollege. Ich glaube, dass es daher klug ist, eine Denkpause zu machen und zu versuchen, diese Fragen offen zu benennen und zu lösen und dann zu sagen, wir gehen diesen Prozess nach Klärung dieser Fragen weiter. Meine große Sorge ist – das zeigen auch die Umfragen –, dass die Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses dort, wo es Volksabstimmungen gibt, dazu führen wird, dass immer mehr Länder nein sagen werden. Machen wir uns bitte nichts vor über die Stimmung der
deutschen Bevölkerung. Das muss nicht unbedingt Maßstab für das politische Handeln sein, darüber sind wir uns einig.
Herr Neumann, es ist witzig, dass Sie Krankenhäuser nennen. Auf Regierungsseite wird gesagt, man solle den Ratifizierungsprozess fortsetzen, obwohl in Holland und Frankreich nein gesagt wurde. Sie sagen, egal wie die abgestimmt haben, wir machen weiter, und hier sagen Sie das Gegenteil. Das ist ein bisschen drollig.
Wer das Zusammenwachsen Europas will, was ich persönlich will, wer die Europäische Verfassung will, die ich will, wer will, dass wir diese Region Stück für Stück erweitern und auch Hilfsbereitschaft gegenüber schwächeren Länder zeigen, der muss zunächst diese offenen Fragen klären, sie dann vertiefen und weitermachen. Ich fürchte, der Weg, weiterzumachen wie bisher, der wird nicht gut gehen. – Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Ich habe mich gefragt, warum die CDU dieses Thema in der Hamburgischen Bürgerschaft angemeldet hat.
Nach dem Beitrag des Bürgermeisters war es mir klar. Man suchte wieder einen relativ schönen Anlass, eine inhaltslose Sonntagsrede zu halten und dem Bürgermeister damit ein Podium zu bieten.
Der Kollege Sarrazin hat das Stichwort "Sonntagsrede" angesprochen. Was hat der Bürgermeister gerade abgeliefert? Er hat wieder wunderbar aufgezählt, welche Probleme es in Europa gibt. Aber gab es in irgendeiner Form, in irgendeiner Frage seitens dieses Bürgermeisters das Zeigen von Führung, von Entscheidungskraft? Hat er gesagt, was er in Europa will? – Fehlanzeige.
Sie mögen mir das verzeihen, Sie haben zu Ihrem und dem Lieblingsthema der Konservativen in diesem Land bemerkenswerterweise nichts gesagt. Volker Rühe hat schon seine persönlichen Konsequenzen ob der Zerstrittenheit der Hamburger CDU gezogen.
Wir haben das Phänomen, dass Sie, Herr Bürgermeister, für die Aufnahme der Beitrittsverhandlung mit der Türkei eintreten, dass aber Ihre Partei, Ihre Fraktion, einen völlig gegensätzlichen Kurs fährt. Auch dazu haben Sie heute, Herr Bürgermeister, wieder nichts gesagt.