Protocol of the Session on April 13, 2005

"Die Rahmenbedingungen"

so fährt die Psychologin weiter fort –

"werden den Ressourcen und Defiziten der Jugendlichen nicht gerecht."

So ist ihr Fazit. Sie kann zwar noch einmal zum Bleiben bewegt werden, allerdings nur, um ein Jahr später erneut zu kündigen. Auch dieses Mal begründet sie ihren Schritt ausführlich. Die pädagogische Leitung, die wackeren, aber überforderten Betreuer in der Einrichtung Feuerbergstraße setzen nach ihrer Ansicht allein auf Repression. Verhaltenstherapeutische Verstärkerprogramme und soziales Lernen finden nicht mehr statt. Sie erlebe bei den Jugendlichen einen Leidensdruck, der sich in aggressivem Verhalten, Selbstverletzung und depressiver Stimmung zeige, eine gefährliche Eskalationsstufe, für die Frau Senatorin Schnieber-Jastram und der Staatsrat Meister die Verantwortung tragen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir sind bei den Fakten noch nicht am Ende. Im selben Monat, im März 2004, berichtet der zuständige Behördenmitarbeiter, Dr. Bange, dem Staatsrat von zuviel Mitarbeiterfluktuation, von Übergriffen gegen Betreuer, von der Erschöpfung des Personals, von Waffen und Drogen, die von außerhalb in das Atrium geworfen werden und von dem Machtkampf zwischen Jugendlichen und Erziehern und dass die Jugendlichen damit gedroht hätten – so wortwörtliches Zitat –,

"die Einrichtung wieder zu übernehmen."

Im Juni 2004 spitzt sich die Situation erneut zu. Der Einrichtungsleiter, Herr Weiland, schreibt an den Geschäftsführer des LEB, Herrn Müller, dass die Situation sich extrem verschlechtere. Die Jugendlichen beleidigen, bedrohen und attackieren die Mitarbeiter, die Betreuer seien ständig in der Defensive. Weiland meldet ein extremes Gefahrenpotenzial für Mitarbeiter an Leib und Leben. Zur gleichen Zeit gibt Frau Senatorin SchnieberJastram eine Erfolgspressemitteilung heraus. Was sie allerdings verschweigt, ist, dass zwei Mitarbeiter in dem Zeitraum gekündigt haben, beide, weil sie nicht mehr dafür garantieren können, in dieser gewaltgeladenen Situation beim nächsten Konflikt nicht selber körperlich gegen die Jugendlichen vorzugehen. All dies übrigens, nachdem sich drei Jugendliche mit einer zerschlagenen Glühbirne am Hals aus der Anstalt freipressen wollten. Diese Meldung von Herrn Weiland wird bis auf die Präsidialebene der Behörde durchgereicht.

Im November 2004 erklärt der Einrichtungsleiter schließlich, man konzentriere sich im Heim nun auf eine Gruppe von vier Jungen, die als erreichbar gelten. In einer weiteren Gruppe befänden sich die übrigen Jugendlichen, die verstärkt von Securitas bewacht werden, Securitas S- und U-Bahn-Begleitung. Die pädagogische Betreuung durch uns – so wird weiter ausgeführt – ist ausgedünnt und wird in dieser Gruppe jeweils so eingesetzt, wie das

Personal gerade vorhanden ist. Übrigens, in diese pädagogisch kaltgestellte Gruppe kommen sämtliche Neuaufnahmen der Feuerbergstraße. Auch hierfür tragen Sie, Frau Senatorin Schnieber-Jastram, die Verantwortung.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Und wir sind noch nicht am Ende. In einem Gesprächsvermerk vom 25. Januar 2005 beklagt sich schließlich der Einsatzleiter der Securitas, der Wachgesellschaft, die ich vorhin erwähnte, bei der Heimleitung und dem Landesbetrieb Erziehung, dass Securitas-Mitarbeiter gelegentlich auch für Quasi-Betreuungs- und Beschäftigungsarbeiten eingesetzt werden und einige Male mit Jugendlichen allein gelassen werden. Das nenne ich einen Skandal.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Zwar lässt die Behörde das Gelände erweitern, es wird eine neue Psychologin gefunden, wenngleich auch nur für drei Monate, es wird der Sicherheitsdienst verstärkt – im Dezember 2004 findet sich dafür eine Rechnung über 36 000 Euro in den Unterlagen –, aber trotzdem steigt der Gewaltpegel weiter, vielleicht auch gerade deshalb.

Es fehlt bei Ihnen und auch in der Einrichtung jede Reflektion darüber, warum die Gewalt so eskaliert und wie die Einrichtung, aber vielleicht auch Ihre Politik dazu beigetragen haben. Keine Ihrer Maßnahmen hat auch nur im Entferntesten dazu beigetragen, ein Klima zu schaffen, das Erziehung möglich macht. Auch hierfür tragen Sie, Frau Senatorin Schnieber-Jastram, die Verantwortung.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Mittlerweile haben fast so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Einrichtung wieder verlassen, wie Jugendliche in ihr betreut wurden. 20 Mitarbeiter sind gegangen, 25 Jugendliche wurden betreut. Mit großen blauen Augen versichert uns der Senat in der vorhin erwähnten Großen Anfrage, er wisse nicht, warum so viele ausgeschieden seien. Wer in die Akten guckt und sich mit den Tatsachen befasst, weiß, warum diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Feuerbergstraße verlassen haben.

Außer Selbstverteidigungskursen haben Träger und Behörde den überforderten Mitarbeitern kaum Unterstützung, beispielsweise durch externe Supervisionen und Fortbildung, zukommen lassen. Viele sind gegangen, weil sie eine pädagogische und therapeutische Arbeit mit diesen Rahmenbedingungen für unmöglich hielten. Viele übrigens, die von dem Konzept einer geschlossenen Unterbringung begeistert waren. Viele sind gegangen, weil sie die Gewalt nicht mehr ertragen konnten. All das ist keine Phantasie der Opposition, all das sind die Realitäten, die sich in den Akten wiederfinden.

Die CDU lädt uns nun zu einem historischen Exkurs ein.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Der dauert nicht lange!)

Unabhängig davon, dass ich diesen historischen Exkurs fachlich für überflüssig halte, will ich trotzdem für meine Fraktion festhalten, dass ich es für fragwürdig halte, ob Sie mit diesem Zusatzantrag den Bestimmungen des PUA-Gesetzes Rechnung tragen. Wir behalten uns vor, diese Frage zur gegebenen Zeit überprüfen zu lassen, denn in Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren, geht es nicht darum, eine historische Aufarbeitung der geschlossenen Unterbringung in der Jugendhilfe hinzubekommen, sondern hier geht es um die skandalö

sen Vorgänge in der Feuerbergstraße, für die Ihr CDUSenat die Verantwortung trägt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wer die Große Anfrage und auch die Fragestellung genau gelesen hat, wird nicht verwundert sein, dass wir einen weiteren Punkt erleben werden, nämlich dass die CDU versuchen wird, die Schuld dieser Missstände nicht bei Staatsrat Meister oder bei der Senatorin zu finden, sondern bei den Jugendlichen selber.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Bei Ihnen!)

Ich darf Sie daran erinnern, dass wir seit der EnqueteKommission über diese Jugendlichen reden und genau für diese Jugendlichen soll jene Einrichtung sein, für die Sie die äußerst ungeeigneten Mittel, nein, die gefährlichsten Mittel einsetzen. Weil das so ist, werden wir heute gemeinsam mit der GAL einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantragen und auch beschließen, weil zu klären ist, wieso es zu dieser Gewalt gekommen ist. Wir werden klären müssen, wieso aus Fahrlässigkeit seitens des Senates Vorsatz wird, denn mittlerweile wusste er über jeden einzelnen Schritt Bescheid. Wir werden auch die Frage zu stellen haben, ob die Behördenleitung ihre Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter, aber auch für die Jugendlichen wirklich wahrgenommen hat, oder ob sie ein eher amoklaufendes politisches Prestigeobjekt sich selbst überließ, weil die Ergebnisse weniger wichtig erschienen als der kaum noch aufrechtzuerhaltende Eindruck, dass man hier endlich entschieden durchgreifen täte. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält der Abgeordnete Weinberg.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Herr Böwer, Sie haben gerade sehr ausführlich einzelne Details der Vergangenheit über die geschlossene Unterbringung dargestellt.

(Zurufe von der SPD: Vergangenheit?)

Sie haben sich mit Ihrer Fraktion für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss entschieden, also für das bekanntermaßen spitze und auch das schwerste Schwert, das die Opposition und die Regierung in der Hand hat. Ich unterstelle Ihnen jetzt einfach mal, dass Sie diesen parlamentarischen Untersuchungsausschuss in erster Linie für eine Kampagne missbrauchen wollen. Ich werde das auch deutlich machen, warum.

(Beifall bei der CDU)

In Ihren Aussagen haben Sie sich inhaltlich geäußert. Das ist richtig, aber Sie haben nicht mit einem Satz Stellung dazu genommen, wo Sie als Opposition in den letzten zwei, drei Jahren mit den parlamentarischen Möglichkeiten, die Ihnen zur Verfügung stehen, nicht weitergekommen sind. Wir haben die geschlossene Unterbringung dauerhaft im Ausschuss besprochen. Sie waren im letzten Jahr leider nicht im Ausschuss, haben an keiner Sitzung teilgenommen. Wenn Sie da gewesen wären, hätten Sie Fragen stellen können und die Fragen wären geklärt worden.

Wir haben – und Sie selber zitieren dauerhaft aus Ihrer Anfrage – alle Problembereiche kleingearbeitet und Sie

selber haben auch an der Akteneinsicht teilgenommen. Das heißt, der Senat hat dem Parlament alle zur Verfügung stehenden Mittel an die Hand gegeben, über die einzelnen Fälle Aufklärung zu leisten und das wir richtig und auch gut so. Deswegen verwundert es mich, dass Sie dieses schwere Schwert jetzt tatsächlich in die Hand nehmen, denn Sie selber – und Ihre Rede habe ich schriftlich noch kurz lesen können, es gilt das gesprochene Wort, aber ich habe Ihre wissenschaftliche Ausführung auch analysiert –

(Bernd Reinert CDU: Wissenschaftlich?)

legen sich auf Schriftliche Kleine Anfragen, auf Große Anfragen, auf die Akteneinsicht und auf Protokolle fest. Ihnen als Opposition liegt also alles vor, was Sie aufklären müssen. Das heißt, in der Summe haben Ihre Aussagen nicht die Substanz, die nach unserer Ansicht einen PUA rechtfertigen, dass Sie dieses schwere Schwert einsetzen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn ich jetzt formulieren würde, dass dazu noch der Faktor hinzu kommt, dass ein PUA nicht nur aufwendig, sondern auch finanziell einen gewissen Aufwand mit sich bringt, dann würden Sie mir wahrscheinlich vorwerfen, dass es mir nicht um die Sachpolitik gehen würde, sondern nur Geld sparen will. Das ist nicht mein Vorwurf. Das war der Bund der Steuerzahler, der diesen Vorwurf erhoben hat.

(Michael Neumann SPD: Der sagt auch, der Senat sei zu groß und muss verkleinert werden!)

Ich gebe nur wieder, Herr Neumann.

Seit Beginn der geschlossenen Unterbringung haben wir dieses Thema ausführlich bearbeitet.

Ich glaube auch etwas anderes und komme auf den Zusatzantrag, den wir heute gestellt haben. Sie haben kritisiert, Sie wollen nicht ins vergangene Jahrhundert. Das wollen wir auch nicht. Aber auch die Frage von Ursache und Wirkung, auch politisch, muss dann in einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit eingebracht werden.

Herr Neumann, Sie waren vor 2001 konzeptlos und sind es auch nach 2001. Genau das wollen wir in diesem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufarbeiten. Es geht nämlich nicht nur darum, die Frage zu stellen, was in jedem Einzelfall genau passiert ist, sondern es gilt dann auch die Frage zu bearbeiten, wie sich die Opposition, wie sich die Sozialdemokratie in dieser Frage einlässt. Bisher sind Sie nicht in der Lage gewesen, ein Konzept oder eine Strategie zu entwickeln, die als alternative Strategie besprochen werden kann. Bisher winden Sie sich nur und deswegen wollen Sie auch diesen PUA nutzen, um weitere Monate Sachen kleinzuarbeiten und nach Möglichkeit dem Senat einen Vorwurf zu machen.

Angesprochen sind die schlimmen Vorgänge in der geschlossenen Unterbringung. Es muss aber auch die Frage gestellt werden, ob es eine Alternative gibt. Sie haben sie nicht benannt, weil Sie letztendlich keine Alternative haben. Ich will mich jetzt auch gar nicht über die Biografie und über das auslassen, was sich dort teilweise abgespielt hat, aber die geschlossene Unterbringung ist letztendlich das Ergebnis dessen, dass wir in der Jugendhilfe bis zum Jahre 2001 keine Alternative hatten. Fast alle Jugendlichen, die in der geschlossenen Unterbringung

sind, haben alle Maßnahmen der Jugendhilfe durchlaufen. 25 Personen mit insgesamt 571 Straftaten sitzen dort. Es sind die schwierigsten Fälle. Wir sind da, glaube ich, auch einer Meinung. Es sind Fälle, die pädagogisch betreut werden müssen und auch betreut werden. Das sind Jugendliche, die Gewalt gegen sich selber verübt haben, Gewalt gegen Jugendliche und Gewalt gegen Eltern. Sie haben die Akten gelesen. Sie wissen, welche Jugendlichen das sind, von der Psychiatrie bis zum Jugendstrafvollzug.

Natürlich ist es auch eine besondere Situation, wenn 20 Beschäftigte innerhalb dieser Zeit kündigen. Ich persönlich und, ich glaube, viele hier würden und könnten diese Arbeit nicht leisten. Es ist eine schwierige Aufgabe, aber es gibt keine Alternative zu dieser Aufgabe. Sie haben die Fälle angesprochen und gesagt, es seien 184 Vorfälle in der geschlossenen Unterbringung passiert. Dem stehen 284 Fälle gegenüber in Hamburg insgesamt gegenüber. Jetzt könnten Sie natürlich nach vorne kommen und sagen, dort seien es 25 Jugendliche und hier 3500 Jugendliche. Das ist richtig. Aber ich möchte noch einmal deutlich betonen, dass sich in dieser geschlossenen Unterbringung die Fälle befinden, die bereits alle anderen Jugendhilfemaßnahmen durchlaufen haben. Dann ist es, glaube ich, auch richtig, dass man hier pädagogisch arbeitet.

Es wurde gesagt, Securitas würde jetzt durch die S-BahnKontrolleure – so wurde das ungefähr formuliert – pädagogische Arbeit leisten. Das stimmt einfach nicht. Das ist nicht richtig, Herr Neumann.

(Michael Neumann SPD: Das macht Securitas auch nicht!)