Protocol of the Session on November 24, 2004

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Zunächst zum Antrag aus der Drucksache 18/1283. Wer möchte ihn beschließen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wer stimmt dem CDU-Antrag aus der Drucksache 18/1222 zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Ich rufe Punkt 8 auf, Drucksache 18/937, Große Anfrage der SPD-Fraktion: Weiterhin unhaltbare Zustände bei der Schuldnerberatung?

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Weiterhin unhaltbare Zustände bei der Schuldnerberatung? – Drucksache 18/937 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Sozialausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Herr Grund.

Meine Damen und Herren! Innerhalb eines Jahres ist die durchschnittliche Wartezeit bei der Schuldnerberatung um 50 Prozent auf jetzt neun Monate angestiegen. Die Warteliste hat sich um ein Viertel verlängert. Das ist die Bankrotterklärung der Senatspolitik in Sachen Insolvenzberatung.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Für mich steht die Sozialsenatorin kurz vor einem Bruch ihres Amtseides. Immerhin hat Frau Senatorin SchnieberJastram in diesem Saal geschworen, dass sie die Gesetze einhalten und Schaden von der Stadt abwenden wolle. Mit ihrem Kurs in der Schuldnerinsolvenzberatung macht sie jedoch das exakte Gegenteil.

Als das Thema vom Senat aufgegriffen wurde, wurde uns weisgemacht, dass alles anders und besser werden würde, man wolle 20 Prozent der Kosten sparen, die Schuldner würden noch schneller beraten und betreut. Die Idee ist bekannt. Die staatlichen Schuldnerberatungsstellen sollten zugunsten von privaten Schuldnerberatungsstellen – überwiegend gemeinnützige Schuldnerberatungsstellen – aufgegeben werden. Den Sozialdemokraten wurde vorgeworfen, dass sie ein ideologische Problem hätten, weil sie das so nicht wollten. Das ist ein ziemlicher Unsinn.

Ich will daran erinnern – ich war persönlich daran beteiligt –, dass es die Sozialdemokraten gewesen sind, die erstmals private und freie gemeinnützige Einrichtungen – wie ganz speziell das Diakonische Werk und auch die Verbraucherzentrale – in die Schuldnerberatung einbezogen haben. Insoweit gibt es überhaupt keinen ideologischen Streit, sondern es geht in dieser Sache einzig und allein um die Frage, was für die betroffenen Menschen in der Stadt geschieht.

Tatsache ist, dass das Konzept der Verlagerung aus den bezirklichen Schuldnerberatungen hin in die privaten, gemeinnützigen Einrichtungen hinein allerdings vor dem Problem steht, dass jetzt die bezirklichen Schuldnerberatungen personell leer laufen und die Nachfrage nicht mehr gedeckt werden kann. Eine neunmonatige Wartezeit ist – das sage ich hier eindeutig – an der Grenze der Rechts- und Hilfeverweigerung.

Diese neunmonatige Wartezeit bedeutet im Durchschnitt, dass sehr wohl die Wartezeiten in Einzelfällen ein Jahr

und mehr überschreiten. Die Folge ist, dass viele Betroffene resignieren und abspringen. Das Problem der überschuldeten Privathaushalte in dieser Stadt ist aber gewaltig. Schätzungsweise sind 70 000 Haushalte betroffen, also insgesamt 100 000 Menschen. Im Bundesgebiet – so wird inzwischen statistisch nachgewiesen – stieg die Zahl der überschuldeten Haushalte in den letzten zehn Jahren um circa 8 Prozent an. Es gibt jetzt circa 3,5 Millionen überschuldete Haushalte in Deutschland.

Besonders bemerkenswert und bedrohlich ist, dass die Zahl, die Überschuldung von jungen Menschen immer mehr zunimmt; es sind auch Kinder davon betroffen. Statistische Zahlen gibt es darüber nicht, weil rechtlich Kinder keine Schuldner sein können und trotzdem wissen wir heute aus der Praxis, dass auch von Kindern und Jugendlichen Schulden in großem Umfange verursacht werden.

Bundesweit befinden sich circa 12 Prozent aller Betroffenen in der Schuldnerberatung. In Hamburg beträgt die Zahl – also die Zahl der überschuldeten Haushalte, die versuchen, das Problem über eine Schuldner- oder über eine Insolvenzberatung in den Griff zu bekommen – nur 7 Prozent. Das ist ein Alarmzeichen. Ein Grund dafür ist, dass dieser Senat in der Schuldnerberatung in dieser Stadt Sand ins Getriebe geschüttet hat. Hier funktioniert es nicht mehr, die Folgen sind katastrophal.

Ich will dem vorbeugen, dass es wieder mal nur um ein soziales Klimbimthema gehen würde. Das ist definitiv nicht der Fall. Das private Insolvenzrecht ist alles andere als ein Spaziergang. Die Betroffenen haben einen schweren, harten, mühevollen und langen Weg vor sich, bis sie am Ende entschuldet sind. Es ist im besten Sinne des Wortes wirklich Hilfe zur Selbsthilfe, was da geleistet wird. Allerdings kann die Privatinsolvenz nach diesem Recht nicht von privaten Personen selber organisiert werden, sondern es gibt ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren, in das man einmünden muss. Genau dieses Verfahren allerdings ist durch die staatliche Seite zu steuern. Man muss es als Staat nicht selber machen, aber man muss es organisieren, dass es funktioniert. In Hamburg funktioniert es eben nicht.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die Folgen für die Betroffenen sind enorm. Die Überschuldung führt zum Elend für die ganzen Familien, insbesondere die Kinder sind negativ betroffen. Psychische, soziale und gesundheitliche Probleme sind oft die Folge im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen über die Überschuldung. Die Verschlechterung der Lebenssituation tritt sofort ein, vorhandene Arbeitsplätze werden gefährdet und neue sind schwer bis gar nicht zu finden. Es treten Probleme mit den Vermietern auf, Wohnungslosigkeit ist ein Problem, Obdachlosigkeit droht, all das im Zusammenhang mit dem Thema Überschuldung.

Die Schuldnerberatung aber, so ist inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen, untersucht und belegt, führt viele aus diesem Teufelskreis heraus. Warum haben wir in Hamburg wieder solche Probleme mit diesem Thema? Hamburgs Sozialsenatorin, die Frau mit dem eiskalten Händchen, läuft bei den Betroffenen in der Stadt inzwischen unter dem Pseudonym "Thatcher-Jastram". Die Bürgermeisterin gestaltet nicht soziale Politik in der Stadt, sie exekutiert sie.

(Inge Ehlers CDU: Das geht ja nun nicht!)

Die Folgen kann man an vielen Stellen beobachten.

Der Senat von Ole von Beust hat mehrfach belegt, dass ihn das Thema Armut und Not nicht interessiert, dass er die Themenstellung ignoriert. Ich erinnere daran, wie mühsam es ist, vom Senat etwas über das Thema "Entwicklung der Armut in der Stadt" zu erfahren. In aller Regel erhält man dazu eine Fehlanzeige.

Das Elend, das es in dieser wunderschönen Stadt auch gibt, interessiert diesen Senat nicht und die Folgen sind beachtlich. Ich habe es bereits für die Betroffenen dargestellt. Aber selbst wenn der Senat die Folgen für die Betroffenen nicht interessiert, interessieren ihn vielleicht die Folgen für die Stadt. Die Stadt als Kommune ist negativ davon betroffen: dauerhafter Sozialhilfebezug, Abhängigkeit von Sozialhilfe, hohe Bürokratiekosten, Ausfälle bei Unterhaltsleistungen, die der Staat ersetzen muss, Strafverfolgung. Mindestens 18 000 Strafverfolgungen werden jährlich im Zusammenhang mit Überschuldung angedroht. Wie viele der Personen wirklich im Gefängnis enden, wird schon gar nicht mehr gezählt. Das Problem der Obdachlosigkeit hatte ich bereits angesprochen.

Wer zu wenig gegen die Überschuldung von Privathaushalten unternimmt und die Menschen dabei nicht unterstützt, aus dem Problem herauszukommen, der schadet nicht nur den Betroffenen, der schadet auch dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Frau Schnieber-Jastram hat hier mehrfach gesagt – wir zitieren sie immer gerne –:

"Wer Hilfe braucht, der wird sie auch bekommen."

Zum Thema Schuldnerberatung erneut die Feststellung: Alles nur Wortgeklingel, alles nur Lug und Betrug. Es ist nicht so. Wir sind dankbar dafür, dass wir jetzt der Großen Anfrage und der weiteren Haushaltsplanung entnehmen können, dass der Senat sich darum bemüht, in den nächsten Jahren mehr Geld zu investieren, und zwar im nächsten und darauffolgenden Jahr jeweils eine halbe Millionen Euro. Das Geld wird aus den Einsparungen von Hartz IV finanziert; das sei an der Stelle mindestens noch einmal gesagt. Wir unterstützen das und fordern die Senatorin auf, dafür zu sorgen, dass den überschuldeten Menschen in dieser Stadt endlich geholfen wird.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Fischer.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Die benutzt so schmutzige Worte nicht!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Situation der Schuldner- und Insolvenzberatung ist in Hamburg wie auch in allen anderen Bundesländern noch unbefriedigend. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass die Schuldnerberatungsstellen am Ende der Entwicklung der Überschuldung stehen und die Gründe, die dort hinführen, vielfältig sind.

In der Bundesrepublik waren im Jahre 2002 mehr als 3,1 Millionen Haushalte überschuldet. Das sind mehr als 8 Prozent aller Haushalte. Diese Zahlen ergeben sich aus einer wissenschaftlichen Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Überschuldung ist dabei in den letzten Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. Das hat meist nicht nur einen

Grund, fast immer kommen vielfältige Faktoren zusammen. Herr Grund, Sie haben schon einige genannt. Ich möchte noch weitere aufführen: niedriges Einkommen, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Trennung, Scheidung, gescheiterte Selbstständigkeit, unwirtschaftliche Haushaltsführung, fehlende finanzielle Allgemeinbildung,

(Wilfried Buss SPD: Ja!)

aber auch angemessene Angebote von Kredit, Wirtschaft und Handel.

Sie werden bei diesen Voraussetzungen das Problem der Überschuldung kaum durch die Schuldnerberatungsstellen lösen können, sondern müssen vielmehr die Ursachen, die in die Schuldenfalle führen können, wirksam bekämpfen.

(Uwe Grund SPD: Das Problem ist zu lösen!)

Hören Sie zu, meine Damen und Herren.

Dazu gehört zunächst eine zielgerichtete und verlässliche Arbeitsmarktpolitik. Sie müssen darüber nachdenken, wie wir das in unserem Land in den Griff bekommen können. Bis jetzt sind Sie gescheitert.

(Beifall bei der CDU)

Hier hätte Ihre Koalition ein riesiges Betätigungsfeld. Da sollten Sie einmal herangehen, dann würde es bei uns anders aussehen. Dann brauchten wir weniger Beratungsstellen und das muss das Ziel sein.

(Beifall bei der CDU und bei Wilfried Buss SPD)

Und weiter, meine Damen und Herren von der SPD und der GAL: Gestern wurde im Deutschen Bundestag eine Neuverschuldung von 29,3 Milliarden Euro auf 43,5 Milliarden Euro beschlossen. Das ist eine Steigerung von nahezu 50 Prozent. Man darf sich nicht wundern, wenn einfache Bürger ähnlich denken und handeln und bei diesen Vorbildern davon ausgehen, selbst riesige Schulden machen zu können.

(Beifall bei der CDU – Frank-Thorsten Schira CDU: Ja, sehr richtig!)

Den größten Bedarf an sofortiger professioneller Schuldenberatung in der Bundesrepublik haben Gerhard Schröder und Klaus Eichel.

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Wer ist Klaus? Der heißt Wolfgang … Peiner!)

Die Schuldenfalle hat aber, wie sich aus der Zusammensetzung der Gläubiger ersehen lässt, andere Ausgangspunkte. 70 Prozent der Betroffenen sind bei der Kreditwirtschaft verschuldet, ungefähr 42 Prozent beim Versandhandel, 42 Prozent bei Behörden und immerhin 27 Prozent bei Telefongesellschaften. Da haben Politik und Gesellschaft noch einiges zu tun.

(Beifall bei der CDU)