Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir wollen heute eine Große Anfrage debattieren, die sich mit Bevölkerungsentwicklung und Flächenwachstum in Hamburg beschäftigt. Das sollte, könnte man vermuten, der harte Kern der wachsenden Stadt sein, die harten quantitativen Zahlen und Daten. Wenn wir uns die Ergebnisse der Großen Anfrage allerdings angucken, dann müssen wir feststellen, dass dort statt eines harten Kerns eigentlich nur eine große Lücke herrscht.
Wenn wir uns die Entwicklung der Bevölkerung in Hamburg in den letzten 20 Jahren vor Augen führen, sehen wir, dass zwischen 1986 und 2001 die Bevölkerung um rund 150 000 Einwohner zugenommen hat, gut 10 000 Einwohner pro Jahr. Das war ein sehr rasantes Wachstum, das hauptsächlich durch die Wiedervereinigung Deutschlands bedingt war. Die Prognosen bis zum Jahre 2020 sehen ein viel geringeres Wachstum voraus, vielleicht noch 70 000 Einwohner. Das sind die gegenwärtigen Zahlen der zehnten koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung. Das heißt, das Wachstum Hamburgs halbiert sich gegenüber dem vorangegangenen Zeitraum 1986 bis 2001.
Diese Zahlen muss man sich vergegenwärtigen, wenn man über die "Wachsende Stadt" spricht und das zu seinem Leitbild erhebt, denn das ist die Spitze des Berges. Dann trifft auch Hamburg die Wucht des demographischen Wandels und der einsetzende Bevölkerungsrückgang in Deutschland.
Meine Damen und Herren von der CDU, ich würde mir sehr wünschen, dass Sie mit Ihrem Leitbild einmal auf den Boden der Tatsachen zurückfänden. Es wäre sehr wichtig für Hamburg, über die realen Prognosen zu sprechen und uns nicht mit Wachstumsphantasien alter Machart auseinander setzen zu müssen.
Ich möchte Ihnen gerne ein Zitat aus dem Bericht "Deutschland 2020 – Die demographische Zukunft der Nation" zu Gemüte führen.
"Hamburgs Leitbild von der wachsenden Stadt dürfte sich nicht erfüllen. Prognosen des Bundesamtes zufolge wird die Bevölkerung bis zum Jahre 2020 um 1,4 Prozent zurückgehen."
Auch das vom Senat in Auftrag gegebene Gutachten sagt zu Hamburgs Situation, Hamburg dürfte zu den ökono
misch erfolgreicheren Städten zählen, sodass die Hansestadt die Wucht des Alterungs- und Schrumpfungsprozesses weniger und später trifft, als andere Städte im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland. Weniger und später, das ist einerseits betrüblich, andererseits vielleicht auch ein Hoffnungsschimmer, denn darin liegt die Chance Hamburgs. Hamburg hat als Metropole die Chance, seine Bevölkerung längerfristig zu halten und nicht das zu erleiden, was in Ostdeutschland auf breiter Front geschieht und was auch im Ruhrgebiet schon geschieht, dass die Städte an ihren Infrastrukturkosten zugrunde zu gehen drohen und dort in größerem Maße Rückbau erforderlich ist.
Meine Damen und Herren! Dafür brauchen wir eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Wachstumsperspektiven, denn wenn Hamburg darauf setzt, weiter in großem Umfang Flächen zu erschließen und Infrastrukturen neu zu schaffen, dann werden diese Kosten Hamburg in Zukunft sehr stark belasten.
Wenn wir uns dem Flächenverbrauch zuwenden, den wir in unserer Großen Anfrage abgefragt haben, sehen wir allerdings, dass Sie da eine ganz andere Richtung einschlagen. Im Regierungsprogramm wurde angekündigt, den Flächennutzungsplan grundlegend zu überarbeiten mit dem Ziel, neue Bauflächen für Wohn- und Gewerbebau auszuweisen. Das ist eine völlig falsche Richtung in der Entwicklung. Sie gehen in die Randgebiete, wo Sie bereits viele Proteste durch Bürgerbegehren etcetera erhalten haben. Sie gehen in Grüngebiete, in Landschaftsachsen und Sie greifen auf Kleingärten zu. Damit vernichten Sie die Qualitäten Hamburgs als grüne Stadt, die Erholungsgebiete für alle Menschen in unmittelbarer Umgebung ihrer Wohnungen zur Verfügung stellen kann.
Es ist gar nicht notwendig, diese Flächen in Anspruch zu nehmen. Wenn man sich die Prognosen anschaut, erkennt man, dass die Anzahl der Haushalte in Hamburg bis zum Jahre 2020 um circa 35 000 zunehmen wird. Die eigenen Studien des Senats weisen aus, dass der Flächennutzungsplan noch Reserven von circa 46 000 Wohneinheiten beinhaltet. Wenn man die Konversionsflächen hinzurechnet, die zum Glück mittlerweile in der Diskussion eine wesentlich größere Rolle spielen als vor zwei Jahren, kann man dort weitere 15 000 Wohneinheiten realisieren. Das heißt, Hamburg hat ein Potenzial von circa 60 000 Wohneinheiten im bestehenden Flächengerüst.
Warum soll es notwendig sein, neue Flächen zu erschließen, wie es gegenwärtig betrieben wird? In Landschaftsschutz- und Naturschutzgebieten sind gegenwärtig circa 100 Hektar in der Planung, und zwar hauptsächlich durch die erste und zweite Tranche der so genannten "Wachsenden Stadt". Das ist aus unserer Sicht völlig überflüssig. Auch den Kleingärtnern, die in vielen Gebieten der Stadt in Angst versetzt worden sind, könnte es erspart bleiben, wenn die Stadt auf ihre ureigenen und vorhandenen Potenziale zurückgreift.
Ein wichtiges Ergebnis unserer Anfrage ist beispielsweise, dass Hamburg über circa 300 Hektar Bauflächen verfügt, die bereits mit Baurecht ausgestattet sind. Das sind mehr als 2000 Grundstücke mit einer Durchschnittsgröße von 300 Quadratmetern, die bereits erschlossen, mit fertigem Baurecht versehen sind und darauf warten, bebaut zu werden. Das ist für Hamburg eine sehr gute und günstige Ressource, weil sie auch schnell verfügbar ist. Aber der Senat beabsichtigt, leider nichts zu tun, um
diese Ressource zu erschließen. Es wäre aus unserer Sicht vernünftiger, dort Anreize zu setzen, um diese Flächen zu aktivieren – die zum großen Teil natürlich in der Hand privater Eigentümer sind –, als nur auf die großflächige Erschließung von neuen Baugebieten zu setzen, die mit sehr hohen Kosten verbunden ist. Es sollten also erst einmal aus dem eigenen Bestand die Streuflächen entwickelt werden, denn diese 300 Hektar sind bei dem normalen Flächenschlüssel von 50 Wohneinheiten pro Hektar für 15 000 Wohneinheiten geeignet. Das ist ein erhebliches Pfund, mit dem Hamburg wuchern könnte.
Langfristig gesehen muss Hamburg eine nachhaltige Stadtentwicklung verfolgen, die zu einer kompakten Stadt führt. Das Wachstum im Umland stößt an die Grenzen der Stadt und belastet sie mit erheblichen Infrastrukturausgaben. Hamburg hat Potenziale, in der Mitte zu wachsen. Der "Sprung über die Elbe", mit der Möglichkeit, in Wilhelmsburg und in Teilen des Hafengebietes Wohnungen zu schaffen, wird mittlerweile zum Glück auch breit diskutiert. Aber leider bildet sich das weder im Konzept der "Wachsenden Stadt" noch im gültigen Stadtentwicklungskonzept Hamburgs ab. Deswegen brauchen wir dringend eine Überarbeitung des Stadtentwicklungskonzeptes – das geschah zuletzt im Jahre 1995 –, um dieses neue Leitbild zu verankern und deutlich zu machen, dass Hamburg eine Chance hat, nachhaltig und qualitativ in seiner Mitte zu wachsen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Herr Lieven, Ihre Anfrage ist wirklich beeindruckend, beeindruckend lang. Das muss man hier einmal ohne Neid fraktionsübergreifend anerkennen. Mit 62 Fragen und 32 Unterfragen haben Sie eine große Portion Fleiß an den Tag gelegt. Einfach toll!
(Beifall bei der CDU – Antje Möller GAL: Sie soll- ten sich um die Antworten kümmern! Das ist das Spannende!)
Anstatt diese dreißigseitige Anfrage zunächst einmal an den Stadtentwicklungsausschuss zu überweisen, um dort die einzelnen Sachgebiete weiter zu bearbeiten und zu diskutieren, sagen Sie sich: Warum gleich den Ausschuss mit solchen Details belasten, wenn man darüber erst einmal in der Bürgerschaft diskutieren kann?
Schließlich ist hier auch die Presse anwesend. Das nenne ich ein effizientes Arbeiten der Opposition.
Weil Sie, Herr Lieven, bereits für uns alle so fleißig vorgearbeitet haben, möchte ich mich thematisch auf die Überschrift der Großen Anfrage beschränken. Ihre Überschrift trifft doch hoffentlich den Kern? Sie lautet:
Es geht also um die Frage, die Sie auch in Ihrem Vortext aufgeworfen haben: Zwei Millionen Einwohner oder keine zwei Millionen Einwohner? Anders ausgedrückt: Welche Flächen müssen wir in welchem Umfang planerisch ausweisen, damit sie der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung in Hamburg genügen?
Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie viele Menschen zukünftig in Hamburg leben werden. Unsere wissenschaftlich angehauchten Parlamentarier haben dazu selbstverständlich auch einen Rat, Sie haben es ja auch erwähnt, Herr Lieven: Eine Bevölkerungsprognose muss her.
Bevölkerungsprognosen haben nach meiner Meinung immer etwas von Kaffeesatzleserei. Sie haben die Studie der Vereins- und Westbank und die zehnte koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung angeführt. Dort wird von einem Bevölkerungsrückgang von 2,5 Prozent bis zum Jahr 2020 ausgegangen.
Herr Lieven, es gibt aber eine andere Studie, die Sie nicht angeführt haben und die wesentlich neuer ist. Die Studie des Basisdatenausschusses, in der alle Hamburger Behörden vertreten sind, geht von einem Bevölkerungswachstum von 5 Prozent bis 2020 aus.
Ich könnte selbstverständlich sagen, dass die Studie des Basisdatenausschusses richtig ist, weil sie neuer und kleinteilig ist und sich nur auf Hamburg und nicht auf ganz Norddeutschland bezieht. Das tue ich aber nicht. Ich bin nämlich grundsätzlich skeptisch gegenüber Prognosen. Da hilft es wenig – wenn man auch einmal unsere Prognose relativ kritisch betrachtet –, dass der Basisdatenausschuss in seiner aktuellen Bevölkerungsvorausschätzung bis 2020 in mehreren Abschnitten sinngemäß betont, dass Prognosen mit Unsicherheiten behaftet seien, vor allem wenn diese die Zukunft beträfen.
Besonders spannend und weniger ermutigend war für mich in dieser Studie, dass im ersten Absatz betont wurde, dass man sich in der Basisvorausschätzung vom Februar 2000 – da war noch eine andere Regierung im Amt – fürchterlich geirrt habe. Statt dass die Bevölkerung – wie vorausgesagt – in Hamburg stagniere, ist Hamburg in den Jahren von 1999 bis 2004 gewachsen, nämlich um 34 000 Einwohner. Ich als Politikerin frage mich natürlich, was Prognosen wert sind, wenn sie doch nicht eintreffen? Wie Sie sehen, bin ich grundsätzlich sehr skeptisch, weil Prognosen nur bedingt verlässliche Aussagen geben können.
Eines ist sowohl bei der Bevölkerungsvorausschätzung der Vereins- und Westbank als auch beim Basisdatenausschuss in allen Prognosen deutlich geworden: Hamburg kann nur wachsen, wenn es einen Wanderungsgewinn gibt und – das ist die zweite Komponente, die ein bisschen schwieriger zu beeinflussen ist – wenn mehr Kinder geboren werden. Diese beiden Komponenten sind entscheidend. Was sagt uns das als Politiker? Es liegt in unserer Hand, die Rahmenbedingungen in Hamburg so zu gestalten, dass Hamburg eine attraktive Stadt wird.
Wenn man die Prognosen beiseite legt, stellt sich also die Frage: Glaube ich als Politikerin, dass wir es schaffen, dass Hamburg eine so attraktive Stadt wird, um bei den Wanderungsgewinnen zuzulegen? Ich nenne Ihnen einige Argumente, warum ich glaube, dass es gelingen kann.
Für die Bevölkerung werden Städte wieder attraktiver. Die Erwerbstätigkeit von Frau und Mann in der Familie nimmt immer stärker zu. Die langen Fahrtzeiten werden für Familien immer unattraktiver und somit wird ein Urbanisierungsprozess in den nächsten Jahren eintreten. Die steigenden Benzinpreise werden ihr Übriges dazu tun.
Zu guter Letzt wird die Politik der Stadt, die auf ein qualitatives Wachstum aus ist, so attraktiv sein, dass die Familienfreundlichkeit und die positive Arbeitsmarktentwicklung zu einer Sogwirkung nach Hamburg führen wird.
Statt einer Zahl aus einer Prognose nachzulaufen und diese anzupeilen, halte ich das politische Ziel für wichtiger, die Stadt attraktiv zu machen. Das heißt nicht, dass ich davon ausgehe, dass Hamburg demnächst mehr als zwei Millionen Einwohner haben wird, um diese typische Zahl zu nehmen, die ganz gern von der Opposition angeführt wird. Ich bin aber davon überzeugt, dass Hamburg wachsen wird.
Wer jedoch nicht dafür kämpft – die Opposition kämpft überhaupt nicht dafür, sondern versucht, dieses zu zerreden –, der hat bereits verloren. Wir wollen dafür kämpfen.
Entscheidend sind nicht die Prognosen, sondern die Visionen der Politiker. Wir von der CDU-Fraktion haben gemeinsam mit dem Senat Visionen und werden diese umsetzen. Deshalb wird Hamburg immer attraktiver werden. Das wird auch die Bevölkerung merken.
Herr Lieven, Sie haben den Bogen von der Bevölkerungsentwicklung zum Flächennutzungsplan gespannt. Wenn Hamburg wächst, muss sich das selbstverständlich auch auf den Flächennutzungsplan niederschlagen. Was soll der Flächennutzungsplan eigentlich darstellen? Er soll ein gezeichnetes Bild davon sein, wohin die Stadtentwicklung in den nächsten Jahren in Hamburg gehen soll. Es muss sozusagen ein räumliches Zielbild erstellt werden.
Dazu sollten nach Ansicht der CDU-Fraktion drei Leitgedanken im Flächennutzungsplan dargestellt werden.
Erstens muss die Entwicklung der Stadt von innen heraus erfolgen; Herr Lieven, darin sind wir uns einig. Insbesondere bergen die Konversionsflächen dafür enorme Entwicklungspotenziale.
Zweitens müssen sich die großen Leitideen dort wiederfinden, die zurzeit vom Senat entwickelt werden. Am Rande seien hier nur der "Sprung über die Elbe" und die HafenCity angemerkt.