Deshalb lehnen wir auch alle anderen Versuche entschlossen ab, die Volksgesetzgebung in der Manier von Winkeladvokaten auszuhebeln. Das Ergebnis des Volksentscheides darf in diesem Hause nicht ignoriert werden.
Die Volksgesetzgebung in unserer Stadt wurde von uns gemeinsam beschlossen – ich betone: auch von der CDU –, damit die Menschen die Entscheidung dann eben treffen, damit sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ziel war es, Politikverdrossenheit zu bekämpfen. Wir wollten unsere Demokratie stärken. Sie lassen jetzt die Volksgesetzgebung vollständig ins Leere laufen. Sie schwächen damit die Demokratie in unserer Stadt.
Wenn man sich den Beschluss des Senates heute und ihren Antrag anschaut, kann man nur sagen, die Entscheidung des Finanzsenators und seines Bürgermeisters ist Ausdruck der Arroganz der Macht. Der Antrag der CDU ist Ausdruck der Ohnmacht. Sie begehen gemeinsam, CDU und Senat, zumindest moralisch Verfassungsbruch.
Wir haben doch erlebt, was passiert, wenn die Politik die Wünsche, Sorgen und Probleme der Menschen nicht ernst nimmt. Ihre Entscheidung, Ihr Umgang
mit dem Volksentscheid, mit dem Souverän in unserer Demokratie wird Wasser auf die Mühlen von NPD und DVU sein.
(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und der GAL – Bernd Reinert CDU: Wie war das noch ein- mal, Ihr Wahlergebnis in Sachsen?)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mein Parteifreund Dr. Martin Schmidt, der für die GAL die Verhandlungen zur Einführung der Volksgesetzgebung geleitet hat und der einigen auch aufseiten der CDU sicherlich noch bekannt ist, hat mir heute aufgegeben, die Kollegen von der CDU einmal richtig auf den Pott zu setzen. Ich will mir dabei auch alle Mühe geben, denn ich glaube, Sie haben sich das aus mehreren Gründen redlich verdient.
Zunächst einmal ein Wort zum Verfahren. Es ist tatsächlich ein wenig verrückt, dass wir jetzt heute hier abschließend diese Debatte führen sollen, denn erst seit wenigen Tagen liegt der Antrag der Volksinitiative beim Verfassungsgericht überhaupt vor. Bis gestern wusste keiner der hier versammelten Abgeordneten, dass hier heute über die Leitlinien der Stellungnahme der Bürgerschaft zu diesem Antrag abgestimmt werden soll.
Das wäre ja auch nichts Neues, dass hier Dinge abgestimmt werden, von denen doch viele hier nicht den blassesten Schimmer haben. Aber es ist doch tatsächlich eine neue Qualität,
wenn hier über fundamentale und komplizierte verfassungsrechtliche Fragen in einem Hauruckverfahren innerhalb von 24 Stunden ohne Ausschuss abschließend beraten werden soll.
Wenn man so vorgeht, muss man sich tatsächlich nicht wundern, wenn hier die CDU zu dieser schwierigen verfassungspolitischen Frage einen Dreizeiler als Antrag vorlegt und eine – mit Verlaub – doch eher argumentationsarme Debatte führt.
Die CDU-Antwort auf die zahlreichen Argumente, die der sicherlich doch ernst zu nehmende ehemalige Bundesverfassungsrichter Kühling für die Volksinitiative vorbringt, lautet im Wesentlichen: Die Argumente sind uns egal, wir wollen den LBK-Verkauf hier irgendwie durchzocken, wir beauftragen einen Rechtsanwalt, der wird das schon irgendwie vom Tisch kriegen. Das ist im Wesentlichen Ihre Argumentation.
Wenn sich ein Parlament in dieser Art und Weise weigert, eine verfassungsrechtlich haltbare Argumentation zu entwickeln, und diese Aufgaben an einen Anwalt delegiert, dann frage ich mich schon, wie ernst sich diese Bürgerschaft eigentlich nimmt. Aus meiner Sicht machen wir uns mit diesem Verfahren als Verfassungsorgan lächerlich.
Dabei gibt es wirklich gute Argumente für den Antrag der Volksinitiative. Es lohnt sich, sich damit auch inhaltlich
und verfassungsrechtlich auseinander zu setzen. Die Stärkung der direkten Demokratie in der Verfassungsreform von 1996 und in der Erweiterung 2001 – das hat Herr Neumann angesprochen – sollte als Gegenmittel gegen die wachsende Politikverdrossenheit dienen. Wer in den letzten Wochen bei den Volksbegehren, die es gegeben hat, auf der Straße gestanden hat, um Unterschriften für diese Volksbegehren zu sammeln, der konnte auch die Frustration mit den Händen greifen, die in der Bevölkerung bereits herrscht, welche die Ankündigung des Senates ausgelöst hat, den Verkauf der städtischen Krankenhäuser trotz des gegenteiligen Volksentscheides durchzuführen. "Die da oben machen doch eh, was sie wollen", das mussten wir uns ziemlich häufig anhören.
Meine Damen und Herren, wenn Politiker behaupten, dass ein erfolgreicher Volksentscheid im Ergebnis nichts weiter sei als eine bloße Empfehlung, über die wir Politiker uns willkürlich hinwegsetzen dürfen, dann dürfen wir uns auch im Ergebnis nicht wundern, wenn zu viele Menschen uns Politiker für charakterlose Gesellen halten. So produziert man Politikverdrossenheit, so produziert man Nichtwähler, so produziert man Wähler von Populisten – das kennen Sie – und so produziert man auch Wähler von neo-nazistischen Parteien.
(Beifall bei der GAL und der SPD – Bernd Reinert CDU: Wer hat denn den Aufstieg des Populisten zustande gebracht? Das waren Sie!)
Dieser Effekt der Frustration ist das genaue Gegenteil von dem, was mit der Verfassungsreform von 1996 bezweckt war. Der Sinn und Zweck dieser Verfassungsnorm ist tatsächlich auch ein juristisches Argument. Dieses muss vom Verfassungsgericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden.
Wenn die Bürgerschaft dem Antrag der CDU folgen und hier tatsächlich die Meinung vertreten sollte, beim Volksentscheid gegen den LBK-Verkauf handele es sich um nichts weiter als einen unverbindlichen Appell an den Senat und nicht um eine bindende Entscheidung, dann provozieren wir damit auch einen weiteren ziemlich verrückten Effekt, den der Verfassungsgeber damals mit Sicherheit nicht gewollt hat, nämlich den Effekt, dass wir einen Wildwuchs von Einzelfallgesetzen durch Volksinitiativen hervorrufen. Denn um eine bindende Wirkung zumindest gegenüber dem Senat zu erzielen, müsste dann jede Volksinitiative ihr Anliegen in Gesetzesform gießen, auch wenn nur der Status quo erhalten bleiben soll oder wenn es um typische Einzelfallentscheidungen geht, für die wir im Parlament niemals ein Gesetz beschließen würden, weil es eine Einzelfallentscheidung ist. Man muss nicht alles bürokratisch in einem Gesetz regeln. Dieser Effekt, dieses Provozieren von Einzelfallgesetzen wäre nicht nur rechtspolitische hochgradig unerwünscht, er würde auch nicht dem Willen des Verfassungsgebers entsprechen, denn man wollte im Jahre 2001 bei der Novellierung des Artikels 50 der Hamburgischen Verfassung die Volksentscheide ja gerade auf Bereiche außerhalb der Gesetzgebung ausdehnen und damit eben dem Volk nicht die Aufgabe aufgeben, jedes politische Anliegen in die komplizierte und auch fehleranfällige Form eines Gesetzes zu gießen.
Auch das Verhalten des Senates im letzten Jahr zeigt für mich, dass er ursprünglich tatsächlich von einer bindenden Wirkung von Volksentscheiden ausgegangen ist.
Sonst hätte der Senat mit Sicherheit nicht versucht, im letzen Jahr durch den Verkauf des LBK noch vor dem Volksentscheid Fakten zu schaffen. Wir wissen, dass es im Ergebnis nicht gelungen ist, weil dann irgendwann die Mehrheit zusammengebrochen ist und keine Mehrheit in diesem Parlament mehr da war. Aber der Versuch war doch deutlich erkennbar, dass hier einer Bindungswirkung des Volksentscheides durch das Schaffen von Fakten zuvorgekommen werden sollte.
Eine Auslegung von Volksentscheiden als bloßer, unverbindlicher Aufforderung an den Senat unterstellt dem damaligen Verfassungsgeber nichts weniger, als dass er eigentlich so eine Art Volksverdummung wollte. Gucken wir uns doch einmal den Weg an, den so ein Volksentscheid zurücklegen muss. Der ist wirklich lang und teuer. In der ersten Stufe sind 10 000 Unterschriften für die Volksinitiative nötig. Um diese zusammen zu bekommen, müssen die Initiativen ehrenamtlich viele hundert Stunden schuften. Noch größer ist der Aufwand auf der nächsten Stufe, beim Volksbegehren: 61 000 Unterschriften innerhalb von zwei Wochen. Dafür müssen die Unterstützer des Begehrens einen immensen Aufwand treiben, der zehntausende Euro kostet und auch tausende Arbeitsstunden bei den Ehrenamtlichen und innerhalb der Behörden erfordert, die dann ja letztlich dieses Volksbegehren prüfen müssen. Dann, auf der letzten Stufe, beim Volksentscheid, ist ja nochmals ein Aufwand erforderlich, der mit einem Wahlkampf und einer Wahl vergleichbar ist. All das, dieser gesamte Aufwand, sollte dann in einen Appell münden?
Ich will nicht ausschließen, dass der Verfassungsgeber manchmal auch sonderbare Dinge beschließt. Aber so einen Quatsch hat der Verfassungsgeber damals mit Sicherheit nicht beschlossen.
Nichts in den Gesetzgebungsmaterialien spricht für eine solche Auslegung. Es hat damals einfach niemand für möglich gehalten, dass jemals jemand eine solche Auffassung vertreten würde. Im Ergebnis hätte eine solche Auslegung mit Volksentscheiden nicht mehr viel zu tun, sondern nur noch mit Volksverdummung.
Es gibt deswegen eine Bindung durch Volksentscheide, nicht eine unbefristete und unbedingte. Wir haben uns im letzten Absatz unseres Antrages damit näher auseinander gesetzt, wie hier konkurrierende Verfassungsorgane ihre jeweiligen Rechte in praktischer Konkordanz miteinander in Einklang zu bringen haben. Auf jeden Fall aber geht von Volksentscheiden eine Bindung aus, die es der Bürgerschaft untersagt, in zeitlicher Nähe und ohne neue rechtliche oder tatsächliche Gründe einen Volksentscheid willkürlich zu unterlaufen.
Was die CDU hier in Hamburg plant und was der Bürgermeister hier durchziehen will, läuft darauf hinaus, dass alle Staatsgewalt dem Volke ausgeht. Dies ist nicht nur eine Kündigung des Konsenses, der in diesem Hause bisher zur Volksgesetzgebung geherrscht hat. Dies ist ein kalter Putschversuch von oben gegen die direkte Demokratie. Wir setzen darauf, dass das Verfassungsgericht dies nicht zulässt.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Zunächst einmal stelle ich fest, dass die Bürgerschaft die Drucksache 18/923 zur Kenntnis genommen hat.
Wir kommen dann zu dem Überweisungsbegehren. Wer die Drucksachen 18/930 bis 18/932 an den Verfassungsausschuss mit dem Auftrag überweisen möchte, bis zur nächsten Bürgerschaftssitzung eine endgültige Beschlussvorlage vorzulegen, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt.