Protocol of the Session on February 6, 2002

(Glocke)

Ich darf dann die Schriftführerinnen bitten, die Stimmzettel einzusammeln und anschließend auszuzählen.

(Glocke)

Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob alle grünen Stimmzettel abgegeben wurden? – Das ist erkennbar noch nicht der Fall. Ich wäre für Nachholung dankbar. – Aber jetzt. Dann schließe ich die Wahlhandlung. Das Wahlergebnis wird nunmehr ermittelt und ich werde es Ihnen im Laufe der Sitzung bekannt geben.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 und 16 auf, Drucksachen 17/191 und 17/255, Große Anfrage der GAL-Fraktion zum Thema Eröffnungsbilanz öffentlich geförderte Beschäftigung in Hamburg und Antrag der GAL-Fraktion: Neue Chancen nutzen – Arbeitslosigkeit aktiv bekämpfen.

[Große Anfrage der Fraktion der GAL: Eröffnungsbilanz öffentlich geförderte Beschäftigung in Hamburg – Drucksache 17/191 –]

[Antrag der Fraktion der GAL: Neue Chancen nutzen – Arbeitslosigkeit aktiv bekämpfen – Drucksache 17/255 –]

Die SPD-Fraktion beantragt, beide Drucksachen an den Wirtschaftsausschuss zu überweisen. Wird das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Der Abgeordnete Porschke bekommt es.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Ihre Aufmerksamkeit schenken würden.

Ich möchte zwei Vorbemerkungen machen, die auch ein wenig Bezug auf die Debatte nehmen, die wir eben geführt haben.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Meine Damen und Herren Kollegen, der Abgeordnete hat zwar keinen Anspruch auf Ihre Aufmerksamkeit, aber auf Ihre Ruhe und um die bitte ich Sie.

Vielen Dank, Herr Präsident. Als erstes möchte ich auf einen Konsens in diesem Hause hinweisen, weil ich glaube, dass das der richtige Zeitpunkt dafür ist. Es gibt wohl einen Konsens in dem Ziel, die Arbeitslosigkeit, soweit es geht, abzubauen.

Ergebnis siehe Seite 283 A.

Um zum Ziel des Abbaus der Arbeitslosigkeit zu kommen, gibt es vielfältige Stellschrauben. Die Wechselwirkungen sind komplex

(Vizepräsident Peter-Paul Müller übernimmt den Vorsitz.)

und deswegen befinden wir uns in einer Diskussion, bei der sich jeder immer auf die Negativeffekte der Stellschrauben der jeweils anderen Seite bezieht. Das haben wir eine Weile erleben können. Daher glaube ich, dass man sich überlegen muss, wie man in einer solchen Diskussion trotzdem zur Rationalität kommen kann. Ich glaube, dass gerade im Bereich des Abbaus der Arbeitslosigkeit ein Weg zur Rationalität möglich ist, indem man sich die Ergebnisse der Politik anguckt.

Deshalb haben wir eine Große Anfrage gestellt, um eine Art Eröffnungsbilanz dessen zu haben, was in den letzten vier Jahren in Hamburg stattgefunden hat und anhand der Ankündigungen, die vielfach gemacht wurden, auch vom Senator für Arbeit und Wirtschaft, anschließend einen Bewertungsmaßstab zugrunde legen zu können, um Erfolg oder Misserfolg beurteilen zu können.

Zunächst muss man einmal feststellen, dass die Lage am Arbeitsmarkt in den letzten vier Jahren in Hamburg, trotz aller Unkenrufe am Anfang der letzten Legislaturperiode, gerade aus Kreisen der Wirtschaft gegenüber Rotgrün, deutlich besser geworden ist: 30 000 zusätzliche Erwerbstätige, also 30 000 Arbeitslose weniger. Wichtig finde ich auch, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen von über 32 000 auf unter 21 000 gesenkt wurde. Und das alles bei Einkommensverhältnissen, bei denen es sich noch gelohnt hat, arbeiten zu gehen. Dabei hat uns die Bundesregierung natürlich unterstützt. Dazu gibt es einen Zahlenvergleich, der mir sehr wichtig ist, der nämlich belegen kann, was aus Ankündigungen entstanden ist.

In der Zeit der Regierung Kohl, zwischen 1991 und 1997, hat sich das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in Deutschland um 5 Prozent gemindert, und zwar von etwas über 59 Milliarden Stunden auf 56 Milliarden Stunden. Seit 1997 bis 2000 – so lange liegen die Zahlen vor – sind die Stunden noch einmal etwa um eine knappe Milliarde gestiegen. Sie liegen also zwar nur um 2 Prozent höher, trotzdem hat sich die Lage deutlich verbessert.

Dass sich die Lage bei den Beschäftigten deutlich verbessert hat, obwohl das Arbeitsvolumen nicht so rasant angestiegen ist, wie es sich viele erhofft hätten, lag daran, dass wir alle Instrumente zur Unterstützung von Teilzeitarbeit gefördert haben. Das war zum einen die von Ihnen oft kritisierte Regelung der 630-DM-Stellen und andererseits das Gesetz zur Verbesserung der Teilzeitmöglichkeit.

Insofern hat sich die Lage zwar deutlich verbessert, aber man muss einräumen, dass die Situation zum Ende der letzten Legislaturperiode in Hamburg nicht so war, dass man die Hände hätte in den Schoß legen können. Wir hatten zu Beginn der letzten Legislatur ein Verhältnis von 17 Arbeitslosen auf eine offene Stelle und am Ende von sieben oder acht. Aus dem Hause von Herrn Uldall ist zu vernehmen, dass man in anderen Städten nur vier oder sogar nur zwei Arbeitslose auf eine offene Stelle hat. Das ist eine Zielzahl, die wir auch erreichen wollen. Deshalb kann man die Hände nicht in den Schoß legen, sondern muss seine Anstrengungen verstärken.

Die ersten Entscheidungen des neuen Senats geben allerdings Anlass für große Sorgen. Dabei haben sich die Rah

(Vizepräsident Berndt Röder)

menbedingungen sogar noch einmal verbessert. Das JobAqtiv-Gesetz, das auf Bundesebene zum 1. Januar 2002 in Kraft gesetzt worden ist, hat einen wesentlichen Grundgedanken verfolgt, wonach man nämlich für die verschiedenen Arbeitsuchenden maßgeschneiderte Vermittlungskonzepte haben muss. Dazu gehören Instrumente wie das so genannte Profiling, das heißt, dass man sich erst einmal damit beschäftigt, wo die Stärken und Schwächen der jeweiligen Arbeitslosen liegen. Ferner gehört dazu so etwas wie Job-Rotation, wobei Leute zunächst in Arbeitsplätze hinein vermittelt werden, ohne dass es das Unternehmen belastet. Des Weiteren gehört dazu die marktnähere Ausrichtung der Beschäftigungsträger und die Intensivierung der Arbeitsvermittlung.

Dieser Grundgedanke der passgenauen Differenzierung enthält aber auch weiterhin das Instrument der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen bei so genannten Beschäftigungsträgern. Allerdings gibt es auch da eine Innovation. Es gibt Beschäftigungsträger, die Erträge erwirtschaften können und damit auch einen Teil ihrer Tarife bezahlen, und es gibt andere, die das nicht können. Deswegen hat das neue Job-Aqtiv-Gesetz eine Wahlmöglichkeit eingeführt, bei der Beschäftigungsträger beantragen können, ihre ABM-Stellen mit Pauschalzuwendungen finanziert zu bekommen, damit sie auch das, was sie an Erträgen haben, nicht mehr pfenniggenau abrechnen müssen, sondern daraus die Finanzierung ihrer Zielgruppenbeschäftigten leisten können.

Genau diese Wahlmöglichkeit, die das Job-Aqtiv-Gesetz geschaffen hat, um nämlich die Differenzierung auf die verschiedenen Beschäftigungsträger zuzulassen, wird in Hamburg nun aber in ganz infamer Weise missbraucht. Die Wahlmöglichkeit wird nämlich nicht eingeräumt, sondern alle werden gezwungen, die Pauschalförderung in Anspruch zu nehmen. Das hat konkret zur Folge, dass all diejenigen, die keine Erträge erwirtschaften können, davon gibt es eine ganze Menge, und zwar unabhängig von der Frage, ob sie hohe Vermittlungsquoten haben oder nicht, gezwungen werden, die Löhne für ihre Zielgruppenbeschäftigten drastisch zu senken.

Dazu nenne ich ein Beispiel: Ein Beschäftigungsträger lässt Altenpflegerinnen mit anderen Altenpflegerinnen mitgehen, womit man natürlich kein Geld verdienen und auch keinen höheren Tarif bekommen kann. Sie haben mit ihren Qualifizierungsmaßnahmen aber anschließend Vermittlungsquoten von über 60 Prozent. Dieser Personenkreis gehört zu denen, die von den neuen Regelungen, die der Senat einführt, in die Armut getrieben werden. Ich bin der Meinung, dass das eine völlig falsche Auslegung des JobAqtiv-Gesetzes ist. Die Wahlmöglichkeit, die der Bundesgesetzgeber vorgesehen hat, muss unbedingt auch in Hamburg eingeführt werden, um die Passgenauigkeit auf diese Zielgruppen anwenden zu können.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es gibt aber noch ein Element, an dem man viel deutlicher erkennen kann, dass der Zug in die falsche Richtung fährt. Wir haben in Hamburg allein seit September – heute sind neue Zahlen veröffentlicht worden – einen Anstieg der Arbeitslosen um über 8000, also zwischenzeitlich 77 000 Arbeitslose in der Stadt. Bundesweit sind es schon fast wieder 4,3 Millionen, womit wir schon wieder in der Größenordnung sind, wie sie die Kohl-Regierung hinterlassen hatte. In einer Situation, in der alles danach schreit, die Anstrengungen für aktive Arbeitsmarktpolitik zu erhöhen, senkt der Senat aber trotzdem seine Mittel für aktive

Arbeitsmarktpolitik um über 20 Millionen DM oder 11,5 Millionen Euro.

Die dramatische Darstellung der Lage, auch durch den Senat, steht danach im völligen Gegensatz zu seinem Handeln. Bei steigender Arbeitslosigkeit die Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dramatisch zu senken, deutet auf ein hohes Maß an Doppelzüngigkeit hin und weist in die völlig falsche Richtung.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Darüber hinaus führt die Absenkung der Löhne bei den Beschäftigungsträgern dazu, dass viele Leistungen, die von diesen Institutionen zurzeit noch erbracht werden, tatsächlich in Frage stehen. Wir haben in den letzten etwa 15 Jahren in Hamburg ein sehr differenziertes Instrumentarium der aktiven Arbeitsmarktpolitik entwickelt. Wenn man sich das einmal anguckt, sieht man, dass es schon jetzt für alle verschiedenen Zielgruppen ein ziemlich passgenaues Angebot gibt, das man aber immer noch genauer machen kann, und es wird auch alles unterstützt, was in diese Richtung geht.

Das hat einerseits den Vorteil gehabt, dass wir für fast alle Arbeitslosen Angebote hatten. Andererseits waren wir in der vorteilhaften Situation, dass keiner der Langzeitarbeitslosen in dieser Stadt Sorge haben musste, überhaupt keine Chance zu haben, sondern immer nur die, bei denen die Vermittlungshemmnisse klein waren, in den Arbeitsmarkt vermittelt zu werden.

Es hat aber noch einen dritten Vorteil gehabt, denn diese Beschäftigungsträger haben viel für den Nutzen in dieser Stadt geleistet: Schulmensen, Obdachlosenspeisung und selbst die Sanierung des Michel und des Stuhlmannbrunnens und – wie ich vorhin hörte – die Gehörlosendolmetscher. Das alles sind Leistungen für das Gemeinwesen, die sonst unbezahlbar gewesen wären. Diese Leistungen drohen verloren zu gehen, wenn diese Landschaft mit einer so brutalen Maßnahme an die Wand gesteuert wird.

Darüber hinaus konnte ich den Senatsankündigungen entnehmen, dass auch das Programm, das wir früher „Tariflohn statt Sozialhilfe“ genannt haben, an diese Mini-Löhne angepasst werden soll. Sie machen quasi aus dem Programm „Tariflohn statt Sozialhilfe“ ein Programm „Arbeitszwang für Sozialhilfe“; und das darf nicht sein.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Ein weiteres Instrument, das in dem Job-Aqtiv-Gesetz vorgesehen ist, wollen Sie auch nicht für Hamburg flächendeckend anwenden. Dabei geht es um den so genannten Metropolzuschlag. Wenn man schon mit den kleinen Pauschalen arbeitet, ist dafür im Job-Aqtiv-Gesetz speziell ein Modus aufgenommen, der für die regionalen Besonderheiten, bei denen beispielsweise die Lebenshaltungskosten höher sind, die Möglichkeit eines so genannten Metropolenzuschlages von 10 Prozent einräumt. Darüber haben wir nun aus dem Senat unterschiedliche Äußerungen gehört, wer diesen kriegen soll. Frau Schnieber-Jastram hat im Sozialausschuss gesagt: alleinerziehende Mütter mit Kindern. Dort habe ich schon die Frage gestellt, ob nur für diese gilt, dass Hamburg eine Metropole ist; das kann ja wohl nicht sein. Tatsächlich muss doch dieser Zuschlag allen gezahlt werden, die mit den erhöhten Lebenshaltungskosten in Hamburg konfrontiert werden, denn der Modus hat noch einen zweiten Effekt. Die Erhöhung der ABM-Bezahlung um den Metropolzuschlag hat den Charme, dass dann weniger Menschen in die ergänzende

(Alexander Porschke GAL)

Sozialhilfe gerechnet werden, die dann wiederum den Landeshaushalt belasten. Das muss den Arbeitsamtsdirektor nicht interessieren, aber ich finde, für den Bewegungsspielraum in der Stadt ist es ein maßgebliches Ziel, den Landeshaushalt, von dem wir gehört haben, dass er sehr angespannt ist, das wissen wir aus eigener Erfahrung, so weit es geht zu entlasten.

Daher lautet unser Antrag: Setzen Sie sich dafür ein – das können Sie mit Ihren Möglichkeiten im Verwaltungsausschuss des Arbeitsamtes –, dass dieser Metropolzuschlag für die in Hamburg eingesetzten ABM-Stellen gezahlt wird.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

In der Summe macht die Politik, die Sie bisher entworfen haben, auf mich den Eindruck der arbeitsmarktpolitischen Geisterfahrerei. Statt die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, reduzieren Sie die Mittel um 11 Millionen Euro und richten damit ihre Maßnahmen direkt gegen die Arbeitslosen. Statt dem Ansatz des Job-Aqtiv-Gesetzes zu folgen, für die verschiedenen Vermittlungshindernisse maßgeschneiderte Lösungen zu schaffen, verschreiben Sie – um im Bild zu bleiben – der kompletten Landschaft der Beschäftigungsträger, die sich gerade um die besonders schwer zu vermittelnden Personen verdient gemacht hat, eine viel zu kleine Zwangsjacke, die vielen die Luft zum Atmen abdrücken wird. Statt dem Metropolcharakter Hamburgs Rechnung zu tragen, geht bei Ihnen die beabsichtigte Lohnsenkung vor. Ich kann Ihnen deshalb nur zurufen: Anhalten, umkehren und die erfolgreichen Strategien der vergangenen Jahre weitermachen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dräger.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, die Arbeitslosenzahlen von heute Morgen haben uns allen gezeigt, dass wir in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch nicht einen Moment innehalten und dem Senat – so gerne man es vielleicht seitens des Senats möchte – bei der Vorstellung seiner Konzepte kaum viel Zeit lassen können. Die Entwicklung zeigt auch, dass wir nicht viel Zeit für irgendein Hin und Her haben. Der Hamburger Senat wird sich an den Fragen messen lassen müssen, was er bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit tut und was er erreicht. Das sind die entscheidenden Fragen.

Als Abgeordnete, als Parlament ist es ziemlich schwer, die neue Arbeitsmarktpolitik des Senats zu beurteilen, weil er sie dem Parlament bisher in keiner Weise vorgestellt hat.

(Rolf Kruse CDU: Das war auch nicht seine Auf- gabe!)