(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Andrea Hilgers SPD: Nee, das fängt jetzt an!)
Getreu dem Motto „Der selbstständige Unternehmer – das unbekannte Wesen“ hat der Senat über Jahrzehnte versäumt, den mittelständischen Unternehmern tatkräftig unter die Arme zu greifen. Statt das Rückgrat der hamburgischen Wirtschaft zu stärken, hat sich der Senat auf eine medienwirksame Klientelpolitik beschränkt und der Stadt damit Schaden zugefügt.
Zugegeben, die Erweiterung der Airbus-Produktion in Finkenwerder, der Bau des A380 in Hamburg sind Erfolge des alten Senats wie auch die Entwicklung Hamburgs zum Multimedia-Standort oder auch die Hafenerweiterung. Doch von einer positiven Bilanz kann keine Rede sein, wenn in den letzten vier Jahren gleichzeitig nahezu 200 Handwerksbetriebe Hamburg verlassen und Hamburg als Medienstandort ausblutet. Der „Echo“-Preis wird in Berlin verliehen. Universal Music geht nach Berlin, die Fernsehsender „PREMIERE“ „RTL 2“, „SAT.1“, „tm3“, „ntv“ sind bereits weggegangen. Die Produktionsgesellschaften ziehen natürlich hinterher. Das ist doch logisch. Der jüngste Fall ist die TV-Produktion der Firma MME.
Damit hat Hamburg eine große Anzahl von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen verloren und dazu noch zahlreiche mittelständische Unternehmen, wichtige Auftraggeber mit einem Auftragsvolumen von mehreren 100 Millionen DM. Der rotgrüne Senat hat mit den Schultern gezuckt und zugesehen. Das können wir nicht ändern.
Während die Zeichen Ende der Achtzigerjahre bundesweit auf Privatisierung und schlanker Staat gesetzt wurden, hat der ehemalige SPD-Senat auf Kosten des Steuerzahlers ein unflexibles, kostenintensives staatliches Firmenimperium aufgebaut, das in ganz Deutschland ohne Beispiel ist. Leidtragende – das habe ich schon oft genug gesagt – sind wieder die privaten Unternehmer, denen die öffentlichen Unternehmen mit wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen auch noch Konkurrenz machen. Der ehemalige Senat hat der Privatwirtschaft über seine öffentlichen Unternehmen massiven Schaden zugefügt und außerdem die Wirtschaft gelähmt.
Die verkrusteten Verwaltungsstrukturen und überflüssigen Vorschriften für Ordnung und Gesetze sind wie eine Bürokratielawine über die mittelständischen Unternehmer gekommen. Langwierige Bau- und Umweltgenehmigungsverfahren, unklare Zuständigkeiten, zu viele Ansprechpartner haben wichtige Investitionen verzögert oder gar verhindert. Völlig unzureichend – das sage ich schon seit acht Jahren – ist die vorhandene Wirtschaftsförderung. Der Programmwirrwarr mit allein in Hamburg 24 Programmen ist unübersichtlich und der Kreis der Anspruchsberechtigten aufgrund der zu eng begrenzten Förderungsvoraussetzungen äußerst gering. Kein Wunder, dass kaum oder nur ganz spärlich die Mittel aus dem Haushalt abfließen.
(Anja Hajduk GAL: Reden wir jetzt wieder zum Thema oder dürfen wir reden, worüber wir wollen, Frau Präsidentin?)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Egloff, Frau Dräger, ein bisschen Märchenstunde war bei Ihnen schon dabei. Nehmen Sie die Arbeitslosenzahlen. Die neue Bundesregierung ist ganz schön trickreich. Sie hat nach ihrer Amtsübernahme Paragraph 428 SGB III geändert und damit braucht sich eine Reihe älterer Arbeitsloser nicht mehr arbeitslos zu melden, weil sie bis zur Rente weiterhin Arbeitslosengeld bekommt. Davon haben 245 000 Menschen Gebrauch gemacht. In Wahrheit liegt die Arbeitslosenzahl im November dieses Jahres schon weit, nämlich mit 90 000, über der Zahl, wie sie die Regierung Kohl hinterlassen hat. Das zum Thema Arbeitslosigkeit.
Frau Dräger, ich würde fast sagen, der Airbus ist Ihnen vom Himmel gefallen. Nur, einen Weltkonzern über eine Dorfstraße anzubinden, bringt keine andere Stadt zu Wege. Das bringt nur die sozialdemokratische Regierung zustande.
(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Ingo Egloff SPD: Sagen Sie das Herrn Mettbach!)
Dann wundert es auch nicht, dass hier nur noch 15 Prozent der Menschen im produzierenden Bereich tätig sind.
Wenn man in andere Bereiche schaut, beispielsweise den Handel, stellt man fest, dass es da auch nicht viel besser
aussieht. Sie können die Zentralitätskennziffer dieser Stadt als Maßstab dafür nehmen, wie viel Kaufkraft hier gebunden ist. Sie ist ständig gesunken: von 1994 auf 132 Prozent, 1997 auf 126 Prozent und jetzt 113 Prozent. Das ist die Bilanz des letzten Senats.
In den wenigen Wochen haben wir schon eine Reihe von Akzenten gesetzt, die in vier Jahren sehr viel Früchte tragen wird. Dann werden Sie sehen, Herr Uldall wird auch weiter Wirtschaftssenator sein.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach dem schwerwiegenden Vorfall vom Sonntag muss der Einsatz von Brechmitteln zur Beweissicherung gegenüber mutmaßlichen Drogendealern neu bewertet werden. Die Umstände sind im Detail noch unklar und auch die heutige Sitzung des Wissenschaftsausschusses hat uns im Erkennen der Umstände nicht sehr viel weitergebracht.
Aber eines ist klar, das zwangsweise Verabreichen eines Brechmittels über eine Nasensonde birgt ein sehr hohes Risiko.
Angesichts der sehr wahrscheinlich tödlichen Komplikationen scheint die Verhältnismäßigkeit des Brechmitteleinsatzes nicht gewahrt. Deshalb muss der zwangsweise Brechmitteleinsatz sofort gestoppt werden.
(Beifall bei der GAL – Dr. Michael Freytag CDU: Sie haben dem doch zugestimmt in der letzten Legis- latur!)
Die zentralen Fragen sind dabei: Waren die notwendigen Vorkehrungen für die möglichen Komplikationen getroffen? Hatten die an der Brechmittelvergabe beteiligten Ärzte eine aktualisierte und auch ausreichende notfallmedizinische Ausbildung in Theorie und in Praxis? Wie war die Notfallausstattung der Räume? Vagusreizungen mit Herzirritation, Kollapszuständen und auch mit Herzstillstand sind nicht selten beim Einführen von Magensonden.
Schwere Erregung, Angst und Abwehr der Betroffenen steigern dabei das Risiko erheblich. Eine Magenspülung über eine Nasensonde ist bei dieser Abwehr nach den Regeln der ärztlichen Kunst nicht mehr durchführbar. Eine vorangehende ordentliche Untersuchung und Erfassung möglicher Risikofaktoren, zum Beispiel die aktuelle Einnahme von Drogen, ist dann auch nicht möglich.
Auch ich habe als Assistenzärztin in der Psychiatrie vor Jahren über Nasensonden Brechmittel verabreicht, und zwar bei Menschen, die sich das Leben nehmen wollten und Tabletten geschluckt hatten. Es waren sehr scheußliche und sehr belastende Prozeduren und wir haben dies
damals nur in der Notfallaufnahme der Klinik gemacht, und zwar immer nur in Anwesenheit von Anästhesisten; anders wäre das gar nicht verantwortbar gewesen. Es ist nicht falsch zu sagen, dass Rechtsmediziner nicht unbedingt bessere Notfallmediziner als Psychiater sind; wir brauchen bei solchen Fällen die Anästhesisten.
Grundsätzlich muss bei jedem ärztlichen Eingriff das Risiko in Relation zum Ziel gesetzt werden und schonendere Alternativen müssen immer erwogen werden. Bei der zwangsweisen Verabreichung von Brechmitteln bei mutmaßlichen Dealern geht es nicht um die Abwendung einer lebensbedrohlichen Situation, sondern es geht um die Beweissicherung und dazu gibt es wirklich ungefährlichere Alternativen. Wir sollten darüber nachdenken, wenn die Einnahme des Brechmittels verweigert wird, die mutmaßlichen Dealer in Gewahrsam zu nehmen und die Ausscheidung auf natürlichem Wege abzuwarten. Um diese Prozedur zu beschleunigen, könnten Abführmittel angeboten werden.
Die GAL-Fraktion hat im Juli mit dem Handlungskonzept gegen die Verfestigung der offenen Drogenszene in St.Georg auch dem Brechmitteleinsatz zugestimmt. Wir Koalitionspartner haben dabei vereinbart, den Brechmitteleinsatz laufend in jedem relevanten Aspekt zu überprüfen, und zwar in medizinischer, juristischer und drogenpolitischer Hinsicht. Es liegt also eine lückenlose Dokumentation vor. Die Dokumentation wurde uns eben im Wissenschaftsausschuss bis Ende Oktober zugesagt.
Unsere Zustimmung zum Brechmitteleinsatz haben wir damals auf dem Boden der Einschätzung gegeben, dass die Verabreichung des mexikanischen Brechwurzelsirups Ipecacuanha zwar für alle Betroffenen hochgradig unangenehm und auch gewissermaßen unwürdig, medizinisch aber verantwortbar ist und es nicht zu schwerwiegenden Zwischenfällen kommen kann.
Der tödliche Vorfall heute hat uns eines anderen belehrt. Für uns trifft die im „Hamburger Abendblatt“ zitierte Behauptung von Herrn Senator Kusch nicht zu, dass allen das Todesrisiko bei einer solch gewaltsamen Prozedur in vollem Umfang bewusst gewesen sei. Wir waren der Meinung, dass mögliche Komplikationen beherrscht werden könnten.
Das Festhalten des Senats an diesem Brechmitteleinsatz mit der Begründung, dass die Gefahren, die mit Drogen einhergehen, größer seien, ist einfach absurd; dieses Rechtsverständnis ist sehr fragwürdig.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ereignisse der letzten Tage, die heute zum Tode eines afrikanischen Drogenhändlers geführt haben, gehen uns, so glaube ich, alle schwer an die Nieren. Politisch tragen wir dafür Verantwortung, dass Brechmittel in unserer Stadt zur Beweissicherung einge
setzt werden, und zu dieser Verantwortung bekennen wir Sozialdemokraten uns auch heute hier ausdrücklich.