Protocol of the Session on March 5, 2003

(Vereinzelter Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort erhält der Abgeordnete Klooß.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir führen hier im Grunde eine gespenstische Debatte. Gespenstisch deshalb, weil die Rechtslage – das hat Herr Müller-Sönksen zutreffend ausgeführt – eindeutig ist. Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskommission, Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die UN-Antifolterkonvention und die deutschen Gesetze, die hier zitiert worden sind, alle sprechen ein absolutes Folterverbot aus. Ich will hier einmal aus der Antifolterkonvention verlesen, Artikel 2 Absatz 2:

„Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.“

Ich begrüße deshalb das Bekenntnis der FDP-Fraktion zu diesen Grundsätzen. Ich begrüße es auch, dass sich Senator Kusch in dieser Frage eindeutig erklärt hat. Mich beunruhigt aber sehr, dass auch in Hamburg laut nachgedacht wird über Aufweichungen von diesem Grundsatz.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Wer denkt denn nach?)

Ich zitiere hier aus den „Harburger Nachrichten“ ein Interview mit dem Polizeipräsidenten, der gesagt hat:

„Außerhalb des Verhörs könnte es unter Umständen eine Situation geben, in der die Gefahrenabwehr im Vordergrund steht.“

Meine Damen und Herren! Gerade wir Hamburger haben allen Grund, uns von solchen Äußerungen zu distanzieren,

(Beifall bei der SPD und der GAL – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Sie hätten man rechtzeitig Gefahrenabwehr betreiben sollen!)

und es ist eine Verbindung mit den Eingangsworten der Präsidentin. Erinnern wir uns, dass wir in Hamburg – das ist noch gar nicht so lange her – die Folterkeller der Gestapo an der Stadthausbrücke hatten, wo politische Gefangene, aufrechte Demokraten gequält und gedemütigt wurden.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Darum geht es doch gar nicht in der aktuellen Diskussion!)

Es geht sehr wohl darum. Auch der Blick auf diese beschämende Vergangenheit, als Menschenrechte mit Füßen getreten wurden, muss uns eine Lehre sein. Wir Sozialdemokraten wehren uns entschieden gegen jeden Versuch, das absolute Folterverbot aufzuweichen. Wir Sozialdemokraten bekennen uns im Gegenteil dazu, dieses Verbot gegen jeden Versuch einer Erosion zu verteidigen. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Spethmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Universelles Völkerrecht, europäisches Völkerrecht und das Grundgesetz verbieten und ächten jede Form der Folter im gleichen Maße wie Sklaverei und Apartheid.

Artikel 1 der UN-Antifolterkonvention stellt eindeutig klar, dass Folter nicht nur im Zusammenhang mit Strafverfolgung verboten ist, sondern auch immer dann, wenn es um Einschüchterung und Nötigung des Betroffenen geht. Damit ist völkerrechtlich vorgegeben, dass eine Unterscheidung zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr unzulässig ist.

Dem kann man entnehmen, welchen Stellenwert die Völkergemeinschaft und die Bundesrepublik dem Folterverbot beimessen. Das Grundgesetz stellt in seiner Werteordnung die Menschenwürde, die mit der Folter unvereinbar ist, sogar über das Leben. Die traurige Wirklichkeit steht vielfach aber im deutlichen Widerspruch zu den menschenrechtlichen Grundsätzen, zu denen wir uns bekennen. Systematische Folter gibt es weltweit und täglich und das bedauern wir in diesem Lande sehr und helfen insoweit durch das Asylrecht.

Immer wieder gab es in der Bundesrepublik Notstandssituationen, die eine Durchbrechung der normalerweise geltenden Grundsätze des liberalen Rechtsstaats erforderlich machen könnten. Ich denke da an die Schleyer-Entführung, an Mogadischu und Ähnliches.

Dass es sich bei der Drohung mit Folter um eine verbotene Vernehmungsmethode handelt, deren Ergebnis in einem Strafprozess gegen den Angeklagten nicht verwertbar wäre, dürfte offensichtlich sein. Man muss insofern nicht – wie mitunter in der Presse – die UN-Folterkonvention bemühen – das habe ich zwar eben auch getan –, aber Gleiches ergibt sich schon allein aus unserem Grundgesetz und dem Rechtsstaatprinzip. Die Berufung auf den in der Rechtswissenschaft in extremen Situationen anerkannten übergesetzlichen Notstand zielt nicht auf eine Rechtfertigung des rechtswidrigen Polizeihandelns, son

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP)

dern auf einen strafrechtlichen Entschuldigungsgrund des handelnden Beamten. Dass der Rechtsstaat den Eindruck erweckt, Unrechtsstaat zu sein und sich zur Erfüllung seiner Aufgaben menschenrechtswidriger Methoden zu bedienen, ist nicht zu rechtfertigen.

(Vereinzelter Beifall bei allen Fraktionen)

Es lässt sich meines Erachtens unterscheiden zwischen dem persönlichen Gewissenskonflikt für den individuellen Beamten, der in einer existenziellen Ausnahmesituation vor Gott und seinem Gewissen, in Kenntnis der objektiven Rechtswidrigkeit angesichts des auf dem Spiele stehenden Höchstwertes der Rettung eines unschuldigen Lebens und nicht etwa zur Beschleunigung der Aufklärung eines geschehenen Verbrechens eine Entscheidung getroffen hat und diese nicht etwa wie ein Folterknecht vertuscht hat, sondern wie ein rechtsstaatlicher Beamter rechtsstaatlich vertreten und verantworten möchte.

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaat- licher Offensive)

Dennoch können wir dieses Verhalten als Norm nicht billigen, denn anderenfalls würde angesichts der Werteabwägung zwischen unschuldigen Opfern und zu Recht Beschuldigten in jeder Krisensituation die Androhung von Folter und am Ende gar tatsächlich Folter ins Repertoire dieses Staates Einzug halten. Das Arsenal seiner Handlungsmöglichkeiten bewusst um der Menschenrechte willen zu beschränken, ist aber gerade die Essenz des Rechtsstaates. Oder umgekehrt, entscheidet sich der Rechtsstaat um des guten Zieles wegen, die Beschränkung seiner Mittel aufzugeben, entzieht er sich eines rechtsstaatlichen Charakters und damit seiner Seele. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Schaube.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe unterworfen werden. Dies schreibt Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention vor. Folter ist mit dem im Grundgesetz verbrieften Grundrecht, insbesondere mit dem in Artikel 1 normierten Schutz der Menschenwürde unvereinbar. Auch die Vorschriften der Strafprozessordnung verbieten nicht nur staatliche Folter, sondern auch ihre Androhung. Die weltweite Ächtung der Folter resultiert aus der Erfahrung staatlicher Willkür, insbesondere im Nationalsozialismus, aber auch in anderen Diktaturen mit menschenverachtender Gewalt und Barbarei und aus dem Leid unzähliger Opfer.

Die Folter hatte aber auch ihre Blütezeit im Mittelalter. Denken wir nur an die Hexenverbrennungen und an die Inquisition. Grauenhaft. Wer sich diesen historischen Hintergrund vergegenwärtigt, den kann die momentane Debatte in Deutschland nur wütend machen. Der Rechtsstaat führt sich selbst ad absurdum, wenn er es zulässt, wenn auch in viel beschworenen absoluten Ausnahmefällen seine ehernen Grundprinzipien nicht mehr gelten sollen. Zunächst einmal gilt bis zur rechtsstaatlichen Verurteilung eines Täters die Unschuldsvermutung. Dieses hohe Rechtsprinzip gilt immer. Dass in weiten Teilen der Bevölkerung und auch in den Medien ein Tatverdächtiger häufiger schon vorverurteilt wird, darf nicht dazu führen, dass

es mit der Gewaltenteilung und dem Rechtsstaatsgebot nicht mehr so genau genommen wird.

Auch die Diskussion über die Paragraphen 34 und 35 des Strafgesetzbuches, ob ein rechtfertigender oder entschuldigender Notstand für Amtsträger vorliegen kann, ist in diesem Zusammenhang überflüssig. Wer jetzt in dieser Debatte mit apokalyptischen Szenarien von tickenden Atombomben und Tätern, die durch das Mittel der Folter zur Preisgabe des Bombenverstecks gebracht werden sollen, argumentiert, der instrumentalisiert die Ängste der Menschen.

(Vereinzelter Beifall bei allen Fraktionen)

Wer Folter in extremen Situationen zulassen will, der reißt Schranken ein, der stellt den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung infrage. Selbst wenn man auf die abstruse Idee kommen sollte, dies gesetzlich regeln zu wollen, wo sollten hier zukünftig Grenzen gezogen werden? Wie sollte eine entsprechende gesetzliche Regelung aussehen, nach der künftig nicht nur Gewalt angewendet werden dürfte, sondern konsequenterweise dann auch angewendet werden müsste? Nein, ein bisschen Folter gibt es schließlich nicht und darf es auch nicht geben.

(Vereinzelter Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Der Zweck darf auch nie die Mittel heiligen. Deshalb nochmals in aller Deutlichkeit und aller Kürze: Es ist meine feste Überzeugung, dass es keine Situation geben kann, in der Folter zu rechtfertigen ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort erhält der Abgeordnete Mahr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh über die bisherigen Wortbeiträge, dass die Einigkeit in diesem Parlament so deutlich wird in dieser Frage. Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass in unserem Land jemals wieder Stimmen staatlicher Repräsentanten laut werden könnten, die das Verbot der Androhung und der Anwendung von Folter infrage stellen würden. Dies zudem in einem Land, das Vertragspartei der UN-Konvention gegen Folter und der Europäischen Menschenrechtskonvention ist, einem Land, das eigentlich aus der Geschichte gelernt haben sollte.

Dass ein Vizepräsident der Frankfurter Polizei hier entsprechende Anordnungen erteilt und öffentlich kommentiert hat, ist die eine schlimme Seite der Medaille. Dass dann aber auch noch der Frankfurter Polizeipräsident selbst und das hessische Innenministerium dieses Verhalten verteidigen, dass der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Geert Mackenroth, darüber philosophiert, dass Folter erlaubt sein könnte, um ein anderes Rechtsgut zu retten, zeigt in erschreckender Weise, wie wenig offensichtlich die Bedeutung der Menschenrechtskonvention selbst bei einigen herausragenden Repräsentanten unseres Rechtsstaates im Bewusstsein verankert ist.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Haben Sie schon mal an das Kind gedacht!)

Und sie stehen nicht allein da. Auch Brandenburgs Innenminister Schönbohm hält Folter in besonderen Einzelfällen für vorstellbar und der hessische Regierungschef Roland Koch äußert Verständnis. Herr Mackenroth hat seine Äußerung mittlerweile bedauert und zurückgenommen. Was er

(Viviane Spethmann CDU)

aber damit angerichtet hat, kann man der Äußerung von Herrn Daschner entnehmen, der sich offensichtlich durch ihn und andere bestärkt fühlte. Zitat:

„Täglich melden sich Hunderte, um mir Mut zu machen. Polizeibeamte und Bürger, der Bund Deutscher Kriminalbeamter wie der Deutsche Richterbund haben mein Vorgehen verteidigt.“

Und er geht noch weiter. Er fordert, wenn die Meldung der „FAZ“ vom 22. Februar richtig ist, eine gesetzliche Erlaubnis zur Anwendung von Gewalt im Verhör.

Meine Damen und Herren! Mich ermutigen solche Stellungnahmen nicht, sondern sie machen mich eher fassungslos.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Sie machen mich noch fassungslos!)

Wann wird in diesem Land auch der Letzte begreifen, Herr Nockemann,