Die Fachärzte, Jugendpsychotherapeuten und Elternvertreter im Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS weisen darauf hin, dass unbehandelte Kinder schon in sehr jungem Alter beginnen, Zigaretten zu rauchen und Alkohol zu trinken. Die Gefahr, süchtig zu werden, ist bei ihnen um ein Vielfaches höher als bei unbelasteten Kindern ohne ADS/ADHS. Studien belegen, dass bei bis zu 30 Prozent der kriminellen Jugendlichen ein unbehandeltes Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom festgestellt wurde.
Vor diesem Hintergrund ist im Sinne einer Prävention bereits Alarmstufe dunkelrot. Das gilt insbesondere für eine Großstadt wie Hamburg, wo das Problem noch dadurch verstärkt wird, dass Kinder einfach weniger draußen spielen und die Räume enger werden.
Wie wollen wir diese Situation verbessern? Wir wollen vor allem das Thema enttabuisieren, wir wollen eine Aufklärungskampagne, um die bestehenden Hilfsangebote transparent zu machen. Leider ist es immer noch so, dass viele Eltern und Lehrer mit der Situation überfordert sind und das Verhalten der Kinder nicht richtig einordnen können. Das Thema Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität wird dann entweder totgeschwiegen oder aber die betroffenen Kinder als Zappelphilipp stigmatisiert. Die von uns geforderte Aufklärungskampagne soll sich daher an einen breiten Kreis von Eltern, Lehrern und Erziehern/ Erzieherinnen richten. Wichtig ist, dass wir die Kommunikation zwischen Repräsentanten der staatlichen Stellen, betroffenen Eltern, Lehrern, Kindergärtnerinnen und Ärzten verbessern.
Information ist auch gerade deshalb notwendig, weil die Diskussion um eine medikamentöse Behandlung unter Einsatz des umstrittenen Medikaments Ritalin viele Eltern und Lehrer verunsichert hat. Auch diesbezüglich müssen wir dafür sorgen, dass verlässliche und sachkundige Informationen gegeben werden. Ganz besonders wichtig ist mir ferner, dass insbesondere sozial schwache Familien mit hyperaktiven Kindern mit ihren Problemen von der Politik in Hamburg nicht alleine gelassen werden. Deshalb setzen wir uns dafür ein, gezielt auch sozial schwache Familien mit betroffenen Kindern zu motivieren, Hilfe anzunehmen. Die bezirklichen Anlaufstellen für Familien sollen kompetente Hinweise geben und auf weitere Hilfsangebote verweisen können.
Meine Damen und Herren! Das Thema Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität bei Kindern ist sehr vielschichtig. Die Ausprägungen sind unterschiedlich, die familiäre Situation des Einzelnen ebenfalls. Patentlösungen kann es daher nicht geben und auch die Politik kann die Probleme des Einzelnen nicht lösen. Als Abgeordnete können wir uns jedoch dafür einsetzen, dass die Hilfen für die Betroffenen leichter zugänglich gemacht, Hemmschwellen abgebaut und Eltern, Lehrerinnen und Erzieher besser informiert werden, damit sie die Kinder und Jugendlichen so gut es geht betreuen können. Viele wissen zum Beispiel gar nicht, dass bereits konkrete Zielvorgaben für hyperaktive Kinder wie zum Beispiel überschaubare Hausaufgabentermine oder eine auf sportliche Aktivitäten ausgerichtete Freizeitgestaltung oder auch vollwertige Ernährung helfen können. Deshalb ist es so wichtig, das gesamte Umfeld einzubinden und sich gemeinsam mit kompetenten Fachleuten dieses wichtigen Themas anzunehmen.
Unsere Initiative kann daher nur ein erster Schritt sein, aber wir greifen damit ein Thema auf, das dringender ist, als viele vermuten. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Beim ersten schnellen Überfliegen des vorliegenden Antrags könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass dies einmal ein vernünftiger Antrag der Regierungsfraktionen ist, denn wer wollte dagegen sein, Kindern und Jugendlichen mit ADS oder ADHS gezielter zu helfen. Beim genaueren Hinsehen allerdings offenbart dieser Antrag wieder einmal Ihre verkürzte Sicht komplexer Problemlagen.
ADS und ADHS sind so genannte Anpassungsstörungen. Da erhebt sich die Frage, wer oder was soll sich woran anpassen. Wo passt etwas nicht? Konkret: Woran sollen Kinder und Jugendliche sich eigentlich anpassen? Vielleicht stimmt nicht so sehr mit ihnen etwas nicht als mit dem, woran sie sich anpassen sollen: Hektik, Reizüberflutung, zu wenig Zeit und Muße, häufig soziale und familiäre Belastungen, fehlende Bewegung und Bewegungsräume. Das sind nur einige Faktoren, die das Leben vieler Kinder in der Großstadt bestimmen; kindgemäß sind sie nicht. Die von vielen Pädagogen, Psychotherapeuten, Medizinern und anderen Fachleuten geäußerten Befürchtungen, dass nicht selten das Etikett ADS oder ADHS herhalten muss, wo es um ganz andere, eben nicht medizinische Problemlagen geht, derer man sich dann vermeintlich nicht mehr anzunehmen braucht, müssen sehr ernst genommen werden. Deshalb sollte man auch sehr vorsichtig damit umgehen, eine schnelle Verbindung zwischen sozial schwach und ADS und ADHS zu knüpfen, wie Sie es in Ihrem Antrag leider mehrfach tun. Denn die Verhaltensauffälligkeiten, die sich bei ADS/ADHS zeigen, gleichen denen, die durch häusliche Belastungen von Kindern und Jugendlichen entstehen, ob arm oder reich.
Soziale Probleme lassen sich aber nicht medikamentös behandeln. Die Pathologisierung komplexer sozialer Problemlagen ist nicht das, was wir unter verantwortungsvoller Kinder- und Jugendpolitik verstehen. Ich will hier nicht das Vorhandensein von ADS und ADHS bestreiten, ich will es auch nicht verniedlichen, aber mir ist sehr wichtig, dass Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen nicht so schnell als medikamentös zu behandelnde Krankheit eingeordnet werden.
Vieles deutet darauf hin, dass ADS und ADHS in Hamburg häufiger diagnostiziert und medikamentös angegangen werden als in anderen Regionen und dass vergleichsweise häufig Ritalin verordnet wird.
Ihr Antrag legt die Vermutung nahe, dass Sie die Verordnung von Ritalin für einen eher unbedenklichen Vorgang halten und eine weitere Ausweitung befürworten. Etwas mehr Vorsicht hielte ich für angebracht. Immerhin fällt diese Substanz unter das Betäubungsmittelgesetz und mögliche Spätfolgen jahrelanger Einnahme sind noch völlig ungeklärt. Aber Ihnen ist, jedenfalls in einem kleinen Nebensatz, auch die Prävention eingefallen – gut so. In
Ihrem Antrag lese ich allerdings nichts dazu. Vor allem ist es ein Hohn angesichts der Kinder- und Jugendpolitik des von Ihnen getragenen Senats, von Prävention zu sprechen.
Erklären Sie mir einmal, was die Verschlechterung der Versorgung mit Kita-Plätzen, was weniger Teilungsstunden an Schulen, was absehbar größere Klassen wegen dramatischen Lehrermangels, was Kürzungen in den Bezirkshaushalten – ich nenne hier nur die Schließungen der Spielplätze in den Bezirken – mit Prävention zu tun hat.
Wenn wir auch an der Begründung Ihres Antrags etliches auszusetzen haben, so möchten wir uns des Themas verstärkt annehmen, denn eines macht Sinn: Kompetenz zusammenzuführen.
Wir beantragen – der Präsident hat es schon gesagt – deshalb die Überweisung an den Schulausschuss. Sollten Sie sich dazu nicht durchringen können, beantragen wir, dass der Senat bis Ende April 2002 der Bürgerschaft über den Sachstand seiner Bemühungen berichtet, denn wir möchten schon wissen, inwieweit der Senat tätig wird. – Danke schön.
Frau Abgeordnete, ich gehe davon aus, dass der Antrag, den Sie eben zum Bericht des Senats gestellt haben, noch schriftlich hereingereicht wird. Mir liegt er jedenfalls noch nicht vor.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Rogalski-Beeck, Ihr Beitrag war sehr nachdenklich. Ich möchte auf den letzten Teil nicht eingehen, denn das würde dazu führen, dass wir hier erneut über Schulpolitik, Integrationspolitik und all diese Dinge sprechen müssten; das lassen wir einmal ganz weg. Aber ich will auch bekennen, dass wir im Vorfeld innerhalb der CDU-Fraktion über diesen Antrag eine sehr breite und ungewöhnlich intensive Diskussion gehabt haben, und ich will mich bemühen, die verschiedenen Sichtweisen, die gerade bei den Mitgliedern unserer Fraktion mit persönlichen Erfahrungen zum Beispiel in der pädagogischen Arbeit vorhanden sind, angemessen zu berücksichtigen.
Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung sind für uns keine Diagnose, sondern die Beschreibung eines Verhaltens, das von der Norm abweicht; es ist aber nicht automatisch eine Krankheit. Jede Stigmatisierung, jede Abstempelung muss vermieden werden, weil sie in diesem Feld überhaupt niemandem hilft, weder den Kindern noch den Eltern, noch den Erziehern. Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung haben sehr vielfältige Ursachen. Es mag in Einzelfällen genetisch disponierte Erkrankungen geben. Das wird erforscht, ist aber nicht gesichert. Hauptursache ist aber sicherlich ein Missverhältnis von kindlichem Bedürfnis und Entwicklung und dem Verhalten und der Gestaltung der Umgebung. Insofern wird bei den steigenden Zahlen von Kindern mit Problemen im Sinne einer Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung auch die Frage aufgeworfen, wie kindgerecht und kinderfreundlich unsere Umwelt, unsere Gesellschaft und unsere Institutionen eigentlich sind.
Trotz aller Informationsbemühungen spüren und wissen wir, dass es noch viel Unsicherheit bei Lehrern und Eltern gibt und dass es auch eine falsche Erwartung an die Wirkung von Medikamenten gibt, indem man sagt, dies sei eine Krankheit, man gibt ein Medikament und die Sache ist geregelt. Auch hier halten wir eine weitergehende Information für ausgesprochen notwendig.
Zur Frage der medikamentösen Behandlung bei schweren Störungen möchte ich auf die Rede meines Kollegen Wolfgang Beuß im September 2001 verweisen. Er hat damals sehr eindrucksvoll aus seiner eigenen Unterrichtserfahrung geschildert, was sich hinter den Begriffen Unruhe, Aggressivität und Lernstörungen im tatsächlichen Schulalltag verbirgt und dass Kinder mit diesen Problemen häufig sich selbst und ihrer eigenen Entwicklung im Wege stehen. Hier können und haben Medikamente wie Ritalin geholfen. Aber – das ist die andere Seite – wir stellen gerade in Hamburg auch einen Missbrauch fest. Wir stellen fest, dass der Stempel ADS oder ADHS eine Modediagnose geworden ist, die vermeintlich komplizierte Dinge einfach erklärt. Deshalb setzen wir aktiv auf alle anderen Hilfen und Therapieformen, die ohne Medikamente auskommen, und sind auch fest davon überzeugt, dass Facheinrichtungen, Fachärzte und Universität hier gefordert sind.
Wir wollen mit diesem Antrag mehr Aufklärung für Eltern, Lehrer und Lehrerinnen, Kindergärtner und Kindergärtnerinnen, wir wollen mehr Hilfe für die Betroffenen und wir wollen eine Beratung in den Bezirken, die Kinder und Eltern in fachkundige Hände führt und nicht eine Information alleine mit Bordmitteln macht, denn diese Verhaltensstörungen mit all den Konsequenzen gehören in die Hände von Fachleuten. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wir sehen ADS, also das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit Hyperkinese oder auch ohne als eine Modediagnose an. Dies ist ein komplexes Phänomen und unter den Begriff Aufmerksamkeitsstörung werden ganz viele Phänomene gepackt und dann wird mit diesem Begriff suggeriert, hier wäre schon irgendetwas klar und es gebe irgendwelche klaren Hilfsmöglichkeiten.
Dieses suggeriert auch Ihr Antrag. Wir verstehen nicht, wie Sie einerseits sagen können, es handele sich um ein komplexes Phänomen, die Ursache sei unklar – wir wissen noch nicht einmal, wie dieses Ritalin wirkt –, und andererseits sagen, wir wollen Aufklärungskampagnen und den Betroffenen sollen Hilfsangebote aufgezeigt werden. Wir haben doch gerade das Problem, dass in Hamburg sehr viel inkompetent beraten und vermeintliche Hilfe angeboten wird. Ich muss bestätigen, dass in Hamburg besonders viel Ritalin verordnet wird, und die hamburgischen Kinderund Jugendpsychiater in den Kliniken sind entsetzt, wie viel falsch diagnostizierte und falsch behandelte Kinder sie sehen.
Darum halte ich es für absolut notwendig, uns mit dem Phänomen ADS im Schulausschuss, vielleicht auch noch im Gesundheitsausschuss intensiv zu befassen, denn wir müssen erst erarbeiten, in welche Richtung die Hilfsangebote gehen sollen, in welche Richtung aufgeklärt werden kann und welche Strukturen wir in Hamburg überhaupt schon haben.
Ich gehe davon aus, dass Sie diesen Antrag an die Ausschüsse überweisen, denn so, wie er jetzt dasteht, macht er einfach keinen Sinn, denn er ist inhaltsleer, weil das, was er suggeriert, erst erarbeitet werden muss. Wir sollten die Kompetenz der Experten, die es in Hamburg gibt, nutzen, die Leute in den Ausschuss einladen und darüber nachdenken, was hinter diesen zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten von Kindern steckt
und was wir tun können. Was liegt an der Erziehung, was liegt vielleicht an den schulischen Strukturen und was muss zum Beispiel an der Qualifikation von Kinderärzten und Kinderärztinnen getan werden, die diese Kinder meist behandeln; die wenigsten sind ja in psychiatrischer Behandlung. Also bitte erst in die Ausschüsse damit. Wenn Sie den Antrag ohne Ausschussüberweisung zur Abstimmung stellen, werden wir ihn ablehnen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist paradox. Im Laufe von Jahrzehnten wurden die Bedingungen für mehr Zeit für Kinder immer weiter verbessert. Die Arbeitszeiten wurden verkürzt, es gibt viele technische Hilfsmittel im Haushalt, es gibt – leider – weniger Kinder und es gibt trotz all Ihrer Parolen geringere Klassenfrequenzen als zum Beispiel in den Sechzigerjahren. Eigentlich müsste es jetzt viel mehr Zeit für Kinder geben. Tatsächlich – da sind wir uns wahrscheinlich einig – erfahren nicht alle, aber viele Kinder heute viel weniger Aufmerksamkeit als früher. Viele Kinder leiden darunter, einige werden auffällig und dann kommen diese schönen Syndrome.
Ich bedauere es nicht, dass diese Worte in die Runde geworfen werden. Ich bin der Meinung, durch diese Extremfälle werden Wissenschaft, Medien und Politiker überhaupt erst auf die Problematik aufmerksam und für diese Aufmerksamkeit sollten wir dankbar sein. Allerdings darf die Diskussion nicht auf die Extremfälle der auffällig gewordenen Kinder verengt werden. Vielmehr ist eine ernsthafte Debatte notwendig, warum viele Eltern immer weniger Zeit für ihre Kinder haben, obwohl sie doch mehr Freizeit zur Verfügung haben, warum nach Jahrzehnten pädagogischer Forschung die Lehrer immer noch große Schwierigkeiten haben, Kindern aus problematischen Familien gezielt zu helfen. Ich habe darauf auch keine perfekte Antwort. Die richtige Antwort hat aber sicher viel mit einer Wertediskussion zu tun. Kinder sind unsere Zukunft und verdienen daher unsere Aufmerksamkeit. Kinder sind wichtiger als Statussymbole oder Konsumbedürfnisse, Kinder brauchen Zeit und Engagement.
Nun aber zu den Extremfällen, um die es beim vorliegenden Antrag geht. Auch hier gibt es in der Tat besorgniserregende Entwicklungen, auch ich habe die Statistiken gelesen. Angeblich soll die Verschreibung von Ritalin in