Protocol of the Session on May 30, 2002

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Einrichtung neuer Ganztagsschulen – Drucksache 17/390 –]

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Bildungspläne für ein modernes Schulwesen – Drucksache 17/391 –]

Wer wünscht das Wort? – Frau Ernst, Sie haben es.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung der Bürgerschaft stehen einige wichtige Anfragen der SPD-Bürgerschaftsfraktion, die zentrale Aspekte des hamburgischen Bildungssystems beleuchten sollen. Was wir jetzt aber festgestellt haben, ist, dass wir einen Schulsenator in dieser Stadt haben, der nicht in der Lage ist, sich den Sachfragen zu widmen, der seit Monaten in der Defensive und nicht in der Lage ist,

(Erster Vizepräsident Berndt Röder übernimmt den Vorsitz.)

Klarheit über elementare Fakten in seinem Haus zu bieten.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir haben eben einen Senator erlebt, der so mit dem Rücken an der Wand steht, dass er es nötig hat, hier seine Spitzenbeamten zu beleidigen; das ist ein ungeheurer Vorgang.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Es ist ein menschlich erbärmliches Verhalten, sich hier so über Personen zu äußern, die sich an dieser Stelle nicht wehren können, und das ist auch beispiellos.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Dr. Willfried Maier GAL: Nieder mit dem Mann! – Anja Hajduk GAL: Schämen Sie sich!)

Sie haben die guten Sitten verletzt, Sie waren am Dienstag im Schulausschuss nicht aussagefähig, als Sie gefragt worden sind, wie viele Lehrerstellen Sie haben. Sie haben für heute angekündigt, klare Fakten zu bieten, und sind immer noch nicht dazu in der Lage und fangen an, Menschen zu beleidigen, die sich an dieser Stelle nicht verteidigen können.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Glocke)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.

Ich möchte darauf hinweisen, dass dies nicht das erste Mal ist, dass so mit leitenden Beamten umgegangen wird. Wir können uns noch gut daran erinnern, mit welchen öffentlich erbärmlichen Verfahren der langjährige Staatsrat Lange aus der Schulbehörde abgesetzt wurde.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Glocke)

Frau Abgeordnete, ich hätte es schon ganz gerne, wenn Sie im weitesten Sinne zum Thema zurückkehren würden.

Es geht darum, wer in dieser Stadt die Verantwortung für die Schulpolitik übernimmt und wer in der Lage ist, hier zu handeln. Wir stellen seit Monaten fest, dass wir mit falschen Zahlen belogen werden, dass eine Erklärung die andere jagt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir haben gelernt, dass das Wort eines Senators gegenüber der Lehrerschaft nichts mehr wert ist. Und ich sage Ihnen, Herr Senator, wenn Sie so weitermachen, stehen Sie bald ganz alleine, denn Sie haben die Lehrerschaft längst nicht mehr hinter sich. Wenn Sie wüssten, was an den Schulen los ist, würde Ihnen Ihr freundliches Lachen hier vergehen.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Glocke)

Gestatten Sie nunmehr die eine oder andere Zwischenfrage?

Nein, das gestatte ich nicht.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Sie muss erst noch Luft ablassen!)

Es ist auch ein ungeheuerlicher Vorgang, hier eine Fragestunde für politische Erklärungen zu missbrauchen, wo keine Diskussion möglich ist. Der gleiche Senator ist vor zwei Tagen die Antworten auf unsere Fragen im Schulausschuss schuldig geblieben und nutzt eine Gelegenheit, wo keine Gelegenheit zur Debatte ist. Das ist eine Missachtung des Parlaments, Herr Senator.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Es ist offenkundig, dass Sie diese Gelegenheit nutzen, weil Sie nicht in der Lage sind, auf kritische Fragen zu antworten.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich möchte jetzt einiges zu den Großen Anfragen sagen, die wir eingebracht haben,

(Vereinzelter Beifall bei der CDU, der Partei Rechts- staatlicher Offensive und der FDP)

und es damit verbinden, dass deutlich wird, dass Sie den schulpolitischen Herausforderungen, um die es in dieser Zeit eigentlich geht – wir haben eine der größten schulpolitischen Debatten, die wir in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik geführt haben –, nicht gewachsen sind und keine Antworten darauf haben.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Unser Ziel ist eine Schulpolitik, bei der Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt stehen und nicht überkommene Schulstrukturen, wie Sie sie weiter fortsetzen wollen.

(Katrin Freund Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Sie haben fünf Minuten am Thema vorbeigespro- chen!)

Wir haben in unserer Großen Anfrage das Thema des Sitzenbleibens problematisiert und möchten deutlich machen, dass Sitzenbleiben ein tiefes Symptom unseres Schulsystems ist, da nicht das Kind im Mittelpunkt steht, sondern darin zum Ausdruck kommt, dass sich die Schulstrukturen nicht an die Kinder angepasst haben. Jedes vierte Kind in der Bundesrepublik wird mit dieser Erfahrung konfrontiert und wir sind überzeugt, dass das symptomatisch für ein Schulsystem ist, in dem Kinder aussortiert werden, nach unten durchgereicht werden und in dem nicht alles getan wird, um ihnen zu helfen.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Abitur für alle! – Gegenruf von Christa Goetsch GAL: Schwachköpfe da drüben! – Glocke)

Meine Damen und Herren, das gilt für alle. Das Wort sollte nach Möglichkeit nur die Rednerin haben.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich versuche die Aufmerksamkeit auf wichtige schulpolitische Fragen zu lenken, aber vor dem Hintergrund eines Senators, der sich dafür nur bedingt interessiert, ist es nicht so ganz einfach.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir entnehmen den Antworten des Senats auf unsere Großen Anfragen zum Thema Bildungspläne, dass Sie nach wie vor daran interessiert sind, an der Dreigliedrigkeit des Schulsystems festzuhalten.

(Wolfgang Beuß CDU: Woran sind Sie denn inter- essiert?)

Sie wollen an überkommenen Schulstrukturen festhalten, obwohl alle wissen, dass die Durchlässigkeit des Schulsystems erhöht werden muss.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Gerade die LAU-Studie hat gezeigt, dass sich die Leistungsbereiche von Schülerinnen und Schülern in weiten Bereichen überschneiden. Daher muss die Antwort heißen,

nicht stärker zergliedern, sondern allen Kindern eine angemessene Bildung geben,

(Wolfgang Beuß CDU: Das haben wir 30 Jahre ge- hört!)

die an ihren Qualitäten ansetzt.

Wir haben vor wenigen Tagen eine Reise nach Schweden gemacht und uns dort über die Strukturen des schwedischen Systems informiert. Auch dort gibt es Schülerinnen und Schüler, die verschiedene Leistungsniveaus mitbringen, die von ihrer Herkunft verschiedene Dinge mitnehmen, aber es ist nicht üblich, diese Kinder auszusortieren, ihnen den Schulbesuch zu verwehren und sie nach unten durchzureichen. Wir sollten uns daran ein Beispiel nehmen und dafür sorgen, dass jedes Kind in Hamburg einen Schulabschluss bekommt und das Sitzenbleiben abgeschafft wird.

(Beifall bei der SPD)

Herr Senator, bei Ihnen ist nicht erkennbar, welche Initiativen Sie ergreifen, um dem entgegenzuwirken. Aus unserer Sicht ist es geboten, nicht die Dreigliedrigkeit zu verstärken, wie Sie es wollen, sondern Maßnahmen zu ergreifen, um dauerhaft Unterrichtsqualität zu verbessern.