Protocol of the Session on March 27, 2002

Zum zweiten Vorwurf, Frau Freund, wir seien keine richtige Opposition, sondern würden hier nur ein paar Schülerinnen und Schüler angeblich wild machen, könnte ich jetzt polemisch sagen, seit 44 Jahren – das ist doch immer Ihre These – ist dieses Haus eigentlich eine richtige Opposition gar nicht gewohnt gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Demnach würden wir also, wenn es wirklich so wäre, nur die Tradition, die wir bisher hier erlebt haben, fortsetzen.

(Dr. Michael Freytag CDU: Ich wusste gar nicht, dass Sie so konservativ sind!)

Und hinter Ihrem Wortgeklingel, Herr Senator, wie Beratungsoffensive, steckt nichts anderes, als die Leute umzuleiten nach dem Motto: Die Handelskammer pfeift und der Senator handelt. Wir haben in der Tat erfreulicherweise für viele Schülerinnen und Schüler bessere Ausbildungsperspektiven auf dem Markt, aber was sind das denn für Lehrstellen und was für Bewerberinnen und Bewerber haben wir denn? Es sind qualifizierte Realschüler und nicht nur einfach irgendwelche Realschüler, die das gerade so geschafft haben. Es sind Realschülerinnen und Realschüler, die eine Qualifikation erworben haben, die haben einen ganz überdurchschnittlichen Realschulabschluss, denn nur der berechtigt zum Eintritt in die FOS 11.

Zweitens müssen diese Schülerinnen und Schüler dann einen Praktikumsplatz nachweisen, ohne den sie gar nicht genommen werden. Auch das ist schon sehr schwierig, aber das tun sie aus ganz bestimmten Gründen, denn auf die dort angebotenen 1500 Plätze, von denen Sie reden, würden Sie Ihre Kinder nicht unbedingt schicken. Sie würden nicht sagen, du hast einen prima Realschulabschluss gemacht und nun sieh einmal zu, dass du jetzt Schlachtergeselle, Gebäudereiniger oder sonst etwas wirst. Das will ich gar nicht abwerten, aber ich will damit deutlich machen, dass man doch nicht von den Schülerinnen und Schülern erwarten kann, nachdem sie sich dafür angestrengt haben, anschließend solch einen Restausbildungsplatz anzunehmen. Das ist doch die Realität, vor denen die Schülerinnen und Schüler stehen,

(Beifall bei der SPD)

denn die anderen Schülerinnen und Schüler haben sich doch schon längst beworben. Seit letzten September läuft doch schon die Ausbildungsplatzvergabe. Das ist die Realität, oder kennen Sie die auch nicht? So läuft es doch ab in dieser Stadt.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Ach, Sie wissen das ganz genau!)

Die anderen haben doch alle schon einen entsprechenden Ausbildungsplatz bekommen. Und nicht umsonst finden wir in der Presse zu Recht die entsprechenden Meldungen von solchen Eltern, die sich bisher darauf verlassen konnten, dass verlässliche Senatspolitik gemacht wurde. Jetzt kommt plötzlich mitten hinein in diese Anmeldungsrunde

(Senator Rudolf Lange)

wie ein Keulenschlag die Aussage, das war alles nichts, ihr könnt da gar nicht anfangen.

Herr Senator, Sie sind offensichtlich nicht nur zum Erfüllungsgehilfen der Handelskammer geworden, sondern haben in dieser Debatte nicht gesagt, dass es Spargründe sind. Sie sagten zwar, es sei doch nichts Falsches, wenn man spare, natürlich nicht, aber doch nicht auf dem Rücken der Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern. Herr Senator, das gehört sich nicht.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Ist Ihnen von Ihrem Block da denn wohl dabei, wenn Sie hier so mit den Bildungschancen von Sechzehnjährigen umgehen, wenn Sie so ein Gebilde von Politik bei jungen Leuten hinterlassen? Das sollten Sie sich doch bitte schön, Frau Freund, einmal fragen bei dem, was Sie hier vorgebracht haben, und beim Handeln dieses Senats.

Ich finde, Sie sollten schleunigst so weitermachen, wie wir es angefangen haben, und diese Planungen nicht durchführen, sondern die Fachoberschulklassen ganz normal eingerichtet lassen. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Drews.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Buss, Sie haben es selbst gesagt: Restausbildungsplatzangebot. Gleichzeitig sagten Sie im Satz vorher, Sie wollten diese Berufe nicht disqualifizieren.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ja!)

Vermutlich ist das ein gelungenes Beispiel von Diktion, wie Sie auch Jahre vorher von der Hauptschule einmal als Restschule gesprochen haben und gleichzeitig meinten, Sie hätten die Schulformen in Hamburg gleichbehandelt.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Die SPD steht für Bildungschancen und Gleichberechtigung der Schulformen in 44 Jahren? Dann schauen Sie in den Haushalt der letzten Jahre, schauen Sie in die Lehrund Lernmittel-Pro-Kopf-Ausgaben, in die Klassengrößen, in die Ausstattung. Schauen Sie, wie Sie für den Bereich der beruflichen Bildung, Herr Wehnert, die letzten Jahre eine Lanze gebrochen haben. Die Senatorinnen Pape und Raab haben den Bereich der beruflichen Schulen in allen Bereichen immer wieder geschröpft. Gerade dieser Bereich musste die letzten Jahre ständig für Ihre Stellenstreichungen und Spielchen im Bereich der Schulbehörde herhalten. Schauen Sie sich die entsprechenden Pläne an und Sie werden feststellen,

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

dass Sie gerade in diesem Bereich Ihre Hausaufgaben in den letzten Jahren nicht erfüllt haben.

(Krista Sager GAL: Was machen Sie denn jetzt?)

Insofern ist es eine Unverschämtheit, eine berechtigte Chance zwar,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Arroganz!)

aber eine Unverschämtheit, sich heute hier hinzustellen und sich für einen Bereich, den Sie Jahre vorher kaputt

gespart haben, aufzuspielen und zu sagen, dieses sei eine Unverschämtheit.

Ebenso ist die Antwort auf meine Frage offen, Herr Buss, wo die Kritik gewesen ist, als Sie vor gut vier Jahren, 1997, die zweijährige Fachoberschule in den gewerblichen Bereichen geschlossen haben.

(Wolfgang Franz und Wolf-Dieter Scheurell, beide SPD: Wo war denn Ihre?)

Sie haben dies inhaltlich mit den gleichen Argumenten begründet und gesagt, es stünden in ausreichendem Maße Ausbildungsplätze zur Verfügung. Machen Sie sich einmal die Mühe und steigen in die Rednerprotokolle der Bürgerschaft ein. Dann werden Sie feststellen, dass es 1997 genau die Redner Ihrer Fraktion waren, die begründet haben, warum die Fachoberschule im gewerblichen Bereich abgeschafft worden ist.

(Wolfgang Franz SPD: Aber bei uns hat das keiner aus der Zeitung erfahren!)

Sie hatten damals Recht, denn das Argument für die Einführung – auch da sollten Sie sich die Originalbegründung der alten BSJB angucken – war ein Mangel an Ausbildungsplätzen. Die Begründung ist ja richtig, aber man kann doch nicht einfach sagen, jetzt wird eine Schulform kaputtgespart, sondern muss doch fragen, welche Qualifizierung will diese Schulform erreichen, die von Ihnen richtigerweise als Ergänzung eingeführt worden ist. Will sie Jugendliche primär in eine Ausbildung bringen, um ihnen die Chance zu geben, möglichst schnell einen Beruf auszuüben und in Lohn und Brot zu kommen, Freude am Job zu haben, motiviert eine Arbeit zu machen, oder wollen Sie auf Dauer eine Schulform, die als Ersatz gedacht war, erhalten, durch die die Jugendlichen immer älter werden, obwohl sie dieselben Chancen im Beruf hätten.

Wir möchten, dass diese Jugendlichen möglichst schnell ein Stück ihrer eigenen Zukunft von Arbeit, Feedback, Erfolg im Beruf und eigenem Verdienst und den Chancen eines beruflichen Aufstiegs in einem Job, der ihnen Spaß macht, erreichen. Diese Bürgerkoalition ist im Unterschied zu Ihnen generell der Meinung – das wird sich auch in den nächsten dreieinhalb Jahren in anderen Bereichen zeigen –, dass es sinnvoll ist, Jugendliche nicht in Parkschulen – bei den Trainingscentern hatten wir im letzten Herbst die gleiche Diskussion – zu bringen. Lassen Sie sich aufklären, in wie vielen Branchen und Berufen freie Plätze vorhanden sind; das sind nicht nur die von Ihnen erwähnten Schlachtermeister. Dann können Sie nicht mehr davon reden, dass für Jugendliche in dieser Stadt zurzeit keine Vielfalt bestände, in diesen Bereichen einen Ausbildungsplatz für einen späteren Job zu bekommen.

Meine Damen und Herren! Vorhin ist noch ein Bereich mangels Zeit offen geblieben, nämlich der Punkt der Berufsfachschule für Handel und Industrie, H7, 11 und 14. Sie wissen selbst, Herr Buss, dass die H11 erst 2001 eingerichtet worden ist, um Jugendliche, die die Eingangsvoraussetzungen der neu geordneten Höheren Handelsschule nicht erfüllen, im Berufsfeld Wirtschaft teilzuqualifizieren und auf eine duale Ausbildung vorzubereiten. Und gerade in diesem Bereich stehen jetzt Ausbildungsplätze in ausreichendem Maße zur Verfügung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort hat Frau Goetsch.

(Wilfried Buss SPD)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin gespannt, wie die Handelskammer es richten wird. Herr Senator Lange sagt bei Jugendlichen mit folgendem Berufswunsch dann so locker: Na ja, wenn es nicht klappt, dann entscheidet man wieder anders. Wir haben jetzt Ende März, wie wollen Sie das eigentlich machen?

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, wo das von Ihnen Gesagte nicht zutrifft, Herr Drews, weil Sie immer noch fachlich irgendwie nicht richtig liegen. Wenn Sie Schülerinnen haben, die, wie wir uns das vorstellen, mit sechs Jahren eingeschult wurden, nicht hängen geblieben sind, in der 10. Klasse mit 16 Jahren ihren Realschulabschluss gemacht haben und dann Sozialpädagogik studieren wollen, dann geht das nicht, weil sie das erst mit 17 können.

Ich nenne ein Beispiel einer Schülerin, die das gerne machen will. Sie hat ein erfolgreiches Praktikum als Kindergärtnerin gemacht und arbeitet ehrenamtlich in der Kirchengemeinde im Bereich Kinder- und Jugendarbeit. Sie hat sich in einer 11. Klasse der Fachoberschule, Fachbereich Sozialpädagogik, angemeldet und ihr wird jetzt mitgeteilt, dass das nicht gehe, sie solle sich nach ähnlichen Möglichkeiten in einem Ausbildungsplatz umschauen. Wie gesagt, Herr Drews, man kann in Sozialpädagogik keine duale Ausbildung machen. Also schaut sie sich um. Es gibt in dem Bereich keine andere Ausbildung, also guckt man mal ins Gesundheitswesen. Im Gesundheitswesen könnte sie Zahnarzthelferin oder Arzthelferin werden, das hat natürlich viel mit Sozialwesen zu tun, in allen anderen Bereichen wird eine schulische Ausbildung angeboten. Krankenschwester, Altenpflegerin, Physiotherapeutin, Ergotherapeutin, Logopädin und so weiter sind allesamt schulische Ausbildungsgänge. Dort könnte sie sich anmelden, das geht aber erst mit 17 Jahren.

(Norbert Frühauf Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Sag uns den Namen!)

Es werden andere Überlegungen gemacht, zum Beispiel ein freiwilliges soziales Jahr. Das geht auch nicht, weil man erst mit 17 dieses freiwillige soziale Jahr machen kann. Es bleibt ihr jetzt übrig, in die Handelsschule zu gehen.

(Rolf Harlinghausen CDU: Bis jetzt macht es keinen Sinn, was Sie da sagen!)

Herr Drews, kaufmännisches Wesen hat ganz viel mit dem Wunschberuf dieses jungen Mädchens zu tun.

Und jetzt komme ich zu dem Punkt, wo ich etwas irritiert bin, Herr Lange, weil Sie ja eigentlich Freidemokrat sind, wenn ich das richtig sehe. Ich bin ein bisschen irritiert, dass man hier anscheinend eine Einschränkung des grundsätzlichen Rechts auf freie Berufswahl will, indem man sagt, die müssen dann unbedingt in die Ausbildung im dualen System. Die jungen Leute haben das Recht, wenn sie einen Realschulabschluss haben, auf direktem Wege die Fachhochschulreife zu erlangen, und wir wollen eine Durchlässigkeit der Bildungsgänge.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL und der SPD)