Protocol of the Session on February 21, 2002

Herr Senator, warum wurden die Drogenspritzenautomaten abgebaut, wenn offenbar der Bedarf an Substitutionsplätzen noch nicht hinreichend sichergestellt ist, denn anders kann ich mir nicht erklären, dass Sie ankündigen, dass diese Plätze weiter ausgebaut werden sollen?

Herr Senator.

Im Spritzenprogramm waren nach den Erkenntnissen, die mir zur Verfügung stehen, in der Anstalt II acht Gefangene beteiligt. In der Anstalt Vierlande war es eine unbekannte Zahl, weil die Spritzenautomaten eine anonymisierte Form der Vergabe enthielten. Man weiß nicht, wie viele Gefangene dort daran teilnahmen. In der Teilanstalt für Frauen sind es drei Gefangene. Wenn Sie sich die Zahlen der erhöhten Therapieangebote, von denen ich gerade gesprochen habe, in Erinnerung rufen, ist die Erhöhung deutlich über den Gefangenenzahlen zu sehen, die am Spritzentauschprogramm teilgenommen haben. Nach meiner Beobachtung der letzten Wochen, was an Informationen über das Spritzentauschprogramm überhaupt zu erforschen war, handelte es sich überwiegend um eine Show-Veranstaltung, bei der die Öffentlichkeit über wesentliche Hintergründe nicht informiert und vom alten Senat meines Erachtens geradezu getäuscht wurde, weil wesentliche Ziele des Spritzentauschprogramms nicht nur nicht erreicht, sondern in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Der alte Senat hatte dieses Spritzentauschprogramm als Vehikel benutzt, um anderen therapeutischen Bemühungen nicht in ausreichendem Maße nachkommen zu müssen. Der Glaube, dass der alte Senat sich in ausreichender Weise um die Gefangenen bemüht hätte, war Öffentlichkeitsarbeit, für die dem alten Senat Respekt zu zollen ist.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Herr Maaß.

Herr Senator, nur um sicherzustellen, dass ich Sie richtig verstanden habe: Gehen Sie davon aus, dass die Substitutionsplätze, die Sie schaffen wollen, nicht wahrgenommen werden, weil nicht genug Bedarf da ist?

Das ist schon jetzt in der Teilanstalt für Frauen so der Fall, deshalb brauchten die Plätze im Moment nicht erhöht zu werden, weil die zur Verfügung stehenden Plätze nicht voll in Anspruch genommen werden.

Herr Klooß.

Herr Senator, Sie haben gerade gesagt, der alte Senat habe andere Möglichkeiten vernachlässigt. Sind Sie bereit, dafür Beispiele zu benennen, und können Sie sagen, welche Vorhaben der neue Senat dafür hat?

(Anja Hajduk GAL: Das ist schwierig!)

Ein Beispiel, das ich dafür nennen kann, ist die Unmöglichkeit, die es für mich im Moment darstellt, zu sagen, wie der alte Senat sich um HIV-infizierte

Gefangene gekümmert hat. Meine derzeitigen Informationen, soweit ich sie überhaupt vollständig halten konnte, weil dieses Thema deutlich vernachlässigt wurde, gehen dahin, dass der alte Senat überhaupt erst dann medizinische, therapeutische Angebote begann, wenn die HIV-infizierten Gefangenen körperlich sichtbare Symptome trugen, eine Art des Umgangs mit HIV- Infizierten, die außerordentlich zweifelhaft ist. Angesichts des medizinischen und psychischen Problems, das dahintersteckt, meine ich, dass der alte Senat es sich mit diesem sehr öffentlichkeitswirksam vermarkteten Spritzentauschprogramm viel zu einfach gemacht hat.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Frau Hajduk.

Herr Senator, wenn Sie sich schon nicht an eigene Aussagen erinnern können, kann dann davon ausgegangen werden, dass die Aussage aus dem Koalitionsvertrag, eine separate geschlossene Therapieeinrichtung in einer Justizvollzugsanstalt einzurichten, aufgegeben wird oder nicht aufgegeben wird? Und wenn Letzteres stimmt, wo Sie die dann gegebenenfalls einrichten wollen?

Herr Senator.

Es gibt zahlreiche Festlegungen in der Koalitionsvereinbarung, die in der Prüfung sind und im Moment noch gar nicht beantwortet werden können. Beispielsweise verweise ich darauf, dass die in der Koalitionsvereinbarung festgelegte Abschaffung des Spritzentauschs bereits durchgeführt wurde, andere bedürfen längerer Überlegung.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Frau Hajduk.

Herr Senator, bedeutet das, dass Festlegungen im Koalitionsvertrag, die nicht ausdrücklich als Prüfaufgabe gekennzeichnet sind, nun doch alles Vereinbarungen sind, die der Prüfung bedürfen?

Ich wiederhole gern, was ich schon bei zahlreichen anderen Gelegenheiten zum Ausdruck brachte, aber ich fürchte, dass ich einige Abgeordnete dieses hohen Hauses mit der Aussage langweile, dass sämtliche Vereinbarungen des Koalitionsvertrages,

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

die die Justizpolitik betreffen, meine eigenen politischen Ziele sind.

Herr Dr. Petersen.

Herr Senator, gehen Sie davon aus, dass es durch Ihre öffentlichkeitswirksame Stilllegung der Spritzenautomaten neue HIV-Infizierte gibt?

Ich gehe genau vom Gegenteil aus und will diese Aussage auch begründen. Die Behauptung des alten Senats, die Spritzentauschprogramme hätten der Prophylaxe vor HIV-Infektionen gedient, war in

A C

B D

krassem Widerspruch zu einem Forschungsgutachten, das bereits Ende 1998 vorlag und das genau das Gegenteil nachgewiesen hat. Allerdings hat es dem alten Senat scheinbar nicht ins politische Programm gepasst. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen – damals geleitet vom jetzigen Justizminister Pfeiffer – hat im Auftrag des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg das Spritzentauschprogramm begleitet, untersucht und kontrolliert und kam dabei zu Erkenntnissen, die bei verantwortungsvollem Umgang mit Drogensucht hinter Gittern zum sofortigen Ende des Spritzentauschprogramms hätten Anlass geben müssen. In dem Gutachten von Professor Pfeiffer wurde folgende Verfahrensweise festgestellt, und zwar mehrfach und deutlich durch anonyme Befragungen der Wissenschaftler: Dass den Gefangenen ihre eigene Anonymität so sehr am Herzen lag, weil sie Vollzugsnachteile befürchteten für den Fall, dass sie als Teilnehmer am Spritzentauschprogramm identifiziert werden; dass sie in erheblichem Maße Mitgefangene losschickten, um die Spritzen zu tauschen. Diese Transporteure wurden entlohnt durch Reste in den alten Spritzen.

Das heißt, der Senat wusste seit Ende 1998, dass das Spritzentauschprogramm nicht vor HIV-Infektionen schützt, sondern sie unterstützt.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Karl-Heinz Warnholz CDU: Hört, hört!)

Herr Dr. Petersen.

Herr Senator, ist Ihnen bekannt, dass 80 Prozent der Drogenabhängigen, die an Hepatitis C erkrankt sind, diese Erkrankung aufgrund unsauberer Spritzen bekommen haben?

Ich möchte diese Zahlen nicht bezweifeln, da ich kein Mediziner bin. Allerdings gibt es überhaupt keine Erhebungen darüber, wie viele von diesen Erkrankungen sich in der Situation der Inhaftierung abspielen. Es gibt eine große Zahl von Gefangenen, die bereits als drogensüchtig und bereits infiziert mit verschiedenen gefährlichen Krankheiten in den Strafvollzug kommen. Auch die Begleitforschung zum Spritzentauschprogramm des alten Senats hat nicht belegt, dass in irgendeiner Weise durch diesen Spritzentausch, der von den Vollzugsanstalten durchgeführt wurde, irgendein Infektionsrisiko gemindert wurde. Es spricht vielmehr vieles dafür, dass das Infektionsrisiko erhöht wurde, denn neben den von mir gerade erwähnten Transportproblemen, wo die Transporteure durch alte Spritzen und den Inhalt der alten Spritzen entlohnt wurden, war ein zweites Phänomen zu beobachten, das dem alten Senat ebenfalls bekannt war. Durch die Spritzenvergabe war die Zahl der in der Anstalt vagabundierenden Spritzen dramatisch erhöht worden. Das heißt, die Spritzen, die nicht im Spritzenautomaten waren, sondern irgendwo in der Anstalt herumlagen, waren signifikant höher nach Beginn des Spritzentauschprogramms. Sämtliche in den Anstalten vagabundierenden Spritzen waren unsteril und es gab zahlreiche Aussagen, dass die Rate des Spritzentauschs unter den Gefangenen nicht zurückgegangen ist.

Im Übrigen muss ich noch eines, was die moralische Seite angeht, hinzufügen. In dem Gutachten von Professor Pfeiffer wurde festgestellt, dass ein Drittel oder ein Viertel der Gefangenen, die sich als latent drogensüchtig einschätzten, den Forschern des wissenschaftlichen Instituts mit

teilten, dass sie die Spritzenautomaten als Anregung, Versuchung und Unterstützung der Drogensucht empfunden hatten und damit zu einer Fortsetzung der Drogensucht kamen, die sie ohne die Spritzenautomaten nicht in den Anstalten fortgesetzt hätten.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Uwe Grund SPD: Jetzt werden die Viren weiterverteilt mit Billigung des Senats!)

Das Wort hat Frau Mandel.

Herr Senator, beabsichtigt der Senat, künftig alle Gefangenen bei der Aufnahme in eine Haftanstalt auf HIV zu untersuchen?

Das geschieht schon so.

Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Fragen zu dem Thema? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Fragestunde damit beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf, Antrag der SPD-Fraktion zum Konzept Innere Sicherheit, Drucksache 17/316 in ihrer Neufassung.

[Antrag der Fraktion der SPD: Konzept Innere Sicherheit – Drucksache 17/316 (Neufassung) –]

Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive beantragt eine Überweisung dieser Drucksache an den Innenausschuss. Wer wünscht das Wort? – Herr Wehnert, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn der Senat in Zeiten notwendiger Sparmaßnahmen 14 Millionen Euro für die Umsetzung neuer Konzepte beantragt, ist eine stichhaltige Begründung und Information über den Verwendungszweck unumgänglich.

14 Millionen Euro, mit „Konzept Innere Sicherheit“ überschrieben, dazu möchten wir doch gerne wissen, was darunter zu verstehen ist. In der Erläuterung hierzu heißt es, die Innere Sicherheit solle deutlich gestärkt – ich denke, das kann man voraussetzen – und um uniformierte Präsenz massiv erhöht werden.

Als daraus folgende Maßnahmen werden beispielhaft, wie ich annehme, die hinlänglich bekannten 250 Angestellten und 280 Nachwuchskräfte angeführt. Daran schließen sich die ersten Fragen an.

Entsprechend Ihrer Wahlaussage, 2000 Polizisten mehr in Dienst zu nehmen, wie sieht dann die langfristige Finanzierung aus? Das bedeutet nicht allein die Schaffung von zusätzlichen Stellen von 280 Polizeischülern, sondern ein konkretes Finanzierungskonzept für die Übernahme in den voll bezahlten Dienst als Polizeivollzugsbeamte; und die sind nun einmal ein bisschen teurer als Schüler. Deren Beschäftigung dauert dann vielleicht 40 Jahre und dann haben bis zu 2000 Beamte mehr Anspruch auf ihre Pensionen erworben. Haben Sie dafür schon Konzepte?

(Wolfhard Ploog CDU: Sehr witzige Frage!)

Oder wenn Ihnen das zu langfristig gedacht ist: Welche Konzepte gibt es für die Ausbildungsinhalte und den Ausbildungsverlauf der neuen Schulungen? Muss die Lehrer

(Senator Dr. Roger Kusch)