Protocol of the Session on May 10, 2001

Ich habe ihn in Geschichte, Politik und in Mathematik und Sport unterrichtet. Nach meiner damaligen Erfahrung war er ein interessierter Schüler, der insbesondere im Politikunterricht sehr intensiv zugehört hat. Aber er hat sich immer der inhaltlichen Auseinandersetzung verweigert. Es gab für mich als Lehrer überhaupt keine Möglichkeit, mit ihm in eine inhaltliche Auseinandersetzung zu kommen. Er hat im Unterricht zugehört, aber sich im weiteren Verlauf, wenn es um politische und historische Fragen ging, überhaupt nicht beteiligt. Es war damals schon von ihm – einem Jugendlichen von fünfzehn Jahren – bekannt, daß er ein außerschulisches Umfeld hatte, in dem er sich an Wehrsportaktivitäten beteiligte und anders sozialisiert wurde als in der Schule. Das hat mir gezeigt, es gibt auch für Lehrer Grenzen, bestimmte Leute zu erreichen. Ähnliche Erfahrungen haben die Kollegen an der Jahnschule gemacht, als der Führer der Jungen Nationaldemokraten – ich glaube, der hieß Zabel – dort Abitur gemacht hat. Der war auch nicht erreichbar, er hat vor der Schule Flugblätter verteilt, auf NPD-Kongressen geredet, sich aber in der Schule nicht der Auseinandersetzung gestellt. Das meine ich damit, wenn wir differenzieren müssen. Wichtig ist es natürlich, die Mitläufer anzusprechen, mit denen politische und historische Erziehung zu machen, aber die Neonazi-Führer und die Leute, die anders eingebunden sind, erreichen wir leider auf diesem Wege nicht.

Ich hoffe, daß wir uns in diesem Hause im Bemühen einig sind, Neonazismus zu bekämpfen und zu begrenzen. Ich hoffe auch, daß wir in den weiteren Debatten darüber eine differenzierte Auseinandersetzung führen. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Renate Vogel SPD (als Vertreterin der Sitzungspräsiden- tin): Der Abgeordnete Schäfer bekommt das Wort.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin mit Ihnen einig, Herr de Lorent, daß es wichtig ist, die Beweggründe und das Ausmaß von Rechtsradikalismus insbesondere unter Jugendlichen und Jungerwachsenen zu kennen. Deshalb war es wichtig, diese Anfrage zu stellen und zu debattieren.

Insbesondere der neuerlich vorgelegte Verfassungsschutzbericht macht deutlich, wie aktuell die hiervon ausgehenden Gefahren immer noch und immer wieder sind. Gerade jetzt, im Wahljahr, bekommt die Problematik noch eine ganz besondere Note. Neonazis und Rechtsradikale werden die Zeit des Wahlkampfes nutzen, um aggressiv und mit primitiven Mitteln für ihre noch primitiveren Ziele zu werben. Deshalb müssen wir uns alle in unserem Bestreben einig sein, die Neonazis und deren Vorfeld politisch zu bekämpfen und aus dem Parlament herauszuhalten.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Leider ist festzustellen, daß vor allem immer mehr junge und heranwachsende Menschen dazu neigen, rechtsradikalen Parteien ihr Ohr zu öffnen und später auch ihre Stimme zu geben. Dieses Phänomen ist auch in den westlichen Bundesländern immer mehr zu beobachten.

Es ist also für manche junge Menschen nichts Anstößiges mehr, rechts zu wählen oder davor auch schon rechts zu denken. Das war einmal anders. Doch es nützt nichts, darüber zu klagen, sondern man muß handeln. Es gilt einerseits, junge Menschen davor zu bewahren, in die Fänge der Rechtsradikalen zu geraten, andererseits müssen wir diejenigen, die schon in der Szene sind, wieder in die Gesellschaft zurückholen.

Die Anfrage und deren Beantwortung bieten uns diesbezüglich einen guten Überblick über die verschiedenen Angebote und Interventionsmöglichkeiten. Auf diesem Gebiet wird viel getan, doch die Szene schläft auch nicht. Neue Medien, Veranstaltungen, unter anderem Rockkonzerte, setzen neue Maßstäbe und erfordern eine adäquate Reaktion. Ein Bündel von Maßnahmen wird deshalb angeboten. Das ist auch wichtig, da sich mit schablonenhaftem Vorgehen Lösungen kaum erreichen lassen. Vor allem gibt es leider keinen Königsweg.

Den Jugendlichen müssen sowohl Alternativen intellektueller Art aufgezeigt werden als auch auf der repressiven Seite konsequent die Grenzen klargemacht werden. Die erst kürzlich attestierte Zunahme der rechten Gewalttaten ist nicht hinzunehmen. Sicher ist die Schaffung von Arbeitsplätzen, insbesondere für junge Leute, eine wichtige Voraussetzung dafür, daß sie nicht in die rechte Szene abgleiten. Hierfür wird von seiten der Bundes- und Landesregierung bereits viel unternommen. Den jungen Leuten muß die Sicherheit gegeben werden, daß sie ein Leben mit guter Perspektive erwarten können. Dazu gehört insbesondere eine befriedigende berufliche Zukunft. Eine Garantie ist das allerdings nicht.

Viele der aktiven rechten Jugendlichen sind in der Ausbildung oder gehen einem Beruf nach. Wirtschaftliche Sicherheit ist deshalb nur ein Aspekt dieses Problembereichs. Der Anfrage können wir entnehmen, daß auch neue Wege beschritten werden, um an die jungen Menschen heranzukommen. Die Problematik ist vielschichtig. Mit Betroffenheitsfloskeln wird man einem Skinhead oder Neonazi sicher nicht beikommen können. Man wird kaum nachvollziehen können, was die jungen Menschen überhaupt auf diese falsche Bahn gebracht hat. Man muß ihnen aber klarmachen, daß dies der absolut falsche Weg ist.

Ein Problem ist sicher die Tatsache, daß es sich speziell bei der Skinhead-Szene um eine Subkultur handelt. Dies erschwert den Zugang zu den jungen Leuten. Sie fühlen sich in ihrer Gruppe scheinbar geborgen, sie identifizieren sich mit ihrer eigenen Kultur. Sie brauchen ihrer Ansicht nach dann auch die anderen nicht. Die Clique dient als Familienersatz. Hinzu kommt, daß die jungen Rechten organisatorisch nicht mehr so leicht greifbar sind, da sie sich eher locker zusammenschließen. In ihrer Gruppe bekommen viele der Rechten das, was sie anderswo nicht erfahren: gemeinsame Interessen, Geborgenheit, Geltung.

Die Eltern dieser Jugendlichen und jungen Heranwachsenden dürfen wir deshalb nicht aus der Verantwortung entlassen. Auch sie haben es versäumt, ihren Kindern die Angebote und Erziehung angedeihen zu lassen, die sie von diesem Weg abgehalten hätten. So halte ich insbesondere das Einbeziehen der Eltern in die Maßnahmen gegen straffällige rechte Jugendliche durch die Polizei für ausgesprochen wichtig. So werden die Eltern möglicherweise erst dadurch darüber informiert, was ihre Kinder in der Freizeit tun und wie sie denken. Das Aussteigerprogramm als weitere Neuerung gibt den jungen Leuten, die sich dazu entschließen, die rechte Szene zu verlassen, die Chance eines geordneten und begleiteten Ausstiegs, den sie möglicherweise alleine nicht schaffen oder wagen würden.

Wichtig ist darüber hinaus, daß diejenigen, die in engem Kontakt zu Jugendlichen stehen, wissen, was in den jeweiligen Szenen passiert. So sollten Lehrerinnen und Lehrer darüber informiert sein, was sich im Internet tut, um dementsprechend reagieren zu können. Rechtsradikalismus, zumal unter Jugendlichen, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Deshalb ist es wichtig, daß wir uns alle darüber einig sind, daß dieses Phänomen von uns allen zu bekämpfen ist.

(Uwe Grund SPD: Sehr richtig! – Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir dürfen über die richtigen Ansätze streiten, müssen uns aber darüber klar sein, daß keine Partei oder Gruppierung den richtigen Weg weist. Eine breite Bekämpfung des Rechtsradikalismus ist viel produktiver. Eine Möglichkeit dazu haben wir alle übermorgen, am Samstag, auf dem Rathausmarkt, wo wir das „Fest der Menschlichkeit“ mit dem „Hamburger Ratschlag“ begehen können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Renate Vogel SPD (als Vertreterin der Sitzungspräsiden- tin): Herr Schira hat das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Der Senat antwortet, daß die Gesamtzahl von Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads in unserer Stadt angestiegen ist. Im letzten Jahr wurden diesem Umfeld circa 170 Personen zugerechnet. Durch die Medien konnten wir erfahren, daß es in einigen Hamburger Stadtteilen Schwerpunkte von Rechtsradikalen gibt. Eine zunehmende Anzahl von Neonazis treibt es eher zur Skinhead-Szene, während die Jugendorganisationen der NPD und der Republikaner in Hamburg Gott sei Dank überhaupt keine Rolle spielen. Es gibt im Rahmen der Aufklärung und Prävention viele unterschiedliche Aktivitäten in unserer Stadt. Wir konnten in der Antwort des Senats über Maßnahmen in der Lehrerfortbildung und bei der Schüleraufklärung lesen. Insbesondere die Hamburger Sportvereine haben zahlreiche Formen der Begegnung

zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen entwickelt. Für dieses ehrenamtliche Engagement gebührt ihnen Dank und Anerkennung.

Im Februar haben wir in der Bürgerschaft über die Sinnhaftigkeit von Aussteigerprogrammen für rechtsradikale Jugendliche debattiert. Für diese Programme werden in den nächsten drei Jahren circa 150 Millionen DM aufgewandt. Die Polizei und das Landesamt für den Verfassungsschutz sind ebenfalls sehr stark auf diesem Gebiet engagiert. Wir unterstützen ausdrücklich, daß insbesondere der Hamburgische Verfassungsschutz den Hamburger Schulen seine Hilfe in Form von Besuchen und Gesprächen anbietet. Wir hoffen, daß die Hamburger Schulen von diesem Angebot reichlich Gebrauch machen.

Insgesamt können wir feststellen, daß Bürger und der Staat viele Aktivitäten entwickeln, um gegen Extremismus und Gewalt Flagge zu zeigen. Es ist für uns wichtig, daß der Staat mit seinem Gewaltmonopol mit der nötigen Härte und Konsequenz einschreitet. Falsch verstandene Liberalität ist fehl am Platz.

Es ist unbestritten, daß uns der Rechtsextremismus zur Zeit große Sorgen bereitet. Wir sollten uns aber davor hüten, allzusehr in Differenzierung von Links und Rechts zu verfallen. Dies war und ist schon immer problematisch gewesen. Jede Art von Extremismus und der daraus resultierenden Gewalt ist verabscheuungswürdig und zu bekämpfen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erwähne dies ganz bewußt vor dem Hintergrund des feigen Anschlags auf die Gesundheit und das Eigentum unseres Kollegen Warnholz. In diesem Zusammenhang richten sich die Worte und die menschenverachtende Stellungnahme der Roten Flora von selbst. Hier hat die übergroße Mehrheit dieses Hauses deutlich gemacht, daß sie Solidarität und Abscheu über diesen Akt linksextremistischer Gewalt empfindet.

(Beifall bei der CDU)

In vielen Gesprächen mit Schülern habe ich gehört, daß es Kritik an der Art der Vermittlung unseres Geschichtsunterrichts gibt. In Diskussionen mit Schülern wurde oft kritisiert, daß die Wissensvermittlung oftmals ohne erkennbares Engagement der Lehrer stattfindet. Das ist jetzt eine pauschale Aussage, dazu kann man kaum etwas sagen. Aber das ist zunehmend meine Wahrnehmung. Weiterhin wird oft der intellektuelle Rohrstock beklagt, der bei der Geschichte unserer dunkelsten Vergangenheit hervorgeholt wird. Das bewirkt bei einigen Schülern eher ein Abschalten oder ruft sogar Protest hervor. Schule allein, da sind wir uns sicher einig, kann den Einfluß von Rechtsradikalen auf junge Menschen nicht alleine meistern. Das können wir als Politiker ebenfalls nicht. Der stärkste Impfschutz ist meines Erachtens immer noch eine intakte Familie.

Unser Land und unsere Stadt sind offen, tolerant und ausländerfreundlich. Die verschwindend kleine Minderheit an Extremisten wird daran auch in Zukunft nichts ändern. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Renate Vogel SPD (als Vertreterin der Sitzungspräsiden- tin): Die Abgeordnete Koppke bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Angelehnt an

meine Fragen in der heutigen Fragestunde zum Verfassungsschutzbericht möchte ich an dieser Stelle noch auf einen einzigen Aspekt der Anfrage eingehen, und zwar auf das Thema Burschenschaften und Rechtsextremismus sowie Nazismus an Hamburgs Hochschulen.

In Frage 9 der Großen Anfrage heißt es:

„Gibt es andere Organisationen an Hamburger Hochschulen, die dem rechtsradikalen Milieu zuzurechnen sind, und welche Aktivitäten entfalten diese.“

Die Antwort lautet: Nein, es seien rechtsextremistische Organisationen bekannt, aber es gebe einzelne Burschenschaften, in denen Rechtsextremisten Mitglieder sind.

Punkt – aus, das ist alles. Nicht beantwortet wird, um welche Burschenschaften es sich handelt, wie viele Mitglieder als rechtsextremistisch bekannt sind und welche Aktivitäten entfaltet wurden. Heute, zum Sitzungsbeginn, haben wir erlebt, wie der Senat sich der diesbezüglichen Debatte und Aufklärung verweigerte. Deswegen muß an dieser Stelle noch einmal deutlich gesagt werden, daß der Senat beziehungsweise der Verfassungsschutz sehr wohl Erkenntnisse über rechtsextremistische Burschenschaftsmitglieder hat. Schon 1993 waren ihm rund 40 Angehörige von Burschenschaften namentlich bekannt, über die rechtsextremistische Erkenntnisse vorliegen. Ich möchte deswegen auch noch einmal konkret auf die Burschenschaft „Germania Hamburg“ eingehen.

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt übernimmt den Vorsitz.)

Die „Germania Hamburg“ hat vielfältige Verquickungen zur rechten Szene. In der „Germania“-Villa in der Sierichstraße traf sich schon die inzwischen verbotene FAP, die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front des verstorbenen Hitler-Verehrers Michael Kühnen, oder es referierte der Auschwitz-Leugner David Irvine. Die „Germania“ stellt Kontaktpersonen für die rechtsextremistische Schülerburschenschaft „Teutonia Hamburgia“, und ganz aktuell empfiehlt die NPD über den Nationaldemokratischen Hochschulbund bei einem Studium in Hamburg den Eintritt in die Burschenschaft „Germania“. Auf Hochschulebene zeichnen sich die Germanen durch Äußerungen aus, wie „Antifaschisten sind geistige Amokläufer“. Seit dem letzten Jahr beobachten wir auf dem Campus eine verstärkte Nachwuchssuche der „Germania“.

Seit zwei Wochen können wir zum Beispiel erleben, daß die „Germania“ in der aktuellen Studierendenzeitung des RCDS, der CDU-Hochschulgruppe, für sich werben kann. Das ist bitter.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Die Hamburger Hochschulen sind alles andere als rechtsextremismus- oder neonazismusfrei. Im Januar dieses Jahres war der Campus mit Hakenkreuzen beschmiert, und im März kursierte an der Universität ein anonymes Flugblatt mit dem Titel „Revision“, in welchem in quasi wissenschaftlicher Manier der Holocaust geleugnet wird. In den Gaskammern seien nichts als typhuserregende Kleiderläuse vernichtet worden, war da zu lesen. Die Universität Hamburg hat Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. Über all das erfahren wir in der Großen Anfrage gar nichts. Relativ unkonkrete Fragen mischen sich aber vor allem mit sehr schlechten Antworten. Es interessiert mich, ob der Senat diese Fakten nicht weiß oder ob er sie verschleiert und – wenn das so ist – warum. Beides ist unhaltbar.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

(Frank-Thorsten Schira CDU)

A C

B D

Das Wort hat Frau Senatorin Roth.